Die Kontaktgestaltung im Coaching

Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching 23 (3), 2016, S. 297-310
DOI 10.1007/s11613-016-0471-3
Die Originalfassung des Beitrags ist auf www.springerlink.com bereitgestellt
Die Kontaktgestaltung im Coaching
Ein kontakttheoretischer Zugang zur Interaktion zwischen Coach und Klient
Sandrina Lellinger, Thomas Bachmann
Zusammenfassung Der vorliegende Artikel fokussiert die vielfältigen Formen der
Kontaktgestaltung von Systemen. Zu diesem Zweck werden das gestalttheoretische
Kontaktkonzept und die Systemfunktionen aus der Soziologischen Systemtheorie zu
einem neuen Ansatz verbunden. Im zweiten Teil des Artikels wird dieser Ansatz auf das
Beratungsformat Coaching übertragen und für das Beratungshandeln von Coaches nutzbar gemacht.
Schlüsselwörter Kontaktverhalten, Beratungssystem, Coachingprozess
Contact behaviour in coaching. A contact theoretical access to the interaction of
coach and client
Abstract This article focusses on the many forms of the contact behaviour of systems.
To this end, the gestalt theoretical concept of contact, and the system functions of the
sociological system theory are combined to a new approach. In the second part of the
article, this approach is transferred to the counseling format of coaching and ultimately
made usable for coaches.
Keywords Contact behavior, Counseling system, Coaching process
S. Lellinger
artop, Christburger Str. 4, 10405 Berlin
E-Mail: [email protected]
Dr. T. Bachmann
artop, Christburger Str. 4, 10405 Berlin
E-Mail: [email protected]
1 Einleitung
Im vorliegenden Artikel wird durch eine Verbindung von systemtheoretischer Perspektive und gestalttherapeutischen Konzepten ein Ansatz entwickelt, der einen neuen Zugang zur Interaktion von Coach und Klient und damit zum Wesen von Coaching ermöglicht. Dem Kontaktkonzept aus der Gestalttherapie kommt in diesem Zusammenhang
eine elementare Bedeutung zu. Angereichert durch die Systemperspektive soll es für das
Beratungshandeln von Coaches als theoretischer Bezugsrahmen nutzbar gemacht werden.
In der Alltagssprache wird der Begriff „Kontakt“ auf selbstverständliche Weise gebraucht. Bevor in diesem Artikel ein theoretisch fundierter Kontaktbegriff entwickelt
und auf Coaching angewendet werden soll, lohnt sich der Blick auf ein alltagssprachliches Begriffsverständnis. Etymologisch leitet sich der Begriff Kontakt von dem lateinischen Wort contactus ab und bedeutet so viel wie Berührung. In der Alltagssprache
wird der Begriff gebraucht, um eine Nähe oder Verbindung zu bezeichnen, die auf Austausch abzielt. So nehmen Personen miteinander Kontakt auf, um sich zu einem bestimmen Thema auszutauschen, Ratsuchende kontaktieren Experten, Regierungen verschiedener Nationen nehmen diplomatische Kontakte auf und so weiter.
Eine zentrale Bedeutung kommt dem Kontaktbegriff in der Gestalttherapie zu, wo er
als Universalbegriff zur Beschreibung der Interaktion zwischen System und Umwelt im
Sinne einer „kreativen und wechselseitigen Anpassung“ (Perls et al. 1992, S. 12) herangezogen wird. Diese Anpassung ist elementar für das System, da es auf Energie und
Informationen aus seiner Umwelt angewiesen ist, um sein Fortbestehen zu sichern (vgl.
Luhmann 1984). Aus der Systemperspektive kann Kontakt deshalb als „Wahrnehmung
des assimilierbaren Neuen und Bewegung zu ihm hin sowie die Abwehr des unassimilierbaren Neuen“ (Perls et al. 2006, 26f.) verstanden werden. Auf anschauliche Weise
lässt Kontakt sich als jede Form der lebendigen Beziehung beschreiben, also als „Verlangen und Zurückweisen, Empfinden, Fühlen, Nutzbarmachen, Einschätzen, Kommunizieren, Kämpfen und so weiter“ (Perls et al. 1992, S. 11f.). In diesem Sinne vollzieht
sich Kontakt zwischen einem System und seinen Umwelten fortwährend und im Zusammenhang eines komplexen Gesamtgeschehens aus sich überlagernden Kontaktprozessen unterschiedlicher Qualität und Dauer (vgl. Gremmler-Fuhr 1999). Im Ergebnis
bringt der Kontaktprozess Lernen und Entwicklung hervor.
