Wenn der Knochen schwindet

Fast jede dritte Frau ist nach den Wechseljahren von einer Osteoporose
­betroffen. Welche Faktoren zur Verminderung der Knochendichte bei­tragen und welche diagnostischen Maßnahmen erforderlich sind, erklärt
Dr. Dr. Peter Schlüter in dieser Sprechstunde.
Wie häufig ist die
Osteoporose?
Mit einer Prävalenz von vier
bis sechs Millionen Patienten ist die Osteoporose eine
ernst zu nehmende Erkrankung. Sie ist die h
­ äufigste
Knochenerkrankung im höheren Lebensalter. Etwa
30 Prozent aller Frauen in
Deutschland erkranken nach
dem Klimakterium an primärer ­Osteoporose. Bei Männern ist ab dem 70. Lebensjahr die Alters­osteoporose
ein ebenso häufiges Krankheitsbild. Daher wurde die
Osteoporose von der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) auf die Liste der 10
wichtigsten Erkrankungen
gesetzt.
Welche Formen der
Osteoporose gibt es?
In 95 Prozent der Fälle handelt es sich um die primäre
Osteoporose. Im Gegensatz
dazu ist bei der in 5 Prozent
der Fälle vorliegenden sekundären Osteoporose eine­
andere Grunderkrankung
verantwortlich und/oder sie
ist die Folge einer medika-
mentösen Therapie, z. B. mit
Glukokortikosteroiden, oder
einer starken Bewegungseinschränkung (Immobilisierung, z. B. bei Bettlägerigkeit).
Typische Merkmale der Osteoporose sind eine Abnahme der Knochenmasse und
Verschlechterung der Knochenarchitektur sowie als
deren Folge eine Reduktion
der Knochenstabilität.
Im fortgeschrittenen
Stadium der Osteo­
po­rose kann schon
starkes Husten oder
Niesen eine Fraktur
auslösen.
Was sind die Ursachen
der Osteoporose?
Die genauen Ursachen für
das Entstehen einer primären Osteoporose sind bis
heute nicht bekannt. Jedoch
weiß man, dass bestimmte
Faktoren das Risiko für die
Erkrankung erhöhen können. Neben einer familiären
Veranlagung, dem höheren
Lebensalter und dem weib-
lichen Geschlecht gehören
Kalzium- und Vitamin DMangel, zu wenig Bewegung
und das Rauchen dazu.
Vor allem Kalzium- und Vitamin-D-Mangel sorgen für
einen gestörten Knochenstoffwechsel, der einen vermehrten Abbau von Knochenmasse nach sich zieht.
Es kommt einerseits zu einem fortschreitenden Verlust an Knochenmasse. Andererseits verändert sich
auch der Feinaufbau des
Knochens. Dadurch werden
die Knochen immer poröser und können schon bei geringster Krafteinwirkung,
z. B. bei einfachen Stürzen,
brechen.
Im fortgeschrittenen Sta­
dium der Osteoporose kann
schon starkes Husten oder
Niesen eine Fraktur auslösen
(Spontanfraktur). Von ­einer
manifesten Osteoporose
spricht man, wenn sich die
erste Fraktur infolge der Erkrankung eingestellt hat.
Welches sind die
häufigsten osteoporose­
bedingten Frakturen?
Der Hausarzt 16/2016
Foto undIllustration: fotolia
Sprechstunde
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Wenn der Knochen
schwindet
Hausarzt Medizin
Welche Diagnostik ist erforderlich?
1. Anamnese
Beschwerden, Schmerzen,
Funktionsstörungen
Foto: Science Photo Library / Agentur Focus
2. Osteodensitometrie
DXA-Messung an Lendenwirbelsäule,
­Femurhals und Gesamtfemur.
Ausschlaggebend für die Abschätzung
des ­10-Jahres-Frakturrisikos ist die
niedrigste gemessene Knochendichte an
Lendenwirbelsäule, Femurhals und
Gesamtfemur.
