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Historie
Das turbulente Interim
Zwischen Abwicklung des Fachbereichs Ingenieurökonomie
und Gründung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Hans Hieke, Andreas Trillhose
Die Abwicklung
Der im Einigungsvertrag stehende Satz
„Die Landesregierung regelt die Überführung oder Abwicklung“ 1, der sich auf die
Einrichtungen von Bildung und Wissenschaft bezog, klang für uns Ostdeutsche,
fürs Erste betrachtet, recht harmlos. Vermutlich die wenigsten Angehörigen des
Fachbereichs Ingenieurökonomie hatten
ihn unmittelbar bei seiner Veröffentlichung gelesen. Hellhörig dürften jedoch
bereits manche geworden sein, als einen
Tag nach der Beschlussfassung der Sächsischen Staatsregierung vom 11.12.1990
zu dieser Abwicklung und Überführung
durch die Medien informiert wurde. Dabei
ließ sich die Staatsregierung offensichtlich davon leiten, dass es zur Erneuerung
von Ausbildung und wissenschaftlicher
Forschung notwendig sei, jene Einrichtungen des Hochschulbereichs, deren
Aufgaben durch den grundlegenden gesellschaftlichen Wandel im Lande nicht
mehr existent waren oder sich prinzipiell
geändert hatten, nicht nur zu reformieren,
sondern völlig neu aufzubauen, indem sie
abgewickelt und danach gegebenenfalls
neu gegründet werden.
Letztlich wurde es zur Gewissheit:
Am 13.12.1990 informierte auf einer
eiligst einberufenen Vollversammlung
die Hochschulleitung die Angehörigen
des Fachbereichs darüber, dass an der
Bergakademie die per 01.01.1990 in Ingenieurökonomie2 umbenannte Sektion
1 Vertrag zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der
Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag). In:
BGBl. Teil II,1990, S. 889ff., Kap. V, Art. 13.
2 Bei der Bezeichnung der Hochschulen und
ihrer Struktureinheiten griff das Staatsministerium für Wissenschaft auf die am
09.10.1989 gültige zurück. Die Fakultät für
Ingenieurökonomie der Bergakademie Freiberg war am 01.05.1956 gegründet worden.
Bei der im Rahmen der 3. Hochschulreform
verordneten Strukturveränderung erfolgte
am 01.07.1968 die Umbenennung in „Sektion
Sozialistische Betriebswirtschaft“. Zum
01.01.1990 genehmigte der Hochschulminister der Modrow-Regierung. Prof. Dr. Emmons
(vormals Rektor der Bergakademie), ihre
Rückbenennung in „Ingenieuerökonomie“.
Ab 01.06.1990 wurden die Sektionen als
Fachbereiche bezeichnet.
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Sozialistische Betriebswirtschaft zum
Jahresende abgewickelt würde.3
Schließlich erhielten alle Beschäftigten
wenige Tage vor Weihnachten in einem
per Einschreiben abgesendeten Brief des
Rektors, dessen Text ihm vom Ministerium
als Muster vorgegeben worden war, mitgeteilt, dass ihr Arbeitsrechtsverhältnis ab
01.01.1991 ruhe und dass während dieses
Ruhens einerseits die Verpflichtung zur
Arbeitsleistung und andererseits die zur
Vergütungszahlung grundsätzlich ausgesetzt seien. Das Schreiben enthielt den
Hinweis auf den Anspruch eines monatlichen Wartegeldes und ferner die Aussage,
dass das Arbeitsverhältnis ohne Notwendigkeit einer separaten Kündigung endet,
wenn der Arbeitnehmer – abhängig vom
Lebensalter – nicht innerhalb von sechs
bzw. neun Monaten weiterbeschäftigt
werden kann.
