Historie Das turbulente Interim Zwischen Abwicklung des Fachbereichs Ingenieurökonomie und Gründung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Hans Hieke, Andreas Trillhose Die Abwicklung Der im Einigungsvertrag stehende Satz „Die Landesregierung regelt die Überführung oder Abwicklung“ 1, der sich auf die Einrichtungen von Bildung und Wissenschaft bezog, klang für uns Ostdeutsche, fürs Erste betrachtet, recht harmlos. Vermutlich die wenigsten Angehörigen des Fachbereichs Ingenieurökonomie hatten ihn unmittelbar bei seiner Veröffentlichung gelesen. Hellhörig dürften jedoch bereits manche geworden sein, als einen Tag nach der Beschlussfassung der Sächsischen Staatsregierung vom 11.12.1990 zu dieser Abwicklung und Überführung durch die Medien informiert wurde. Dabei ließ sich die Staatsregierung offensichtlich davon leiten, dass es zur Erneuerung von Ausbildung und wissenschaftlicher Forschung notwendig sei, jene Einrichtungen des Hochschulbereichs, deren Aufgaben durch den grundlegenden gesellschaftlichen Wandel im Lande nicht mehr existent waren oder sich prinzipiell geändert hatten, nicht nur zu reformieren, sondern völlig neu aufzubauen, indem sie abgewickelt und danach gegebenenfalls neu gegründet werden. Letztlich wurde es zur Gewissheit: Am 13.12.1990 informierte auf einer eiligst einberufenen Vollversammlung die Hochschulleitung die Angehörigen des Fachbereichs darüber, dass an der Bergakademie die per 01.01.1990 in Ingenieurökonomie2 umbenannte Sektion 1 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag). In: BGBl. Teil II,1990, S. 889ff., Kap. V, Art. 13. 2 Bei der Bezeichnung der Hochschulen und ihrer Struktureinheiten griff das Staatsministerium für Wissenschaft auf die am 09.10.1989 gültige zurück. Die Fakultät für Ingenieurökonomie der Bergakademie Freiberg war am 01.05.1956 gegründet worden. Bei der im Rahmen der 3. Hochschulreform verordneten Strukturveränderung erfolgte am 01.07.1968 die Umbenennung in „Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft“. Zum 01.01.1990 genehmigte der Hochschulminister der Modrow-Regierung. Prof. Dr. Emmons (vormals Rektor der Bergakademie), ihre Rückbenennung in „Ingenieuerökonomie“. Ab 01.06.1990 wurden die Sektionen als Fachbereiche bezeichnet. 170 Sozialistische Betriebswirtschaft zum Jahresende abgewickelt würde.3 Schließlich erhielten alle Beschäftigten wenige Tage vor Weihnachten in einem per Einschreiben abgesendeten Brief des Rektors, dessen Text ihm vom Ministerium als Muster vorgegeben worden war, mitgeteilt, dass ihr Arbeitsrechtsverhältnis ab 01.01.1991 ruhe und dass während dieses Ruhens einerseits die Verpflichtung zur Arbeitsleistung und andererseits die zur Vergütungszahlung grundsätzlich ausgesetzt seien. Das Schreiben enthielt den Hinweis auf den Anspruch eines monatlichen Wartegeldes und ferner die Aussage, dass das Arbeitsverhältnis ohne Notwendigkeit einer separaten Kündigung endet, wenn der Arbeitnehmer – abhängig vom Lebensalter – nicht innerhalb von sechs bzw. neun Monaten weiterbeschäftigt werden kann. Diese Mitteilung kurz vor Weihnachten war für alle Beschäftigten sehr deprimierend. Betroffen waren zwölf Hochschullehrer, 23 wissenschaftliche Mitarbeiter und 15 Personen der Verwaltung. Der Abwicklungsbeschluss war den Rektoren in einer Dienstberatung beim Staatsminister für Wissenschaft am 11.12.1990 mitgeteilt und anschließend schriftlich zugestellt worden.4 Parallel zur Auflösung der Struktureinheiten war im Interesse der Fortführung der studentischen Ausbildung die Einrichtung von Studienprogrammen vorgesehen. Im Freistaat Sachsen waren 18 Hochschulen/Einrichtungen bzw. innerhalb dieser bestimmte Struktureinheiten 3 Vom Abwicklungsbeschluss betroffen waren auch das Institut für Unternehmensführung (vormals Sozialistische Wirtschaftsführung), der Fachbereich für Sozialwissenschaften (vormals Sektion für MarxismusLeninismus), das Industrie-Institut und die ML-Abteilung der Ingenieurschule. Diese Einrichtungen waren aber bereits auf Veranlassung des Senats der Bergakademie Freiberg vor dem Beschluss der Staatsregierung vollständig und ersatzlos aufgelöst worden. 