Aus dem Dunkeln ins Licht

Samstag, 1. Oktober 2016 | Fr. 3.–
(inkl. MWSt)
Nummer 230 | 174. Jahrgang
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Schweiz 4 International 5–6 Wirtschaft 7–9 Börse 11–12 Kultur 13–16 Kino 14 Meinungen 18–19 Region 21–28 Tagestipps 29 Notfälle 30 Bestattungen 30–31 Fernsehen/Radio 33–35 Sport 37–40
Thema
Die Angst des Präsidenten. Albert
Rösti, der neue Chef der SVP, fragt sich
oft, was andere über ihn denken. Das
muss er sich jetzt abtrainieren. Seite 2
Fünfeinhalb Jahre Haft für Behring
Das Bundesstrafgericht verurteilt den Basler Financier wegen gewerbsmässigen Betrugs
International
Von Franziska Laur, Bellinzona
«Der Zaun funktioniert.» Ungarn
stimmt über die EU-Flüchtlingsquoten
ab. Die Regierungspropaganda
trommelt mit voller Kraft. Seite 6
So voll war der Saal im Gebäude des
Bundesstrafgerichts in Bellinzona noch
selten. Geschädigte, Interessierte, Fami­
lienangehörige: Sie sassen alle dort, um
den Urteilsspruch über den Basler
Financier Dieter Behring zu hören. Die
einen hofften auf einen Freispruch, die
anderen beteten um ein Urteil.
Dieses wurde auch gefällt: Fünfein­
halb Jahre Haft für Dieter Behring
wegen gewerbsmässigen Betrugs. Über
2000 Anleger wurden geschädigt – ins­
gesamt 800 Millionen Franken gingen
verloren. Das Dreiergremium unter
dem Gerichtspräsidenten Daniel Kipfer
Wirtschaft
Achterbahnfahrt. Nach einer Talfahrt
an der Börse beflügeln Gerüchte
um eine Bussenreduktion die
Aktien der Deutschen Bank. Seite 9
Kultur
Wie ich schreibe. Die
amerikanische
Bestsellerautorin Tess
Gerritsen über die
Schönheit von Anfängen
und den Druck beim
Beenden. Seite 15
sah es als erwiesen an, dass Behring
stets die Kontrolle über die Geldflüsse
gehabt hat, die in sein Anlagesystem
geflossen sind. Er habe zumindest in
der fraglichen Zeit – aufgrund von Ver­
jährung mussten nur noch die Jahre
zwischen Oktober 2001 und 2004
bewertet werden – kaum Geld in sein
Anlagesystem gesteckt. Behring hatte
stets behauptet, er habe in jahrzehnte­
langer Arbeit ein todsicheres System
ausgearbeitet.
Das Gericht argumentierte, Exper­
ten hätten das System geprüft. Es sei
simpel, banal und lange nicht so ausge­
klügelt, wie Behring sage. Auch sonst
nehme er es mit der Wahrheit nicht
allzu genau. So habe sich auch seine
Geschichte über die Entstehung dieses
Systems immer wieder verändert.
Allzu lange Untersuchungsdauer
Das Gericht stellte sich auf den
Standpunkt, dass stets nur sehr wenig
Geld über dieses Anlagesystem angelegt
worden sei. Ansonsten seien die von
Anlegern investierten Gelder für eigene
Zwecke, zum Stopfen von Löchern und
zur Bezahlung von Vermittlern einge­
setzt worden.
Für gewerbsmässigen Betrug steht
ein Strafmass von bis zu zehn Jahren zur
Verfügung. Aufgrund der Uneinsichtig­
keit und des arglistigen Verhaltens wäre
Bewegender Abschied
Hält die Basler
Serie weiter an?
FCB: Auf Arsenal folgt Thun
Basel
Basel. Das erste Saisonviertel in der
Super League ist vorbei, nun trifft der
FC Basel heute im Rahmen der zehnten
Runde zum zweiten Mal auf den
FC Thun (20 Uhr, St.­Jakob­Park).
Gegen die Berner holten die Basler beim
3:0 Ende August einen von bislang neun
Siegen in der Liga. Gut möglich, dass
die Serie der weissen Weste auch nach
dem mageren Auftritt in der Königs­
klasse bei Arsenal fortgesetzt wird.