Diese Mitteilung kurz vor Weihnachten
war für alle Beschäftigten sehr deprimierend. Betroffen waren zwölf Hochschullehrer, 23 wissenschaftliche Mitarbeiter
und 15 Personen der Verwaltung. Der Abwicklungsbeschluss war den Rektoren in
einer Dienstberatung beim Staatsminister
für Wissenschaft am 11.12.1990 mitgeteilt
und anschließend schriftlich zugestellt
worden.4 Parallel zur Auflösung der Struktureinheiten war im Interesse der Fortführung der studentischen Ausbildung
die Einrichtung von Studienprogrammen
vorgesehen.
Im Freistaat Sachsen waren 18 Hochschulen/Einrichtungen bzw. innerhalb
dieser bestimmte Struktureinheiten
3 Vom Abwicklungsbeschluss betroffen waren
auch das Institut für Unternehmensführung
(vormals Sozialistische Wirtschaftsführung), der Fachbereich für Sozialwissenschaften (vormals Sektion für MarxismusLeninismus), das Industrie-Institut und
die ML-Abteilung der Ingenieurschule.
Diese Einrichtungen waren aber bereits auf
Veranlassung des Senats der Bergakademie
Freiberg vor dem Beschluss der Staatsregierung vollständig und ersatzlos aufgelöst
worden.
4 Vgl. Brief des Sächsischen Staatsministers
für Wissenschaft Prof. Dr. Meyer. Akte
20/557 Wirtschaftswissenschaft 06/1990–
12/1992, Universitätsarchiv Freiberg (UAF).
betroffen5. Hinsichtlich der Wirtschaftswissenschaften waren das neben der
Bergakademie Freiberg die Technischen
Universitäten in Chemnitz und Dresden,
die Verkehrshochschule Dresden, in Leipzig die Universität, die TH und die Handelshochschule sowie die Technischen
Hochschulen in Zittau und in Zwickau.
Die Einrichtung von Studienprogrammen war vorgesehen an der TU Chemnitz
(Betriebs- und Volkswirtschaftslehre), an
der TU Dresden, der Bergakademie Freiberg, der TH Leipzig und der TH Zwickau
(Wirtschaftswissenschaften), an der
Handelshochschule Leipzig (Betriebswirtschaft/Wirtschaftswissenschaften),
an der Hochschule für Verkehrswesen
Dresden (Verkehrs- und Betriebswirtschaft), an der TH Zittau (Betriebs- und
Energiewirtschaft). Ausschließlich an der
Universität Leipzig sollte eine Fakultät für
Volks- und Betriebswirtschaft gegründet
werden. Aus heutiger Sicht ist es kaum zu
verstehen, dass an den anderen Universitäten keine wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät mehr vorgesehen war.
Die Studienprogramme hatten das
Ziel, die bereits Studierenden weiter auszubilden und ihnen einen akademischen
Abschluss zu ermöglichen. Für die Umsetzung der Programme war die Einsetzung
kommissarischer Direktoren durch den
Staatsminister vorgesehen. Ihm war vorzuschlagen, welche Wissenschaftler für den
Aufbau des jeweiligen Studienprogramms
auf Grund ihrer fachlichen Qualifikation,
persönlichen Integrität sowie ihres vorbehaltlosen Eintretens für die freiheitlich
demokratische Grundordnung in Betracht
kämen. Darüber hinaus waren durch die
Hochschule Vorschläge zu unterbreiten,
welche der schon bisher Beschäftigten
die Lehre übernehmen sollten, um den
Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Nach
Genehmigung durch das Staatsministerium konnten für sie zeitlich befristete
Arbeitsverträge abgeschlossen werden.
Auch Rektor und Senat der Bergakademie waren vom Beschluss zur Abwicklung des Fachbereichs Ingenieurökonomie
überrascht. Dort waren bereits im Laufe
des Jahres 1990, insbesondere jedoch seit
dem Sommersemester, die Lehrprogramme für die laufende Ausbildung den neuen Bedingungen entsprechend, verändert
worden.
Konzeptionell verfolgte die personell
nicht erneuerte Leitung des Fachbereichs
das Ziel, zwei neue Studiengänge, nämlich
5 Vgl. ebenda.
AC AMONTA – Zeitschrift für Freunde und Förderer der TU Bergakademie Freiberg
Betriebswirtschaftslehre mit dem Abschluss als Diplomkauffrau/-mann und
Wirtschaftsingenieurwesen als Aufbaustudium, einzuführen. Man war offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt,
dass die zu DDR-Zeiten entwickelte und in
unterschiedlicher Ausprägung vertretene
Ingenieurökonomie im wiedervereinigten Deutschland kaum auf studentische
Nachfrage und Akzeptanz stoßen und
vom bundesdeutschen Fakultätentag für
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
nicht anerkannt werden würde.
So wurden zu Beginn des Wintersemesters 1990/91 erstmals 110 Studenten
im Studiengang BWL immatrikuliert. Es
lagen zwar zu diesem Zeitpunkt noch
keine bestätigten Studiendokumente vor,
gleichwohl war es, auch im Nachhinein
betrachtet, im Interesse der Bergakademie
richtig, diesen Schritt zu gehen. Wäre er
unterlassen worden, hätte es sicherlich
auch die spätere Gründungskommission
noch deutlich schwerer gehabt, die Installation eines eigenständigen betriebswirtlichen Studiengangs genehmigt zu
bekommen. Im Übrigen war es 1990, in
einer Zeit des allgemeinen Umbruchs,
nichts Ungewöhnliches, nicht immer auf
Genehmigungen „von oben“ zu warten,
sondern auch eigenverantwortlich zu handeln und in diesem Fall die Kontinuität
der Immatrikulation von Ökonomen in
spe aufrechtzuerhalten.
Rektor und Senat hielten einen eigenen wirtschaftswissenschaftlichen
Studiengang, getragen von einem völlig
erneuerten Fachbereich Wirtschafts- und
Rechtswissenschaften, zur universitären
Profilierung der Bergakademie für unverzichtbar. Diese Auffassung und die
Einschätzung, dass es ratsam sei, die
anstehende Neugestaltung nicht allein
dem Fachbereich zu überlassen, fanden ihren Niederschlag in der Einsetzung einer gleichnamigen, zeitweiligen
Senatskommission,6 die Mitte Juni 1990
vom neu gewählten Senat gebildet wurde
und sich in der Folgezeit intensiv mit der
Problematik beschäftigte. Sie war beauftragt, dem Senat Empfehlungen zur Entwicklung der Freiberger Wirtschafts- und
Rechtswissenschaften zu unterbreiten.
Ihnen lagen neben der Entwicklungskonzeption des Fachbereichs Ingenieurökonomie auch Stellungnahmen des WISO-Fakultätentages sowie der Bericht der
bayrisch-sächsisch-thüringischen Studienkommission Wirtschaftswissenschaften
zu Grunde. Eine entsprechende Vorlage7
sollte auf der 11. Sitzung des Senats am
18.12.1990 beraten werden. Doch es kam
anders. Die Ereignisse überschlugen sich.
Auf der Senatssitzung musste über die
Konsequenzen aus dem in der Geschichte
der Bergakademie wohl einmaligen Vorgang der Abwicklung beraten und vor
allem beschlossen werden, wie die zu
bildende Studienprogrammkommission
personell zu besetzen und der Lehrbetrieb im Wintersemester abzusichern sei.
6 Sie stand unter Leitung von Dr. Pietzsch.
Mitglieder der Kommission waren von der
Bergakademie die Professoren Kuhnert,
Mücke, Slaby, sowie Dr. Born und die
Studenten Garbe und Wenzel, aus den alten
Bundesländern die Professoren Matschke
(TU Clausthal-Zellerfeld), Reichwald (TU
München) und Wilke (TU Berlin).
7 Vgl. Akte II 20/541 Senat 1990, UAF.
8 Vgl. Protokoll der 11. Senatssitzung am
18.12.1990, Akte II 20/541 Senat 1990, UAF.
9 Dies galt für zwölf Hochschullehrer und drei
unbefristete wissenschaftliche Oberassistenten/
Assistenten, 13 befristet tätige wissenschaftliche Assistenten sowie außerdem für alle
15 nichtwissenschaftliche Mitarbeiterinnen.
Das Studienprogramm
Wirtschaftswissenschaften
In sondierenden Gesprächen zwischen
einzelnen wissenschaftlichen Mitarbeitern des Fachbereichs und einigen
Senatsmitgliedern war sowohl über die
Zusammensetzung der Studienprogrammkommission als auch über die Fortführung
des Lehrbetriebs diskutiert worden. So
konnten auf der 11. Senatssitzung, deren
Tagesordnung um den Punkt „Auflösung
von Teileinrichtungen der Hochschule“ eiligst ergänzt worden war, entsprechende
Beschlüsse zur Zusammensetzung8 der
Studienprogrammkommission und zu den
zur Absicherung der Lehre erforderlichen
Wissenschaftlern,9 mit denen befristete
Arbeitsverträge abzuschließen waren, gefasst werden, um sie dem Staatsminister
zu unterbreiten.
Als Mitglieder der Studienprogrammkommission wurden benannt: Doz. Dr.
Hieke, Doz. Dr. Mehnert, Dr. Trillhose,
Dr. Hebert, Dr. Kahlert. Ersterer wurde
Anfang Januar 1991 vom Staatsminister
zum kommissarischen Direktor des Studienprogramms Wirtschaftswissenschaften
ernannt.
Außerdem wurde die Studienprogrammkommission beauftragt, auf einer
Senatssitzung, ebenfalls noch im Januar
1991, eine Stellungnahme zur Vorlage
der Senatskommission Wirtschafts- und
Rechtswissenschaften abzugeben. Der
22. Jahrgang 2015
Rektor informierte darüber am nächsten
Tag den Staatsminister brieflich. Dieser
ernannte zum für die Abwicklung Beauftragen den damaligen kommissarischen
Prorektor für Wissenschaftsentwicklung,
Doz. Dr. Schlegel.
Als die Studienprogrammkommission
zu Beginn des Jahres 1991 ihre Arbeit
aufnahm, war die Personalsituation folgende: Von den 66 Beschäftigten des Jahres
1989 waren 16 bereits ausgeschieden,
19 befanden sich ab 02.01.1991 in der sog.
Warteschleife und für 31 waren befristete
oder unbefristete Arbeitsrechtsverhältnisse beantragt. Erst gegen Ende der ersten
Januardekade wurden die beantragten
Arbeitsverträge abgeschlossen, und zwar
ausnahmslos alle mit einer Befristung bis
zum 30.06.1991.
Am 07.01.1991 begann wieder der
Lehrbetrieb für die eigenen Studenten
wie auch für die der technischen und
naturwissenschaftlichen Fachrichtungen. Auch die wirtschaftswissenschaftlich-gymnasiale Ausbildung am Freiberg
Kolleg wurde fortgesetzt. Dem waren teils
kontroverse Diskussionen zwischen der
Studienprogrammkommission und einigen Lehrenden, die ihre Lehrtätigkeit erst
nach Vorliegen eines Arbeitsvertrags wieder aufnehmen wollten, vorausgegangen.
Dies war formal sicherlich richtig, aber
gewiss nicht im Interesse der Bergakademie und ihrer Studentenschaft, die für
einen Boykott der Lehre durch die Hochschullehrer aus diesem Grunde vermutlich nur wenig Verständnis gehabt haben
würden. Die Konsequenzen wären nicht
abzusehen gewesen. Vielmehr galt es zu
verdeutlichen, dass für einen Abbruch des
Studiums in Freiberg kein Grund gegeben
war. Die im Studienprogramm befindlichen knapp 300 Studentinnen und Studenten waren zwar über die neue Situation
noch vor den Weihnachtsferien informiert10
worden, was aber nichts daran änderte,
dass sie die neue Lage verunsicherte.
Die Studienprogrammkommission war
ständiger Ansprechpartner für Sorgen und
Fragen der Studentenschaft, zu der sich
im Lauf der Zeit ein enger Kontakt entwickelte. Zwar konnte auch sie damals
nicht alle Bedenken, die vor allem hinsichtlich der Fortsetzung des Studiums
und der Anerkennung des Abschlusses
bestanden, zerstreuen, aber es gelang,
Vertrauen aufzubauen.
10 Vgl. Mitteilung des Prorektors für Bildung,
Prof. Dr. Stoyan, vom 18.12.1990, Akte II
20/557, UAF.
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Historie
Die Studenten ihrerseits begegneten
den vielfältigen organisatorisch bedingten
Unannehmlichkeiten verständnisvoll. In
Freiberg kam es im Unterschied zu anderen Universitätsstandorten zu keinen
Demonstrationen gegen die Abwicklung.
Lernbereitschaft und Motivation der Studentenschaft der späten Zeit der friedlichen Revolution waren im Vergleich zu
nachfolgenden Jahrgängen deutlich ausgeprägter. Vor diesem Hintergrund gelang
es, das Wintersemester ordentlich zu Ende
zu führen.
Die Studienprogrammkommission
erarbeitete eine nach Studienformen
und Immatrikulationsjahrgängen differenzierte Konzeption.11 Diese sah im Direktstudium für die Matrikel 1989 und
1990 vor, dass sie das Studium mit dem
Titel Diplomkauffrau/-mann abschlossen,
erstere aber allenfalls erst nach einem um
ein Semester verlängerten Grundstudium.
Für die Matrikel 1988 und 1987 kam
ein solcher Abschluss nicht in Betracht.
Den Studierenden des ersteren sollte angeboten werden, wahlweise ein zertifiziertes
Zusatzsemester zu absolvieren oder am
Ende des 6. Semesters das Vordiplom
abzulegen und dann gemäß den neuen
Studiendokumenten das Hauptstudium
anzuschließen. Für die Studierenden der
Matrikel 1987 wurde nur die Möglichkeit
eines zusätzlichen Semesters angeboten.
Eine Ausbildung im Fernstudium war
nicht mehr vorgesehen. Für die Matrikel
1985 und 1986 des Fernstudiums wurde
festgelegt, das Studium nach altem Prüfungsrecht als Diplomingenieurökonom
abzuschließen. Studierende der Matrikel
1987 waren bereits an andere Hochschulen
gewechselt. Die Jahrgänge 1988 und 1989
befanden sich noch im Grundstudium, das
an den Konsultationszentren, also außerhalb Freibergs, durchgeführt wurde. Sie
haben dann ihr Hauptstudium nicht mehr
an der Bergakademie angetreten.
Ein weitere Aufgabe bestand darin, zunächst die neuen Studiendokumente für
den Studiengang BWL und anschließend
die für das geplante Aufbaustudium Wirtschaftsingenieurwesen fertigzustellen.
Nach gründlicher Überarbeitung unter
Berücksichtigung zahlreicher Hinweise
sowie Empfehlung seitens der Senatskommission Bildung konnten die BWLDokumente am 05.02.199112 und die für
das Wirtschaftsingenieurwesen am 09.04.
199113 vom Senat bestätigt und die zugehörigen Prüfungsordnungen dem Staatsministerium zur Genehmigung eingereicht
werden.
Großes Augenmerk erforderte die personelle und organisatorische Vorbereitung
des Sommersemesters 1991. Zur Sicherstellung der Lehre waren mehrtägige
Kompaktvorlesungen, einmalige oder im
Wochenrhythmus stattfindende Gastvorlesungen westdeutscher Professoren zu
organisieren, u. a. für Handels-, Gesellschafts- und Konzernrecht, Wettbewerbsund Kartellrecht, VWL, Betriebliche Steuerlehre, Unternehmensfinanzierung sowie
Personalwirtschaft.
Von Angehörigen des Fachbereichs
waren 278 SWS an Lehrveranstaltungen
zu absolvieren. Dazu war es jedoch notwendig, dem Minister vorzuschlagen, fünf
Wissenschaftler aus der Warteschleife
abzurufen. Da das Sommersemester erst
am 13.07.1991 endete, die bisher abgeschlossenen Arbeitsverträge jedoch nur
bis 30.06.1991 befristet waren, war es geboten, auf deren Verlängerung hinzuwirken.
Obzwar im Abwicklungsbeschluss der
Staatsregierung die Neugründung einer
wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
in Freiberg nicht ausdrücklich genannt
worden war, waren Hochschulleitung und
Studienprogrammkommission stets davon
überzeugt, dass eine solche – gegenüber
der bisherigen völlig erneuerte und leistungsstarke – unverzichtbar sei, um eine
universitäre Entwicklung der Bergakademie zu gewährleisten.14 Daher beriet der
Senat nicht nur wiederholt und umfassend
über den aktuellen Ablauf des Studienprogramms, sondern auch über den künftigen Fachbereich und die Bestellung eines
Gründungsdekans.
Den Anlass dazu hatte ein Brief des
Staatsministers für Wissenschaft und
Kunst an das Rektoratskollegium der Universität Leipzig gegeben. In diesem zuvor
vor der Regierung beratenen Schreiben
wurde u. a. ausgeführt, dass für die neu
zu schaffenden Einrichtungen Gründungsdekane sowie Gründungskommissionen
„unter Berücksichtigung von Vorschlägen
wissenschaftlicher Gremien innerhalb und
außerhalb Sachsens sowie der Mitgliedergruppen der sächsischen Hochschulen (zu)
berufen“ seien. Auch die Aufgaben und die
11 Vgl. Brief von Doz. Dr. Hieke an Staatsminister Prof. Dr. Meyer vom 29.01.1991,
Akte 9808/12, UAF.
12 Vgl. Protokoll der 14. Senatssitzung am
05.02.1991, Akte 9771/1, UAF.
13 Vgl. Protokoll der 18. Senatssitzung am
09.04.1991, Akte 9771/1, UAF.
14 Vgl. Brief des Rektors, Prof. Dr. Gerhard, an
Staatsminister, Prof. Dr. Meyer vom
19.12.1990. Akte 9771/1, UAF.
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Zusammensetzung der Gründungskommissionen wurden in diesem Brief skizziert, der vom Staatsminister dem Rektor
zur Kenntnis gegeben wurde, mit der Bitte,
die in ihm fixierten Vorgaben an seiner
Universität sinngemäß anzuwenden.15
Der Senat beschloss, einer Empfehlung der Studienprogrammkommission folgend, dem Staatsminister für das
Amt des Gründungsdekans Herrn Prof.
Dr. Reichwald von der TU München als
Kandidaten vorzuschlagen16 und beauftragte den Rektor, gemeinsam mit der
Kommission entsprechende Schritte
einzuleiten. Reichwald hatte sich bereits
zuvor – ebenso wie Prof. Dr. Matschke
von der TU Clausthal-Zellerfeld – auf Bitte
von Hieke bereit erklärt, als Mentor der
Studienprogrammkommission zu wirken.
Rektor Gerhardt bat nun Reichwald das
Amt zu übernehmen17 und wandte sich
auch an den Präsidenten der Technischen
Universität München, Prof. Dr. Meitinger,
mit dem Ersuchen, dieses Anliegen der
Bergakademie, zu unterstützen18. Auf
der 14. Senatssitzung am 05.02.1991 informierte der Rektor dann über die Zustimmung Reichwalds19 und das Plazet
des Präsidenten der TU München. Damit
war seitens der Bergakademie zunächst
der im Weiteren zu beschreitende Weg
aufgezeigt. Die Entscheidung lag nun
beim Staatsminister, der mit seinem bayrischen Amtskollegen die Bedingungen
einer Amtsübernahme durch Reichwald
festzulegen hatte. Auf seiner Sitzung
am 19.02.1991 beriet der Senat über die
Zusammensetzung der Gründungskommission und beschloss, Reichwald einige
Freiberger Wissenschaftler als Mitglieder
zu empfehlen.20
Am 25.02.1991 fand in Freiberg ein
erstes Gespräch zwischen dem Rektor
Gerhardt, Reichwald und Hieke statt.
Die zwischen dem Freistaat Sachsen, dem
Freistaat Bayern und dem künftigen Gründungsdekan zu klärenden Konditionen –
nicht zuletzt der finanziellen – für die Arbeit der Gründungskommission, bedurfte
15 Vgl. Brief des Staatsministers, Prof. Dr.
Meyer, an Rektor Prof. Dr. Gerhard vom
09.01.1991. Akte II 20/561, UAF.
16 Vgl. Protokoll der 13. Senatssitzung am
22.01.1991, Akte 9777/1, UAF.
17 Vgl. Fernschreiben vom 23.01.1991, Akte
9887/846, UAF.
18 Vgl. Fernschreiben vom 24.01.1991, UAF.
19 Vgl. Protokoll der 14. Senatssitzung, Akte
9771/1, UAF.
20 Vgl. Protokoll der 15. Senatssitzung am
19.02.1991 und der 17. Senatssitzung am
19.03.1991, Akte 9771/1, UAF.
AC AMONTA – Zeitschrift für Freunde und Förderer der TU Bergakademie Freiberg
noch geraumer Zeit. Der Staatsminister
berief dann am 05.04. 1991 Reichwald zum
Gründungsdekan, der am 06.05. 1991 sein
Amt in Freiberg offiziell antrat.21 In der
Folge entwickelte sich eine intensive, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen
Reichwald und der Studienprogrammkommission, so dass deren Aufgaben problemlos auf die Gründungskommission, die sich
am 10.06.199122 konstituierte, übergehen
konnten. Damit beendete die Kommission
für das Studienprogramm ihre Tätigkeit.
21 Vgl. Protokoll der 20. Senatssitzung am
07.05.1991, Akte 9771/1, UAF.
22 Vgl. Sitzungsprotokoll Gründungskommission; Akte 9899/24 Gründungskommission
Wirtschaftswissenschaften 1991–1993, UAF.
Alles in allem: Ein mitunter fast schon
vergessenes, weil sehr kurzes, aber für
die Studentenschaft und die Beschäftigten gleichermaßen durchaus dramatisches Interim, das als kleines Element
der Hochschulerneuerung auf dem Gebiet
der Wirtschaftswissenschaften anzusehen
ist, fand seinen Abschluss.
Ein offener Brief
Sehr geehrter Herr Kollege Schönfelder,
im Sammelband Bergakademische Geschichten1 publizieren Sie den Beitrag „Von der Sektion Sozialistische Betriebswirtschaftslehre2
zur Fakultät für Wirtschaftswissenschaften“ . Ihre Schilderung zielt auf eine Wertung der vor Ihrer Berufung und Neugründung
der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und damit der vor 1993 liegenden Zeit. Die Ausführungen hierzu sind ein Konglomerat
aus Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten, Mythen und Absurditäten. Ich vermisse eine vorurteilsfreie Betrachtung und die
angemessene Berücksichtigung der für die Wirtschaftswissenschaften an der Bergakademie Freiberg in diesen Jahren maßgeblichen äußeren Rahmenbedingungen (S. 232 ff.).3 Über Visionen der heutigen Wirtschaftsfakultät erfährt der Leser leider wenig.
Wahr ist z. B., dass die Wirtschaftswissenschaften in der DDR der marxistischen Ideologie und der Diktatur der SED unterworfen
waren und dass es keine hiervon unabhängige freie Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre an der Bergakademie Freiberg
gegeben hat.
Wahr ist z. B., dass für Nichtmitglieder der SED die Aufstiegs- und Berufungschancen signifikant schlechter waren (S. 401). Wahr
ist aber auch, dass sich alle Berufungskandidaten den allgemeinen Berufungskriterien stellen mussten. Anders als heute hatte
bei den Ingenieur- und angewandten Wirtschaftswissenschaften (Betriebswirtschaft und Ingenieurökonomie) die Forderung nach
Berufs- und Praxiserfahrung einen hohen Stellenwert. Dieses Kriterium verringerte besonders die Chancen der Personen, die
unmittelbar nach dem Studium als wissenschaftliche Mitarbeiter an den Hochschulen verblieben sind und später den Kern des
sogenannten „Akademischen Mittelbaus“ bildeten.
Unwahr ist z. B., dass es bis zur Abwicklung des Fachbereichs Ingenieurökonomie 1991 keine Neuwahl der Leitungsgremien gegeben
hat (S. 404). Häfner und Stoyan beschreiben das Procedere und die Ergebnisse der im Februar/März 1990 an der Bergakademie
Freiberg durchgeführten geheimen Vertrauensabstimmungen und Neuwahlen (S. 338 f.).
Es zählt z. B. zu den Mythen, dass es in der DDR keine kaufmännische Betriebsführung gab und dass ein betriebswirtschaftliches
Rechnungswesen nicht oder nur in trivialisierter Form existierte (S. 397). Die Kostenrechnung hatte ein hohes Niveau. Grundlage
hierfür war u. a. mit Leistung-Kosten-Ergebnis 4 ein Werk der Freiberger Betriebswirte. Dieses Buch fand auch eine hohe Wertschätzung von Kollegen jenseits der uns damals umgebenden Grenzen.
Falsch ist z. B., dass die Motivation der Sektion SBW für die seit Mitte der 1980er-Jahre angestrebte Namensänderung in Ingenieurökonomie darin bestand, den Namen SBW loszuwerden (S. 404). Der Antrag war eine Folge der auf Forderung der Praxis sich
vollziehenden Entwicklung der Sektion wieder hin zur Ingenieurökonomie (S. 241 f.). Voraussetzung und zugleich Ergebnis war
die Berufung von Professoren mit ingenieurökonomischem Profil 5 und eine entsprechende Ausrichtung der Lehrprogramme. Die
Namenserweiterung der heutigen Wirtschaftsfakultät 2013 in Wirtschaftswissenschaften insbesondere internationale Ressourcenwirtschaft ist dagegen dem Zeitgeist und dem Selbsterhaltungstrieb der Fakultät geschuldet und nicht das Ergebnis einer auf
die Anforderungen der Rohstoffwirtschaft ausgerichteten vorlaufenden inhaltlichen Profilierung und personellen Ausstattung.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Vordenkertum: Viele der zur Zeit der DDR aktiven Wirtschaftswissenschaftler bedauern, dass
es trotz Versuchen (auch Freiberger) nicht gelungen ist, den Exitus der Wirtschaft zu verhindern. Angesichts der wiederum aktuellen Bedrohung der Realwirtschaft durch eine übermächtige und in Teilen irreale Finanzwirtschaft — weg von der Marktwirtschaft
hin zu einer Kapitalrenditewirtschaft — vermisse ich heute Vordenkerimpulse, insbesondere auch aus dem Haus der Freiberger
Wirtschaftswissenschaften.
22. Jahrgang 2015
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