Bundesministerium für Inneres Herrengasse 7 1010 Wien per E-Mail: [email protected] [email protected] Zl. 13/1 16/140 BMI-LR1330/0013-III/1/c/2016 VO der Bundesregierung zur Feststellung der Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit Referent: Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in Wien Sehr geehrte Damen und Herren! Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) dankt für die Übersendung des Entwurfes und erstattet dazu folgende S t e l l u n g n a h m e : I. Vorbemerkung: Der österreichische Rechtsanwaltskammertag hat bereits in seiner Stellungnahme zur letzten Novelle des Asyl- und Fremdenrechts (BGBl I Nr. 24/2016) darauf hingewiesen, dass - - die unionsrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der nun in Rede stehenden Verordnung nicht vorzuliegen scheinen; der österreichischen Anwaltschaft die Voraussetzungen für die Annahme einer „Bedrohung“ bzw. „Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung und Sicherheit keinesfalls vorzuliegen scheinen und der einfachgesetzlichen Grundlage für die hier in Rede stehende Verordnung – nämlich § 36 Abs 1 AsylG 2005 (in der nun geltenden Fassung) Kriterien für die Annahme einer derartigen Gefährdung fehlen, was angesichts der Tragweite der vorgesehenen Regelungen rechtspolitisch bedenklich scheine. Auf diese Bedenken sei ausdrücklich noch einmal verwiesen, zeigen doch der Verordnungsentwurf, vor allem aber die – unten näher behandelten – Erläuterungen hiezu unter anderem deutlich, wie sehr es der einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage an jeder Determinierung für eine solche VO mangelt. II. zur geplanten VO an sich 1. Allgemein Generell ist festzuhalten, dass § 36 Abs1 AsylG 2005 idgF die zu treffende Feststellung, „dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind“ in keiner Weise determiniert. Der Abs 2 leg.cit. sieht lediglich vor: „Die Feststellung, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind, hat die Bundesregierung gegenüber dem Hauptausschuss des Nationalrates schriftlich zu begründen. Dabei ist besonders auf die Anzahl von Fremden, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, und auf jene staatlichen Systeme einzugehen, deren Funktionieren durch die aktuellen Migrationsbewegungen beeinträchtigt wird.“ Weder wird in dieser Bestimmung eine konkrete Zahl (etwa von Fremden, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen) noch sonst irgendein konkretes Merkmal definiert, an dem sich die nun in Rede stehende Feststellung messen ließe, geschweige denn, dass solche Determinanten gesetzlich (und sohin verbindlich) festgelegt wären. Selbst die hier vorgesehene Begründung ist kaum näher determiniert, werden doch bloß demonstrativ zwei Faktoren hervorgehoben, welche weiteren Faktoren oder Maßstäbe an die Notwendigkeit einer solchen VO anzulegen wären, bleibt im Dunkeln. Damit ist und bleibt völlig(!) unklar, an welchen Kriterien sich eine Maßnahme orientieren soll(te), die – wie schon in der Diskussion um die einfachgesetzliche Grundlage der hier in Rede stehenden VO vielfach festgehalten – eine maßgebliche Abweichung von unionsrechtlichen Bestimmungen darstellt bzw. unmittelbar zur Folge hätte. Soweit in Folge auf die „Begründung gemäß § 36 Abs. 2 AsylG 2005“ eingegangen wird, geschieht dies daher mit dem Hinweis, dass dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag weder eine verbindliche Determinierung für die Annahme der festzustellenden Gefährdung bekannt ist, noch die bisherigen Bedenken ausgeräumt erscheinen, was die unionsrechtliche, aber auch verfassungsrechtliche Grundlage der geplanten Vorgangsweise betrifft. 