Gott und die Welt Autor/-in: Jürgen Buch Sendedatum

Abteilung:
Sendereihe:
Sendedatum:
Produktion:
Kirche und Religion
Gott und die Welt
02.10.2016
26.09.2016
Redaktion:
Autor/-in:
Sendezeit:
Anne Winter
Jürgen Buch
9.04-9.30 Uhr/kulturradio
9.15-17.00 Uhr/T9
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GOTT UND DIE WELT
Nichts als Schatten, Staub und Wind
Andreas Gryphius und die Gottergebenheit
Sprecher: Alexander Khuon
Zitator:
Alexander Radszun
Regie:
Roman Neumann
2
Musik: Kantate für Sopran und Klavier, (Instrumental)
Atmo: Uhrwerk aufziehen .
Zitator:
Umringt mit höchster Angst, vertieft in grimme Schmerzen,
Bestürzt durch Schwert und Feuer, durch liebster Freunde Tod…
Atmo: Uhrwerk schlägt
O-Ton Antje Zeiger
Beim letzten Geräusch sind wir praktisch am 23. Mail 1618 angelangt, beim
Prager Fenstersturz…
Zitator:
Durch Blutverwandter Flucht und Elend, da uns Gott
Sein Wort, mein Licht, entzog;
O-Ton Antje Zeiger
…beim Prager Fenstersturz, der allgemein als das auslösende Ereignis für den
30jährigen Krieg gilt.
Zitator
als toller Freunde Scherzen,
Als falscher Zungen Neid drang rasend mir zu Herzen,
Schrieb ich, was jetzt kommt vor; mir zwang die scharfe Not
Die Feder in die Faust.
3
Ansage:
Nichts als Schatten, Staub und Wind.
Andreas Gryphius und die Gottergebenheit.
Eine Sendung von Jürgen Buch
O-Ton Borgstedt
Er stammt aus einem Pfarrerhaushalt, er ist früh Waise gewesen, sein
Halbbruder war Prediger, sein Vater war ein auch als sprachgewaltig bekannter
lutherischer Prediger, sein Stiefvater war Lehrer, also er kam aus einem
Bildungskontext und er war mit den konfessionellen Repressionen biographisch
betroffen, insofern er im Laufe seines Lebenswegs auch ins Exil gehen musste,
flüchten musste, in frühen Jahren, schon als Jugendlicher.
Sprecher:
Die Heimatstadt Glogau brennt kurz vor der Geburt von Andreas Gryphius ab. So
kommt er am 2. Oktober 1616 zur Welt. Andreas Gryphius ist das jüngste Kind aus
der dritten Ehe seines Vaters Paul und dessen Frau Anna Erhard. Die Familie war
1602 von Thüringen ins schlesische Glogau gezogen.
In seinem Geburtsjahr kommt es in Glogau zu den ersten gewaltsamen
Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken. Die Lutheraner
rebellieren gegen den katholischen Landeshauptmann, der den Bau einer Schule
verbietet. Gryphius‘ Vater führt den Aufstand an, der Landeshauptmann muss fliehen.
Atmo: Uhrwerk schlägt
O-Ton Antje Zeiger
Was wir aber tatsächlich gehört haben, ist der Mechanismus einer Einzeigeruhr
aus dem 17. Jahrhundert.
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Sprecher:
Antje Zeiger, Leiterin des Museums des 30jährigen Krieges. Das Uhrwerk im
Wittstocker Museum nennt sie einen akustischen Fahrstuhl durch die Zeit.
O-Ton Antje Zeiger
Hier sind wir beim Alltag der einfachen Menschen, der geprägt war von den
durchziehenden Heeren und natürlich auch von der Sorge um die tägliche
Ernährung.
Sprecher:
Schon die ersten Kriegsjahre treffen auch Schlesien. Der protestantische böhmische
König Friedrich V. sucht 1621 in Glogau Schutz. Bevor er weiterzieht, presst er seinen
eigenen Glaubensbrüdern den Kirchenschatz ab. Gryphius Vater stirbt kurz darauf an
Herzversagen.
