Der Fehler, der Irrtum und die Lüge

Egon W. Kreutzer, Paukenschlag am Donnerstag No. 41 /2016, vom 13. Oktober 2016
Der Fehler, der Irrtum und die Lüge
Fehler und Irrtum sind keinesfalls identisch.
Der Fehler ist konkret und durch sein Begehen manifest. Der Fehler folgt aus der
Missachtung gültiger Regeln und Erkenntnisse. Ein Fehler kann unter Umständen
korrigiert werden, doch ist dazu grundsätzlich ein zusätzlicher Aufwand zu erbringen.
Der Irrtum ist rein geistiger Natur und eine Erwartungshaltung, die auf Basis falscher,
ungültiger oder fehlender Informationen, bzw. unzureichender Logik eingenommen
wird. Handlungen, infolge Irrtums, sind daher keine Fehler, sondern folgerichtige
Konsequenzen des zugrunde liegenden Irrtums.
Ein Beispiel:
In der Wahlkabine das Kreuz bei der SPD zu machen, statt - wie beabsichtigt bei der CDU, weil man die gültige Regel für das Ausfüllen von Stimmzetteln,
und sei es auch nur für einen Augenblick der Ablenkung, missachtet hat, ist
ein Fehler.
Das gleiche Kreuz an der gleichen Stelle zu machen, in der Erwartung, die
SPD würde für die Abschaffung des Euro und den Austritt aus der EU eintreten, ist die folgerichtige Konsequenz eines Irrtums.
Möglichkeiten der Fehlerreduzierung
Durch die Vermittlung gültiger Regeln und Erkenntnisse in Schule und Beruf kann die
Zahl der Fehler generell reduziert werden, während mit der Auswahl der geeignetsten Personen (Wissen + Zuverlässigkeit) für jede zu besetzende Position die Schwere und Tragweite von Fehlern reduziert werden kann.
Ebenso kann durch die Gestaltung von Arbeits- und Entscheidungsprozessen, durch
Qualitätskontrollen oder z.B. das Vier-Augen-Prinzip, die Zahl der Fehler begrenzt
werden.
Vollständig ausschließen lassen sich Fehler jedoch nicht.
Möglichkeiten der Irrtumserkennung
Im Bereich der Irrtümer, die ja nicht an gültigen Regeln oder Erkenntnissen gemessen werden können, weil es sich um Erwartungshaltungen handelt, deren Widerlegung noch aussteht, ist es dennoch möglich, die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums
durch Recherche, Erfahrung und Logik einzuschätzen.
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Die Überprüfung der Logik hinter der Erwartungshaltung
erscheint am einfachsten, ist jedoch ein vielschichtiger Prozess, der zunächst damit
beginnen sollte, die Begründung einer Erwartungshaltung zu untersuchen. Leider
werden Begründungen nicht immer mitgeliefert, teils, weil die Erwartungshaltung
vollkommen unbegründet ist und zum Beispiel aus dem Reich religiöser oder ideologischer Überzeugungen stammt, teils aber auch, weil die Begründungen absichtlich
verheimlicht oder absichtlich irreführend konstruiert sind.
Wo es also keine Begründung gibt, oder angenommen werden kann, dass die Begründung bewusst unvollständig oder fehlerhaft gestaltet wird, ist eine rein logische
Auseinandersetzung damit nicht möglich, es sei denn, man untersucht den nackten,
unbegründeten Inhalt der Erwartungshaltung auf Basis eigener Erkenntnisse und
wendet darauf die Prinzipien der Logik an, um zu einem Ergebnis zu kommen, dass
die Erwartung bestätigt, bzw. ganz oder teilweise widerlegt oder ihre Aussage auf ein
definiertes Szenario beschränkt.
Ein Beispiel:
„Wir schaffen das!“
Die ohne weitere Begründung vorgetragene Leerformel verleitet zum ebenso
unbegründeten Widerspruch, was aber keinerlei Erkenntnisgewinn mit sich
bringt. Um hier zwischen Irrtum und Gewissheit unterscheiden zu können, bietet es sich an, nach den Grenzen dessen zu suchen, was unter optimalen Annahmen maximal zu schaffen wäre. Da wir wissen, dass die Aussage im Zusammenhang mit der Zuwanderung getroffen wurde, können wir sie auch darauf eingrenzen.