2. Zur Begründung im Einzelnen Zunächst sei darauf verwiesen, dass in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2016 die Zahl von neuen Asylwerbern gegenüber dem Vorjahr signifikant zurückgegangen ist, sodass mittlerweile zahlreiche Großquartiere, die in jüngerer Vergangenheit geschaffen wurden, geschlossen werden konnten und zugleich mehrere tausend Unterbringungsplätze zusätzlich zur Verfügung stehen würden. Pars pro toto sei ein aktueller Bericht der Tageszeitung „Der Standard“ vom 27.09.2016 zitiert („AsylUnterkünfte: was nach dem Quartiernotstand kam“): „8000 freie Plätze gibt es laut Innenministerium in Österreich“. 2 Zudem betreffen die von der Bundesregierung behandelten einzelnen Bereiche der Verwaltung in Wahrheit nur einen Bruchteil des Verwaltungswesens in seiner österreichischen Gesamtheit. Unverändert kann und muss festgehalten werden, dass in weitaus größeren Bereichen der österreichischen Verwaltung (Finanzverwaltung, Baupolizei, Lebensmittelpolizei, Gewerberecht, Justizverwaltung, Gesundheitsverwaltung uvm.) nach den Wahrnehmungen der österreichischen Rechtsanwaltschaft praktisch keine merkbaren Veränderungen (die durch einen hohen Zustrom von Asylwerbern erklärbar wären) feststellbar sind. Schon allein deshalb scheint die in der geplanten VO beabsichtigte Feststellung nicht gerechtfertigt. Unstrittig ist, dass es insbesondere im Bereich des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zum Teil auch in den im Instanzenzug nachfolgenden Bereichen des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu einem hohen, im Bereich des BFA nur mehr schwer zu bewältigenden, Arbeitsanfall gekommen ist und zT nach wie vor kommt. Dies liegt aber keineswegs allein an der Zahl der neu gestellten Anträge, sondern zu einem guten Teil an anderen Faktoren (wie schon mehrfach vom ÖRAK aufgezeigt, führt zB die überbordende Legistik im Bereich des Asyl- und Fremdenwesens zu erheblichen Unsicherheiten in der Rechtsanwendung und zu einem erheblichen und ständigen Bedarf an Neueinschulungen und Nachschulungen, der nicht unwesentliche Teile des Personals – ständig – bindet). Dass die Abarbeitung der hohen Zahl von Anträgen insb. aus dem Jahr 2015 mit herkömmlichen Methoden durch das BFA nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung möglich sein wird, entspricht zwar auch den Erfahrungen der in diesem Bereich tätigen KollegInnenschaft. Angesichts der Tatsache, dass rund 2/3 dieser Anträge von Angehörigen von nur drei Nationen (Syrien, Afghanistan, Irak) eingebracht wurden, in die - bei an sich hoher Schutzquote - selbst im Fall negativer Verfahrensausgänge Abschiebungen derzeit und bis auf weiteres kaum (Irak, Afghanistan) bzw. gar nicht (Syrien) möglich scheinen, sei aber darauf verwiesen, dass es Österreich in der jüngeren Vergangenheit (nämlich im Umgang mit Kriegsflüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina) schon einmal gelungen ist, eine ganz erhebliche Zahl von Betroffenen „aus dem Asylsystem herauszulösen“, indem für sie mit generellen Bestimmungen ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nebst gesetzlichen Begleitmaßnahmen geschaffen wurde. In der vorliegenden Begründung wird auf diese Möglichkeit nicht weiter eingegangen, sodass selbst für den hier in Rede stehenden, unmittelbar betroffenen Bereich von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit jene Alternativlosigkeit, die unionsrechtlich wohl für ein Abgehen von unionsrechtlich sonst bindenden Bestimmungen unerlässlich wäre, nicht dargetan scheint. Geradezu unverständlich scheint die im Zusammenhang mit der Belastung des Verwaltungsgerichtshofs aufgestellte Behauptung, es wäre „davon auszugehen, dass sich diese Tendenz im Jahr 2016 fortsetzen wird und der Neuanfall in Asylsachen für einen längeren Zeitraum auf einem höheren Niveau verbleiben wird, zumal anzunehmen ist, dass auch die jüngste Novelle im Asyl- und Fremdenrecht, BGBl I Nr. 24/2016, zu einer weiteren Steigerung des Anfalls in Asylsachen führen wird“: die in BGBl I Nr. 24/2016 enthaltenen Regelungen bilden u.a. die einfachgesetzliche Grundlage für die hier in Rede stehende VO und sehen – allerdings erst ab 3 Erlassung derselben! – weitreichende Abweichungen vom Unionsrecht vor. Geteilt wird zwar die Annahme, dass solche weitreichenden Abweichungen zu einem Anstieg von Verfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und insb. bei den Höchstgerichten führen werden. Es scheint aber schon logisch unzulässig, die Notwendigkeit der hier in Rede stehenden VO mit Folgen eben derselben zu begründen. Sinngemäßes gilt für die Mehrbelastung des VfGH. in der Begründung dargelegte (prognostizierte) Zu diesen beiden Höchstgerichten sei im Übrigen festgehalten, dass die in Rede stehenden finanziellen Mehrbelastungen keinesfalls in der Lage scheinen, unionsrechtlich eine Rechtfertigung iSd Art 72 AEUV zu bilden, stellen doch die hier genannten Beträge nicht einmal Prozentpunkte der für diese Einrichtungen schon jetzt vorgesehenen Gesamtbudgets vor. Andere (wenn auch so nicht vorhersehbare) Einzelverfahren wie etwa jenes um die Stichwahl zum Amt des Österreichischen Bundespräsidenten, dürften am Verfassungsgerichtshof zudem einen vergleichbar hohen Arbeitsanfall bewirkt haben, wie die hier ins Treffen geführten Verfahren in Asylsachen. Zur Begründung betreffend die Schaffung von Unterbringungsplätzen und die mit Großquartieren verbundene Gefahr von Konflikten sei nochmals darauf verwiesen, dass – dies darf wohl als notorisch vorausgesetzt werden – gerade in den letzten Wochen zahlreiche dieser Großquartiere geschlossen werden konnten. Im weiteren Verlauf der Begründung ist generell festzustellen, dass über weite Strecken zwar eine Massierung von unbestimmten Adjektiven wie „enorm“, „massiv“, „(d)ramatisch“ u.a. sowie von Steigerungsformen und Superlativen zu finden ist, kaum jedoch konkrete, nachvollziehbare Zahlen, die die in der geplanten VO getroffene Feststellung (unionsrechtlich und innerstaatlich) zu tragen bzw. zu rechtfertigen in der Lage wären. Zudem fehlt bei den wenigen konkret genannten Beträgen jeweils der Vergleich zu den jeweiligen Gesamtbudgets für die einzelnen Bereiche. Im Einzelnen sei hiezu hervorgehoben: - Die für den Gesundheitsbereich dargestellten Mehrkosten (für das Jahr 2017 wird ein Betrag von 10,75 Mio. Euro prognostiziert) scheinen mit Blick auf das gesamte Jahresbudget für diesen Bereich (rund 1,5 Mrd. Euro) einem Anteil von ca 0,7 % zu entsprechen. - Die für den Bereich „Bildung“ dargestellten zusätzlichen Belastungen sind wegen des Fehlens valider Zahlen überhaupt kaum zu beurteilen; festgehalten sei, dass sich diese Mehrbelastungen gemessen am Gesamtbudget für die Bildung in Österreich ebenfalls deutlich unterhalb eines Prozents bewegen dürften. - Den Ausführungen zum Bereich „Integration“, konkret zu den Bereichen „Bildungsbereich, dem Arbeitsmarkt und dem Wohnraum“ fehlen konkrete Zahlen entweder überhaupt zur Gänze, oder sie sprechen von Prognosen, die 4 einen Anstieg der Arbeitslosigkeit von 0,2 % erwarten lassen – dies liegt nur mehr knapp oberhalb des überhaupt Messbaren, eine nachvollziehbare Herleitung, dass dieser (erwartete) Anstieg allein oder überwiegend der hohen Zahl von Asylwerbern in Österreich geschuldet wäre, fehlt der Begründung im Übrigen völlig. - Unter dem Titel „Sicherheits- und Strafvollzugsbereich“ werden zwei völlig verschiedene Gruppen - „Asylwerber“ und „fremde Staatsangehörige“- ins Treffen geführt, wobei für letztere nicht einmal eine Unterscheidung in Unionsbürger und Drittstaatsangehörige getroffen wird. Einige der unter diesem Titel genannten