Eine kleine Gruppe von Kindern trifft sich mit zwei Kuddelwagen, um von Haus zu Haus durch unser Dorf zu ziehen. Erntegaben sollen eingesammelt werden. In diesem Jahr gehen sie an die Ruppiner Tafel. Aber erst soll die Kirche zum Erntedankfest geschmückt werden. Die Kinder sind aufgeregt: „Ob die Leute wohl freundlich sind, wenn wir klingeln? Werden sie uns was geben? Wieviel werden wir wohl zusammenbekommen?“ Zwei Stunden später sind sie wieder zurück. „Schau mal, so ein großer Kürbis. Und Kartoffeln und Möhren und Nüsse und Mehl… Alle waren nett, bloß einer nicht.“ Mit begeisterten Gesichtern erzählen sie von ihren Erlebnissen und sind ganz aufgeregt während sie die Ausbeute in die Kirche tragen. Zwei Tage später im Gottesdienst betrachten sie staunend den üppig geschmückten Altarraum: „Sieht das schön aus. Ob sich die Menschen freuen über das alles?“ „Ganz bestimmt.“ antworte ich und sehe wie sich die Kinder freuen. In diesem Moment wünsche ich ihnen, dass sie sich das hoffentlich lange bewahren können - die Fähigkeit, sich zu freuen, wenn sie etwas Schönes sehen; die zutiefst erfüllende Freude, etwas für einen anderen zu tun – einfach so, einfach, weil ein anderer Mensch sich darüber freut. So einfach, denke ich, kann das mit glücklichen Momenten sein. Die Kinder machen es mir vor. Und das Erntedankfest erinnert mich wieder einmal daran, an das Hinschauen mit offenen Augen und offenem Herzen. In der Hektik des Alltags geht es so schnell, dass ich nur noch sehe, was ich schaffen muss. Da bleibt der Blick für die kleinen freundlichen Aufmerksamkeiten des Lebens ebenso wie das Bewusstsein für all das, was nicht selbstverständlich ist leicht auf der Strecke. Bei genauem Hinschauen gibt es so enorm viel, was nicht selbstverständlich ist auf dieser Welt, ob es das Dach über dem Kopf ist, die Gesundheit, das ausreichende Essen, die Arbeit, die Schul-und Berufsbildung, all das ist nicht selbstverständlich. Wir leben in einem Land, in dem es ein Sozialsystem gibt, das es zu schützen und auszubauen gilt. Wir leben in einem Land mit Meinungs-, Presse-, Reise- und Glaubensfreiheit. Wir können Parteien und Organisationen gründen, wählen gehen und müssen nicht befürchten, dass Wahlergebnisse gefälscht werden. Das und vieles mehr ist wirklich nicht überall selbstverständlich. Auch nicht, dass wir im Frieden leben. Dafür bin ich dankbar von ganzem Herzen. Das wird mir sehr klar, wenn ich darüber nachdenke. Immer wieder empfinde ich es als ein Wunder, dass die Wende 1989 möglich war ohne Blut zu vergießen. Dafür haben viele Menschen 1989 mit Klarheit, aber auch Respekt demonstriert. In einem Paradies sind wir nicht angekommen. Es gab viele Probleme zu bewältigen und ganz neue ungeahnte haben sich aufgetan und liegen vor uns in diesem Land. Zwischendurch ist es hilfreich, zurückzuschauen und das Erreichte wahrzunehmen. Das ist im persönlichen Leben genauso sinnvoll wie im gesellschaftlichen Leben. Dann sehen wir auch das, was gelungen ist und nicht nur das, was alles im Argen liegt. Das Erreichte sehen und sich daran freuen, daraus erwächst die Kraft um weiterzugehen. Nur auf das zu schauen, was schwierig ist und sich darüber aufzuregen, lähmt und nimmt die Lebensfreude. Beides ist wichtig, zu sehen, was gut ist und sich daran zu freuen und zu sehen, was nicht gut ist und nach Wegen zu suchen, um es anzupacken und zu verbessern. Ich bin immer wieder beeindruckt von Menschen, die genau das können: Sehen, was gelingt und sich engagieren, wo sie es für notwendig erachten. Es sind häufig Menschen, die eher dankbar auf die Möglichkeiten in ihrem Leben schauen als auf das, was ihnen verwehrt bleibt. Von ihnen lebt unsere ganze Gesellschaft, auf allen Ebenen. Mögen nicht die Meckerer und Pöbeler in Zukunft die Oberhand gewinnen sondern die, die sich mit Freude und Sachverstand engagieren. Deshalb wünsche ich uns allen etwas von der Freude und dem staunenden Blick der Kinder, die zum Erntedankfest unser Herz erfreut haben. Ute Feuerstack, Pfarrerin
© Copyright 2024 ExpyDoc