Nochmal ganz neu anfangen

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SWR2 Tandem
Nochmal ganz neu anfangen
Wie die Lehrerin Meike Frei Friseurin werden wollte
Von Mit Meike Frei spricht Almut Engelien
Sendung: Donnerstag, 13. Oktober 2016 um 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2016
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TRANSKRIPT
Almut Engelien:
Meike Frei, 2013 haben Sie beschlossen, nachdem Sie neun Jahre Grund- und
Hauptschullehrerin gewesen waren, aus dem Lehrerberuf erstmal auszusteigen. Wie
kam es eigentlich dazu?
Meike Frei:
Ich war als Lehrerin nicht mehr glücklich. Es gab viele schöne Jahre und dann auch
stressige, aber letzten Endes war es für mich eine Belastung, im Lehrberuf zu sein,
da ich das Gefühl hatte, dass ich wie Sisyphos den Stein am Berg hochrolle und der
bestenfalls an mir vorbeirollt bzw. mich auch überrollt. Ich habe mir unwahrscheinlich
viel Mühe gegeben, was eine abwechslungsreiche Unterrichtsplanung anbelangt,
weil ich weiß, dass Unterricht sehr langweilig sein kann und habe mir viel Mühe
gegeben, aber es kam halt sehr wenig zurück. Und die Lustlosigkeit von vielen
Schülern... nicht alle, ich hatte natürlich auch tolle Klassen... aber damals hatte ich
sehr schwierige Klassen und diese Lustlosigkeit hat mich ein bisschen angesteckt.
Ich war sehr unzufrieden, da dachte ich, jetzt muss was passieren.
Almut Engelien:
Wenn Sie sich mal zurückerinnern - was waren die Situationen? Können Sie mal eine
schildern, wo Sie das Gefühl hatten: das zieht mir einfach die Kraft aus den Adern
und ich kann das als Lehrerin auch gar nicht ändern?
Meike Frei:
Ich mache es dann mal bei der Planung an einem Beispiel fest. Der normale
Deutschunterricht ist ja doch trocken. Und ich habe mir besonders viel Mühe
gegeben, indem ich was Aktuelles von den Kindern und Jugendlichen hole, das heißt
zum Beispiel eine Fernsehsendung, und versuche, den Kindern das Ganze mit den
Simpsons beizubringen. Ich habe also sehr viel Arbeit in die Planung investiert und
dachte: Das wird ihnen jetzt Spaß machen und das wissen sie auch zu würdigen.
Dem war aber dann nicht so. Es gab dann trotzdem viel Murren. Also, immer wieder
anfangen und sich etwas überlegen: Wie kann man es denn schöner machen? Auch
unter Einbezug der Interessen der Jugendlichen. Und trotzdem kam es immer wieder
dazu, dass so eine flächendeckende Lustlosigkeit war. Und das finde ich schade,
weil ich gerne mit jemandem arbeite und nicht über jemandem.
Almut Engelien:
Waren das pubertierende Jugendliche?
Meike Frei:
Ja.
Almut Engelien:
Also, wo Lustlosigkeit sozusagen das chronische Thema ist?
Meike Frei:
Ja, mitunter, genau. Bei vielen, ja.
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Almut Engelien:
Und nun raten in Berufskrisen die Berater ja immer, dass man kleine Lösungen
überlegt. Hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, dass Sie einfach andere Schüler
übernehmen oder die Schulform wechseln, dass es irgendwie in diesem Rahmen des
Lehrerberufs Möglichkeiten der Veränderung gibt?
Meike Frei:
Die habe ich ausprobiert. Also, es ist so, dass ich einen Schulformenwechsel schon
vorher hatte, zur Grundschule, wo ich sagen muss, das hat mir schon ganz gut
gefallen, aber eher in den höheren Klassen, also 3./4. Klasse. 1./2. Klasse - ich finde,
da muss man so ein spezieller Typ sein, also ich singe und bastel nicht so gerne und
ich bin auch nicht so der Muttertyp. Da liegen mir die Größeren schon eher und auch
so die Direkten und Ehrlichen. Ich mag die Pubertierenden schon - einzeln gesehen.