Mängel im Strafvollzug sind zudem alles andere als erst im Jahr 2015 entstanden, mit anderen Worten: ganz offenkundig nicht dem Zustrom von Asylwerbern, sondern anderen Faktoren geschuldet. - Die unter dem Titel „Belastung des Staatshaushaltes“ getroffene Annahme, „dass sich die Kosten im Asylbereich im Jahr 2016 voraussichtlich auf rund 2 Milliarden Euro belaufen werden“ ist mangels jeglicher Aufschlüsselung (die Addition der im Einzelnen genannten Zahlen ergibt Werte, die je nach Berechnung bis zum Faktor 1/100 unterhalb dieser Zahl liegen) nicht nachvollziehbar. Bemerkt sei freilich, dass andere Aufwendungen wie etwa geschätzt 12 Mrd. Euro allein für die Bewältigung der Folgen rund um die „Hypo-Alpe-Adria“ von der Bundesregierung budgetiert wurden und werden, ohne dass die Einhaltung der Fiskaldisziplin in Frage gestellt würde, wobei zu berücksichtigen ist, dass die im Zusammenhang mit der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen aufgewendeten Mittel der öffentlichen Hände größtenteils unmittelbar in den Kreislauf der österreichischen Binnenwirtschaft gelangen (was von den Aufwendungen unter dem Stichwort „Hypo“ angesichts der Gläubigerstruktur kaum behauptet werden kann). Tatsächlich fehlt es der Begründung an jeder volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung, maW werden prognostizierten Ausgaben keinerlei damit verbundene, zu erwartende Einnahmen (genannt seien hier nur die Mehrwertsteuer und lohnabhängige Steuern) gegenüber gestellt. Sofern die hier in Rede stehenden budgetären und sonstigen Mehrbelastungen für die öffentlichen Hände überhaupt die mit der vorliegenden VO verbundenen Abweichungen zu rechtfertigen in der Lage wären, würde dies aber wohl nur für den tatsächlichen „Nettoabgang“ gelten, nicht aber für die von der Bundesregierung isoliert dargestellten einzelnen – prognostizierten – Mehrausgaben. - Die Begründung der Bundesregierung im Zusammenhang mit „Leistungen für Familie und Jugend“ steht schließlich pars pro toto für die gesamte gewählte Vorgangsweise: gleich mehrere Annahmen werden – ohne weitere Begründung! – postuliert, ohne dass dafür ein konkreter Beleg ins Treffen geführt wird, am Ende werden sogar Kosten für die „Anrechnung von Pensionszeiten für Kindererziehungszeiten“ im Zusammenhang mit einer Gruppe ins Treffen geführt, die momentan größtenteils nicht einmal Zugang zum Arbeitsmarkt, geschweige denn zum Pensionssystem hat (soweit es sich allerdings um Hochrechnungen für die Zukunft handeln sollte, würde diesen wiederum jede nachvollziehbare Grundlage fehlen). 5 Nicht nachvollziehbar scheint schließlich, dass die Darstellung der Situation in den österreichischen Bundesländern sich auf lediglich fünf derselben beschränkt. Der ÖRAK hält daher abschließend fest, dass - der Zustrom einer hohen Zahl von Asylwerbern insb. im Jahr 2015, aber auch – wenn auch bereits deutlich reduziert – im Jahr 2016 zu einer deutlichen und zum Teil noch anhaltenden Mehrbelastung in einigen ganz bestimmten Bereichen der österreichischen Verwaltung geführt hat, - diese Belastungen aber insgesamt nur einen vergleichsweise kleinen Teil der öffentlichen Verwaltung in Österreich betreffen und - die rechtlichen Voraussetzungen dafür, mit der nun vorliegenden VO iVm den mit BGBl I Nr. 24/2016 getroffenen gesetzlichen Regelungen ganz erheblich von unionsrechtlichen – und an sich in Österreich zwingend anzuwendenden – Bestimmungen abzugehen, auf Basis der hier vorliegenden Begründung schon aus den oben dargestellten Gründen kaum argumentierbar scheinen. Angeregt wird daher, die vorliegende VO nicht zu erlassen. Wien, am 5. Oktober 2016 DER ÖSTERREICHISCHE RECHTSANWALTSKAMMERTAG Dr. Rupert Wolff Präsident 6
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