28 PROJEKTE g.o.a.l. – ERSTE SCHRITTE ZUR ENTWICKLUNG EINER GESUNDEN ORGANISATION Timo Marks Anna Peck Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, ifaa Die Abkürzung g.o.a.l. steht für „Gesunde Organisation – Strategien zur Förderung der Leistungsfähigkeit von Beschäftigten. Dieses vom ifaa und weiteren Kooperationspartnern in fünf M+E- sowie Chemieunternehmen durchgeführte Projekt sollte Erfahrungen darüber sammeln, wie sich ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) etablieren lässt. BGM kann Unternehmen dazu verhelfen, zu einer gesunden Organisation zu werden. Dieser Artikel informiert darüber, welche Schritte und Ressourcen hierfür erforderlich sind und welchen Nutzen Unternehmen davon haben. Was sind gesunde Organisationen? Laut National Health Institute for Occupational Safety and Health sind es Unternehmen, „deren Kultur, Klima und Prozesse Bedingungen schaffen, die die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter ebenso fördern wie ihre Effizienz“. Es gibt viele Gründe für ein Unternehmen, sich zu einer gesunden Organisation zu entwickeln. Kernprozesse definieren den Wert eines Unternehmens. Firmen muss deshalb im Interesse ihrer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit daran gelegen sein, sie aufrechtzuerhalten. Das gelingt nur mit nachhaltig leistungsfähigen und gesunden Mitarbeitern. Aus diesem Grund beschäftigen sich viele Unternehmen freiwillig und auch über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinaus mit der Gesundheit ihrer Belegschaften. Ihr Ziel ist es, zu einer gesunden Organisation zu werden und es zu bleiben. Sie arbeiten dabei mit der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) oder dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Dieser Artikel legt den Fokus auf das BGM. Gesunde Organisationen sind eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des gesamten Industriestandortes Deutschland. Was kann Betriebliches Gesundheitsmanagement leisten? Betriebliches Gesundheitsmanagement ist eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber. Deshalb sollte BGM die Eigenverantwortung der Mitarbeiter für die eigene Gesundheit fördern und stärken. Unterneh- men können Mitarbeiter dabei unterstützen, an ihrer Leistungsfähigkeit zu arbeiten, indem sie BGF-Maßnahmen, wie beispielsweise Betriebssport oder medizinische Vorsorgeuntersuchungen, anbieten. Beim BGM gilt es, die Ursachen zu verstehen und im Sinne eines Management-Prozesses geeignete Maßnahmen abzuleiten. Wenn BGM nachhaltig systematisch in die bestehende Prozesse und andere Arbeitsbereiche (siehe Abbildung 1) integriert wird, kann es sowohl dem Arbeitgeber als auch den Beschäftigten auf vielfältige Weise nutzen. Was ist Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)? Darunter versteht man das planvolle Steuern eines Prozesses zur Erarbeitung sowie zur Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen zur Gesundheitsprävention und -förderung in einem Unternehmen. Teilprozesse sind dabei die strategische und operative Planung, die Organisation, die Steuerung der Umsetzung, die Kontrolle der Ergebnisse sowie die Fortentwicklung von BGM (Wienemann, 2002). Arbeitgeber können langfristig von leistungsfähigeren und motivierten Mitarbeitern profitieren. Das steigert nachweislich die Wettbewerbsfähigkeit. Ein Betriebliches Gesundheitsmanagement kann auch dazu beitragen, die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu steigern und die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. Eine verbesserte Gesundheit bringt den Beschäftigten eine bessere Lebensqualität. Sie kann auch zu erhöhter Motivation und Zufriedenheit