2 Theorie des Kontakts
Um das Phänomen Kontakt differenzierter zu beschreiben und die verschiedenen Formen der Kontaktgestaltung lebendiger Systemen in den Mittelpunkt zu stellen, ist es
hilfreich, das gestalttherapeutische Kontaktkonzept systemtheoretisch anzureichern. Als
Grundlage dienen in diesem Zusammenhang die soziologische Systemtheorie und die
Theorie autopoietischer Systeme nach Humberto Maturana. Mit dem Begriff „autopoietisch“ werden alle biologischen, psychischen und sozialen Systeme wie Interaktionen,
Gruppen und Organisationen bezeichnet. Als Systeme sind sie ganzheitliche Zusammenhänge von Teilen, „deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und
qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen“ (Willke 2006,
S. 251). Ihnen ist gemeinsam, dass sie die Elemente, aus denen sie bestehen, durch die
Elemente, aus denen sie bestehen, reproduzieren (ebd.). Weiterhin sind lebendige Systeme dadurch gekennzeichnet, dass sie bestimmte Funktionen ausbilden, um ihr Fortbestehen in einer sich verändernden Umwelt zu sichern. Diese Funktionen lassen sich mit
Hilfe des von Talcott Parsons entwickelten AGIL-Schemas begreifen. Das universelle
Differenzierungsmodell benennt vier voneinander unterscheidbare Funktionen, die um
eine Raum- und eine Zeitachse organisiert sind und im Folgenden kurz dargestellt werden sollen (Abb. 1).
instrumentell
konsumatorisch
extern
Adaption
Zielerreichung
intern
Abb. 1 AGIL-Schema (nach Parsons 1971, S. 165)
Strukturerhaltung
I ntegration
Die Systemfunktion Adaption ermöglicht dem System eine flexible Anpassung an
seine Umwelt und die sich mit ihr ergebenden Bedingungen. Sie wird an der Systemgrenze realisiert und kann als Voraussetzung für den Austausch mit der Umwelt angesehen werden. Die Funktion Zielerreichung weist ebenfalls einen externen Bezug auf
und dient dem Aufbau und der Aufrechterhaltung von Umweltbeziehungen, durch die
das Systembedürfnis nach Energie und Information erfüllt wird. Integration kann als
interne Entsprechung der Systemfunktion Adaption angesehen werden; diese Systemfunktion dient der Integration neuer Elemente in das System und leistet damit einen
Beitrag zu dessen internem Zusammenhalt. Schließlich ist mit der Strukturerhaltung
eine Systemfunktion zu nennen, welche die Stabilität der systemeigenen Strukturen und
Prozesse sicherstellt.
Auf welche Weise Systeme sich durch die Verwirklichung der dargestellten Funktionen im Austausch mit ihrer Umwelt mit Energie und Informationen, also mit assimilierbarem Neuem versorgen, wird in den gestalttherapeutischen Konzeptionen zum
Kontaktprozess deutlich. In der Entwicklung des gestalttherapeutischen Denkens wurden unterschiedliche Darstellungsformen zu seiner schematischen Beschreibung her-
vorgebracht. Sie verbindet, dass sie auf den von Fritz Perls entwickelten Kontaktkreislauf zurückgehen, den Kontaktprozess in beschreibbare Phasen zerlegen und das Konzept der Figur-Grund-Bildung aus der Gestaltpsychologie aufgreifen. Eine Darstellungsform, die den Prozesscharakter des Kontaktgeschehens und die Veränderungen des
Energieniveaus in seinem Verlauf in besonderem Maße betont, ist der Gestaltzyklus des
Erlebens von Nevis, einem Vertreter der gestalttherapeutischen Cleveland School. Der
Gestaltzyklus beginnt mit den Phasen Empfindung und Bewusstheit, in denen das System seine Aufmerksamkeit auf eine Wahrnehmung richtet. Darauf folgt die Aktivierung
von Energie, die schließlich zu einer Handlung führt. Mit dieser Handlung wird der eigentliche Kontaktvollzug eingeleitet, an den nach Bedürfniserfüllung die Abschlussphase anschließt (vgl. Nevis 1988).
Da auf das Kontaktgeschehen vielfältige und komplexe Bedingungen wirken, werden jedoch in nicht allen Kontaktprozessen die von Nevis benannten Phasen durchlaufen, wodurch der jeweilige Kontakt nicht abschließend vollzogen werden kann. In die
gestalttherapeutische Literatur sind diese Veränderungen im Kontaktgeschehen als Kontaktstörungen eingegangen. In Abgrenzung zu dem normativen Gehalt des Störungsbegriffs und im Zuge eines grundlegenden Wandels im Begriffsverständnis haben sich in
der Literatur die Begriffe Kontaktunterbrechung oder Kontaktfunktion durchgesetzt. Im
Folgenden soll ausschließlich der Funktionsbegriff gebraucht werden, da er betont, dass
es sich bei den bezeichneten Phänomenen nicht zwangsläufig um neurotische Formen
der Kontaktgestaltung, sondern um kreative Anpassungs- und Bewältigungsstrategien in
herausfordernden Situationen handelt.
Die Kontaktfunktionen lassen sich nach der Phase ihres Auftretens im Kontaktgeschehen, durch das jeweils herrschende Energieniveau und die Richtung der Aufmerksamkeit unterscheiden. Eine weitere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der
Kontaktgrenze zu, an der es im Fall der Kontaktfunktionen zu Veränderungen kommt.
Sie bildet sich zu Beginn des Kontaktgeschehens zwischen System und Umwelt aus und
wirkt als Medium des Austauschs, weshalb die Fähigkeit zu erfolgreicher Grenzbildung
mit der Kontaktfähigkeit des Systems gleichzusetzen ist.