4 Vgl. Brief des Sächsischen Staatsministers für Wissenschaft Prof. Dr. Meyer. Akte 20/557 Wirtschaftswissenschaft 06/1990– 12/1992, Universitätsarchiv Freiberg (UAF). betroffen5. Hinsichtlich der Wirtschaftswissenschaften waren das neben der Bergakademie Freiberg die Technischen Universitäten in Chemnitz und Dresden, die Verkehrshochschule Dresden, in Leipzig die Universität, die TH und die Handelshochschule sowie die Technischen Hochschulen in Zittau und in Zwickau. Die Einrichtung von Studienprogrammen war vorgesehen an der TU Chemnitz (Betriebs- und Volkswirtschaftslehre), an der TU Dresden, der Bergakademie Freiberg, der TH Leipzig und der TH Zwickau (Wirtschaftswissenschaften), an der Handelshochschule Leipzig (Betriebswirtschaft/Wirtschaftswissenschaften), an der Hochschule für Verkehrswesen Dresden (Verkehrs- und Betriebswirtschaft), an der TH Zittau (Betriebs- und Energiewirtschaft). Ausschließlich an der Universität Leipzig sollte eine Fakultät für Volks- und Betriebswirtschaft gegründet werden. Aus heutiger Sicht ist es kaum zu verstehen, dass an den anderen Universitäten keine wirtschaftswissenschaftliche Fakultät mehr vorgesehen war. Die Studienprogramme hatten das Ziel, die bereits Studierenden weiter auszubilden und ihnen einen akademischen Abschluss zu ermöglichen. Für die Umsetzung der Programme war die Einsetzung kommissarischer Direktoren durch den Staatsminister vorgesehen. Ihm war vorzuschlagen, welche Wissenschaftler für den Aufbau des jeweiligen Studienprogramms auf Grund ihrer fachlichen Qualifikation, persönlichen Integrität sowie ihres vorbehaltlosen Eintretens für die freiheitlich demokratische Grundordnung in Betracht kämen. Darüber hinaus waren durch die Hochschule Vorschläge zu unterbreiten, welche der schon bisher Beschäftigten die Lehre übernehmen sollten, um den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Nach Genehmigung durch das Staatsministerium konnten für sie zeitlich befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Auch Rektor und Senat der Bergakademie waren vom Beschluss zur Abwicklung des Fachbereichs Ingenieurökonomie überrascht. Dort waren bereits im Laufe des Jahres 1990, insbesondere jedoch seit dem Sommersemester, die Lehrprogramme für die laufende Ausbildung den neuen Bedingungen entsprechend, verändert worden. Konzeptionell verfolgte die personell nicht erneuerte Leitung des Fachbereichs das Ziel, zwei neue Studiengänge, nämlich 5 Vgl. ebenda. AC AMONTA – Zeitschrift für Freunde und Förderer der TU Bergakademie Freiberg Betriebswirtschaftslehre mit dem Abschluss als Diplomkauffrau/-mann und Wirtschaftsingenieurwesen als Aufbaustudium, einzuführen. Man war offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass die zu DDR-Zeiten entwickelte und in unterschiedlicher Ausprägung vertretene Ingenieurökonomie im wiedervereinigten Deutschland kaum auf studentische Nachfrage und Akzeptanz stoßen und vom bundesdeutschen Fakultätentag für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nicht anerkannt werden würde. So wurden zu Beginn des Wintersemesters 1990/91 erstmals 110 Studenten im Studiengang BWL immatrikuliert. Es lagen zwar zu diesem Zeitpunkt