Aber in der Masse können Sie sehr anstrengend sein, vor allem mit dieser
Lustlosigkeit.
Almut Engelien:
Nun sind Sie ja ein ausgesprochener Typ für Schüler, wenn man Sie sieht. Sie sehen
sehr flott aus, Sie haben eine sehr junge und sympathische und herzliche
Ausstrahlung. Hat das nicht unheimlich geholfen?
Meike Frei:
Das kann auch ein Hindernis sein. Also, gerade nach dem Studium als frisch
gebackene Referendarin oder Lehrerin bin ich da rein und wollte auch eine Freundin
für die Schüler sein und das ist schön nach hinten losgegangen. Die Schüler wollen
keine Freundin als Lehrerin sondern schon jemanden, der ihnen zeigt, wo es
langgeht. Also, nicht auf die ganz strenge Art, aber auf die konsequente. Und
deswegen war mein erstes Jahr ein sehr gutes Lehrjahr. Im zweiten Jahr habe ich es
auch anders gemacht und war zunächst mal gerade das Gegenteil, extrem streng,
was ich auch bereut habe, denn niemand wollte mich als Vertrauenslehrerin. Was ich
da Rotz und Wasser geheult habe! Dann habe ich nach und nach den Mittelweg
gefunden - schon noch ein bisschen ich zu sein, aber schon auch die strenge
Lehrerin.
Almut Engelien:
Und das fiel Ihnen leicht oder schwer?
Meike Frei:
Schwer. Und es hat mich unglaublich angestrengt. Deswegen wäre der Beruf auch
nichts mehr für mich.
Almut Engelien:
Sie haben dann eine ziemlich ungewöhnliche Richtung eingeschlagen, und zwar
wollten Sie Friseurin werden. Was hat Sie darauf gebracht, als Lehrerin Friseurin
werden zu wollen?
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Meike Frei:
Also, ich hatte zum damaligen Zeitpunkt, das ist auch ganz witzig, eine 8. Klasse in
Berufsvorbereitung gehabt und habe in Deutsch mit ihnen Lebensläufe geübt und
Bewerbungen geschrieben. Und als ich diese Einheit gestartet habe, habe ich den
Schülern so einen Bogen verteilt, welche Interessen sie überhaupt haben und welche
Stärken, um sie ein bisschen zu lenken. In welche berufliche Richtung soll es denn
gehen? Und den habe ich einfach mitgemacht. Ich habe gedacht: Komm, füll mal
aus! Dir geht es im Moment auch nicht so gut. Vielleicht kommt ja etwas
Interessantes dabei heraus. Und da kamen halt - also nicht nur Friseurin - aber
kreative Berufe... auch Fotograf... aber ich dachte: Hey, Friseurin muss es sein! Weil
ich schon, seit ich 11 bin, ganz haarverrückt bin. Ich habe ganz viele
Haarzeitschriften zuhause und liebe es, Frisuren auszuprobieren, auch selbst an mir
herumzuhandwerkeln. Ich finde den Beruf klasse - schon immer.
Almut Engelien:
Trotzdem stutzt ja jeder, der diese Veränderung hört, also beim Lehrer geht es eher
um das, was im Kopf ist, und plötzlich geht es um das, was auf dem Kopf ist. Also ein
Lehrer ist doch ein Beruf, bei dem es ständig um die Vermittlung von Geistigem geht,
selbst beim Erstklässler, und plötzlich um einen rein handwerklichen Beruf, noch
dazu um einen handwerklichen Beruf, der eigentlich gar nicht so ein positives Image
hat. Hatten Sie nicht Sorge, total unterfordert zu sein?