Als zu Beginn des Kontaktgeschehens auftretende Kontaktfunktion ist die Konfluenz
zu nennen. Sie tritt vor dem Ansteigen des Energieniveaus auf und geht mit einer Auflösung der Kontaktgrenze einher, durch die das System eine große Nähe zu seiner Umwelt herstellt (vgl. Perls et al. 1992; Perls 1995). Erfolgt die Unterbrechung des Kontaktgeschehens bei bereits gesteigerter Energie im Zuge der Auseinandersetzung mit der
Umwelt, liegt eine Projektion vor. In diesem Fall wird die Kontaktgrenze in die Umwelt
ausgeweitet, wodurch Systemeigenes der Umwelt zugeschrieben, also auf sie projiziert
wird (vgl. Perls 1995). Die Retroflektion tritt unmittelbar vor dem Einsetzen des zur
Assimilation erforderlichen Handlungsschritts auf. Die mit dieser Kontaktfunktion einhergehende Festigung der Kontaktgrenze bewirkt, dass das System seine Handlungen
nicht auf die Umwelt, sondern vornehmlich auf sich selbst richtet. Wird demgegenüber
beinahe der gesamte Kontaktprozess durchlaufen und der eigentliche Kontakt damit
hinreichend vorbereitet, schließlich jedoch nicht vollzogen, liegt die Kontaktfunktion
Egotismus vor. In diesem Fall gilt das Interesse nicht der Umwelt, sondern vornehmlich
der Stabilität des Systeminnern, zu dessen Wahrung die Kontaktgrenze zurückgezogen
wird (vgl. Perls et al. 1992).
Abb. 2 Die Kontaktfunktionen im Gestaltzyklus (eigene Darstellung in Anlehnung an
Nevis 1988 und Bachmann 2016)
Empfindung
Lösung und Abschluss
Konfluenz
Bewusstheit
Kontakt
Projektion
Aktivierung
Egotismus
Handlung
Retroflektion
Was sich bei den genannten Kontaktfunktionen in besonderem Maße ausprägt, sind
Funktionen, die in jedem Kontaktgeschehen bereits angelegt und als Erfordernisse der
Selbsterhaltung zu verwirklichen sind. Durch Überformung dieser Funktionen werden
der Austausch mit der Umwelt und die Assimilation von Neuem beeinträchtigt. Ihre
Beschreibung wird durch einen Rückgriff auf die Systemfunktionen nach Parsons möglich, weshalb sie den gestalttherapeutischen Kontaktfunktionen beigeordnet werden.
Auf diese Weise lassen sich unterschiedliche Formen der Kontaktgestaltung, die Bachmann (2016) als Kontaktmuster bezeichnet, definieren. Im Folgenden sollen die Kontaktmuster hergeleitet und umrissen werden.
Bei der Kontaktfunktion Konfluenz kommt es zu einer Überformung der Adaptionsfunktion innerhalb des Systems. Die daraus resultierende Kontaktgestaltung kann als
adaptives Kontaktmuster bezeichnet werden (vgl. Bachmann 2016). Adaptiv agierende
Systeme gewähren der Anpassung an die Umwelt gegenüber anderen Systembedürfnissen Vorrang. Über eine stark durchlässige Kontaktgrenze stellen sie ein großes Maß an
Nähe her, wodurch es ihnen kaum noch gelingt, zwischen Selbst- und Fremdreferenz zu
unterscheiden. Die Wahrnehmung von assimilierbarem Neuem in der Umwelt ist hierdurch maßgeblich beeinträchtigt. Auch das intentionale Kontaktmuster steht für eine
stark umweltorientierte Kontaktgestaltung. Die Übersteigerung der Systemfunktion Zielerreichung hat die Ausweitung der Kontaktgrenze in die Umwelt und damit deren Vereinnahmung durch das System zur Folge. Auf diese Weise prozessieren intentional
agierende Systeme zwar Selbstreferenz, begreifen diese aber als Fremdreferenz (ebd.).
In die Interaktion mit ihrer Umwelt bringen die betreffenden Systeme starke Impulse
ein. Sie agieren im Zeichen des Wandels und streben nach Fortschritt und Erneuerung.
Abb. 3 Zuordnung von Systemfunktionen und Kontaktfunktionen
Adaptives
Kontaktmuster
I ntentionales
Kontaktmuster
Projektion
Konfluenz
Adaption
Strukturerhaltung
Egotismus
Normatives
Kontaktmuster
Zielerreichung
Integration
Retroflektion
Kohäsives
Kontaktmuster
Während sich die bisher dargestellten Kontaktmuster aus extern orientierten Funktionen zusammensetzen, werden die beiden folgenden Muster aus Funktionen mit interner Orientierung gebildet. Im Fall der durch starke Selbstbezüglichkeit gekennzeichneten Kontaktfunktion Retroflektion kommt es mit der Festigung der Kontaktgrenze zu
einer Verkehrung der Systemfunktion Integration, wodurch die Integration von Neuem
in das System negiert wird. Durch die Festigung verliert die Kontaktgrenze ihre Funktion als Medium des Austauschs und wird auf ihre Schutzfunktion reduziert. Infolgedessen wirkt die Kontaktgrenze als Barriere, die den Kontakt mit der Umwelt limitiert. Da
diese Form der Kontaktgestaltung auf die Sicherung des systeminternen Zusammenhalts
abzielt, kann sie als kohäsives Kontaktmuster beschrieben werden (vgl. Bachmann
2016). Zuletzt ist das normative Kontaktmuster zu nennen, das sich aus einer starken
Betonung der Systemfunktion Strukturerhaltung ergibt (ebd.). Durch den egotistischen
Rückzug der Kontaktgrenze wird der Bewahrung systeminterner Strukturen und Prozesse gegenüber der Integration von Neuem Vorrang gewährt, wodurch Lernen und Entwicklung beeinträchtigt werden.