Hierbei sind die relevantesten Themenfelder:
Versorgung der Zuwanderer mit Nahrung, Kleidung, usw.,
Versorgung der Zuwanderer mit Wohnraum,
Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt,
Integration der Zuwanderer in die Gesellschaft
Zweifellos wird die Versorgung mit Nahrung und Verbrauchsgütern die
geringsten Schwierigkeiten bereiten. Die Wirtschaft ist in der Lage, die benötigten Produkte in ausreichender Menge jederzeit flächendeckend bereitzustellen. Erhalten die Zuwanderer, solange sie nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, Geldleistungen zur freien Verfügung in der Größenordnung von ca.
350 Euro pro Person und Monat, erfordert das je 100.000 Zuwanderer und
Jahr einen Geldaufwand in Höhe von 420 Millionen Euro. 1 Million Zuwanderer erfordern folglich p.a. 4,2 Milliarden Euro oder 1,3 Prozent des Bundeshaushaltes.
Die Versorgung der Zuwanderer mit Wohnraum ist problematischer. Unterstellt man, dass nach der vorübergehenden Notunterbringung in Turnhallen
und Containern pro Person mindestens 25 m² Wohnfläche zur Verfügung ge2
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stellt werden müssen, sind das je 100.000 Zuwanderer – spätestens 12 Monate nach der Ankunft - 2,5 Millionen Quadratmeter Wohnfläche. Bei einer Zurückweisungsquote von 20 Prozent bleibt ein Bedarf von 2 Millionen Quadratmetern, der sich durch Familiennachzug jedoch wieder erhöhen kann. Dies erfordert – ohne Berücksichtigung der Grundstückspreise und bei einfacher
Ausstattung – eine Bauleistung von etwa 4 Milliarden Euro. Bei einer Million
Zuwanderer, von denen 800.000 dauerhaft bleiben, sind das 40 Milliarden Euro – und das entspricht, gemessen am Jahr 2014, rund 13 Prozent der Bauinvestitionen in Deutschland. Die Kapazitätsreserven in der Baubranche könnten ausreichen, um diese Zusatzleistung zu erbringen, der Staat, als möglicher
Auftraggeber, kann diesen Aufwand im Budget jedoch nicht verkraften.
Es bleibt also der Weg der Finanzierung der Wohnkosten als Sozialleistung
und der Versuch, die entstehende Wohnungsnot den Marktkräften zu überlassen. Dies schlägt sich im Budget mit lediglich 3.6 Milliarden nieder, wäre also
unter Umständen mit Kürzungen in anderen Bereichen staatlicher Aufgaben
noch zu stemmen.
Per September 2015 soll der Leerstand an Mietwohnungen in Deutschland bei
rund 1,7 Millionen Einheiten gelegen haben. Unterstellt man, dass pro Wohnung durchschnittlich 2,5 Personen Unterkunft finden könnten, hätten wir theoretisch Platz für 4,25 Millionen Zuwanderer. Leider befinden sich diese Wohnungen ganz überwiegend in so genannten „strukturschwachen Gebieten“
oder in schrumpfenden Städten, so dass die Ansiedlung der Zuwanderer dort
dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt entgegenstünde.
Die Lösung der Wohnungsproblematik erfordert folglich noch erhebliche Anstrengungen. Es wird ohne massive staatliche Eingriffe nicht gelingen, dort
preiswerten Wohnraum zu schaffen, wo qualifizierte Zuwanderer eine Chance
auf dem Arbeitsmarkt suchen werden.
Qualifikation, Sprachkenntnisse und Alter der Zuwanderer sind ausschlaggebend für ihre Chance, Arbeit zu finden. Sicherlich ergibt sich alleine aus der Zunahme der zu versorgenden Gesamtbevölkerung auch eine Zunahme der Arbeitsplätze, doch werden pro 100.000 Zuwanderern allenfalls
5.000 bis 10.000 Arbeitsplätze für deren Versorgung entstehen können. Selbst
unter optimalen Annahmen werden also 900.000 von 1.000.000 Zuwanderern
keine Arbeit finden, es sei denn, sie verdrängen einen Beschäftigten von dessen Arbeitsplatz. Das gilt auch dann, wenn sich nach ein oder zwei Jahren die
Sprachkenntnisse stark verbessert haben und gefragte berufliche Qualifikationen erworben wurden.
Unterstellt man, dass die Einkommen jener Zuwanderer, die Beschäftigung
gefunden haben, ausreichen, um je einen weiteren Zuwanderer mit zu versorgen, was angesichts der vielen alleinstehenden Zuwanderer eine optimistische
Annahme ist, kann angenommen werden, dass etwa 80 Prozent der Zuwanderer über längere Zeit in den Sozialsystemen verbleiben werden.