Meike Frei:
Nein, gar nicht. Friseur ist auch ein sehr anspruchsvoller Beruf, bei dem man sich ja
auch im sozialen Metier beschäftigt, also mit anderen Menschen. Das ist nicht nur ein
rein handwerklicher Beruf wie jetzt ein Plattenleger, der sich wirklich nur mit den
Fliesen auseinandersetzt, sondern Sie sind ja mit Menschen in Kontakt. Und was,
glaube ich, wirklich keinem bewusst wird, ist, dass man als Friseur einem Menschen
so nah kommt wie sonst nur der Arzt oder der Physiotherapeut. Das ist mir erst
klargeworden, als ich am Hals eines Kunden war. Das ist ein anspruchsvoller Beruf auch für den Kopf, nicht nur für die Hände.
Almut Engelien:
Ja, man kommt den Menschen sehr sehr nah. Es zeigt sich ja sofort, was man
gemacht hat. Selbst der Arzt hat nicht eine unmittelbare Kontrolle durch den
Patienten, ob das jetzt gut war, was er getan hat. Aber beim Friseur haben Sie die ja
unmittelbar.
Meike Frei:
Das ist auch der Grund, weshalb die meisten den Friseurberuf ergreifen. Dazu
möchte ich nämlich noch sagen, dass - anders als viele Leute denken - es nicht
einfach eine Zwangsentscheidung ist, weil man aufgrund der schulischen Laufbahn
keinen anderen Beruf wählen kann. Nein. Es ist bei den meisten Friseuren eine
bewusste Berufsentscheidung. Ich habe mich noch mal bei meinen Friseurkollegen
umgehört. Alle haben diese Entscheidung nicht bereut. Die lieben ihren Beruf, weil
sie, und das ist das große Bonus, ein direktes Feedback bekommen und direkt, wenn
sie es gut gemacht haben, Anerkennung. Das ist z.B. ganz gegensätzlich zum
Lehrerberuf. Also, wenn ein Feedback kommt, also wenn überhaupt, dann wenn
ehemalige Schüler zu Besuch kommen und... ja, was aus ihnen geworden ist und
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dass sie so froh waren damals in der Schule. Aber das können die ja... wenn die in
meiner Klasse sind, wer gibt denn das schon zu? Da werden die ja von ihren
Mitschülern verhauen. Es darf ja kein Pubertierender zugeben, dass ihm der
Unterricht gefällt.
Almut Engelien:
Aufgrund welcher Kriterien kam dieser Fragebogen zu dem Ergebnis, dass Sie eine
gute Friseurin wären?
Meike Frei:
Weil ich kreativ bin und, ich glaube, ganz gut mit Menschen kann und offen bin. Gut,
das Handwerkliche, das kann der Fragebogen nicht wissen. Das musste ich selbst
überprüfen, ob das stimmt, dass ich auch feinmotorisch begabt bin.
Almut Engelien:
Wie hoch ist der psychologische Anteil bei diesem Beruf? Also, ich habe immer den
Eindruck, Menschen erzählen ihrer Friseurin erstaunlich viel und gehen auch in
erstaunlichen Situationen zum Friseur.
Meike Frei:
Ich habe da ja in meinem Buch auch den Spruch drin: Ein guter Friseur ersetzt den
Psychologen. Es gibt natürlich auch die andere Version: Ein schlechter macht ihn
erst notwendig. Aber das ist tatsächlich so, weil der Friseur Ihnen, wenn er gut ist,
auch Gutes tut, vertrauen sich viele Menschen dem Friseur auch sehr offenherzig an.
Also, die Friseure müssen da auch ein hartes Fell, sage ich mal, haben, weil es wird
ja auch viel Trauriges erzählt. Ob da jetzt die ältere Dame kommt und erzählt, dass
ihr Mann gestorben ist und dass sie einsam ist. Die müssen da viele, häufig auch
psychologische Arbeit leisten, ja.
Almut Engelien:
Ja, ich kenne auch Beerdigungen, wo die Friseurinnen hingegangen sind. Es kann
schon eine sehr starke Beziehung entstehen zwischen einer Kundin vor allen Dingen
- wahrscheinlich ist es bei den Frauen oft stärker...
Meike Frei:
Das glaube ich auch, ja.
Almut Engelien:
... und einer Friseurin. Wie ging das weiter? Also, Sie hatten den Fragebogen
ausgefüllt und dann gab es tatsächlich diese Empfehlung, dass das für Sie infrage
käme. Wie ging das weiter?