Im Zuge der Kontaktmuster kommt es zu spezifischen Veränderungen der Kontaktgrenze, wodurch der Austausch des Systems mit seiner Umwelt und damit seine Kontaktfähigkeit eingeschränkt werden. Zumeist werden die Kontaktmuster von Systemen
als kreative Strategien zur Vermittlung zwischen Systembedürfnissen und Umweltbe-
dingungen ausgebildet. Dabei handelt es sich in der Regel um Einzelsituationen, in denen das System zwar mit bevorzugten Mustern reagiert, aber in seiner Kontaktfähigkeit
nicht nachhaltig beeinträchtigt ist. Kommt es hingegen zu einer Chronifizierung eines
Kontaktmusters, sodass das System relativ unabhängig von Umweltgegebenheiten in
diesem Muster agiert und ihm die flexible Anpassung an seine Umwelt nicht mehr möglich ist, kann die Assimilation von Neuem derart beeinträchtigt sein, dass die Existenz
des Systems gefährdet wird (vgl. Bachmann 2016).
Aus der Darstellung der veränderten Formen der Kontaktgestaltung, die sich aus einer Beiordnung von Kontaktfunktionen und Systemfunktionen ergeben und damit als
Überformungen von den in jedem Kontaktgeschehen angelegten Funktionen zu verstehen sind, ergibt sich im Umkehrschluss eine Perspektive darauf, worin gelingender
Kontakt besteht. Von Kontakt kann folglich immer dann gesprochen werden, wenn autopoietische Systeme den für sie lebensnotwendigen Austausch mit ihrer Umwelt auf
gelingende Weise herstellen und dadurch Wachstum und Entwicklung stattfinden können. Kontaktvolles Verhalten ist durch ein souveränes und fokussiertes Agieren gekennzeichnet. Es entsteht, wenn es Systemen gelingt, sich flexibel auf ihre Umwelt und
die sich mit ihr ergebenden situativen Begebenheiten einzustellen. Im Systeminnern
erfordert Kontakt neben einem Bewusstsein für die eigene Grenze das Erkennen der
eigenen Bedürfnislage und in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, zwischen diesen
Bedürfnissen und den Umweltanforderungen zu vermitteln.
Auf welche Weise ein System den Kontakt zu seiner Umwelt gestaltet, wird durch
eine komplexe Gesamtsituation beeinflusst, in der sich mehrere Faktoren identifizieren
lassen. Die strukturelle Identität des Systems und seine Fähigkeit zur erfolgreichen
Grenzbildung bestimmen seine Möglichkeit zur Kontaktgestaltung, die als Kontaktfähigkeit bezeichnet werden kann. Eine weitere Wirkung geht von der vorherrschenden
Bedürfnislage des Systems aus. Daneben wirken die Umweltbedingungen als Kontext
des Kontaktgeschehens. Als Teil der Umwelt sind in diesem Zusammenhang insbesondere andere Systeme als Interaktionspartner zu nennen.
Durch die Verbindung der gestalttherapeutischen Kontaktfunktionen mit den Systemfunktionen aus der Soziologischen Systemtheorie gelingt es, die vornehmlich therapeutische Perspektive der Gestalttherapie aufzugeben und die vielfältigen Formen der
Kontaktgestaltung von Systemen in den Mittelpunkt zu stellen. Der dargelegte Ansatz
ermöglicht es, die unterschiedlichen Formen der Kontaktgestaltung und die damit jeweils einhergehenden Veränderungen an der Kontaktgrenze auf differenzierte Weise zu
beschreiben. In einer Untersuchung zur Selbst- und Fremdeinschätzung des Kontaktverhaltens konnten die vorgestellten Kontaktmuster bereits empirisch bestätigt werden
(vgl. Lellinger 2015). Dies betrifft insbesondere das adaptive und das kohäsive Kontaktmuster, bei denen eine quantitative Kontaktveränderung vorliegt. Auch das kontaktvolle Agieren konnte deutlich abgegrenzt von abweichenden Formen der Kontaktgestaltung nachgewiesen werden. Bei den Kontaktmustern mit qualitativen Veränderungen
zeigten sich hingegen bei der Untersuchung mit den eingesetzten Items Abgrenzungsschwierigkeiten. Als weiteres Ergebnis brachte die Untersuchung die revidierte Fassung
der beiden Fragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung des Kontaktverhaltens hervor (ebd.).
3 Kontakt im Coaching
Im Folgenden sollen die kontakttheoretischen Überlegungen auf Coaching übertragen
und für das Beratungshandeln fruchtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck wird zu
Beginn der Versuch unternommen, Coaching aus kontakttheoretischer Perspektive zu
begreifen und den Kontaktprozess auf das Coaching zu übertragen. Im Anschluss daran
erfolgen eine Auseinandersetzung mit dem sich im Zuge von Coaching konstituierenden
Beratungssystem und eine Betrachtung des Kontaktverhaltens von Coach und Klient
samt Vorstellung von Indikatoren für die Beobachtung in der Praxis.