noch keine bestätigten Studiendokumente vor, gleichwohl war es, auch im Nachhinein betrachtet, im Interesse der Bergakademie richtig, diesen Schritt zu gehen. Wäre er unterlassen worden, hätte es sicherlich auch die spätere Gründungskommission noch deutlich schwerer gehabt, die Installation eines eigenständigen betriebswirtlichen Studiengangs genehmigt zu bekommen. Im Übrigen war es 1990, in einer Zeit des allgemeinen Umbruchs, nichts Ungewöhnliches, nicht immer auf Genehmigungen „von oben“ zu warten, sondern auch eigenverantwortlich zu handeln und in diesem Fall die Kontinuität der Immatrikulation von Ökonomen in spe aufrechtzuerhalten. Rektor und Senat hielten einen eigenen wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang, getragen von einem völlig erneuerten Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, zur universitären Profilierung der Bergakademie für unverzichtbar. Diese Auffassung und die Einschätzung, dass es ratsam sei, die anstehende Neugestaltung nicht allein dem Fachbereich zu überlassen, fanden ihren Niederschlag in der Einsetzung einer gleichnamigen, zeitweiligen Senatskommission,6 die Mitte Juni 1990 vom neu gewählten Senat gebildet wurde und sich in der Folgezeit intensiv mit der Problematik beschäftigte. Sie war beauftragt, dem Senat Empfehlungen zur Entwicklung der Freiberger Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zu unterbreiten. Ihnen lagen neben der Entwicklungskonzeption des Fachbereichs Ingenieurökonomie auch Stellungnahmen des WISO-Fakultätentages sowie der Bericht der bayrisch-sächsisch-thüringischen Studienkommission Wirtschaftswissenschaften zu Grunde. Eine entsprechende Vorlage7 sollte auf der 11. Sitzung des Senats am 18.12.1990 beraten werden. Doch es kam anders. Die Ereignisse überschlugen sich. Auf der Senatssitzung musste über die Konsequenzen aus dem in der Geschichte der Bergakademie wohl einmaligen Vorgang der Abwicklung beraten und vor allem beschlossen werden, wie die zu bildende Studienprogrammkommission personell zu besetzen und der Lehrbetrieb im Wintersemester abzusichern sei. 6 Sie stand unter Leitung von Dr. Pietzsch. Mitglieder der Kommission waren von der Bergakademie die Professoren Kuhnert, Mücke, Slaby, sowie Dr. Born und die Studenten Garbe und Wenzel, aus den alten Bundesländern die Professoren Matschke (TU Clausthal-Zellerfeld), Reichwald (TU München) und Wilke (TU Berlin). 7 Vgl. Akte II 20/541 Senat 1990, UAF. 8 Vgl. Protokoll der 11. Senatssitzung am 18.12.1990, Akte II 20/541 Senat 1990, UAF. 9 Dies galt für zwölf Hochschullehrer und drei unbefristete wissenschaftliche Oberassistenten/ Assistenten, 13 befristet tätige wissenschaftliche Assistenten sowie außerdem für alle 15 nichtwissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Das Studienprogramm Wirtschaftswissenschaften In sondierenden Gesprächen zwischen einzelnen wissenschaftlichen Mitarbeitern des Fachbereichs und einigen Senatsmitgliedern war sowohl über die Zusammensetzung der Studienprogrammkommission als auch über die Fortführung des Lehrbetriebs diskutiert worden. So konnten auf der 11. Senatssitzung, deren Tagesordnung um den Punkt „Auflösung von Teileinrichtungen der Hochschule“ eiligst ergänzt worden war, entsprechende Beschlüsse zur Zusammensetzung8 der Studienprogrammkommission und zu den zur Absicherung der Lehre erforderlichen Wissenschaftlern,9 mit denen befristete Arbeitsverträge abzuschließen waren, gefasst werden, um sie dem Staatsminister zu unterbreiten. Als Mitglieder der Studienprogrammkommission wurden benannt: Doz. Dr. Hieke, Doz. Dr. Mehnert, Dr. Trillhose, Dr. Hebert, Dr. Kahlert. Ersterer wurde Anfang Januar 