Beim FC Thun verteidigt mit Stefan
Glarner der Bruder von Schwinger­
könig Matthias Glarner. Im Interview
mit der BaZ erzählt der 30­Jährige von
seiner Vergangenheit als Juniorenfuss­
baller und weshalb es ihn letztlich ins
Sägemehl und nicht auf den Rasen
gezogen hat. dw Seiten 38, 39, 40
Fair. Daniela Schneeberger hält
die Unternehmenssteuerreform III
für ausgewogen. Seite 27
Fasziniert. Gymnasiasten in Oberwil
tüfteln an Robotern und besuchen
Forscher und Wissenschaftler. Seite 28
Sport
Keine Überraschungen. FussballNationaltrainer Vladimir Petkovic setzt
für die nächsten beiden Länderspiele
auf die bewährten Spieler. Seite 38
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Basel. Michael Wüthrich, der auch
Wetter
Region. Am Vormittag ist es trotz
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verdichten sich die Wolken, es regnet
wiederholt, die Temperaturen erreichen
höchstens noch 18 Grad. Seite 36
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eine Strafe im oberen Fünftel dieses
Strafraums angemessen, argumentierte
der Gerichtspräsident. Da die Untersu­
chung mit zwölf Jahren jedoch unver­
hältnismässig lange gedauert habe und
die Gesundheit von Dieter Behring ange­
schlagen sei, spreche man lediglich eine
Strafe von fünfeinhalb Jahren Haft.
Das schriftliche Urteil wird erst
auf Frühling 2017 erwartet. Die Ver­
teidiger von Dieter Behring wollen die­
ses abwarten und dann entscheiden,
ob sie den Fall ans Bundesgericht
weiterziehen. Der Wahlverteidiger
Daniel Walder liess jedoch durch­
blicken, dass er einen Weiterzug für
wahrscheinlich hält. Seite 7
Letzte Ehre für Shimon Peres. Israel hat Abschied von einem seiner grössten Politiker genommen. Shimon Peres wurde
gestern auf dem Herzlberg bei Jerusalem in Anwesenheit zahlreicher Staats- und Regierungschefs aus aller Welt
beigesetzt. Mehr als 90 Delegationen aus 70 Ländern waren zur Beerdigung angereist – darunter US-Präsident Barack
Obama und Ex-Präsident Bill Clinton, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck und Frankreichs Staatschef François
Hollande. Auch Bundespräsident Johann Schneider-Ammann war anwesend. SDA Foto Keystone Seite 5
Amerikanischer
Kunstherbst
Pollock im Kunstmuseum, Roni
Horn in der Fondation Beyeler
Basel/Riehen. Mit amerikanischer
Kunst starten die Fondation Beyeler und
das Kunstmuseum Basel in den Herbst.
Während die Fondation Beyeler die New
Yorker Künstlerin Roni Horn mit neuen,
zeitgenössischen Werken vorstellt, zeigt
das Kunstmuseum eine Retrospektive
des Werkes des grossen abstrakten
Expressionisten Jackson Pollock.
Unter dem Titel «Der figurative Pol­
lock» zeichnet es den Entwicklungspro­
zess nach, den der 1912 geborene
Künstler durchlief, bis er Ende der
1940er­Jahre die berühmten Drip­
ping­Bilder gemalt hat, die weitgehend
abstrakt sind. Die Ausstellung wirft ein
Licht auf eine ziemlich schwierige
Künstlerkarriere. Pollock hat sich ein
Leben lang mit den Ambivalenzen von
figurativer und abstrakter Malerei
beschäftigt. hm Seite 13
Mehrheit für die Schützen
schon eine Reduktion des motorisierten
Individualverkehrs um 50 Prozent ver­
langt hat, hat auf seinen Namen ein
Auto eingelöst. Dies zeigen Recherchen
der BaZ. Obwohl der Grünen­Politiker
in der Öffentlichkeit die Bevölkerung
lehrt, für ihr Auto einen Tiefgaragen­
parkplatz zu mieten, um die Allmend zu
entlasten, steht Wüthrichs Fiat Cinque­
cento vor seinem Haus in der blauen
Zone. Auch hatte Wüthrich letzten Win­
ter einen Skiträger an dem Auto mon­
tiert, obwohl er Freizeitfahrten mit dem
Auto verurteilt. mar Seite 23
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102 Nationalräte sind gegen schärferes Waffenrecht
Von Beni Gafner, Bern
Psychologische Begutachtungen und
medizinische Checks für Waffenbesitzer:
Dies plant die EU in einer neuen Richtli­
nie. Die Schweiz wäre als Schengen­Mit­
glied direkt davon betroffen. Nun wird
aber die Gegenwehr hierzulande immer
stärker. Im Nationalrat hat eine absolute
Mehrheit die Motion von SVP­National­
rat Werner Salzmann unterschrieben.