3.1 Die kontakttheoretische Perspektive auf Coaching
Coaching kann im Grunde als Kontakt zwischen Coach und Klient verstanden werden.
Diese sehr basale Perspektive auf Coaching bietet jedoch noch keinen Mehrwert, da
Kontakt sich in jeder Form von lebendiger Begegnung zeigt. Was den Kontakt im
Coaching als besonders herausstellt, besteht darin, dass er vom Coach dahingehend gesteuert wird, den Klienten nicht nur kurzfristig mit assimilierbarem Neuem zu versorgen
und auf diese Weise Lernen und Entwicklung zu ermöglichen, sondern dass er das Klientensystem zur Reorganisation anregt und nachhaltig einen Beitrag zur Steigerung der
Kontaktfähigkeit und ihrer Sicherung auch in herausfordernden Situation leistet. Die
Reorganisation im Klientensystem, also die Sicherstellung der gleichrangigen Verwirklichung der vier Systemfunktionen, kann als Voraussetzung für die Kontaktfähigkeit des
Systems gelten. In der Auseinandersetzung mit der Kontaktfähigkeit zeigt sich, dass sie
zwei Wirkrichtungen aufweist: In ihrer externen Orientierung zeigt sich die Kontaktfähigkeit des Klientensystems als Handlungsfähigkeit und in seiner Möglichkeit, auch
unter herausfordernden Bedingungen im Kontakt mit der Umwelt zu agieren. Zu diesem
Zweck werden im Coaching kontaktvolle Anpassungsstrategien an die Umwelt entwickelt und erprobt. In ihrer internen Orientierung zeigt sich die Kontaktfähigkeit als Reflexionsfähigkeit. Durch sie gelingt es dem Klientensystem, die eigenen Bedürfnisse zu
erkennen, um sie im Anschluss in der Interaktion mit der Umwelt auf angemessene
Weise zu erfüllen.
3.2 Kontakt im Coachingprozess
Ein Coachingprozess erstreckt sich zumeist über mehrere Sitzungen und kann in seiner
Ganzheit als umfassender Kontaktprozess begriffen werden. Abb. 4 zeigt die Phasen des
Coachingprozesses und die ihnen entsprechenden Phasen aus dem Gestaltzyklus des
Erlebens nach Nevis (1988) auf idealtypische Weise (vgl. Bachmann 2012).
Abb. 4 Phasen von Coaching- und Kontaktprozess (eigene Darstellung in Anlehnung an
Bachmann 2012)
Kontrakt
Empfinden und
Bewusstheit
Situations
analyse
Aktivierung
und Energie
Begleitung
Handlung und
Kontakt
Abschluss
Lösung und
Abschluss
Die Kontraktphase im Coachingprozess umfasst die Anfrage und das Auftragsklärungsgespräch. Mit der Anfrage des Klienten nimmt der Kontaktprozess seinen Lauf,
und bei Coach und Klient stellt sich eine Bewusstheit ein, die sich im Zuge der Auftragsklärung zunehmend steigert. Als zweite Phase folgt im Coachingprozess die Situationsanalyse, in der Coach und Klient gemeinsam die Situation des Klienten erkunden,
Themen identifizieren und priorisieren sowie das weitere Vorgehen abstimmen. In diesem Prozessschritt entsteht ein energievolles Interesse, das als „Sprungbrett für Kontakt
und Handlung“ (Nevis 1988, S. 40) wirkt. Mit der Phase, die Bachmann in seinem Prozessmodell „Begleitung“ nennt, beginnt jener Teil des Prozesses, der im eigentlichen
Sinne Coaching ist. Die Themen des Klienten werden unter Einsatz verschiedenster
Methoden bearbeitet, und der Transfer in die Praxis wird vorbereitet. In dieser Phase
erfolgen der im ersten Teil des Kontaktprozesses vorbereitete Handlungsschritt und
damit der Kontaktvollzug. Erkenntnis, Lernen und Veränderung werden möglich. Der
Coachingprozess wird durch ein Abschlussgespräch mit wechselseitigem Feedback abgeschlossen, wodurch der Prozess formal als beendet gelten kann. In dieser Phase
kommt es auch zu einem Abschluss des Kontaktgeschehens. Energie und Interesse verlieren ihre Richtung und nehmen wieder ab.
Mit der Gegenüberstellung der Phasen konnte gezeigt werden, dass der Coachingprozess trotz zeitlicher Unterbrechung zwischen den einzelnen Sitzungen als weit angelegter Kontaktprozess zu verstehen ist. Im Sinne eines Prinzips der Selbstähnlichkeit ist
dieser übergreifende Prozess in zahlreiche weitere und kurzfristig angelegte Kontaktprozesse zerlegbar. Als Beispiel für diese Teilprozesse können die Interventionen des
Coachs dienen. Im Coaching ergibt sich somit ein komplexes Gesamtgeschehen aus
sich zum Teil überlagernden Kontaktprozessen unterschiedlicher Intensität und Dauer.
In Verbindung mit den Kontaktmustern und der Differenzierung verschiedener Typen
von Beratungssystemen bietet eine kontakttheoretische Perspektive auf den Coachingprozess einen Erklärungsansatz für Abbrüche in der Zusammenarbeit. So kann ein Abbruch des Coachingprozesses von Seiten des Klienten im Anschluss an die Situationsanalyse darauf hinweisen, dass bei dem Klienten ein kohäsives Kontaktmuster vorherrscht und es Coach und Klient nicht gelungen ist, ein kontaktstarkes Beratungssystem aufzubauen. Eine solche Betrachtungsweise kann dem Coach als Grundlage für
seine Prozessreflexion dienen.