1991 vom Staatsminister zum kommissarischen Direktor des Studienprogramms Wirtschaftswissenschaften ernannt. Außerdem wurde die Studienprogrammkommission beauftragt, auf einer Senatssitzung, ebenfalls noch im Januar 1991, eine Stellungnahme zur Vorlage der Senatskommission Wirtschafts- und Rechtswissenschaften abzugeben. Der 22. Jahrgang 2015 Rektor informierte darüber am nächsten Tag den Staatsminister brieflich. Dieser ernannte zum für die Abwicklung Beauftragen den damaligen kommissarischen Prorektor für Wissenschaftsentwicklung, Doz. Dr. Schlegel. Als die Studienprogrammkommission zu Beginn des Jahres 1991 ihre Arbeit aufnahm, war die Personalsituation folgende: Von den 66 Beschäftigten des Jahres 1989 waren 16 bereits ausgeschieden, 19 befanden sich ab 02.01.1991 in der sog. Warteschleife und für 31 waren befristete oder unbefristete Arbeitsrechtsverhältnisse beantragt. Erst gegen Ende der ersten Januardekade wurden die beantragten Arbeitsverträge abgeschlossen, und zwar ausnahmslos alle mit einer Befristung bis zum 30.06.1991. Am 07.01.1991 begann wieder der Lehrbetrieb für die eigenen Studenten wie auch für die der technischen und naturwissenschaftlichen Fachrichtungen. Auch die wirtschaftswissenschaftlich-gymnasiale Ausbildung am Freiberg Kolleg wurde fortgesetzt. Dem waren teils kontroverse Diskussionen zwischen der Studienprogrammkommission und einigen Lehrenden, die ihre Lehrtätigkeit erst nach Vorliegen eines Arbeitsvertrags wieder aufnehmen wollten, vorausgegangen. Dies war formal sicherlich richtig, aber gewiss nicht im Interesse der Bergakademie und ihrer Studentenschaft, die für einen Boykott der Lehre durch die Hochschullehrer aus diesem Grunde vermutlich nur wenig Verständnis gehabt haben würden. Die Konsequenzen wären nicht abzusehen gewesen. Vielmehr galt es zu verdeutlichen, dass für einen Abbruch des Studiums in Freiberg kein Grund gegeben war. Die im Studienprogramm befindlichen knapp 300 Studentinnen und Studenten waren zwar über die neue Situation noch vor den Weihnachtsferien informiert10 worden, was aber nichts daran änderte, dass sie die neue Lage verunsicherte. Die Studienprogrammkommission war ständiger Ansprechpartner für Sorgen und Fragen der Studentenschaft, zu der sich im Lauf der Zeit ein enger Kontakt entwickelte. Zwar konnte auch sie damals nicht alle Bedenken, die vor allem hinsichtlich der Fortsetzung des Studiums und der Anerkennung des Abschlusses bestanden, zerstreuen, aber es gelang, Vertrauen aufzubauen. 10 Vgl. Mitteilung des Prorektors für Bildung, Prof. Dr. Stoyan, vom 18.12.1990, Akte II 20/557, UAF. 171 Historie Die Studenten ihrerseits begegneten den vielfältigen organisatorisch bedingten Unannehmlichkeiten verständnisvoll. In Freiberg kam es im Unterschied zu anderen Universitätsstandorten zu keinen Demonstrationen gegen die Abwicklung. Lernbereitschaft und Motivation der Studentenschaft der späten Zeit der friedlichen Revolution waren im Vergleich zu nachfolgenden Jahrgängen deutlich ausgeprägter. Vor diesem Hintergrund gelang es, das Wintersemester ordentlich zu Ende zu führen. Die Studienprogrammkommission erarbeitete eine nach Studienformen und Immatrikulationsjahrgängen differenzierte Konzeption.11 Diese sah im Direktstudium für die Matrikel 1989 und 1990 vor, dass sie das Studium mit dem Titel Diplomkauffrau/-mann abschlossen, erstere aber allenfalls erst nach einem um ein Semester verlängerten Grundstudium. Für die Matrikel 1988 und 1987 kam ein solcher Abschluss nicht in Betracht. Den Studierenden des ersteren sollte angeboten werden, wahlweise ein zertifiziertes Zusatzsemester zu absolvieren oder am Ende des 6. Semesters das Vordiplom abzulegen und dann gemäß den neuen Studiendokumenten das Hauptstudium anzuschließen. Für die Studierenden der Matrikel 1987 wurde nur die Möglichkeit eines zusätzlichen Semesters angeboten. Eine Ausbildung im Fernstudium war nicht mehr vorgesehen. Für die Matrikel 1985 und 1986 des Fernstudiums wurde festgelegt, das Studium nach altem Prüfungsrecht als Diplomingenieurökonom abzuschließen. Studierende der Matrikel 1987 waren bereits an andere Hochschulen gewechselt. Die Jahrgänge 1988 und 1989 befanden sich noch im Grundstudium, das an den Konsultationszentren, also außerhalb Freibergs, durchgeführt wurde. Sie haben dann ihr Hauptstudium nicht mehr an der Bergakademie angetreten. Ein weitere Aufgabe bestand darin, zunächst die neuen Studiendokumente für den Studiengang BWL und anschließend die für das geplante Aufbaustudium Wirtschaftsingenieurwesen fertigzustellen. Nach gründlicher Überarbeitung unter Berücksichtigung zahlreicher Hinweise sowie Empfehlung seitens der Senatskommission Bildung konnten die BWLDokumente am 05.02.199112 und die für das Wirtschaftsingenieurwesen am 09.04. 199113 vom Senat bestätigt und die zugehörigen Prüfungsordnungen dem Staatsministerium zur Genehmigung eingereicht werden. Großes Augenmerk erforderte die personelle und organisatorische Vorbereitung des Sommersemesters 1991. Zur Sicherstellung der Lehre waren mehrtägige Kompaktvorlesungen, einmalige oder im Wochenrhythmus stattfindende Gastvorlesungen westdeutscher Professoren zu organisieren, u. a. für Handels-, Gesellschafts- und Konzernrecht, Wettbewerbsund Kartellrecht, VWL, Betriebliche Steuerlehre, Unternehmensfinanzierung sowie Personalwirtschaft. Von Angehörigen des Fachbereichs waren 278 SWS an Lehrveranstaltungen zu absolvieren. Dazu war es jedoch notwendig, dem Minister vorzuschlagen, fünf Wissenschaftler aus der Warteschleife abzurufen. Da das Sommersemester erst am 13.07.1991 endete, die bisher abgeschlossenen Arbeitsverträge jedoch nur bis 30.06.1991 befristet waren, war es geboten, auf deren Verlängerung hinzuwirken. Obzwar im Abwicklungsbeschluss der Staatsregierung die Neugründung einer wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Freiberg nicht ausdrücklich genannt worden war, waren Hochschulleitung und Studienprogrammkommission stets davon überzeugt, dass eine solche – gegenüber der bisherigen völlig erneuerte und leistungsstarke – unverzichtbar sei, um eine universitäre Entwicklung der Bergakademie zu gewährleisten.14 Daher beriet der Senat nicht nur wiederholt und umfassend über den aktuellen Ablauf des Studienprogramms, sondern auch über den künftigen Fachbereich und die Bestellung eines Gründungsdekans. Den Anlass dazu hatte ein Brief des Staatsministers für Wissenschaft und Kunst an das Rektoratskollegium der Universität Leipzig gegeben. In diesem zuvor vor der Regierung beratenen Schreiben wurde u. a. ausgeführt, dass für die neu zu schaffenden Einrichtungen Gründungsdekane sowie Gründungskommissionen „unter Berücksichtigung von Vorschlägen wissenschaftlicher Gremien innerhalb und außerhalb Sachsens sowie der Mitgliedergruppen der sächsischen Hochschulen (zu) berufen“ seien. Auch die Aufgaben und die 11 Vgl. Brief von Doz. Dr. Hieke an Staatsminister Prof. Dr. Meyer vom 29.01.1991, Akte 9808/12, UAF. 12 Vgl. Protokoll der 14. Senatssitzung am 05.02.1991, Akte 9771/1, UAF. 13 Vgl. Protokoll der 18. Senatssitzung am 09.04.1991, Akte 9771/1, UAF. 14 Vgl. Brief des Rektors, Prof. Dr. Gerhard, an Staatsminister, Prof. Dr. Meyer vom 19.12.1990. Akte 9771/1, UAF. 172 Zusammensetzung der Gründungskommissionen wurden in diesem Brief skizziert, der vom Staatsminister dem Rektor zur Kenntnis gegeben wurde, mit der Bitte, die in ihm fixierten Vorgaben an seiner Universität sinngemäß anzuwenden.15 Der Senat beschloss, einer Empfehlung der Studienprogrammkommission folgend, dem Staatsminister für das Amt des Gründungsdekans Herrn Prof. Dr. Reichwald von der TU München als Kandidaten vorzuschlagen16 und beauftragte den Rektor, gemeinsam mit der Kommission entsprechende Schritte einzuleiten. Reichwald hatte sich bereits zuvor – ebenso wie Prof. Dr. Matschke von der TU Clausthal-Zellerfeld – auf Bitte von Hieke bereit erklärt, als Mentor der Studienprogrammkommission zu wirken. Rektor Gerhardt bat nun Reichwald das Amt zu übernehmen17 und wandte sich auch an den Präsidenten der Technischen Universität München, Prof. Dr. Meitinger, mit dem Ersuchen, dieses Anliegen der Bergakademie, zu unterstützen18. Auf der 14. Senatssitzung am 05.02.1991 informierte der Rektor dann über die Zustimmung Reichwalds19 und das Plazet des Präsidenten der TU München. Damit war seitens der Bergakademie zunächst der im Weiteren zu beschreitende Weg aufgezeigt. Die Entscheidung lag nun beim Staatsminister, der mit seinem bayrischen Amtskollegen die Bedingungen einer Amtsübernahme durch Reichwald festzulegen hatte. Auf seiner Sitzung am 19.02.1991 beriet der Senat über die Zusammensetzung der Gründungskommission und beschloss, Reichwald einige Freiberger Wissenschaftler als Mitglieder zu empfehlen.20 Am 25.02.1991 fand in Freiberg ein erstes Gespräch zwischen dem Rektor Gerhardt, Reichwald und Hieke statt. Die zwischen dem Freistaat Sachsen, dem Freistaat Bayern und dem künftigen Gründungsdekan zu klärenden Konditionen – nicht zuletzt der finanziellen – für die Arbeit der Gründungskommission, bedurfte 15 Vgl. Brief des Staatsministers, Prof. Dr. Meyer, an Rektor Prof. Dr. Gerhard vom 09.01.1991. Akte II 20/561, UAF. 16 Vgl. Protokoll der 13. Senatssitzung am 22.01.1991, Akte 9777/1, UAF. 17 Vgl. Fernschreiben vom 23.01.1991, Akte 9887/846, UAF. 18 Vgl. Fernschreiben vom 24.01.1991, UAF. 19 Vgl. Protokoll der 14. Senatssitzung, Akte 9771/1, UAF. 20 Vgl. Protokoll der 15. Senatssitzung am 19.02.1991 und der 17. Senatssitzung am 19.03.1991, Akte 9771/1, UAF. AC AMONTA – Zeitschrift für Freunde und Förderer der TU Bergakademie Freiberg noch geraumer Zeit. Der Staatsminister berief dann am 05.04. 1991 Reichwald zum Gründungsdekan, der am 06.05. 1991 sein Amt in Freiberg offiziell antrat.21 In der Folge entwickelte sich eine intensive, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Reichwald und der Studienprogrammkommission, so dass deren Aufgaben problemlos auf die Gründungskommission, die sich am 10.06.199122 konstituierte, übergehen konnten. Damit beendete die Kommission für das Studienprogramm ihre Tätigkeit. 21 Vgl. Protokoll der 20. Senatssitzung am 07.05.1991, Akte 9771/1, UAF. 22 Vgl. Sitzungsprotokoll Gründungskommission; Akte 9899/24 Gründungskommission Wirtschaftswissenschaften 1991–1993, UAF. Alles in allem: Ein mitunter fast schon vergessenes, weil sehr kurzes, aber für die Studentenschaft und die Beschäftigten gleichermaßen durchaus dramatisches Interim, das als kleines Element der Hochschulerneuerung auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften anzusehen ist, fand seinen Abschluss. Ein offener Brief Sehr geehrter Herr Kollege Schönfelder, im Sammelband Bergakademische Geschichten1 publizieren Sie den Beitrag „Von der Sektion Sozialistische Betriebswirtschaftslehre2 zur Fakultät für Wirtschaftswissenschaften“ . Ihre Schilderung zielt auf eine Wertung der vor Ihrer Berufung und Neugründung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und damit der vor 1993 liegenden Zeit. Die Ausführungen hierzu sind ein Konglomerat aus Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten, Mythen und Absurditäten. Ich vermisse eine vorurteilsfreie Betrachtung und die angemessene Berücksichtigung der für die Wirtschaftswissenschaften an der Bergakademie Freiberg in diesen Jahren maßgeblichen äußeren Rahmenbedingungen (S. 232 ff.).3 Über Visionen der heutigen Wirtschaftsfakultät erfährt der Leser leider wenig. Wahr ist z. B., dass die Wirtschaftswissenschaften in der DDR der marxistischen Ideologie und der Diktatur der SED unterworfen waren und dass es keine hiervon unabhängige freie Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre an der Bergakademie Freiberg gegeben hat. Wahr ist z. B., dass für Nichtmitglieder der SED die Aufstiegs- und Berufungschancen signifikant schlechter waren (S. 401). Wahr ist aber auch, dass sich alle Berufungskandidaten den allgemeinen Berufungskriterien stellen mussten. Anders als heute hatte bei den Ingenieur- und angewandten Wirtschaftswissenschaften (Betriebswirtschaft und Ingenieurökonomie) die Forderung nach Berufs- und Praxiserfahrung einen hohen Stellenwert. Dieses Kriterium verringerte besonders die Chancen der Personen, die unmittelbar nach dem Studium als wissenschaftliche Mitarbeiter an den Hochschulen verblieben sind und später den Kern des sogenannten „Akademischen Mittelbaus“ bildeten. Unwahr ist z. B., dass es bis zur Abwicklung des Fachbereichs Ingenieurökonomie 1991 keine Neuwahl der Leitungsgremien gegeben hat (S. 404). Häfner und Stoyan beschreiben das Procedere und die Ergebnisse der im Februar/März 1990 an der Bergakademie Freiberg durchgeführten geheimen Vertrauensabstimmungen und Neuwahlen (S. 338 f.). Es zählt z. B. zu den Mythen, dass es in der DDR keine kaufmännische Betriebsführung gab und dass ein betriebswirtschaftliches Rechnungswesen nicht oder nur in trivialisierter Form existierte (S. 397). Die Kostenrechnung hatte ein hohes Niveau. Grundlage hierfür war u. a. mit Leistung-Kosten-Ergebnis 4 ein Werk der Freiberger Betriebswirte. Dieses Buch fand auch eine hohe Wertschätzung von Kollegen jenseits der uns damals umgebenden Grenzen. Falsch ist z. B., dass die Motivation der Sektion SBW für die seit Mitte der 1980er-Jahre angestrebte Namensänderung in Ingenieurökonomie darin bestand, den Namen SBW loszuwerden (S. 404). Der Antrag war eine Folge der auf Forderung der Praxis sich vollziehenden Entwicklung der Sektion wieder hin zur Ingenieurökonomie (S. 241 f.). Voraussetzung und zugleich Ergebnis war die Berufung von Professoren mit ingenieurökonomischem Profil 5 und eine entsprechende Ausrichtung der Lehrprogramme. Die Namenserweiterung der heutigen Wirtschaftsfakultät 2013 in Wirtschaftswissenschaften insbesondere internationale Ressourcenwirtschaft ist dagegen dem Zeitgeist und dem Selbsterhaltungstrieb der Fakultät geschuldet und nicht das Ergebnis einer auf die Anforderungen der Rohstoffwirtschaft ausgerichteten vorlaufenden inhaltlichen Profilierung und personellen Ausstattung. Zu dem von Ihnen angesprochenen Vordenkertum: Viele der zur Zeit der DDR aktiven Wirtschaftswissenschaftler bedauern, dass es trotz Versuchen (auch Freiberger) nicht gelungen ist, den Exitus der Wirtschaft zu verhindern. Angesichts der wiederum aktuellen Bedrohung der Realwirtschaft durch eine übermächtige und in Teilen irreale Finanzwirtschaft — weg von der Marktwirtschaft hin zu einer Kapitalrenditewirtschaft — vermisse ich heute Vordenkerimpulse, insbesondere auch aus dem Haus der Freiberger Wirtschaftswissenschaften. 22. Jahrgang 2015 173
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