beitragen. Wer im Arbeitsleben leistungsfähig ist, wird dies auch beim Renteneintritt sein. Tabelle 1 fasst die Vorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen. BETRIEBSPR A XIS & ARBEITSFORSCHUNG 220 | 2014 ifaa 29 Das Projekt g.o.a.l. Unternehmensführung Best Practices für ein erfolgreiches BGM stammen mehrheitlich von medienbekannten Konzernen. Es fehlt an entsprechendem Erfahrungswissen in KMU. Deshalb för dern der Europäische Sozialfonds Individuelle und die „Initiative weiter bilden“ Fehlzeiten-‐ Gesundheits-‐ Gesundheits-‐ des Bundesministeriums für Armanagement management kompetenz beit und Sozialordnung seit 2012 das Qualifizierungsprojekt „g.o.a.l. – Gesunde Organisation. Strategi en zur Förderung der LeistungsfäGesundheits-‐ Personal-‐ higkeit von Beschäftigten“. Dieses management angebote vom Institut für angewandte Ar beitswissenschaft durchgeführte Projekt sollte ein BGM-Konzept für KMU entwickeln und erproben. g.o.a.l. begleitete über einen Zeitraum von 2,5 Jahren hinweg fünf Abb. 1: Handlungsfelder im Betrieblichen Gesundheitsmanagement KMU aus der Metall- und Elektroindustrie und der Chemiebranche bei der Konzeption und ImplementieTrotz der Vorteile ist Betriebliches Gesundheitsmanagerung von organisationsindividuellen Gesundheitsmament sicherlich nicht für alle Unternehmensgrößen nagementsystemen. Aktive Kooperationspartner sind gleichermaßen geeignet, sondern eher für große (> 250 die Hochschule Fresenius – Fachbereich Wirtschaft Beschäftigte) und auch mittlere Unternehmen (zwiund Medien GmbH, NORDMETALL Verband der Meschen 50 und 249 Beschäftigten, Definition laut HGB tall- und Elektro-Industrie e. V., Nordostchemie, das §§ 267 und 267a). Für Kleinstunternehmen und kleine Bildungswerk der Wirtschaft GmbH und das BildungsUnternehmen ist es wichtig, nicht in Aktionismus zu werk Nordostchemie e.V. verfallen, sondern zunächst die gesetzlichen Arbeitsschutzanforderungen zu erfüllen. Darauf aufbauend können gegebenenfalls strukturiert (auf Ursachen baDas Projekt gliederte sich in vier Phasen sierend) Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsför(siehe Abbildung 2): derung als Ergänzung angeboten werden. 1. Sensibilisierungsphase: In dieser ersten Phase des Projekts wurden das Managementteam, Führungskräfte Tabelle 1: Vorteile von BGM auf einen Blick (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, 2013) und der Betriebsrat für Betriebliches Gesundheitsmanagement sensibilisiert Vorteile für Arbeitgeber Vorteile für Arbeitnehmer (Aspekte wie RollenverDie Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter Der Gesundheitszustand bessert sich. ständnis, eigene Verantwird gesichert. Gesundheitliche Risiken sinken. wortung und Ablauf des Projekts), um so eine Durch weniger Krankheits- und Produk- Arztbesuche können reduziert werden. Grundlage für die Projekttionsausfälle können Kosten gesenkt arbeit zu schaffen. werden. Arbeits-‐ schutz Arbeits-‐ gestaltung Das Image (Arbeitgeberattraktivität) des Unternehmens wird aufgewertet. Gesundheitliche Rahmenbedingungen im Unternehmen werden verbessert. Produktivität und Qualität steigen. Belastungen werden reduziert. Die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Die Lebensqualität bessert sich. Die Identifikation mit dem Unternehmen steigt, und dadurch auch die Motivation der Mitarbeiter. Die eigene Leistungsfähigkeit bleibt erhalten oder kann sogar verbessert werden. Die Arbeitszufriedenheit erhöht sich, und das Betriebsklima verbessert sich. BETRIEBSPR A XIS & ARBEITSFORSCHUNG 220 | 2014 2. Realisierungsphase: In der zweiten Phase, die einen Großteil des Projekts ausmacht, wurden in den Unternehmen sogenannte „Multiplikatoren-Teams“ zu verschiedenen Themenfeldern des Betrieblichen Gesundheitsmanagements qualifiziert. 30 PROJEKTE g.o.a.l. – ERSTE SCHRITTE ZUR ENTWICKLUNG EINER GESUNDEN ORGANISATION Im Anschluss an die Qualifizierungsmaßnahmen wurden in den Unternehmen durch die Multiplikatoren Umsetzungsprojekte initiiert. Auf diese Weise wird das Wissen der Multiplikatoren in den Unternehmen verbreitet. duellen Erfahrungen diskutieren und voneinander lernen zu können, finden regelmäßig branchenübergreifende Erfahrungsaustäusche statt, um entstandenes Wissen in andere Unternehmen zu transferieren. 3. Stabilisierungsphase: In der Stabilisierungsphase spielt das Monitoring des Konzeptes eine zentrale Rolle: Hier geht es um die Umsetzung der BGF-Maßnahmen, die Aktionen, den Fortschritt der arbeitsorganisatorischen Veränderungen etc. Diese Phase ist sehr wichtig, sie wird aber erfahrungsgemäß von Unternehmen nicht selten vernachlässigt. Die Ergebnisse des Monitorings dienen dazu, gegebenenfalls Konzeptanpassungen vorzunehmen. Um die unternehmensindivi- 4. Die gesunde Organisation: Ziel von g.o.al. war es von Anfang an, einen Rahmen zu schaffen, der als langfristige Basis zur Entwicklung einer gesunden Organisation dient. Hierzu zählen das Betriebliche Gesundheitsmanagement und die Omnipräsenz von Gesundheitsthemen. Gesunde Organisationen integrieren BGM in bestehende Prozesse und Strukturen. So gelingt es ihnen, BGM im organisatorischen Tagesgeschäft kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern. Diese vierte Phase beinhaltet für die Unternehmen dauerhafte und konsequente Organisationsentwicklungs-Arbeit. Dies verdeutlicht den Nachhaltigkeitscharakter des Projektes g.o.a.l. Gesunde Organisation Sensibilisierungsphase Bewusstseinswandel Realisierungsphase Qualifizierung und Implementierung Stabilisierungsphase Vernetzung der Einzelmaßnahmen Die gesunde Organisation Kontinuierliche Entwicklung des BGM Reifegrad Abb. 2: Vier Phasen des Projekts g.o.a.l. Jahr 2014 Jahr 2013 Jahr 2012 Mgt. FŸ hrung Das Schulungskonzept ist an den vierstufigen Projektaufbau angelehnt. In der Sensibilisierungsphase fand ein Gesundheits-Visions-Workshop statt, an dem die drei oberen Ebenen der Unternehmenspyramide (s. Abbildung 3), Management, Führungskräfte und Betriebsrat, teilnahmen. Ziel dieses Workshops war es, gemeinsam auf Basis einer zuvor erstellten Analyse zum Ausgangszustand des Unternehmens eine Gesundheitsvision zu entwickeln. Diese Vision sollte die Ziele umfassen, die mit der Entwicklung zu einer gesunden Organisation verbunden sind. Auf Basis der Vision wurde im nächsten Schritt ein passender Schulungsplan zusammengestellt. In der Realisierungsphase wurden die Multiplikatoren und andere Unternehmensvertreter zu verschiedenen Themen geschult. Themen waren hier beispielsweise Demografie-Management, Lebenssituationsspezifische Arbeitszeitmodelle, Betriebliches Eingliederungsmanagement, Psychische Belastung und Gesundheitsmarketing. Im Nachgang zu den Schulungen wurden Kennzahlen mit Blick auf die Gesundheitsvision formuliert, um Betriebsrat Multiplikatoren Mitarbeiter © ifaa – Projektvorstellung g.o.a.l. – Düsseldorf – 2013 Abb. 3: Schulungskonzept Das Schulungskonzept 4 BETRIEBSPR A XIS & ARBEITSFORSCHUNG 220 | 2014 ifaa 31 so bei der Umsetzung von Teilprojekten zu den verschiedenen Themen Veränderungen messen zu können. Die bei den Workshops erarbeitete Gesundheitsvision soll für Führungskräfte und Mitarbeiter auch über das Projekt hinaus als Orientierung dafür dienen, wohin die Reise gehen soll. Denn es hat sich gezeigt, dass für die Entwicklung einer gesunden Organisation viel Zeit benötigt wird, da