3.3 Kontaktmuster im Beratungssystem
Mit Beginn des Coachings und mit Aufnahme der Beziehung zwischen Coach und Klient konstituiert sich ein Kommunikationssystem, das im Folgenden als „Beratungssystem“ bezeichnet wird. In der Konstitutionsphase, die im Zuge von Erstkontakt und Auftragsklärung stattfindet, kommt es zu Aushandlungen auf der Sach-, Sozial- und Zeitdimension. Was ist der Gegenstand der Kommunikation? Wer bringt auf welche Weise
Kommunikation ein? Auf welche Dauer ist die Kommunikation angelegt? Ausgehend
von diesen Festlegungen prozessiert das Beratungssystem seinen Sinn und damit den
Sinn der Beratung (vgl. Dallüge 2015). Im Kontakt miteinander agieren Coach und Klient sowohl kontextabhängig und aufeinander bezugnehmend als auch im Sinne ihrer
Eigenlogik. Auf diese Weise bringen sie mit ihren Kommunikationen auch ihre Kontaktmuster in das Beratungssystem ein. Durch einen Rückgriff auf ein Konzept von
Gregory Bateson wird es möglich, entsprechend den von den Beteiligten eingebrachten
Mustern unterschiedliche Typen von Beratungssystemen zu differenzieren.
Ein Beratungssystem kann als symmetrisch bezeichnet werden, wenn Coach und
Klient vornehmlich das gleiche Kontaktmuster einbringen (vgl. Bateson 1992). Das
Agieren in solchen Systemen ist dadurch gekennzeichnet, dass jede Kommunikation
durch eine weitere Kommunikation des gleichen Musters beantwortet wird, wodurch
sich das eingebrachte Kontaktmuster zunehmend chronifiziert. Den Beteiligten gelingt
es folglich trotz hoher Abschlussfähigkeit nicht mehr, sich wechselseitig mit assimilierbarem Neuem zu versorgen, was schließlich zum Kontaktabbruch führt. Als Beispiel
kann ein Beratungssystem dienen, in das Coach und Klient ein adaptives Kontaktmuster
einbringen. Das resultierende Beratungssystem ist durch ein hohes Maß an Nähe und
vornehmlich zustimmende Kommunikationen gekennzeichnet, weshalb die Beteiligten
die Zusammenarbeit als harmonisch wahrnehmen. Aufgrund der starken wechselseitigen Anpassung gelingt es dem Coach jedoch kaum, den Klienten durch neue Perspektiven und Impulse anzuregen. Resultierend daraus können die Entwicklungsziele des Klienten nicht erreicht werden, und das Coaching bleibt weitestgehend wirkungslos.
Bringen Coach und Klient anders als bei dem eben dargestellten symmetrischen Beratungssystem vornehmlich unterschiedliche Kontaktmuster ein, kann mit Bateson von
einem komplementären Beratungssystem gesprochen werden (vgl. Bateson 1992). Infolge einer sich deutlich unterscheidenden Steuerung von Aktivität und Aufmerksamkeit gelingt es den Beteiligten kaum, in ihren Kommunikationen aufeinander Bezug zu
nehmen, wodurch sie einander sinnbildlich verpassen. Vor diesem Hintergrund tendieren auch komplementäre Beratungssysteme zum Kontaktabbruch. Je nachdem, welche
Kontaktmuster eingebracht werden, ergibt sich eine spezifische Dynamik. Illustriert
werden kann eine solche Dynamik durch das Beispiel eines Beratungssystems, in das
der Coach ein intentionales und der Klient ein normatives Kontaktmuster einbringt.
Während der intentional agierende Coach mit einem hohen Maß kommunikativer Dichte Anregungen zur Veränderung formuliert, reagiert der normativ agierende Klient distanziert und abwehrend. In diesem Fall ist ein frühzeitiger Abbruch der Coachingbeziehung wahrscheinlich, da der normativ agierende Klient die Anregungen des Coachs als
Störung erlebt und meint, selbst bereits alle Antworten zu kennen.
Wird in das Beratungssystem sowohl verbindende symmetrische als auch differenzierende komplementäre Kommunikation eingebracht, lässt sich mit Bateson von einem
reziproken Beratungssystem sprechen (vgl. Bateson 1992). Während Coach und Klient
über die symmetrische Kommunikation Anschlussfähigkeit erreichen, regen sich die
Beteiligten durch die komplementäre Kommunikation wechselseitig an und versorgen
sich mit Neuem. Auf diese Weise entsteht eine kontaktvolle und stabile Arbeitsbeziehung, die Lernen und Entwicklung ermöglicht, weshalb ein reziprokes Kommunikationssystem auch als Kontaktsystem beschrieben werden kann (vgl. Bachmann 2016).