Durch Osteoporose bedingte
Frakturen betreffen häufig
die Wirbelkörper, den Oberschenkelhals sowie Oberund Unterarm. Die häufigsten Frakturen sind:
▪▪ Wirbelkörpereinbrüche
(Sinterungen)
▪▪ Schenkelhalsfrakturen
▪▪ Distale Radiusfrakturen
▪▪ Subkapitale Humerus­
frakturen
▪▪ Beckenringfrakturen
Außerdem besteht eine
­vermehrte Anfälligkeit für
sonstige Frakturen.
Welche Folgen haben
osteoporosebedingte
­Frakturen?
Zuerst verläuft die Osteoporose unmerklich, ist aber
im Fall von Knochenbrüchen, insbesondere bei alten
Menschen, mit einer hohen
Krankheitsbelastung verbunden. Schmerzen, BettlägDer Hausarzt 16/2016
3. Untersuchung
Hinweise auf Grunderkrankungen,
Malignome, ggf. geriatrisches Assessment, Sturzrisiko
4. Röntgenaufnahmen
Erfassung von Wirbelkörperfrakturen
(bei Vorliegen klinischer Hinweise auf
Frakturen)
rigkeit oder auch dauerhafte
Immobilisierung sind häufige Folgen. Dadurch werden
die Patienten oftmals sozial­
isoliert und vereinsamen.
Schon aus diesem Grund ist
die frühe Erkennung der
Osteoporose wichtig.
Welche Funktion hat
Kalzium?
Kalzium ist nicht nur ein
wichtiger Mineralstoff, sondern auch der Hauptbaustein der Knochen. Der
überwiegende Anteil des
Kalziumgehalts unseres Körpers ist in Knochen und Zähnen zu finden. Dort sorgt es
für Festigkeit und Stabilität.
Fehlt Kalzium, wird dieses
aus den Knochen freigesetzt,
um die Kalziumkonzentra­
tion im Blut konstant zu halten.
Entsprechend der Leitlinie
des Dachverbands Osteolo-
5. Labor
Vor allem Kalziumund Vitamin-D-Mangel
sorgen für einen
gestörten Knochenstoffwechsel.
gie wird Osteoporose-Patienten die Gesamtaufnahme
von 1.000 mg Kalzium täglich empfohlen. Kalziumlieferanten sind vor allem
Milch- und Milchprodukte.
Weiterhin enthalten grünes
Gemüse, Kräuter und einige Mineralwässer relevante Mengen an Kalzium und
können damit den täglichen
Bedarf decken.
Welche Bedeutung hat
Vitamin D für den Knochenstoffwechsel?
Vitamin D weist hormonähnliche Wirkungen auf
und ist an zahlreichen Pro-
Dr. Dr. Peter Schlüter
Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren, E-Mail:
[email protected]
zessen im Körper beteiligt.
Zu den wichtigsten Prozessen gehören die Förderung
der Kalzium­aufnahme im
Darm, die Steigerung der
Kalziumeinlagerung in den
Knochen, die Steigerung der
Knochenhärtung und die
verbesserte Muskelkoordination.
Der Körper kann Vitamin D
auch selbst produzieren. Voraussetzung dafür ist eine
ausreichende Exposition der
Haut gegenüber Sonnenlicht. Das kann gerade bei älteren Menschen, die nicht
mehr mobil genug sind, um
täglich ins Freie zu gehen,
zum Problem werden. Zudem sinkt altersbedingt auch
die körpereigene Vitamin-DProduktion ab.
Ist das Risiko für Knochenbrüche erhöht oder eine
ausreichende Sonnenlichtexposition der Haut nicht
gewährleistet, sollte sichergestellt werden, dass die Versorgung mit Kalzium und
Vitamin D stimmt. Ggf. muss
diesbezüglich eine entsprechende Substitution stattfinden.
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