Der Berner verlangt, der Bundesrat
müsse mit jenen EU­Staaten zusammen­
arbeiten, die gegen die verschärften
Waffenrichtlinien sind. Unterstützen
soll der Bundesrat gemäss Motionstext
den «koordinierten Widerstand, damit
das schweizerische Waffenrecht nicht
angetastet wird».
Salzmann bezichtigt Justizministerin
Simonetta Sommaruga, «nur die halbe
Wahrheit gesagt zu haben», als sie nach
einem zweitägigen Besuch in Brüssel im
Juni verkündete, es sei ihr gelungen, in
einer Sonderregelung für die Schweiz das
Sturmgewehr von den EU­Richtlinien
auszunehmen. Tatsächlich liess die Jus­
tizministerin unerwähnt, dass die Aus­
nahmeregelung mit Verschärfungen für
jene verbunden ist, die ihre Waffe behal­
ten wollen. Dazu gehören: eine aktive
Mitgliedschaft in einem Schützenverein,
Trainingsbescheinigungen, regelmässige
Teilnahmen an Wettbewerben und die
Registrierung von Waffen bei der EU.
Allenfalls ein Referendum
Dass eine Mehrheit der grossen Kam­
mer den Vorstoss Salzmanns unter­
schrieben hat, erhöht den Druck auf den
Bundesrat bereits vor einer formellen
Annahme. Kommen die Gesetzesver­
schärfungen eines Tages trotzdem,
ergreifen die Schützen das Referendum.
Dies würde das Schengen­Abkom­
men mit der EU gefährden. Seite 4
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Kultur.
| Samstag, 1. Oktober 2016 | Seite 13
Aus dem Dunkeln ins Licht
Jackson Pollock und Roni Horn in Ausstellungen in Basel und Riehen
Von Riehen her nach Basel fahrend,
könnte der Unterschied für den Kunstreisenden in diesen Tagen nicht grösser
sein. Während die Fondation Beyeler in
einer sehr fokussierten Ausstellung das
Werk der Fotografin, Zeichnerin und
Bildhauerin Roni Horn zeigt, das man
mit Worten wie formale Strenge, Klarheit und Luzidität einkreisen könnte,
dokumentiert das Kunstmuseum Basel
das jahrelange, nicht immer erfolgreiche Suchen Jackson Pollocks nach seinem künstlerischen Ausdruck.
Pollock, der Superstar des Abstrakten Expressionismus, kommt uns beim
Eingang zur Ausstellung auf einer ins
Riesenhafte vergrösserten Fotografie
entgegen. Zigarette im Mund. Hände in
den Manteltaschen. Er befindet sich auf
einem Spaziergang mit seiner Frau Lee
Krasner und seinem Hund. Daneben
steht ein Baum, dessen kahle Äste in
den Himmel ragen. Es ist ein Winterbild. Entstanden in den 1950er-Jahren
auf Long Island, wo die beiden sich ein
Haus gekauft haben.
Im Jahre 1956 verstarb Pollock im
Alter von 54 Jahren bei einem Autounfall, den er selbst verschuldet hatte. Er,
der ein Leben lang gegen seinen Alkoholismus angekämpft hatte und ihm
immer wieder erlag, malte in den Jahren vor seinem Tod kaum noch. Die letzten Bilder, mindestens in der Basler
Ausstellung, stammen aus dem Jahre
1953. Es sind kühn komponierte
Gemälde, die gegensätzlicher nicht sein
könnten.
Aggressive Bilder
Das eine, ein grosses Breitformat,
heisst «Ocean Greyness» und zeigt gelbgrüne Farbflecken, die einem vorkommen wie Augen. Sie scheinen völlig
haltlos, von einem grauschwarzen, mit
dickem Farbauftrag gemalten Malstrom
erfasst worden zu sein. Das andere ist
hochformatig und heisst «Easter and
the Totem». Es besteht aus vertikalen
weissen und schwarzen Streifen, die
mit einer dünnen Farbschicht aufgetragen und mit figurativen Einsprengseln
in Rot-, Grün- und Brauntönen animiert
worden sind. Das in Pollocks Schaffen
ziemlich einzigartige Bild, das an die
Gemälde von Henri Matisse und Clyfford Still erinnert, weist, wenn man so
will, auf eine Entwicklungsmöglichkeit
dieses Künstlers hin in eine helle und
offene Zukunft.