Der Aufbau eines stabilen Beratungssystems kann als Voraussetzung für den Erfolg des
Coachings angesehen werden. In einem solchen System begegnen sich Coach und Klient aufmerksam, interessiert und offen. Dem Coach gelingt es, sich auf den Klienten
und seine kommunikativen Muster einzustellen, ohne seine Wirksamkeit durch eine zu
starke Anpassung aufzugeben. Stattdessen versteht er es, gezielt zu irritieren und zu
intervenieren, um den Klienten auf diese Weise anzuregen und mit assimilierbarem
Neuem zu versorgen. Der Klient findet im Coaching den Raum, mit der Unterstützung
des Coachs sein Anliegen zu bearbeiten, und versteht es, diesen zu nutzen. Er zeigt sich
offen für Reflexion und Veränderung.
3.3.1 Das Kontaktverhalten des Klienten
Klienten suchen das Coaching aus unterschiedlichen Beweggründen und mit den vielfältigsten Anliegen auf. Zu ihren Themen gehören der Umgang mit neuen und herausfordernden Situationen, die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, die Reflexion
des persönlichen Führungshandelns und die Klärung von Konfliktsituationen. Mit diesen Themen kommen die Klienten zumeist dann ins Coaching, wenn es ihnen nicht
mehr in für sie befriedigendem Maße gelingt, mit ihrem Kontaktverhalten zwischen den
Anforderungen ihrer Umwelt und ihren Bedürfnissen zu vermitteln.
Über den gesamten Coachingprozess hinweg hat der Coach Gelegenheit, Informationen zum Kontaktverhalten des Klienten zu sammeln. In diesem Zusammenhang sind
zwei Ebenen relevant. Die erste Ebene ist dem Coach unmittelbar durch Beobachtung
zugänglich und bezieht sich auf die Art, wie der Klient die Interaktion im Coaching
gestaltet. Wie gestaltet er den Kontakt zum Coach? Wie geht er mit dessen Impulsen
um, und auf welche Weise nutzt er den Coachingprozess für sich? Die zweite Ebene
verschließt sich der unmittelbaren Beobachtung und ist dem Coach nur über die Beschreibungen des Klienten zugänglich. Sie bezieht sich auf das Kontaktverhalten des
Klienten in den für das Coachinganliegen relevanten Umwelten. Wie setzt sich der Klient beispielsweise zu seinen Kollegen in Beziehung? Welche Wirkungen schreibt er
anderen zu, welche sich selbst? Wie geht er mit herausfordernden Situationen um? Auf
Grundlage seiner Beobachtungen und der Beschreibungen des Klienten kann der Coach
zu drei grundlegenden Einschätzungen kommen: (1) Der Klient agiert überwiegend
kontaktvoll. (2) Das Agieren des Klienten ist durch ein Kontaktmuster geprägt, mit dem
er auf bestimmte situative Umweltbegebenheiten im Sinne einer kreativen Anpassungsstrategie reagiert. (3) Der Klient zeigt kontextübergreifend und relativ unabhängig von
situativen Gegebenheiten das gleiche Kontaktmuster, wodurch auf dessen Chronifizie-
rung geschlossen werden kann. Die Kontaktfähigkeit des Klienten kann in diesem Fall
als nachhaltig beeinträchtigt erachtet werden.
Seine Einschätzung zum Kontaktverhalten des Klienten dient dem Coach als Ausgangspunkt für die Formulierung seiner Hypothesen und die daran anschließende Interventionsplanung. Für Klienten, die überwiegend kontaktvoll agieren oder Kontaktmuster vereinzelt als Anpassungs- und Bewältigungsstrategien zeigen, kann Coaching ein
mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Weg sein, Anliegen und Themen zu bearbeiten. Im Unterschied dazu ist die Anwendung von Coaching bei Personen mit chronifiziertem Kontaktverhalten zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang sei auf die Diskussion zur Abgrenzung von Coaching und Psychotherapie hingewiesen (vgl. Grimmer
& Neuom 2009).
Die folgenden Indikatoren können bei der Einschätzung des Kontaktverhaltens im
unmittelbaren Kontakt mit dem Klienten hilfreich sein (Tab. 1):
Tab. 1 Indikatoren für die Einschätzung des Kontaktverhaltens von Klienten
Der Klient...
Adaptives Kontaktverhalten
- ...ist in besonderem Maße daran interessiert, eine gute Beziehung herzustellen.
- ...sucht Nähe.
- ...zeigt sich sehr zustimmend.
Intentionales Kontaktverhalten
- ...kommt mit einem klaren Auftrag an den Coach in das Coaching.
- ...formuliert Vermutungen und Zuschreibungen zu anderen Personen.
- ...zeigt sich sehr fordernd.
Kohäsives Kontaktverhalten
- ...verleiht der Interaktion nur wenige Impulse.
- ...hält seine Wünsche und Bedürfnisse zurück.
- ...äußert seine Gedanken nur zögerlich.
Normatives Kontaktverhalten
- ...sucht Bestätigung für seine Sicht auf die Dinge.
- ...kann sich nur schwer auf Neues einlassen.
- ...unternimmt den Versuch, die Kontrolle über den Prozess zu erlangen.
Kontakt
- ...tritt souverän und selbstverantwortlich auf.
- ...zeigt sich im Prozess offen und interessiert.
- ...kann seine Gefühle und Bedürfnisse angemessen ausdrücken.