Die Integration in die Gesellschaft ist abhängig vom kulturellen und religiösen Hintergrund, von der Bildung und – ganz stark – vom Einkommen. Unsere Gesellschaft erlebt auch ohne Zuwanderung einen inneren Des3
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integrationsprozess der einen immer tieferen Graben zwischen dem Tafel- und
Hartz-IV-Prekariat und den wohlhabenderen Teilen der Bevölkerung aufreißt.
Durch die fortschreitende Gentrifizierung der Städte und Zwangsumzüge von
Sozialleistungsbeziehern wegen Verletzung der Vorschriften über den angemessenen Wohnraum, werden Grenzen gezogen, die immer schwerer zu
überwinden sind, und auch von beiden Seiten her immer weniger überwunden
werden wollen. Die bisherigen Erkenntnisse über die Ghettobildung bei den
schon länger in Deutschland weilenden Menschen mit Migrationshintergrund,
sowie die bereits angesprochene Wohnraumsituation, und die Tatsache, dass
der Großteil der Zuwanderung in die Sozialsysteme erfolgt und dort auch verweilen wird, wird jegliche staatliche Bemühung um Integration der Zuwanderer
nur da fruchten, wo sich für den einzelnen Zuwanderer eine erfolgreiche Perspektive eröffnet. Weitgehend integrieren werden sich also nur die gut qualifizierten, arbeitsfähigen und arbeitswilligen Zuwanderer mit einer echten Chance auf einen gutbezahlten Arbeitsplatz.
Zusammenfassend kann als wahrscheinlich angenommen werden, dass die notwendigste Versorgung von etwa einer Million dauerhaft bleibender Zuwanderer möglich ist, die jedoch ganz überwiegend aus öffentlichen Mitteln alimentiert werden
müssen, wofür Finanzmittel in der Größenordnung von 2,5 bis 3 % des Bundeshaushalts bei Bund, Ländern und Gemeinden einzuplanen sind.
Darüber hinaus kann sicherlich weitere Zuwanderung in dem Maße bewältigt werden,
wie sie aus demografischen Gründen sinnvoll und gesteuert herbeigeführt werden
kann.
Sollten sich die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse ändern, insbesondere die Zinsen
wieder ansteigen, geht dieser Spielraum verloren und muss durch Steuererhöhungen
oder Neuverschuldung oder Leistungskürzungen kompensiert werden.
Der geringe Anteil derjenigen, die in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind, ist zudem
in etwa deckungsgleich mit dem Anteil derjenigen, für die eine positive Prognose für
die Integration in die Gesellschaft gestellt werden kann.
Alle Übrigen werden bestenfalls ruhig und unauffällig nach ihren Sitten und Gebräuchen, abgegrenzt vom Rest der Gesellschaft existieren. Doch deuten bereits bestehende Tendenzen darauf hin, dass es leider auch vermehrt zur Kriminalisierung und
Radikalisierung kommen wird.
Dies ist in groben Zügen eine begründete Erwartungshaltung, die meines Erachtens
logisch nachvollzogen werden kann, in sich schlüssig erscheint und mit Fakten und
Zahlen untermauert ist.
Wer erwartet, dass mehr, oder vielleicht sogar „alles“ zu schaffen ist, ohne dass mehr
als die hier beschriebenen, noch zu bewältigenden Probleme entstehen, ist dem Irrtum wohl um einiges näher.
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Gibt es zu einer Erwartungshaltung eine hinreichende Begründung, kann deren
logische Überprüfung alleine ausreichen, um sie als Irrtum zu erkennen.
Ein Beispiel:
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Auftrag, die Währung Euro stabil
zu halten, wobei Stabilität definiert ist als „jährliche Inflation knapp unter 2 %“.
Da dieses Ziel nicht erreicht wurde, vertritt die EZB nun die Erwartungshaltung, die angestrebte Inflation sei zu erreichen, indem die Zentralbank dem
Finanzsektor monatlich 80 Milliarden Euro frischer Liquidität zur Verfügung
stellt. (Nebenbei bemerkt: Begonnen hat man mit monatlich 60 Milliarden, die
wirkungslos blieben, bevor man auf 80 Milliarden erhöhte.)
Zugleich wurde die Verzinsung der Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken vom positiven in den negativen Bereich verschoben, mit der Begründung,
dadurch könnten die Banken animiert werden, Kredite zu vergeben, statt das
Geld auf dem Zentralbankkonto zu parken.
Dass die Inflation immer noch nicht anspringen will, gibt Anlass zu dem
schwerwiegenden, ja beinahe undenkbaren Verdacht, die EZB könne sich im
Irrtum befinden.
Sehen wir von dem Kuriosum ab, dass eine stetige Geldentwertung als Stabilität der Währung bezeichnet wird und verfolgen alleine die Erwartungshaltung,
Inflation erzeugen zu können, indem die Geldmenge „aufgeblasen“, also inflationiert“ wird, dann scheint dies dem volkswirtschaftlichen Grundwissen absolut zu entsprechen. Wo die Geldmenge gegenüber dem Waren- und Leistungsangebot wächst, sollte sich zum Ausgleich Inflation einstellen.
Doch hier entdecken wir einen „Fehler“. Mit der Liquiditätszuweisung an die
Geschäftsbanken wächst nämlich nicht, wie fehlerhaft angenommen, die an
den Märkten der Realwirtschaft sofort verfügbare Liquidität (also die Geldmenge M1), die als Nachfrage zur Verfügung stehen und Preise treiben könnte, sondern lediglich der Zentralbankgeldbestand der Kreditinstitute.
Dies scheint die EZB durchaus erkannt zu haben, denn sonst hätte sie nicht
mit einer ergänzenden Maßnahme den Negativzins auf Zentralbankguthaben
einführen müssen, der ja dazu dienen soll, die Banken dazu zu bewegen,
vermehrt Kredite zu vergeben, statt das Geld einfach bei der Zentralbank zu
parken.
Doch auch diese Argumentation hat einen „Fehler“. Zentralbankgeld verschwindet bei der Kreditvergabe an so genannte „Nichtbanken“ ja nicht, es
wechselt allenfalls vom Zentralbankkonto eines Instituts auf das Zentralbankkonto eines anderen Instituts, womit sich an der Gesamtbelastung des Bankensystems (und damit der Währung) durch Negativzinsen nichts ändert.
Dem zu entgehen gibt es nur wenige Möglichkeiten.
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Entweder, eine Bank kauft sich mit ihrem Guthaben von der Zentralbank Banknoten und legt die zuhause in den Safe, wofür durchaus bereits entsprechende Bestrebungen zu beobachten sind,
oder, eine Bank kauft sich für ihr Zentralbankgeld Wertpapiere von der
Zentralbank (zurück) und legt diese zuhause in den Safe,
oder, eine Bank kauft sich von der Zentralbank mit ihrem Guthaben Devisen und legt diese – in Sach- oder in Geldwerten – im Ausland an.
Keine dieser Möglichkeiten führt dazu, dass sich die Liquidität in den Märkten
der Realwirtschaft des Währungsgebietes erhöht.
Doch an dieser Stelle muss noch ein weiterer Fakt erwähnt werden, der in der
Argumentation der EZB überhaupt nicht auftaucht:
Sämtliche Staaten der EU sind zu äußerster Sparsamkeit verpflichtet, die Leistungen der Sozialsysteme unterliegen Kürzungs- und Sparmaßnahmen, die
Arbeitslosigkeit ist hoch, die Jugendarbeitslosigkeit sogar sehr hoch, und wo
ein junger Mensch einen Job findet, handelt es sich oft genug nur um ein unbezahltes Praktikum. Es ist nicht zu übersehen: Die Massenkaufkraft (einschließlich Staat = Bund, Länder und Gemeinden) wird gebremst und ist in
vielen Bereichen sogar rückläufig, während andererseits Mieten und
Mietnebenkosten vielerorts spekulationsgetrieben weiter steigen, Versicherungsprämien zumindest gleich bleiben, und obendrein gefordert wird, aus
dem spärlichen Netto-Einkommen auch noch rechtzeitig für die private Altersvorsorge zu sparen.
Der zurzeit noch niedrige Ölpreis spielt zwar auch eine Rolle, doch offenbar
reicht das an der Zapfsäule eingesparte und damit für den Konsum zusätzlich
verfügbare Geld nicht aus, um anderweitig inflationswirksam ausgegeben zu
werden.
Auf Basis dieser gesicherten Erkenntnis stellt sich unmittelbar die Frage, was
nun die Geschäftsbanken veranlassen könnte, Wertpapiere aus ihren Beständen an die EZB zu verkaufen, also zinsbringende Anlagen gegen negativ verzinste Guthaben einzutauschen.