Es sollte anders kommen. Der
dunkle Malstrom sollte die letzten Jahre
eines Künstlers bestimmen, der sich
schon als junger Student mit den
Gespenstern seiner Seele beschäftigte.
Die sorgfältig gestaltete, von der Kuratorin Nina Zimmer streng chronologisch aufgebaute Ausstellung zeigt in
den ersten Sälen Zeichnungen, die der
1912 als Sohn einer armen Bauernfamilie geborene Pollock als Kunststudent
und als junger Maler zu Papier gebracht
hatte. In den 1930er-Jahren lebte er in
New York, schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und besucht Malkurse.
Der junge Künstler, der von Selbstzweifeln besessen war, arbeitete sich an
grossen Vorbildern ab. In seinen frühen
Zeichnungen und Gemälden sind Einflüsse von El Greco zu finden, von Pablo
Picasso und von José Clemente Orozco,
einem mexikanischen Künstler, der für
seine Wandbilder bekannt war. Auch
Einflüsse der indianischen Kultur Nordamerikas und des europäischen Surrealismus sind in den Arbeiten aus den
1930er-Jahren unverkennbar.
Wer sich die in gedämpften, oft
bräunlichen Farben gehaltenen Bilder
aus jener Zeit anschaut, bekommt den
Eindruck eines zähen Kampfes um Ausdruck. Da hat einer mit sich und seiner
Kunst aufs Intensivste gerungen. Da
gibt es äusserst aggressive und auch
wieder sehr leise Bilder. Aber immer
wieder erstaunen sie doch, die Aggressionen, die in Zeichnungen, wie jenem
fratzenhaften Kopf aus dem Jahre 1940,
zum Vorschein kommen, der den
schlichten Titel «Number 21» hat. Oder
in der Kampfszene, die im grossformatigen Gemälde «Naked Man with Knife»
festgehalten wird, das zwischen 1938
und 1940 entstanden sein muss.
Es scheint, als ob dann in den
1940er-Jahren etwas Ruhe eingekehrt
sei in das Leben dieses Malers. Es entstehen in jener Zeit beeindruckende
Mittelformate, in denen Pollock das
Figürliche immer mehr zugunsten einer
abstrakten Bildkomposition in den Hintergrund drängte. Wobei es ganz offensichtlich ist, dass er die Ambivalenzen
zwischen gegenständlicher Malerei und
Abstraktion als besonders reizvoll empfand. So lässt er in seinem atemberaubenden Bild «Stenographic Figure»
nicht nur zwei Menschen an einem
Tisch zu energischen Strichmännchen
gerinnen, sondern überdeckt das
Gemälde in einem zusätzlichen Arbeitsgang mit weissen, schwarzen und gelben Kritzeleien, die sich als stenografische Zeichen lesen lassen. Das beinahe
abstrakte Bild bekommt einen ornamentalen Firnis, sodass der Betrachter
zum Gezeigten zusätzliche Distanz
erhält.
Schwere Geburt
In diesen Zeichen, die eine figürliche Malerei bedecken, kündigt sich
schon jene Methode des Drippings an,
die Jackson Pollock als Abstrakten
Expressionisten weltberühmt gemacht
hat. Er liess Ende der 1940er-Jahre mit
einem Pinsel oder direkt aus einem Topf
Farbe auf meist grossformatige
Gemälde tropfen, deren Hintergrund
vollkommen abstrakt war. Es entstanden dabei, obwohl die malerische
Arbeit überaus bewegungsintensiv und
dynamisch war, unglaublich ruhige,
fast meditative Bilder. Die Tropfspuren,
die halb zufällig, halb kontrolliert auf
die Leinwand kamen, wirken auf uns
heute ein bisschen wie bedeutungsvolle
Schriftzüge aus dem Weltall, die man
hier unten auf der Erde nie wird entziffern können.
Dass diese nur wenige Jahre dauernde Phase im Leben des Künstlers
erkämpft und erdauert werden musste,
das lernt man in dieser Ausstellung. Es
kommt einem ein bisschen vor wie eine
Schwergeburt, bis Pollock dann endlich
vom Dunkel seiner Anfänge ans Licht
seiner abstrakten Drippings kommt,
dieser gewaltigen Werke, von denen
man gerne noch viel mehr als die zwei
kleinen Formate gesehen hätte, die es in
die Ausstellung geschafft haben.