sich alte Gewohnheiten und Verhaltensmuster nicht von heute auf morgen ändern. Umsetzung durch die Multiplikatoren Ziel des Projektes: Die teilnehmenden Unternehmen sollen sich langfristig ohne externe Unterstützung zu einer gesunden Organisation entwickeln. Hierzu wurden die Multiplikatoren über 1,5 Jahre qualifiziert. Zukünftig werden sie ihr Wissen an die Mitarbeiter im Unternehmen weitergeben. Wichtigste Erfolgsvoraussetzung dabei: Die Multiplikatoren brauchen die Akzeptanz und die Unterstützung der Geschäftsleitung und der direkten Vorgesetzten. Fehlt die nötige Rückendeckung, so ist es schwierig oder sogar unmöglich für die Multiplikatoren, den Veränderungsprozess in Richtung einer gesunden Organisation anzustoßen und zu realisieren. Multiplikatoren sollten sorgfältig nach Eignung ausgesucht werden. Sie sollten • durchInteresseanGesundheitsthemenmotiviertsein, • durch ihre gute Integration und Sozialkompetenz eine Vorbildfunktion im Unternehmen haben, • Interessedaranhaben,Wissenzuvermittelnund • bereitsein,eineLotsenfunktionzuübernehmen. Im Multiplikatoren-Team sollten Beschäftigte und Führungskräfte aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen – beispielsweise aus Betriebsrat, Produktion und Verwaltung – zusammenarbeiten. Multiplikatoren müssen wissen, welche Ziele die Geschäftsführung mit der Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements verfolgt und wie sie die Rolle und Befugnisse der Multiplikatoren definiert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Multiplikatoren Rahmenbedingungen wie das Budget, die erforderlichen zeitlichen Ressourcen und die gewünschte Frequenz der Berichte an die Geschäftsleitung kennen sollten. Vor allem ist dabei zu beachten, dass die Multiplikatoren ihre Aufgaben zusätzlich zum Tagesgeschäft erledigen müssen. Um das langfristige Ziel einer gesunden Organisation nicht aus den Augen zu verlieren, sollte sich das Unternehmen regelmäßig Meilensteine setzen und Erfolge im Rahmen von BGM feiern. Dies motiviert auch die Multiplikatoren. BETRIEBSPR A XIS & ARBEITSFORSCHUNG 220 | 2014 Fazit nach knapp zwei Jahren Laufzeit des Projektes g.o.a.l.: Es war aufwändig und zeitintensiv, Rahmenbedingungen für die gesunde Organisation zu definieren. Insbesondere mussten die Unternehmensführungen regelmäßig wieder für BGM sensibilisiert und an den Zusammenhang von Gesundheit und Wettbewerbsfähigkeit erinnert werden. Dies ist aber eine notwendige Voraussetzung für die Initiierung der Entwicklung zu einer gesunden Organisation. Literatur Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.): Betriebliche Gesundheitsförderung – Vorteile, 2013, verfügbar unter http://www.bmg.bund.de/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung/vorteile.html National Institute of Occupational Safety and Health – NIOSH, in Loewe, G. S., Building healthy organizations takes more than simply putting in a wellness program. Toronto: Canadian HR Reporter, 2003, verfügbar unter: http://www.grahamlowe.ca/documents/83/Building %20hlthy%20orgs%202003-09-08%20CHRR.pdf Wienemann, E.: Betriebliches Gesundheitsmanagement. Referat zum 1. Kongress für betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz „Gesünder arbeiten in Niedersachsen“, Braunschweig 2002, verfügbar unter: http://www.wa.uni-hannover.de/wa/konzepte/ WA_BGMKonzept.pdf >>> Autoren-Kontakt Timo Marks M. Sc. Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V., ifaa Tel.: +49 211 542263-42 E-Mail: [email protected] Anna Peck M. Sc. Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V., ifaa Tel.: +49 211 542263-21 E-Mail: [email protected]
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