Darauf gibt es eine sehr überzeugend wirkende Antwort: Die Angst!
Die Angst, die Wertpapierschuldner könnten zahlungsunfähig werden. Die
Angst vor dem Verlust der gesamten Anlage, die so groß ist, dass Banker die
Verluste durch Negativzinsen in Kauf nehmen, nur um die fragwürdigen Papiere nicht länger in der Bilanz halten und letztlich vielleicht sogar vollständig abschreiben zu müssen.
Zudem ermöglicht die frisch gewonnene Liquidität den Ankauf neuer Anlagepapiere, die als sicherer angesehen werden und möglichst eine positive Rendite abwerfen, um die Erwartungen der Shareholder und Kapitalgeber der
Banken erfüllen zu können.
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Darunter können sich zum Beispiel auch wieder Staatsanleihen befinden, was
den Vorteil hat, dass die Staaten daraufhin wieder in der Lage sind, mit frischem Geld alte Kredite zu bedienen, woraufhin das frische Geld genau dort
landet, wo es hergekommen ist, nämlich bei der Zentralbank!
Vor den Interventionen der EZB mussten staatliche Schuldenpapiere mit Geldern aus der am Markt vorhandenen Liquidität, also mit dem Kapital der Anleger erworben werden.
Da sich viele Anleger aufgrund der kritisch hohen Staatsverschuldung aus
diesem nicht mehr länger für „todsicher“ gehaltenen Geschäft zurückzogen,
während die verbliebenen sich das erhöhte Risiko mit erhöhten Zinserträgen
vergolden wollten, war der weitere Zusammenbruch der Staatsfinanzierung
der EU-/Euro-Staaten absehbar.
Mit dem Trick, die notwendige Liquidität für die permanent notwendige Umschuldung der Staatsschulden in einem gigantischen Ankaufprogramm bereitzustellen und zugleich die Zinsen massiv zu senken, soll offenbar gelingen,
was unmöglich erschien, nämlich den Schuldenstand der Staaten tatsächlich
zu senken, falls und soweit diese ihrerseits durch Ausgabenbegrenzung auf
eine Netto-Neuverschuldung verzichten.
Zumindest aber will man ein „Perpetuum mobile“ erschaffen, bei dem sich die
Bedienung der angesammelten Schulden für alle Zeiten verlustfrei in einem
Kreislauf bewegt, in welchem die Mittel für die Bedienung von Altschulden
durch den Aufkauf dieser Altschulden an die Banken weitergereicht werden,
womit diese dann die Neu-Emissionen der Staatskasse aufkaufen und sie
später - als die neuen Altschulden - wieder an die EZB weiterreichen.
Doch die Konstruktion eines „Perpetuum mobile“ ist bisher stets gescheitert,
sie wird auch hier scheitern, weil der Geldfluss nämlich nicht so einfach in diesem Kreislauf gehalten werden kann.
Ein Gleichgewicht zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben herzustellen ist praktisch nur so lange möglich, wie jene Mittel, die aus den Staatsausgaben über gewinnorientierte Unternehmen und vorsorgende private Haushalte in die „Ersparnisse“ fließen und somit der Realwirtschaft entzogen werden,
im Geldumlauf wieder durch Liquidität ersetzt werden.
Ein volkswirtschaftliches Gebilde, in welchem der Staat als größter Konsument
sich der Vorfinanzierung des Wachstums durch extreme Sparsamkeit und zu
niedrige Kreditaufnahme, oder gar durch Netto-Tilgung entzieht, die Nachfrage
also zurückfährt, bietet nur geringe Anreize für realwirtschaftliche Investitionen
für den Binnenmarkt. Investitionen für den Export können das zum Teil ausgleichen, unter Umständen sogar überkompensieren, verlagern das Verschuldungsproblem aber lediglich für eine gewisse Zeit geographisch, ohne es auflösen zu können.
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Die Annahme, die EZB versuche mit ihrem Anleihe-Ankauf-Programm die Inflation im
Währungsgebiet auf den Zielwert von knapp unter 2 Prozent bringen, entpuppt sich
also als Irrtum all jener, die dieser Argumentation gefolgt sind. Die Annahme, es habe sich dabei nicht um einen Irrtum der EZB, sondern um eine geplante Irreführung
durch die EZB gehandelt, scheint weit weniger irrig zu sein.
Eine planmäßige Irreführung ist jedoch letztlich nichts anderes als eine Lüge.
Unterstellt man, dass die Irreführung zwar nicht gerade leicht, aber doch durchschaut
werden kann, unterstellt man ferner, dass sich in der Bevölkerung kein Widerstand
geregt hätte, hätte man das „Perpetuum mobile“ von Anfang an so erklärt, dass damit
eben die EU-Staaten nach und nach vollständig von den Ausgaben für Schuldzinsen
freigestellt werden könnten, was sich letztlich positiv für deren Bürger auswirken
werde, und kommt mit diesen Annahmen zu dem Schluss, dass die Irreführung, die
Lüge, im Grunde vollkommen überflüssig war, öffnet sich das Tor der Erkenntnis dafür, dass auch die bisherigen Überlegungen noch nicht an den Kern des Problems
heranreichen können. Hätte man „nur“ die Staatsfinanzierung erleichtern und damit
weitere Rettungsmaßnahmen für Pleitestaaten verhindern wollen, wäre die Lüge
überflüssig gewesen, wie ein Kropf.
Würde ein Regenbogen selbst leuchten, statt Sonnenlicht zu reflektieren, die beste
Zeit, einen Regenbogen zu beobachten, wäre die tiefste, dunkelste Nacht. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass nächtliche Regenbögen zu selten sind, um überhaupt den
Nachweis ihrer Existenz führen zu können.
In Analogie zum „Leuchten der EZB“ könnte es hilfreich sein herauszufinden, wessen
„Licht“ hier reflektiert wird, um dem prasselnden Regen, der auf uns zu kommt, einen
schönen Schein zu verleihen.
Die Konzentration auf die Kapriolen des Geldes haben ein bisschen den Blick dafür
verstellt, dass alles Geld zugleich irgendjemandes Schuld ist, dass Geld, also Liquidität, überhaupt nur durch Verschuldung in die Welt kommt. Ein Prinzip, an dem auch
die EZB immer noch festhält, indem sie Schuldscheine kauft und Geld dafür herausgibt.
Die Not der Schuldner, ihre Kredite rechtzeitig und vollständig bedienen zu können,
ist damit stets zugleich die Not der Gläubiger, ihre Forderungen gegenüber den
Schuldnern durchsetzen zu können!
Beide sitzen auf der gleichen Galeere. Die einen müssen rudern, die anderen geben
den Takt vor, doch jeder Rudersklave, der leblos zusammenbricht, gefährdet die Sicherheit des gesamten Gefährts.
Würden alle Netto-Geldschuldner morgen von einem überirdischen Strafgericht dahingerafft, es gäbe zugleich nirgends mehr ein Netto-Geldvermögen. Es gäbe zwar
noch Guthaben auf Konten, es gäbe auch noch Banknoten und Münzen, doch kaum
jemand würde dafür noch eine Ware hergeben, eine Leistung erbringen, solange das
Geldwesen nicht neu geordnet und mit neuem Vertrauen versehen würde. „Währungsreform“ heißt das Stichwort, mit dem überschuldete Staaten schon mehrfach in
der Geschichte mit ihren Schulden auch die Guthaben ihrer Gläubiger zu weiten Teilen vernichtet haben.
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Egon W. Kreutzer, Paukenschlag am Donnerstag No. 41 /2016, vom 13. Oktober 2016
Der „kleine Mann“ geht bei einer solchen Währungsreform zwar auch seines Geldvermögens verlustig, doch handelt es sich eben zumeist um nicht mehr als um das
für den laufenden Bedarf Erforderliche und einen eher kleinen Notgroschen. Da
schnallt der kleine Mann den engen Gürtel noch ein bisschen enger und wurstelt sich
durch. Das kann er ja ganz gut, der kleine Mann.
Ganz anders ist es da, wo auf den Konten vor dem Komma die vielen Nullen stehen,
wo es um Geldvermögen in Millionen- und Milliardenhöhe geht. Hier macht die Währungsreform für alle, die ihr Vermögen nicht rechtzeitig in Sachwerte retten konnten,
so viel Kummer, dass nicht wenige wegen des verlorenen Geldes und der damit verlorenen Macht aus den Fenstern der Wolkenkratzer springen.
Wenn nun also den Schuldnern geholfen wird, ihre Schuldendienstfähigkeit zu bewahren, wird auch den Gläubigern geholfen, ihr Vermögen und ihre Macht zu bewahren.
Wenn zugleich den Schuldnern als Bedingung für die Hilfe äußerste Sparsamkeit
auferlegt wird und damit deflationäre Bedingungen geschaffen werden, wenn den
Staaten auferlegt wird, Gehälter von Beamten und Angestellten ebenso zu kürzen,
wie Renten und andere Sozialleistungen, wenn den Staaten auferlegt wird, alle öffentliche Infrastruktur zu privatisieren, bieten sich beste Gelegenheiten, Geldvermögen in Sachwerte umzuwandeln, noch dazu in solche Sachwerte, von denen die
Grundversorgung der Bevölkerung abhängt, was eine dauerhafte und sichere Rendite verspricht.
Wenn zudem langfristig angelegtes Geld von der EZB kurzfristig durch den Ankauf
von Anleihen in Liquidität umgewandelt wird, ist auch das Geld verfügbar, mit dem
der Ankauf der Sachwerte bewerkstelligt werden kann, und weil dieses Geld gemäß
der Bedingungen für die Hilfe sofort wieder in die Tilgung von Staatsschulden fließen
muss, steht es den gleichen Anlegern gleich darauf wieder zur Verfügung!
Noch ein Perpetuum mobile?
Privatisierung – Tilgung – Privatisierung – Tilgung, und alle Monate zusätzliche 80
Milliarden Euro als Spielgeld obendrauf, bis auch der letzte Feldweg zur mautpflichtigen Privatstraße geworden ist, der letzte Bauer seinen Acker vom Großgrundbesitzer
zurückgepachtet hat und das letzte Eigenheim der Zwangsversteigerung unterworfen
wird.
Ganz so weit wird es nicht kommen. Irgendwo unterwegs wird die Deflation nicht
mehr aufrechterhalten werden können. Denn: Je kleiner die Menge der noch abgreifbaren Sachwerte wird, desto steiler schießen die Angebote dafür in den Himmel.
Schließlich ist es besser, heute für 10 Millionen Euro noch einen Hektar Feuchtwiese
zu ergattern, als übermorgen für die letzten 100 Millionen gar nichts mehr zu bekommen.
Mario Draghi hat am letzten Samstag (08.10.2016) in Washington im Rahmen der
Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank den Zeitpunkt
bekanntgegeben, an dem das System in den Inflationsmodus kippen soll. Schon zum
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Ende des laufenden Jahres soll die Inflation anspringen, um dann bis Ende 2018,
spätestens Anfang 2019 die Zielmarke von knapp 2 Prozent zu erreichen.
Bis dahin sollen die „Maßnahmen“ der EZB fortgeführt werden. Es gibt also noch
reichlich Futter und auch noch rund 2 Jahre Zeit, um die Schäfchen ins Trockene zu
bringen, bevor die Zielmarke mit rasanter Beschleunigung durchbrochen wird.
Sonderbarerweise taucht beim Meditieren über diesen Sachverhalt ein Gedanke
wieder auf, der schon als Irrtum abgehakt wurde.
„Wir schaffen das!“
Wie kommt man nur auf die Idee, diese Aussage in den Kontext der Zuwanderungsproblematik zu stellen und dann nicht mehr über diesen Tellerrand hinaus zu schauen?
Der Flüchtlingsstrom als ein Baustein, die Währungszerstörung als ein weiterer, die
Befeuerung der Ost-West-Konfrontation, Globalisierung, TTIP, CETA, TISA …
Gehört das nicht alles mit dazu? Wird das nicht alles mit der gleichen Zielstrebigkeit,
ohne glaubhafte Begründung und an den Bürgern und Parlamenten vorbei betrieben?
Hat Obama denn unsere Flüchtlinge gemeint, als er vor acht Jahren mit seinem „Yes,
we can!“ angetreten ist? Sicher nicht! Seine Agenda ging und geht viel weiter.
Ist die ganze Geldpolitik der Fed und der EZB und der BoJ, mit dem Versprechen,
die Geldflut bei Bedarf ins Unendliche fortzusetzen, nicht auch nichts anderes als ein
„Wir schaffen das!“?
Und was hat George Soros gemeint, als er schon vor Jahren den längst begonnenen
Krieg, Arm gegen Reich, öffentlich machte und dazu sagte: „Und meine Klasse, die
Klasse der Reichen, wird gewinnen“?
War das nicht auch ein globales „Wir schaffen das!“?
War das „Wir schaffen das!“ Merkels vielleicht gar nicht an die deutsche Bevölkerung
gerichtet, sondern der Schlachtruf, mit dem sich getrennt marschierende Truppenteile gegenseitig versichern, dass der Vormarsch überall planmäßig verläuft?
„Wir schaffen das!“ ist gar keine Leerformel.
Es ist ein Mantra.
Und weil das so ist, darf Angela Merkel dieses Mantra jetzt nicht mehr aussprechen,
denn ihr Vormarsch ist ins Stocken geraten. Die Demoskopen sehen die Union bei
29,5 Prozent, Tendenz weiter fallend. Die GroKo zerbröselt und wird 2017 nicht mehr
wiederbelebt werden können – es sei denn, die anderen eilen zur Hilfe. So sie denn
noch können. Danach sieht es allerdings nicht aus.
Der Vormarsch ist offenbar an allen Fronten ins Stocken geraten.
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Der militärische Arm ist stark, aber der Wille, der ihn führen müsste, ist seit dem Zugriff auf die Ukraine zögerlich geworden, das Mantra funktioniert nicht mehr, auch
nicht in Syrien.
Der monetäre Arm ist innerlich ausgehöhlt und die glänzende Hülle löchrig und zerbrechlich geworden. Die Banken, die jetzt wanken, sind nicht mehr too big to fail, sie
sind too big to rescue! Niemand kann sie mehr retten.
Der produktive industrielle Arm lahmt. Detroit ist längst zur Geisterstadt geworden,
doch nun verschwindet auch Volkswagen hinter Wolken aus Dieselqualm; Audi und
Bosch werden mitgezogen; Samsung explodiert den Menschen in der Hosentasche;
Großprojekte erinnern immer öfter an den Turmbau zu Babel; Wachstumsprognosen
werden nur mit Müh und Not noch mit Hilfe statistischer Tricks eingehalten.
Die geistig-ideologische Kraft siecht dahin. Trump oder Clinton als US-Präsidenten?
Sarkozy oder Le Pen als französische Präsidenten? Gabriel oder Schulz (Martin) als
Bundeskanzler? Wo ist da noch geistige Führerschaft, wo sind die Ziele, wo die Visionen? An den Universitäten schießen die Lehrstühle für Gender-Studies wie die Pilze
aus dem Boden, wo nicht minder verbohrt geforscht und gelehrt wird als da, wo die
Evolutionstheorie noch immer erbittert bestritten wird, während Schulabgänger in
immer größeren Anteilen von der Wirtschaft als unbrauchbar abgewiesen werden.
Aber niemand aus der elitären Riege steht auf, um der Volksverblödung von irgendwoher Einhalt zu gebieten.
„Sie schaffen es nicht!“
Die Strategie, den Weg zur Weltregierung mit einer neuen Weltordnung (NWO) gewaltsam zu gehen, Revolutionen und Bürgerkriege anzuzetteln und jeden Widerstand militärisch zu bedrohen und gegebenenfalls zu brechen, sich also mit den eigenen Vorstellungen durchzusetzen, statt den Welt-Konsens zu suchen, bevor eine
Welt-Regierung bestimmt wird, steht in diesen Tage vor dem Scheitern. Egal, ob sie
in einer verheerenden Kraftprobe oder im kampflosen Rückzug enden wird.
Scheitern musste diese Strategie, weil die Eliten glaubten, unabhängig von den
nichtelitären Menschen agieren zu können, sich von ihnen absonderten, die emotionale Bindung kappten und im Volk nur noch zwei Gruppen unterschieden, nämlich
die funktionierenden, per Gesetz und Machtapparat gelenkten, obrigkeitsgläubigen
Marionetten, und das nicht funktionierende, störende Pack und Proletariat.
Wer zwischen sich und dem Volk Stacheldrahtverhau und Scharfschützen aufbaut,
wird mehr als nur rein optisch zum Sinnbild des Besatzers im eigenen Land. Wer Kritik an seinem Handeln als Begriffsstutzigkeit der Kritiker abtut, ohne die geringste
Bereitschaft, darüber nachzudenken, geschweige denn etwas zu ändern, erntet nicht
nur Desinteresse und Dienst nach Vorschrift, sondern auch wütende Demonstrationen, lauten Widerspruch und letztlich gewalttätigen Widerstand.
Die Funktion der Guillotine während der französischen Revolution vollzog im Grunde
auf drastische Weise am Individuum nur das nach, was lange zuvor gesellschaftlich
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bereits vollzogen worden war. Die vollständige Abspaltung der feudalen Eliten vom
Volk.
Fehler sind unvermeidlich.
Irrtümer entstehen unabsichtlich.
Lügen jedoch, sind unverzeihlich.
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