Meike Frei:
Ich habe mich auf die Suche nach einem Praktikumsplatz gemacht. Ich war ja noch
im laufenden Schuljahr, da konnte ich ja noch kein Praktikum machen. Das konnte
ich ja erst während meiner Auszeit. Ich habe mich damals aber schon auf die Suche
nach einem Praktikum gemacht. Das muss man ja frühzeitig anfangen. Und auch mit
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Lebenslauf und Bewerbung, genau... das musste ich ja auch nochmal, da ich es ja
gerade mit den Schülern aktualisiert habe, habe ich es auch praktisch ausgeübt.
Almut Engelien:
Mit 34?
Meike Frei:
Genau.
Almut Engelien:
Wie war das? Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht? Ich stelle mir das jetzt
nicht ganz so einfach vor, mit 34 in einem Friseursalon reinzumarschieren und zu
sagen: Ich würde jetzt gern ein Praktikum bei Ihnen machen.
Meike Frei:
Gut, ich war da schon aufgeregt. Da fällt man wieder selbst in die Rolle des Schülers
zurück. Aber ich habe gedacht: das dürfte eigentlich kein Problem sein, einen
Praktikumsplatz zu finden. Du bist ja eine gestandene Frau und die nehmen Dich mit
Kusshand, weil ich weiß, dass auf dem Arbeitsmarkt die Chefs oder die Angestellten
sich oft beschweren über die Praktikanten, dass die so unselbständig sind. Da habe
ich gedacht: Hey, mit mir haben sie da ja einen guten Fang! Ich weiß ja, dass wenn
da ein Berg Haare liegt, dass man den zusammenkehren muss. Ja, mit diesem
Selbstbewusstsein bin ich dann auf die Suche gegangen und bin mal schön
abgeblitzt. Der erste Salonleiter wollte mich nicht haben. Als der gehört hat, dass ich
Lehrerin bin, hatte der Angst bzw. die Angestellten hatten Angst, dass ich nicht das
mache, was sie mir sagen. Da kamen schon einige Vorurteile. Da war ich erstmal auf
dem Boden der Tatsachen wieder.
Almut Engelien:
Das ist ja auch nicht unbegründet. Weil das ist ja auch real eine Schwierigkeit. Sie
müssen als Lehrer oder Lehrerin ständig sagen, wo es langgeht, und dann wollen
Sie nochmal als Pimpf anfangen, wo Ihnen ständig jemand sagt, wo es langgeht. Ich
meine, ich denke mir das auch tatsächlich als richtig schwierig.
Meike Frei:
Ich habe mich ja nie in diese autoritäre Rolle so reingefühlt. Es ist mir sowohl der
soziale Stand oder ob das jetzt ein Chef ist oder die Angestellte oder welche
Berufsgruppe mir gegenübersteht - ich sehe eigentlich alle Menschen gleich und
deswegen auch mich. Sogar war mir das angenehmer, dass ich nicht die war, die die
Verantwortung trägt, sondern die Ausführende, weil das fürs Hirn unglaublich
entspannend sein kann, wenn man mal nicht alles selbst entscheiden muss, sondern
einfach mal befolgt.
Almut Engelien:
Haben Sie denn bei den anderen Bewerbungen das gesagt? Haben Sie gesagt:
"Machen Sie sich keine Sorgen! Ich fege gern Haare auf und ich falte gern
Handtücher. Sie brauchen nicht zu glauben, dass ich hier die Kommandozentrale
sein will?"
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Meike Frei:
Ja, also der Salon, bei dem ich letztendlich gelandet bin, der Salonleiter hat mir
schon angemerkt, dass ich nicht diese typische Lehrerin bin, die sich die
Öffentlichkeit oder die Allgemeinheit oft vorstellt, also rechthaberisch, autoritär. Und
er hätte sich vorstellen können, dass, wenn ich fertige Friseurin bin, ich auch
Seminare leite und führe und Leute ausbilde in dem Bereich.
Almut Engelien:
Sie haben sich also beurlauben lassen als Lehrerin und haben gesagt: Ich steige mal
ein mit dem Praktikum.
Meike Frei:
Ja.
Almut Engelien:
Und wie war's?
Meike Frei:
Schön. Ich war natürlich am Anfang "Mädchen für alles", ja, die niedrigste in der
Nahrungskette, d.h. tatsächlich Wäsche waschen, Handtücher zusammenlegen, den
Kaffee kochen und zum Platz bringen, Haare zusammenfegen, den Salon putzen.
Also, erstmal wie gesagt, erstmal die Tätigkeiten einer Reinigungsfachfrau und eines
Mädchens für alles. Und erst relativ spät bin ich dann an den Kunden gelassen
worden. Und das war eher eine beängstigende Erfahrung, weil wenn Sie zum ersten
Mal einem Mensch an den Hals gehen müssen, indem Sie ihm einen Umhang
umlegen, das ist ganz befremdlich. Also, einem Fremden an den Hals gehen... mir
haben die Hände gezittert und ich habe es natürlich beim ersten Mal nicht
hingekriegt. Also, die handwerklichen Sachen, die sollte man nicht unterschätzen.
Almut Engelien:
Ihre spontane Antwort gerade, als ich fragte: Wie war das? war ja: schön. Was war
schön?
Meike Frei:
Der Salon ist ruhig. Im Gegensatz zur Schule ist der Salon einfach vom Flair her so
enorm entspannend. Man soll sich ja auch als Kunde wohl fühlen. Das heißt, als
Friseur fühlt man sich auch schon wohl. Es ist ruhig, so ein bisschen
Hintergrundmusik, man hört den einen oder anderen Fön. In der Schule ist so
extremer Lärm, vor allem in der Pause. Das ist ja erwiesen, dass der Lärm in der
Schule etwa den Pegel einer Diskothek erreicht. Die Kollegen sind unwahrscheinlich
ausgeglichen. Man merkt halt, dass die ihren Job lieben.
Almut Engelien:
Ist das so? Ist die Berufszufriedenheit so groß bei Friseuren?
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Meike Frei:
Ich habe mal gegoogelt und die stehen an Platz 2 hinter den Floristen. Und die
Lehrer natürlich weit abgeschlagen.
Almut Engelien:
In Ihrem Buch sprechen Sie ja auch vom Umstylen, was es für eine Person bewirkt,
wenn sie ein neues Styling bekommt. Ist das realistisch? Hat das wirklich einen
großen Einfluss, wenn jetzt jemand mit Hilfe der Friseurin, des Friseurs ein neues
Image kriegt durch Haarschnitt oder durch eine Glatze oder sonstwas und plötzlich
cool ist? Geht das so?
Meike Frei:
Ja, das glaube ich. Eine Frisur kann unwahrscheinlich viel bewirken. Es gibt Mann
und Frau natürlich ein neues Selbstbewusstsein, wenn man da den bestmöglichen
Typ rausgeholt hat.
Almut Engelien:
Aber die meisten haben ja feste Vorstellungen. Was ist, wenn man komplett
scheitert, entweder weil man etwas falsch macht oder weil einfach die Person, die
Kundin, der Kunde Vorstellungen hat... so will sie es nunmal unbedingt. So hat sie es
in einer Illustrierten gesehen oder so macht sie es seit 20 Jahren und es soll sich
nichts ändern oder oder?
Meike Frei:
Beratungsresistente Kundinnen sind natürlich nicht besonders schön für den Friseur.
Wenn er genau weiß, dass die Frisur das Gesicht eher runder erscheinen lässt oder
dass eine markante Frau ganz sicher besser eine weichere Frisur braucht, um nicht
noch markanter zu wirken und sie lässt sich da aber nicht beraten, ist es natürlich
nicht befriedigend für den Friseur.
Almut Engelien:
Sie sprechen in Ihrem Buch ja auch über die sehr harten Arbeitsbedingungen. Was
ist die Härte?
Meike Frei:
Also, für mich persönlich waren die Härte vor allem die langen Arbeitszeiten.
Almut Engelien:
Wieso? Wie lang ist eine Schicht?
Meike Frei:
Ja gut, normalerweise auf dem Papier natürlich 8 Std. Das wird aber nicht
eingehalten. Es sollte auch eine Stunde Mittagspause sein. Die ist meistens nicht da.
Deswegen glaube ich, dass die meisten Friseure Raucher sind. Und ich glaube, das
hängt mitunter auch daran, dass die einfach keine Zeit zum Essen finden. Dann geht
das durch auf den Zähnen bis um sieben oder auch bis halb acht, acht. Viel Stehen,
viel Rennen, wenig sitzen und deswegen enorm anstrengend. Ich habe unglaublich
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viel Fußschmerzen gehabt und Rückenschmerzen. Also, es ist sehr anstrengend.
Man muss vollkommen gesund sein, um diesen Beruf auszuüben.
Almut Engelien:
Was für eine Art Salon war das, in dem Sie waren?
Meike Frei:
Der Friseur, bei dem ich war, das war so ein Coiffeur-Salon, den würde ich so im
Mittelbereich ansiedeln. Der ist nicht ganz billig, aber auch nicht zu teuer, so dass
auch die Friseure noch ein gutes Gehalt auf ihrem Lohnzettel haben. Also, sowieso
sollte man als Kunde immer Trinkgeld geben.
Almut Engelien:
Und zwar ein gutes Trinkgeld...
Meike Frei:
Ja. Das ist eine gute Leistung, die wir Friseure erbringen, und eine anstrengende
Leistung. Also, es ist ein No Go, kein Trinkgeld zu geben.
Almut Engelien:
Wie war das eigentlich... wie hat Ihre Umwelt auf die Veränderungen reagiert? Haben
die das allgemein als soziale Deklassierung gesehen? Oder wie war das?
Meike Frei:
Also, ich bin schon auf viele Lacher gestoßen, die das eher ausgelacht haben. Also,
ich lache zwar gern und mir macht das nichts, aber ich finde das eher schlimm, dass
man das so extrem als Abstieg oder so sieht. Ich meine, wenn ich jetzt glücklich bin
in dem Friseurberuf und bin unglücklich im Lehrberuf, dann nützt mir doch die ganze
Sicherheit nichts oder die Kohle, das Geld bringt mir nichts, wenn ich nicht glücklich
bin.
Almut Engelien:
Wie ging es weiter? Sie haben das Praktikum gemacht und haben dann gejobbt im
Friseursalon. Sie waren beurlaubte Lehrerin.
Meike Frei:
Genau.
Almut Engelien:
Und als beurlaubte Lehrerin kann man nicht eine neue Ausbildung anfangen in
diesem freigestellten Jahr. Sie haben diese Ausbildung dann nicht angetreten.
Warum nicht?
Meike Frei:
Also, ich stand kurz davor und habe auch schon meine Kündigung, meine
Entlassung aufgesetzt und bin dann nochmal probearbeiten gegangen und dann hat
mein Körper mir eindeutig Signale gegeben, dass ich das nicht schaffen werde. Ich
habe eine Muskelerkrankung und die hat da so hochgekocht, dass klar war: Ich
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schaffe keine Ausbildung. Unter dem Aspekt kann ich nicht einfach meinen anderen
Beruf hinschmeißen und stehe dann nach zwei Monaten da und schaffe es nicht
körperlich. Und dann ist die Entlassung in den Müll gewandert und ich habe
angefangen, ein Buch zu schreiben über die Geschichten vom Friseur.
Almut Engelien:
Und das Buch war ja auch der Anlass, weshalb wir zu diesem Gespräch gekommen
sind. "Fuck the Föhnfrisur - eine Lehrerin schult um" Und Sie sind dann, nachdem
Sie das Buch geschrieben hatten, in den Schuldienst zurückgekehrt. Wie war das, in
die Schule zurückzukommen nach dieser Erfahrung? Was hatte sich in Ihnen
geändert?
Meike Frei:
Ich habe manche Sachen nicht mehr so eng gestehen. Ich wusste ja Vieles mehr zu
schätzen und ich dachte so, dass ich jetzt so manche Sachen nicht so an mich
ranlassen soll. Wenn die Schüler lustlos sind, dass ich mich davon nicht anstecken
lasse. Also alles ein bisschen lockerer sehen. Es ist immer gut, einen Blick über die
Mauer zu werfen, weil man dann gestärkt zurückkommt, weil eine Medaille immer
zwei Seiten hat. Egal wie schön der andere Beruf sein mag, der hat auch schlechte
Seiten. Und dann kann man das ja nutzen und sieht die Sonnenseiten von dem
ursprünglichen Beruf wieder besser.
Almut Engelien:
War es einfach, dass der Lehrberuf... dass man da nicht 10 Stunden steht, dass man
mehr Freiheit hat, dass man mehr berufliche Sicherheit hat und dass man mehr
verdient, also diese Faktoren?
Meike Frei:
Also, ehrlicherweise war es bei mir natürlich die Freizeit vor allem auch, das wäre ein
Aspekt beim Friseurdasein, mit dem ich meine Probleme gehabt habe, muss ich
ehrlich sagen.
Almut Engelien:
Wie hat sich denn Ihr Blick auf die Schüler geändert, auf die Jugendlichen?
Meike Frei:
Der war nochmal ein bisschen lockerer. Ich habe gedacht: ok, es gab ja sehr
anstrengende Kunden im Salon, arrogante Kunden oder intolerante Kunden. Es gab
dort Erwachsene, die auch pubertiert haben so von ihrem Verhalten, wo ich gedacht
habe: Oh Gott, die sind ja noch schlimmer als meine Zicken in der Schule oder der
Besserwisser. Und das hat sich dann ein bisschen relativiert.
Almut Engelien:
Sie haben mehr gesehen, was es für ätzende Erwachsene gibt.
Meike Frei:
Wenn Sie es jetzt so formulieren wollen, ja.
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Almut Engelien:
Sie haben ja richtig Blut geleckt inzwischen. Also, es war dann so, dass diese
Erfahrung viel mit Ihnen gemacht hat. Sie haben dieses Buch geschrieben. Sie
schreiben jetzt an Ihrem zweiten Buch. Was ist eigentlich aus diesen Erfahrungen im
Moment so Ihre Hauptquintessenz? Jetzt sind Sie beurlaubt ohne Bezüge. Das ist
ein Massenthema, was Sie umtreibt. Man sagt, die Hälfte aller Deutschen hätte
gerne eine berufliche Veränderung. Untersuchungen sagen, jeder Siebte hat
innerlich gekündigt. Was ist so eigentlich im Moment Ihre Quintessenz?
Meike Frei:
Ich komme ja aus einer Familie, in der man in den Beruf reingeht, 40 Jahre drin ist
und dann in Pension geht. Das ist der rechte Weg. Und da war ich das schwarze
Schaf - schon weil ich früher ein paar Sachen ausprobiert habe. Und kam mir immer
so vor, das irgendwas mit mir nicht stimmt. Durch diese Wechsel und das, was ich da
erfahren habe, habe ich gemerkt, dass es gar nicht schlimm ist. Es gibt viele, die mir
auch gesagt haben: Mann, bist Du mutig! Was ich nicht finde, denn ich bin ja immer
noch beurlaubt.
Almut Engelien:
Sie sind Beamtin immer noch?
Meike Frei:
Ja, ich bekomme kein Geld, ich bin auf mich gestellt, aber ich könnte nochmal
zurück, wenn ich wollte - jedenfalls zurzeit. Das wird auch nicht ewig gehen,
irgendwann muss ich mich entscheiden. Ne, ich habe unwahrscheinlich viel Positives
mitgenommen. Ich fühle mich total wohl. Ich glaube, ich war noch nie so
ausgeglichen wie in den letzten Jahren und würde das auch jedem nahelegen, der
über einen längeren Zeitraum mit sich hadert. Wir sprechen jetzt nicht über eine
kurze Krise im Beruf, sondern wenn man über einen längeren Zeitraum die
Mundwinkel nach unten hängen hat, dann würde ich sagen: Dann ändere was. Das
heißt aber nicht, direkt ins kalte Wasser zu springen und direkt den Beruf hinwerfen,
sondern gucken: Kann ich vielleicht intern etwas verbessern? Kann ich die Stunden
reduzieren, wenn ich so überlastet bin? Kann ich die Abteilung wechseln, wenn mir
die Menschen nicht gefallen? Also da erstmal zu gucken. Und sollte das nicht der
Fall sein, also sollte man generell im Beruf festsitzen, dann zuerst mal gucken:
Welchen Lebensstandard habe ich denn und kann ich den eventuell reduzieren?
Also, was ist mir wichtig? Ich kann nicht einen Beruf wählen, in dem man nicht viel
verdient, wenn man einen hohen Lebensstandard hat. Also ich wusste, dass ich nicht
viel brauche, also konnte ich das machen. Aber ich habe auch keine Kinder. Ich
würde nie einem Familienvater raten, der unglücklich ist, erstmal alles hinzuwerfen.
Man sollte schon die eigene Lebenssituation überprüfen...
Almut Engelien:
Aber Sie haben eben auch gute Erfahrungen damit gemacht, den Standard, den Sie
hatten, in Frage zu stellen. Und Sie setzen keine Priorität auf Sicherheit.
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Meike Frei:
Ne. Also, ich setze Priorität auf Glücklichsein, weil Sicherheit hemmt oft. Also Angst
ist kein guter Berater und Sicherheit auch nicht. Man lebt wahrscheinlich nur einmal
und da sollte man gucken, dass man sein Leben so schön und selbstbestimmt wie
möglich lebt. Ich habe festgestellt, dass vor allem die Freiberufler in ihrem Beruf
glücklicher sind und auch leidenschaftlicher arbeiten und nicht die sicheren Beamten.
Almut Engelien:
Aber ist es nicht auch sehr wichtig, dass der Partner mitzieht? Dass der einen
unterstützt?
Meike Frei:
Also, ohne den Partner wird es schwierig, denn ein Berufswechsel ist natürlich
erstmal mit Anstrengung verbunden und mit Veränderungen. Das kann in den ersten
Monaten und Jahren natürlich an einem und an der Partnerschaft zehren. Das sollte
man vorher absprechen, was man vorhat, dass die Beziehung nicht darunter leidet.
Wenn der Partner unterstützend zur Seite steht, das ist enorm wichtig. Mein Partner
hat mich unterstützt, weil er einen ähnlichen Lebenslauf hat - vom Lehrer zum
Journalisten. Der konnte alles nachvollziehen. Der hatte da unglaublich viel
Verständnis dafür.
Almut Engelien:
Wie geht es Ihnen im Moment? Sie sind jetzt in so einer Situation, dass Sie noch
eine kleine Sicherheit im Hintergrund haben, also Sie können im Prinzip in den
Schuldienst zurückkehren, wissen aber eigentlich, dass Sie das nicht wollen. Sie
schreiben an Ihrem zweiten Buch. Das ist sehr offen. Wie erleben Sie diese
Situation? Ist die sehr beängstigend?
Die ist sehr aufregend, manchmal beängstigend, weil ich natürlich nicht weiß, wo die
Reise hingeht, aber ich habe da schon Vertrauen, denn in meinem Leben... wenn
sich eine Tür verschlossen hat, ist ein Tor aufgegangen, manchmal auch nur ein
Fenster, aber es gab immer einen Weg und irgendwie vertraue ich da so ein
bisschen drauf. Ich bin auch sehr ehrgeizig. Und ich meine, klar, es kann sein, dass
ich scheitere in dem Sinne, dass ich nicht vom Schreiben leben kann, aber dass ich
jetzt auf der Straße lande, habe ich keine Angst vor. Es gibt immer noch eine Option,
die man ergreifen kann und sollte. Ich bin glücklich.
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