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Schriftliches Grußwort
von Bundespräsident Joachim Gauck
für die im Ausland lebenden Deutschen
zum Tag der Deutschen Einheit 2016
Am Tag der Deutschen Einheit erinnern wir uns an das, was wir in unserer jüngsten
Geschichte geschafft haben. Wir feiern den Freiheitswillen der Menschen in Leipzig, Plauen,
Berlin und vielen anderen Orten der DDR, die mit der Friedlichen Revolution die Vereinigung
beider deutscher Staaten überhaupt erst vorstellbar werden ließen. Und wir feiern ein Land, in
dem Millionen Bürger die nationale Aufgabe der Vereinigung selbstbewusst angenommen
haben. Nur so konnte wieder zusammenwachsen, was zusammengehörte.
Heute, in bewegten und mitunter auch schwierigen Zeiten, stehen wir erneut vor der Aufgabe,
die innere Einheit zu gestalten. Die Integration der vielen Flüchtlinge ist eine besondere
Herausforderung für das ganze Land. Zahllose Bürger wenden sich den Neuankömmlingen zu
und begleiten sie auf ihrem Weg in unsere Gesellschaft. Ich bin dankbar für diese
Hilfsbereitschaft und Solidarität, für Gelassenheit und Zuversicht. Aber ich weiß auch: Die
Flüchtlingskrise, Kriege am Rande Europas und furchtbare Terroranschläge haben Sorgen und
Befürchtungen wachsen lassen.
In dieser Situation ist es wichtig, Konflikte offen und friedlich auszutragen, auf dem festen
Fundament unseres Grundgesetzes. Wir müssen im Gespräch darüber bleiben, was uns
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verbindet und was uns verbinden soll. Und wir dürfen nicht vergessen: Dieses Deutschland ist
stark und stabil. Es hat funktionierende Institutionen und engagierte Bürger. Gemeinsam
können wir den Zusammenhalt wahren zwischen denen, die hier sind. Und wir können den
Zusammenhalt herstellen mit denen, die hinzukommen.
Auch in der Europäischen Union gilt es, die innere Einheit in Vielfalt neu zu erringen. Die
Entscheidung der Briten für den Austritt ihres Landes war ein Schock. In vielen Ländern gibt
es Stimmen, die den Rückzug in den Nationalstaat propagieren und Ängste vor dem
„Fremden“ schüren. Aber Abschottung ist keine Lösung in einer Zeit, in der die Welt enger
zusammenrückt. Wir müssen Europa stärker machen, um Frieden und Freiheit, Sicherheit und
Wohlstand zu bewahren und zu ermöglichen.
Heute sehen wir: Nach dem Siegeszug der Demokratie von 1989 und 1990 sind in vielen
Teilen der Welt liberale Errungenschaften bedroht. Wir lassen uns in Deutschland dadurch
nicht entmutigen. Wir sind vielmehr bereit, Verantwortung zu übernehmen und
Menschenrechte zu verteidigen, gemeinsam mit unseren Partnern. Als Deutsche, die im
Ausland leben, sind Sie Botschafter unseres demokratischen weltoffenen Landes. Lassen Sie
uns zusammen auch in Zukunft für das eintreten, wofür die Menschen während der
Friedlichen Revolution auf die Straße gegangen sind: für Freiheit, Demokratie und die
Herrschaft des Rechts.
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In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich aus Berlin, der Hauptstadt unseres seit 26 Jahren
wiedervereinigten Landes!