3.3.2 Das Kontaktverhalten des Coachs
Dem Coach kommt im Coaching die Verantwortung für den Prozess zu. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen schließt diese Rollenanforderung ein, dass
der Coach die von seiner Seite erforderlichen Rahmenbedingungen für den Aufbau eines kontaktstarken Beratungssystems sicherstellt. In diesem Zusammenhang ist der
Coach gefordert, sich flexibel auf das Agieren des Klienten einzustellen und anschlussfähig zu kommunizieren. Er ist zeitgleich ebenfalls gefordert, durch den bedachten Einsatz komplementärer Kommunikation Irritationen zu erzeugen und den Klienten auf
diese Weise zu Perspektivwechseln und Musteränderungen anzuregen. Aus den benannten Erfordernissen ergibt sich für das Beratungshandeln des Coachs ein Spannungsfeld
aus symmetrischem und komplementärem Kommunizieren, das kennzeichnend für reziproke Beratungssysteme ist. Da die Kontaktstärke eine wesentliche Bedingung für den
Aufbau eines tragfähigen Beratungssystems darstellt, kann auch die Weiterentwicklung
der eigenen Kontaktfähigkeit als Auftrag an den professionellen Coach verstanden werden. Den Ausgangspunkt hierfür bildet die Reflexion des eigenen Kontaktverhaltens,
für welche die folgenden Indikatoren einen Anlass bieten können:
Tab. 2 Indikatoren für die Reflexion des Kontaktverhaltens von Coaches
Adaptives Kontaktverhalten
- Mir ist es besonders wichtig, dass mein Klient sich wohl fühlt.
- Ein positives Feedback des Klienten ist für mich der größte Lohn.
- Meine Klienten erhalten von mir viel Zuspruch.
Intentionales Kontaktverhalten
- Ich entwickle schnell Hypothesen zu der Situation des Klienten.
- Ich konfrontiere den Klienten mit meinen Einschätzungen.
- Meine Hauptaufgabe sehe ich darin, den Klienten zur Veränderung anzuregen.
Kohäsives Kontaktverhalten
- Meine persönlichen Gedanken und Gefühle behalte ich im Coaching für mich.
- Ich wäge jede Intervention gründlich ab.
- Es ist für mich wichtig, mich deutlich abzugrenzen.
Normatives Kontaktverhalten
- Wenn ich zu einer Einschätzung gekommen bin, halte ich daran fest.
- Ich beanspruche die Deutungshoheit darüber, wie die Dinge sind.
- Ich bringe gerne ein hohes Maß an Expertenwissen in das Coaching ein.
Kontakt
- Es fällt mir leicht, eine partnerschaftliche und tragfähige Beziehung zu dem Klienten aufzubauen.
- Im Prozess kann ich flexibel auf die Impulse des Klienten reagieren.
- Es gelingt mir, das Verhältnis vom Nähe und Distanz angemessen auszutarieren.
4 Zusammenfassung und Ausblick
Unsere Intention mit diesem Artikel besteht darin, die Landschaft von Modellen und
Theorien zum Thema Coaching um einen fundierten theoretischen Bezugsrahmen zu
ergänzen. Was diesen von anderen unterscheidet, ist nicht zurückzuführen auf die Elemente, aus denen er besteht, sondern darauf, wie diese zusammengesetzt sind. Die Verbindung von systemtheoretischen und gestalttherapeutischen Elementen ermöglicht es,
die vielfältigen Formen der Kontaktgestaltung von Systemen und in diesem Zusammenhang den Prozess, durch den lebendige Systeme ihre Autopoiese mit assimilierba-
rem Neuem versorgen, in den Mittelpunkt zu stellen. Für das Coaching kann daraus eine
neue Perspektive auf die durch vielfältige Bedingungen beeinflusste Interaktion von
Coach und Klient sowie eine differenzierte Betrachtung des Coachingprozesses abgeleitet werden.
Literatur
Bachmann, T. (2012). Coaching-Prozesse. In Deutscher Bundesverband Coaching e.V. (Hrsg.),
Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung von Coaching als Profession. Kompendium mit den Professionsstandards des DBVC (4., erw. Aufl., S. 65-78). Osnabrück: DBVC.
Bachmann, T. (2016). System und Kontakt. Ideen für eine Theorie des Kontakts. In Vorbereitung.
Bateson, G. (1992). Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und
epistemologische Perspektiven. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Dallüge, T. (2015). Coaching in der Beratung von Unternehmen. In A. Schreyögg & C.
Schmidt-Lellek (Hrsg.), Die Professionalisierung von Coaching. Ein Lesebuch für den
Coach (S. 135-148). Wiesbaden: Springer.
Gremmler-Fuhr, M. (1999). Grundkonzepte und Modelle der Gestalttherapie. In R. Fuhr, M.
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Sandrina Lellinger, Master of Arts Bildungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Forschung
und Entwicklung in Organisationen, Systemischer Coach, Systemische Organisationsberaterin,
Beraterin bei der artop GmbH sowie Führungskraft und Weiterbildungsbeauftragte bei einem
anerkannten Träger der Jugendhilfe.
Dr. Thomas Bachmann, Dipl.-Psych., Kommunikations- und Verhaltenstrainer, GestaltOrganisationsberater, Coach und Therapeut, langjähriger Geschäftsführer und Partner der artop
GmbH, Beratungs-, Ausbildungs- und Forschungsinstitut an der Humboldt-Universität zu Ber-
lin auf dem Gebiet der Personal- und Organisationsentwicklung und Usability, SeniorCoach
beim Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC).