Dankbarkeit üben – nichts ist selbstverständlich

Die ältere Generation,
die die Grauen und Nöte des Krieges noch erlebt hat
mit Hunger und Not und Gewalt und Todesangst –
die weiß das wohl noch deutlicher
als die jüngeren Generationen:
Dankbarkeit üben –
nichts ist selbstverständlich
Gottesdienst zum Erntedank
mit Liedpredigt zu Paul Gerhardt (1607- 1676)
„Ich singe dir mit Herz und Mund“ EG 324
Es ist Geschenk, Gnade,
dass wir leben.
Evangelium: Luk.12,15-21
Begegnungszentrum Pattaya
9.10.2016
Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater
und unserem Herrn Jesus Christus.
Amen.
Liebe Gemeinde,
Denn unser Leben ist hoch verletzlich.
Jederzeit kann es beschädigt werden, zerstört werden –
durch eine schwere Krankheit
durch einen plötzlichen Unfall.
Unser Leben ist hoch verletzlich.
Daran erinnert uns auch Jesus
in seinem Gleichnis von dem reichen Kornbauer,
das wir gerade in der Lesung des Evangeliums gehört haben:
Wir feiern Gottesdienst zum Erntedank.
natürlich ist es vernünftig,
bei einer erfolgreichen Ernte größere Scheunen zu bauen.
Wir danken Gott für die Dinge, die unser Leben erhalten:
Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf,
vertraute Menschen in unserer Nähe
Frieden im Land.
Aber das heißt noch lange nicht,
dass wir damit unser Leben sicher machen könnten.
Und wir sehen auch auf uns selbst
auf die Früchte, die unser Leben gebracht hat
auf die Erinnerungen, von denen wir zehren können
Wir feiern Erntedank.
Denn dass wir das alles haben
was uns Leben nährt und erhält und schützt,
dass wir hier heute lebendig und wohlauf zusammen kommen das ist nicht selbstverständlich.
Das ist Geschenk, Gnade.
Nein, dass wir heute noch leben und wohlauf sind –
darüber können wir
bei aller Vorsorge, die auch wir in unserem Leben getroffen haben
doch am Ende nur staunen
es ist und bleibt Geschenk, Gnade.
Von diesem Geschenk des Lebens
singt auch das Lied des Pfarrers und Dichters Paul Gerhardt,
das uns in diesem Gottesdienst begleitet:
Ich singe dir mit Herz und Mund,
Herr, meines Herzens Lust ...
Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad
und ewge Quelle bist ...
Nichts ist selbstverständlich in dieser Welt.
Menschliches Leben ist verletzlich.
Das hat Paul Gerhardt, geboren vor 400 Jahren,
in seiner Zeit sehr deutlich zu spüren bekommen:
aufgewachsen in den Jahren des 30jährigen Krieges
früh die Eltern verloren,
erst mit 44 Jahren eine feste Anstellung als Pfarrer
und dann, nach der späten Heirat,
der Tod von dreien seiner Kinder noch im ersten Lebensjahr ...
Liebe Gemeinde,
können wir mit einstimmen in diese Art von Erntedank
in diese Zuversicht, in dieses Gotteslob
das die dunklen Seiten des Lebens mit einschließt?
Woher nimmt Paul Gerhardt eigentlich die Kraft dazu
das so auszuhalten,
nicht aufzugeben, nicht zu verzweifeln?
Die letzten Strophen seines Liedes,
die wir gleich singen werden
lassen eine überraschende Antwort erahnen:
Was kränkst du dich in deinem Sinn
und grämst dich Tag und Nacht?
Was sind wir doch?
Wer hat das schöne Himmelszelt hoch über uns gesetzt?
Wer wärmet uns in Kält und Frost?
Wer hält mit seiner Hand den güldnen, werten, edlen Fried
in unserm Vaterland?
Paul Gerhardt kennt offenbar aus eigener Erfahrung
die Versuchung des Selbstmitleids,
des Jammerns
das nur noch um die eigene Befindlichkeit kreist
und dadurch erst die Dunkelheit wirklich undurchdringlich macht.
Erntedank –
das ist für Paul Gerhardt
nicht nur das Staunen über die Schönheit der Natur
in den leuchtenden Farben des Herbstes.
Und gegen diese Versuchung des Selbstmitleids
mahnt er sich immer wieder selbst
und auch uns, die wir mit ihm singen
zur Nüchternheit:
Erntedank –
das schließt für Paul Gerhardt
auch die Dankbarkeit für alles das ein,
was sein Leben bewahrt hat
trotz aller Tränen,
trotz alles Seufzen und Schreien des Herzens:
mach die Augen auf!
sieh zurück auf dein Leben und nimm wahr,
vor wie viel Dingen Du bewahrt worden bist
und wo sich Schlimmes zum Guten gewendet hat:
Du füllst des Lebens Mangel aus
mit dem was ewig steht ...
Hat er dich nicht von Jugend auf
versorget und ernährt ...
nein, was er tut und lässt geschehn
das nimmt ein gutes End ...
Liebe Gemeinde,
nur damit hier kein Missverständnis entsteht:
Paul Gerhardt verharmlost nicht
was es alles an Leiden, an Schicksalsschlägen
an Unrecht und Gewalt in dieser Welt gibt.
Der Gott, zu dem er betet und singt
ist kein „lieber“ Gott.
Aber Paul Gerhardt hat gelernt,
dass es zu nichts führt
nur um die eigenen Verletzungen und Zweifel zu kreisen.
Und dass es eben auch das andere gibt:
die Bewahrung, die Tröstung, die Heilungen,
das Schweigen der Waffen –
Geschenke des Lebens
für die wir staunend danken können und sollen
am Erntedank
und an jedem Tag unseres Lebens neu.
Und der Friede Gottes,
der größer ist als alle Vernunft
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus.
Amen.
Ulrich Holste-Helmer