Vom Werden, vom mühsamen
Kampf um das Licht, wenn wir das so
einfach fassen dürfen, spürt man in der
geradezu beschwingten Ausstellung in
© Museum Frieder Burda, Baden-Baden / ProLitteris
Von Christoph Heim
Schwarze Linien und seltsame Zeichen. Jackson Pollock: The Tea Cup, 1946.
Zu Strichfiguren geronnene Menschen, die sich bei einer Tasse Tee unterhalten.
der Fondation Beyeler nichts. Sie konfrontiert uns vielmehr schon im ersten
Saal mit den verschiedenen Gesichtern
der Künstlerin, die alte und neue Fotos
von sich nebeneinanderhängt und
dabei immer wieder wie ein ganz anderer Mensch aussieht. Wir durchstreifen
danach einen wunderbar künstlichen
Rosengarten mit bunten Blättern konkreter Poesie. Wir tauchen schliesslich
ein in die Wellen der Londoner Themse,
die von der Künstlerin mit Bedeutung
aufgeladen sind, wie wenn man in eine
Wasseroberfläche alles und jedes hineinlesen könnte.
Und endlich stehen wir vor jenen
sagenhaften Glasskulpturen, von denen
jede wohl fünf Tonnen wiegt. Wir
trauen unseren Augen nicht. Sie sehen
wie riesige Wassergefässe aus, sind aber
durch und durch, in einem unendlich
aufwendigen und langwierigen Prozess, aus Glas gefertigt. Das ist stupende
Handwerkskunst und die Begegnung
damit ist hinreissend: Da schauen wir
hinein, das Glas ist noch transparenter,
als es Wasser sein könnte. Und wir
sehen doch nur den Boden.
Der figurative Pollock, Kunstmuseum
Basel, 2. Oktober 2016–22. Januar 2017.
«Ich wünschte, ich hätte politischen Einfluss»
Roni Horn (61) über ihre Ausstellung in der Fondation Beyeler und die amerikanische Politik
Von Christoph Heim
BaZ: Roni Horn, Sie stellen erstmals in
der Fondation Beyeler aus. Was bedeutet Ihnen dieses Museum?
Roni Horn: Ich fühle mich der Fonda-
tion Beyeler sehr verbunden. Als
Gebäude und als kuratiertes Museum
ist die Fondation Beyeler von erster
Qualität. Wenn du hier arbeitest,
dann spürst du, dass du in einem
Museum von Weltklasse bist. Hier in
Riehen fühle mich sehr gut aufgehoben. Ich habe wirklich nichts Kritisches zu sagen. Was ziemlich ungewöhnlich ist für mich.
Hat Ihre hohe Meinung zur Institution
auch die Auswahl von Werken für diese
Ausstellung beeinflusst?
Die Architektur des Museums erlaubt
mir, mein ganzes Werk zu zeigen, also
Skulpturen, Zeichnungen und Fotografien. Die Skulpturen im Speziellen, also meine Glasarbeiten, die ich
«Water Double» nenne, wollen im
Tageslicht gezeigt werden. Es gibt
wenige Institutionen, wo das möglich
ist. Hier geschieht das auf sehr organische Weise dank der Struktur des
Gebäudes, das so wunderbar in die
Umgebung hineingepasst ist. Ich
kann hier Werke zeigen, die in höchstem Masse konzeptuell sind, als auch
solche, die man als Besucher sinnlich
erfahren muss. «Th Rose Prblm» oder
«a.k.a.», bei denen es sich meiner
Ansicht nach in hohem Masse um
konzeptuelle Kunst handelt, brauchen kein Tageslicht. Beide Werkgruppen befassen sich mit Identitätsfragen. Ich versuchte in dieser Ausstellung, die ich mit Theodora Vischer
von der Fondation machen konnte,
meine ganze Kunst vorzustellen, also
alles von mir einzubeziehen. Es ist
wie eine Gruppenausstellung von mir
selbst. Leute, die bei mir einen einheitlichen Stil suchen, denen muss
ich gestehen, dass ich keinen habe.
Ich will keinen.
Was denken Sie über die aktuelle amerikanische Politik?
Sehen Sie, als Ronald Reagan gewählt
wurde, dachte ich, Amerika stirbt an
Unterhaltung. Es scheint mir heute,
das ist wirklich der Fall. Die Tragödie
von Donald Trump ist, dass er es nicht
für eine Tragödie hält, gewählt zu
werden. Es ist eine grosse Tragödie,
dass ein Mann von diesen sehr, sehr
ärmlichen Qualitäten, sowohl als
menschliches Wesen als auch in intellektueller Beziehung, es in unserem
politischen System so weit nach vorne
schaffte.
Warum ist das geschehen?
Amerika vernachlässigt seit Langem
die Erziehung und Bildung seiner
Bürger. Trump ist das Resultat davon.
Die Leute wählen Trump, weil er
unterhaltend ist. Ich hoffe sehr, dass
er nicht Präsident wird. Aber ich
denke, der Schaden am amerikani-
«Die Demokratie ist
in diesem Wahlkampf
ernsthaft beschädigt
worden.»
schen System, an der Idee von Demokratie, ist bereits angerichtet. Die
Demokratie ist ernsthaft beschädigt
worden in diesem Wahlkampf. Wenn
Hillary Clinton gewählt wird, dann
hat sie eine unsägliche Schlammschlacht hinter sich. Sie wurde ver-
höhnt und verletzt und kritisiert in
einer Weise, die es ihr unmöglich
machte, auf natürliche Weise zu
reagieren. Sie wurde weiter kritisiert
und kritisiert. Als Frau fühle ich mich
wirklich demoralisiert. Trump führte
uns vor, wie tief die Vorurteile gegen
Frauen verwurzelt sind. Sehen Sie
nur die E-Mail-Affäre, wie die aufgespart wurde, damit sie im Wahlkampf
hochgekocht werden konnte. Das ist
Missbrauch von Macht. Es geht dabei
nur um die Denunziation einer überaus intelligenten und integren Persönlichkeit, die sehr viel geleistet hat.
Die Trump-Kampagne hat Hillary landesweit als Lügnerin abgestraft. Sie
fragten mich nach Politik. Ich denke
sehr viel darüber nach. Ich wünschte,
ich hätte mehr Einfluss.
Haben Sie keinen Einfluss als Künst­
lerin?
Als Künstler hat man keinen politischen Einfluss. Ich denke Kim Kardashian hat vielleicht etwas Einfluss,
aber sie ist keine Künstlerin. Ich verstehe einfach nicht, wie es so weit
kommen konnte. Man hat den Eindruck, die Verbindung zur Umwelt sei
total gestört. Die Leute leben gar
nicht mehr in der Welt. Sie leben in
einer Luftblase. Es ist gar nicht mehr
der eigene Kopf, der sich in der Luftblase befindet. Es ist der Kopf von
jemand anderem.
Wie beeinflusst diese Kritik an den politischen Verhältnissen Ihre Kunst?
Ich ist ein anderer. Die Künstlerin auf einem Jugendfoto und so, wie sie heute
aussieht: «a. k. a.», 2008/2009, Privatsammlung. © Roni Horn/Foto Hermann Feldhaus
Es ist kein direkter Einfluss. Ich verstehe mich nicht als politische Künstlerin. Aber ich denke, meine Arbeit
enthält schon Politik. Der Sinn für
Humanität, den man in meinem Werk
spüren kann, die Erfahrungen, die
man mit meinem Werk machen kann,
spiegeln auch meine politische Auffassung. Aber ich spreche in meiner
Kunst nicht über Trump oder Hillary
in einem wörtlichen Sinne. Diese
Politiker sind kein Thema für meine
Kunst.
Ausstellung mit neuen Werken von Roni
Horn, Fondation Beyeler, Riehen. 2. Oktober
2016 bis 1. Januar 2017.
www.fondationbeyeler.ch
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Gratistickets für das
Kunstmuseum Basel.
Als Partner des Kunstmuseums
Basel wünscht Ihnen die
Credit Suisse viel Vergnügen in
der Ausstellung «Der figurative
Pollock».
Die Ticketaktion gilt ab dem 3. Oktober 2016 –
solange Vorrat – in den Credit Suisse Geschäftsstellen
Basel- Stadt, Basel-Land und Rheinfelden. Gegen
Abgabe eines ausgefüllten Talons werden pro Person
maximal zwei Gratistickets abgegeben. Berechtigt sind
alle natürlichen Personen ab 14 Jahren mit Wohnsitz
in der Schweiz. Die Abgabe der Tickets ist nicht
an den Abschluss eines Rechtsgeschäfts geknüpft.
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