Mutter Anna heiratet 1622 erneut, den Lehrer Michael Eder. Im selben Jahr
verwüsten 8.000 Söldner des habsburgischen Kaisers Glogau. Der Landeshauptmann,
von den Protestanten vertrieben, kehrt zurück und lässt Tausende zwangsweise
katholisieren. Wer sich weigert, wird ausgewiesen, auch Gryphius neuer Stiefvater.
Kinder unter 15, wie Andreas, müssen bleiben.
O-Ton Theater [polnisch]:
Ich verfüge die Rückgabe der Kirche an ihre rechtmäßigen Besitzer, die
Katholische Kirche, den einzig wahren Glauben! Jeder, der sich widersetzt, wird
ausgewiesen! [jetzt setzt Stimmengewirr ein, Schlagzeug, Gitarre, Mann liest
weiter]
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Sprecher
So inszeniert das Laientheater Glogau die Ausweisung in einem Stück über den
Dichter Andreas Gryphius:
O-Ton Antje Zeiger
Wir haben im 30jährigen Krieg noch die Ausläufer einer kleinen Eiszeit, die seit
dem Mittelalter zu verzeichnen war, zu spüren. Und damit natürlich wirklich
Ernteausfälle zu den durchziehenden Truppen, die Heuschreckenschwärmen
vergleichbar das eingezogen haben, was sie kriegen konnten.
Sprecher:
In Glogau wütet die Pest. Es gelingt der Familie, den knapp 12 Jahre alten Andreas
aus der Stadt ins Exil, nach Driebitz, nachzuholen. Als er ankommt, stirbt seine Mutter.
Der Stiefvater heiratet die gerade 18jährige Maria Rißmann. Der junge Gryphius
erlebt, wie die ersten Kinder dieser Ehe zur Welt kommen – doch alle sterben, kaum
geboren.
Musikakzent: Nr. 3 Friede:
Sprecher:
Zwei Jahre lang wird Gryphius zu Hause unterrichtet, denn es gibt keine Schule für
lutherische Kinder. Er soll nach Görlitz zur Schule gehen und macht sich mit 14 alleine
auf den Weg durchs Kriegsgebiet. Doch die Lage ist unruhig und er sucht Schutz bei
seinem älteren Halbbruder Paul, der in Rückersdorf Pfarrer ist. Dann gelangt er ins
polnische Fraustadt. Die Schule nimmt ihn auf, und er wird bei einem Arzt einquartiert.
Gryphius sieht, wie Frau und fünf Kinder an der Pest sterben. Der Hausherr überlebt –
von der Pest gelähmt.
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„Umringt mit höchster Angst, verteuft in grimme Schmerzen“ … In dieser nicht enden
wollenden Folge von Krieg, Verfolgung, Hunger, Pest findet der junge Schüler
Gryphius seinen Weg zur Dichtkunst.
O-Ton Michal Wnuk, Ausschnitt aus Theaterprobe:
Ich will Kontrast zeigen zwischen einem Streber und einem wirklich
intelligenten Menschen….
Sprecher:
Ein Glogauer Laientheater zeigt seinen Weg als Schüler. Michał Wnuk, der Regisseur.
Forts. O-Ton Michal Wnuk, Ausschnitt aus Theaterprobe:
…Also körperlich eher ungeschickt, aber intellektuell überragt er alle. Wir
nehmen die Schulbücher hervor und lesen, wir blättern, Seite für Seite. Und
dann legen wir die Bücher auf unsere Köpfe. Und bei dem ungeschickten
Gryphius fällt es runter. Also der Lehrer geht wie die Gestapo auf und ab. Eins,
zwei, drei – und bleibt stehen. Du gehst zu dem kleinen Gryphius, ziehst ihn am
Ohr hervor, er streckt die Hand aus, aber langsam, er will ja nicht geschlagen
werden. Beiß die Zähne zusammen – und du ziehst den Stock hervor.
Sprecher:
Ein Herodesepos, auf Latein verfasst, ist eines der ersten Werke des Jugendlichen.
Zitator:
Während die Kriegsposaun‘ die weiten Länder durchraset
Und in Asche verkehrt traurig das Vaterland liegt,
Während vom Himmel das Heer der vielgestaltigen Strafen
Niederbricht und die Welt wüstes Getrümmer bedeckt:
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Flicht mir die Muse ins Haar den düsteren Zweig der Zypresse,
Dass ich der Kinder Tod singe mit klagendem Lied,
Die mit dem Schwerte hinweg Jerusalems Wüterich fegte.
Sprecher:
Im kriegsgeplagten Schlesien gibt es für Andreas Gryphius keine Zukunft. Deshalb
weicht er 1634 nach Danzig aus. Das gehört zur polnischen Krone. Eine neue,
aufregende Welt. Der 18Jährige wohnt bei Alexander von Seton, Admiral der
polnischen Flotte, einem Katholiken aus Schottland. Im Haus sind Diplomaten,
Kaufmänner, Seeleute und polnische Aristokraten zu Gast. Gryphius besucht das
akademische Gymnasium und verehrt seinen Lehrer Peter Crüger. Der Professor für
Poesie kennt den schlesischen Dichter Martin Opitz, der hier, in Danzig, gerade sein
wegweisendes „Buch von der deutschen Poeterey“ verlegt hat. Crüger ist außerdem
Mathematiker und Astronom und macht Gryphius mit den Werken von Kopernikus,
Galilei und Kepler bekannt.
Zitator:
Schau hier des Himmels Bild / dies hat ein Mensch erdacht /
Der doch auf Erden saß, o übergroße Sinnen /
Die mehr denn jemand schaut, durch Forschen nur gewinnen!
Soll dies nicht himmlich sein was selber Himmel macht?
Sprecher:
Gryphius muss beruflich auf eigenen Beinen stehen. Er bewirbt sich bei dem
schlesischen Rechtsgelehrten Georg Schönborner als Hauslehrer für dessen Söhne
Georg Friedrich und Johann Christoph. Er will zurück von der Ostsee in die Heimat.
1636 kommt er bei Schönborner an. Gryphius ist Lutheraner – doch es macht ihm
nichts aus, dass sein Gönner katholisch wird, um Karriere zu machen.
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O-Ton Thomas Borgstedt
Schönborner war in kaiserlichen Diensten und ist zu diesem Zwecke
konvertiert, hat sich offenbar nach seiner Retirierung dann ein Gewissen daraus
gemacht und ist rekonvertiert zum Luthertum, das heißt, er war offensichtlich
auch ein von seinem Gewissen geplagter Mensch, auch er steht für diese
Kompromissbildung innerhalb der schlesischen Führungsschichten, also sich in
dieser politischen Situation irgendwie einzufinden.
Sprecher:
Thomas Borgstedt, Vorsitzender der Andreas-Gryphius-Gesellschaft. Schönborner
hatte ein vielbeachtetes Buch über Staatswissenschaft verfasst. Die Gedanken des
Rechtsgelehrten werden Gryphius‘ Werk ebenfalls prägen. Doch Schönborner stirbt
bereits ein Jahr nach Gryphius Ankunft. Sein Vermächtnis: Gryphius soll seine beiden
Söhne zum Studium ins holländische Leiden begleiten.
Musikakzent: Nr. 3 Friede
Sprecher:
Ende 1637. Gryphius ist Anfang Zwanzig, Inzwischen ist auch seine Stiefmutter
gestorben, sie selbst war auch gerade 25 Jahre alt. Der erste Gedichtband von
Andreas Gryphius erscheint. Ein Sonett daraus wird ihn für Jahrhunderte bekannt
machen.
Zitator:
Ich seh' wohin ich seh/ nur Eitelkeit auff Erden/ Was dieser heute bawt/ reist jener
morgen ein/
Wo jtzt die Städte stehn so herrlich/ hoch vnd fein/ Da wird in kurtzem gehn ein Hirt
mit seinen Herden:
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Was jtzt so prächtig blüht/ wird bald zutretten werden:
Der jtzt so pocht vnd trotzt/ läst vbrig Asch vnd Bein/ Nichts ist/ daß auff der Welt
könt vnvergänglich seyn/
Jtzt scheint des Glückes Sonn/ bald donnerts mit beschwerden.
Der Thaten Herrligkeit muß wie ein Traum vergehn: / Solt denn die Wasserblaß/ der
leichte Mensch bestehn
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten! / Alß schlechte Nichtigkeit? als
hew/ staub/ asch vnnd wind?
Als eine Wiesenblum/ die man nicht widerfind. / Noch wil/ was ewig ist/ kein einig
Mensch betrachten!
Atmo: Straße/Platz Glogau bei Theater
O-Ton Renata Matysiak
Bisher ist noch kein einziges Werk von Gryphius auf polnisch herausgegeben
worden. Weder Dramen noch Gedichte. Sie sind für die heutigen Einwohner
Glogaus nicht zugänglich, das ist eine Sprachbarriere.
Sprecher:
Renata Matysiak steht vor der Ruine des Andreas-Gryphius-Theaters in Glogau, die
hier seit 1945 zwischen Rathaus und Jesuitenkirche steht. Aus dem protestantischen
Niederschlesien ist das katholische polnische Dolny Śląsk geworden. Gryphius, der den
existentiellsten menschlichen Katastrophen Ausdruck verlieh, war im Nachkriegspolen
fast unbekannt. Jetzt wird er wiederentdeckt und auch mit einem eigenen Festival
unter seinem Namen gefeiert. Renata Matysiak hat deshalb für das Stadtmuseum eine
Ausstellung zu Gryphius‘ Leben und Werk rund um die Ruine gestaltet.
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O-Ton Renata Matysiak:
Sie war von Anfang an als Freilichtausstellung konzipiert. Gryphius war eine
wichtige Persönlichkeit der Stadt. Er ist aber den heutigen Bewohnern Glogaus
kaum bekannt. Wenn wir die Ausstellung an einem öffentlichen Ort zeigen,
erreichen wir damit auch so viele Menschen, wie nur möglich.
Der Dichter Tomasz Ososinski hat für unsere Ausstellung einige Sonette von
Gryphius übersetzt und die sind natürlich auch hier zu lesen. Zum Beispiel
„Menschliches Elende“. [liest Gedicht polnisch]
Zitator:
Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen.
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem (?) Leid.
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Musikakzent: Nr. 3 Friede
O-Ton Thomas Borgstedt
Ich glaube, das berühmteste seiner Gedichte ist die Trauerklage des
verwüsteten Deutschlands. Das Gedicht über die Leiden des Krieges, … das
zeigt ein bisschen auch, … warum wird er gelesen oder warum sollte man ihn
lesen, in gewisser Hinsicht ist dafür immer wichtig diese Überzeitlichkeit und
diese überzeitliche Anschließbarkeit bestimmter Themen.
Sprecher:
Dieses Gedicht wird auch im Museum des 30jährigen Krieges in Wittstock gezeigt.
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O-Ton Antje Zeiger
Wir versuchen immer ein bisschen an die Erfahrungswelt der Besucher
anzuknüpfen und da bietet sich Gryphius an. Und außerdem ist es auch ein sehr
poetisches Werk. „Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr als ganz verheeret, der
frechen Völker Schar, die rasende Posaun, das vom Blut fette Schwert, die
donnernde Kartaun, hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.“
Zitator:
…Die Türme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret.
Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.
Sprecher:
Der große Krieg markiert das Ende einer Epoche. Die neuen Wissenschaften werden
fortan ein neues Weltbild formen
O-Ton Thomas Borgstedt
Eitelkeit, lateinisch vanitas, Vergänglichkeit ist eigentlich das Thema, und das
ist ein ganz großes Thema des konfessionellen Zeitalters. Und da herrscht im
Grunde auch kann man sagen eine Einigkeit sogar zwischen Gryphius jetzt als
lutherisch-frommem Dichter und der Politik der Kulturpolitik, Literaturpolitik,
die die Jesuiten oder die katholische Seite betreibt, beide verwahren sich gegen
die modernen Säkularisierungstendenzen im Gefolge von Macchiavellismus,
Absolutismus, die die Glaubensfrage, die religiöse Frage gewissermaßen aus
dem politischen Geschehen herausdrängen wollen.
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Sprecher:
Für Gryphius bilden sein Glaube und die neue Zeit jedoch keinen Gegensatz. Für ihn
zeigt doch die Gegenwart, der Krieg, dass das Heil nicht in menschlichem Handeln
liegt. Gryphius wird seinen Standpunkt zwischen wissenschaftlicher Moderne und
theologischer Tradition im niederländischen Leiden finden, wohin er 1638 die beiden
Söhnen seines verstorbenen Gönners Schönborner begleitet. Die Reise führt über
Danzig und per Schiff nach Holland. Bei Rügen sinkt das Schiff beinahe in einem
Sturm.
Zitator:
O Gott! Was rauhe Not! Wie schaumt die schwarze See /
Uns sprützt ihr grünes Salz! Wie reißt der Zorn die Wellen
Durch nebelvolle Luft! Wie heult das wüste Bellen
Der tollen Stürm uns an! Die Klippe kracht von Weh.
Wir missen Glas, Kompass und Tag und Stern und Nacht;
Tot war ich vor dem Tod. Doch Herr! Du hast’s gemacht,
Dass ich dir lebend und erretet Lob kann singen.
Sprecher:
Fast 700 protestantische schlesische Studenten hat Leiden. Die Niederlande genießen
den Ruf, sich ihre politische und geistige Freiheit von der katholischen Vorherrschaft
erkämpft zu haben. Sechs Jahre bleibt Gryphius in Leiden. 1644 bricht er zu einer
Bildungsreise auf. In seiner Obhut - ein Stettiner Kaufmannssohn und fünf junge
Adlige. So kann Gryphius die Reise nach Paris finanzieren. Ein Jahr später zieht die
Gesellschaft weiter nach Rom.
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O-Ton Thomas Borgstedt
Wenn man kurz darüber nachdenkt, Leiden: calvinistische Universität, Zentrum
der reformierten Intellektualität, dann geht er nach Rom, ins Zentrum des
Katholizismus, und danach hält er sich ein Jahr in Straßburg auf, einer
bedeutenden lutherischen Universitätsstadt. Das heißt, er besucht das Zentrum
aller drei großen Konfessionen, und also man kann sicher sein, dass er dort
seinen Horizont immens erweitert hat und sehr viele Erfahrungen gewonnen
hat.
Sprecher:
Über Florenz und Venedig geht es weiter nach Straßburg. Hier wird der schlesische
Dichter zu seinem ersten Trauerspiel inspiriert: Leo Arminius. Es ist die Geschichte
eines byzantinischen Feldherrn, der im 9. Jahrhundert Kaiser Michael stürzte und
später selbst einer Verschwörung zum Opfer fiel. In seiner Vorrede verweist Gryphius
auf die Bedeutung des Stücks für seine Gegenwart:
Zitator:
Indem unser ganzes Vaterland sich nunmehr in seine eigene Aschen verscharret / und
in einen Schauplatz der Eitelkeit verwandelt; bin ich geflissen dir die Vergänglichkeit
menschlicher Sachen in gegenwärtigem / und etlich folgenden Trauerspielen
vorzustellen.
O-Ton Thomas Borgstedt
Es geht um Widerstandsrecht bei Leo Armenius und es geht um die Frage, wie
ist die Heldenfigur gestaltet, also dieser Held, der da in Christuspose als
Märtyrer stirbt, ist ein Tyrann, der deshalb zu Tode kommt, weil er die
Aufrührer aus christlicher Mildigkeit nicht rechtzeitig hinrichtet, und deshalb
sozusagen den klugen Augenblick verpasst.
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Sprecher:
Aufstieg und Fall des Feldherrn Armenius - für Gryphius ist das die Geschichte von
unrechtmäßiger Erhebung, Aufstieg und göttlicher Verurteilung. Während die
Gedichte von Andreas Gryphius noch heute gelesen werden, kennt kaum einer mehr
seine Trauerspiele. Deklamatorische, belehrende handlungsarme Texte in einer
entrückten Sprache sind heutzutage offenbar schwer auf die Bühne zu bringen.
1647 verlässt Gryphius Straßburg und fährt rheinabwärts nach Amsterdam.
Inzwischen ist er bekannt und bekommt sogar drei Professorenstellen angeboten,
darunter eine für Mathematik an der Universität Frankfurt an der Oder.
Möglicherweise war der brandenburgische Kronzprinz Friedrich Wilhelm einige Jahre
zuvor in Leiden auf Gryphius aufmerksam geworden. Er hatte sich zur selben Zeit dort
aufgehalten und bot schließlich ihm den Lehrstuhl in Frankfurt an der Oder an.
Gryphius hatte dem Sproß der calivinistischen Herrscherfamilie im fernen Berlin
jedenfalls ein Bibel-Epos gewidmet. Er schreibt, er sehe in dem Brandenburger Fürsten
den Garanten dafür, die Kunst des Herrschens mit den Freiheiten der Wissenschaft zu
verbinden. Das hatte auch ganz pragmatische Gründe, meint Thomas Borgstedt, der
Vorsitzende der Andreas-Gryphius-Gesellschaft.
O-Ton Thomas Borgstedt
Die Lutheraner waren darauf angewiesen, durch protestantische einflussreiche
Reichsfürsten backup zu haben, also sich gewissermaßen deren Unterstützung
zu versichern in der Auseinandersetzung, insbesondere, da diese
Auseinandersetzung ja nur intellektuell, per Appell, nur politisch stattfinden
konnte, so dass Brandenburg für die Konfessionsfragen so ‘ne Art
Garantiemacht war und deshalb war es durchaus sinnvoll, dort vielleicht seine
Devotionen zu machen.
15
Sprecher:
Gryphius schlägt das Angebot aus Brandenburg ebenso aus wie die anderen Anfragen.
1647 verlässt er Straßburg und das Elsaß und fährt rheinabwärts und nach
Amsterdam. In einem Brief schreibt er:
Zitator:
Ich habe mich entschieden, übermorgen nach Stettin zu segeln und von dort auf
Biegen und Brechen weiter in die Heimat zu eilen. Wenn auch ein Leben dort kaum
vergönnt sein sollte, so wird doch Gelegenheit sein, zu sterben und von den Trümmern
des dahinsiechenden Schlesiens bedeckt zu werden.
Sprecher:
Ende 1647 kommt er im schlesischen Fraustadt an. Fast ein Jahrzehnt war er im
Ausland. In Schlesien sind mittlerweile wieder protestantische schwedische Truppen
stationiert. Gryphius hat bisher fast nur Kriegszeiten erlebt und sieht darin
Warnungen und Strafen Gottes. Aber kann Gott all das dulden? Er fordert von Gott die
Einhaltung seines Erlösungspaktes:
Zitator:
Auf! Auf! Wach auf, Herr Christ, schau wie die Winde toben!
Wie Mast und Ruder knackt/ ietzt sinkt dein Schiff zu Grund.
Jetzt schäumt die wilde Flut, wo Flagg und Segel stund
Uns fehlt an Stärk und Rat! Bald kracht die Luft von oben,
Bald schluckt die Tief' uns ein! Wird dich denn Jemand loben
Der ins Verderben fährt? Ist dies der feste Bund/
Der stets uns hoffen hieß, wenn gleich der weite Schlund
Der Höllen reißt entzwei, wo hast du hin verschoben
Was deine Treu versprach, hilf eh der Kahn sich trennt
Hilf eh das schwache Brett an jene Klippen rennt
Kann denn kein Zeter schrei‘n dich aus dem Schlaf erwecken?
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Auf! Auf! Schallt Flut und Meer! Sobald du auf wirst stehn,
Wird Brausen, Sturm und Wind in einem nun vergehn.
Durch dein Wort muß, was uns mit Nöten schreckt, erschrecken.
Sprecher:
Der ständig drohende Tod durch Konfessionskrieg und Pest ist ein Jahr vor dem
Westfälischen Frieden die nicht enden wollende Lebenserfahrung. Es herrscht die
Angst, Christus habe sich von den Seinen abgewandt. Das Vertrauen auf die
lutherische Heilsbotschaft „Glaubst du, so hast du“ ist brüchig. Gryphius sucht etwas
Neues.
Zitator:
Der gut’s zu tun sich müht: der Christum fleißig hört
Und ihn mit fester Treu und reinem Leben ehrt;
Wird / was er darf und will / mit Überdruss erlangen.
Sprecher:
Gryphius bietet ein religiöses Versöhnungsprogramm an: Das lutherische „fleißige
Hören“ auf die Schrift allein soll sich mit der katholischen Vorstellung, in den Taten
und Erfolgen des Menschen auf Erden zeige sich Gottes Gnade, genauso
wiedervereinigen wie mit dem calvinistischen Programm vom „reinen Leben“. Ein
Traum von der Rückkehr zu einer gemeinsamen christlichen Frömmigkeit. Gryphius‘
eigene Leidenserfahrung spielt dabei sicherlich ebenso eine Rolle wie sein Kontakt zu
katholischen Rechtsgelehrten, dem Gedankenaustausch mit Jesuiten in Rom und die
konfessionelle Vielfalt an der Universität Leiden. Gryphius empfiehlt daher in einem
Epigramm den Blick auf das Wesentliche:
17
Zitator:
Christus will / dass seine Schar sich des Friedens soll befleißen. Und wir zanken / weil
wir leider Christen nicht sind / sondern heißen.
Musikakzent: Nr. 3 Friede
Sprecher:
Kaum ist der jahrzehntelange Krieg zu Ende, erschüttert ein Jahr darauf 1649 die
Hinrichtung des englischen Königs Karl I Europa. Das Zeitalter der göttlichen Ordnung
geht endgültig zu Ende. Gryphius greift das sofort in einem Drama auf. Dass ein
Parlament einen Herrscher richtet, ist für Gryphius absurd. Nur Gott darf richten,
nicht der Mensch.
Musikakzent
Sprecher:
Gryphius ist nun Anfang 30. Er heiratet in Glogau 1649 Rosina Deutschländer, die
Tochter eines Ratsherren. Die beiden haben sieben Kinder – doch fünf sterben früh.
Die älteste Tochter, Anna Rosina, erkrankt früh an Kinderlähmung und kommt in ein
Breslauer Heim, wo sie jahrzehntelang dahinsiecht. Der älteste Sohn, Christian, wird
später Rector am Breslauer Magdalenengymnasium.
1650 wird Andreas Gryphius Syndikus des Fürstentums Glogau. Er ist nun
Rechtsberater der Landstände. Gryphius verfasst eine Rechtssammlung, die
Landesprivilegien der zurückliegenden Jahrhunderte. Er will nachweisen, dass es
verbürgte Ansprüche der evangelischen Stände in Schlesien gibt. Dennoch werden
über 400 evangelische Kirchen enteignet. Gryphius arbeitet 14 Jahre als Syndikus in
Glogau. Während einer Sitzung verstirbt er an einem Schlaganfall – am 16. Juli 1664.
Musikakzent: Kantate für Sopran und Klavier
18
Sprecher:
Geblieben sind seine Gedichte, bis heute. „Zentnerworte“ – so bezeichnet der
schlesische Dichter Daniel Caspar Lohenstein sie in seiner Trauerrede.
Zitator:
Der Deutschen Sophocles ist Gryphius gewesen. / Er hat den Ruhm vermehrt / den
Opitz hat erworben: Es sey in Schlesien der Schwanen Vaterland. / Sein Ruhm und
Name wird bey Welt und Nachwelt bleiben / so lange Schlesien wird gute Reyme
schreiben.
Musik, darüber:
Absage
Nichts als Schatten, Staub und Wind.
Andreas Gryphius und die Gottergebenheit.
Sie hörten eine Sendung von Jürgen Buch
Es sprachen: Alexander Khuon, Alexander Radszun, Irène Bluche und der Autor
Ton: Martin Seelig
Regie: Roman Neumann
Redaktion: Anne Winter
Das Manuskript der Sendung können Sie bei unserer Serviceredaktion bestellen, aus Berlin
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