SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Schwesterherz Eine ganz besondere Beziehung Von Claudia Heissenberg Sendung: Mittwoch, 28. September 2016, 10.05 Uhr Redaktion: Nadja Odeh Regie: Maidon Bader Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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O-Ton 2 (Karla): Also die Schwester konnte ich mir nicht aussuchen, die war bereits da, als ich kam und ich denke, dass dieses…was immer wieder Arrangement ist, also zu gucken, wie können wir miteinander und was machen wir miteinander, …das ist Lust und Leid, Liebe und Hass, Freude und vielleicht auch mal weniger Freude, also ein sehr prägendes Miteinander glaube ich. O-Ton 3 (Linda): Man ist sehr dicht beieinander, man kennt alle Stärken und natürlich auch alle Schwächen, …meine Schwester und ich sind …nur 16 Monate auseinander, wurden auch immer so ein bisschen im Doppelpack gehandhabt, so typisch 70er Jahre, auch dass man immer gleich angezogen war, und wir sind aber auch sehr, sehr unterschiedlich, und das hat natürlich auch so ein bisschen für Zündstoff gesorgt. O-Ton 4 (Astrid): Also ich hatte immer das Gefühl, ich werde nicht gesehen, mit mir wird gar nichts gemacht und die teilen sich gar nicht mit, …aber, das ist auch so, weil wir eben nicht so eng miteinander waren, hatten wir auch nicht so viel Reibungspunkte. …Ich glaube, die Reibereien entstehen auch dadurch, dass man enger zusammen ist, dass man mehr Zusammenhalt hat, schon früh als Kinder. Das hatten wir nicht. O-Ton 5 (Ortrud): Wenn wir keine Schwestern wären, hätten wir uns nicht kennengelernt. Es gab nicht unbedingt eine Schnittmenge. …Und ich hatte lange, lange Jahre das Gefühl, ich gehöre nicht in diese Familie, zumal meine Mutter auch gesagt hat, dass in der Nacht acht Kinder geboren worden sind. Das hatte ich immer im Kopf, dass ich da irgendwie vertauscht bin. Musik Ende Atmo 1 (Schwesternworkshop): (Barbara) Ja hallo, ich möchte Euch begrüßen, …ich freu mich, dass ihr da seid, … und das Besondere heute ist, dass ihr gemischt seid, ihr kennt das von dem Workshop, dass ihr als Frauen alleine da wart …mit eurem Schwesternthema, es gibt aber auch die Workshops bei denen Schwester gemeinsam kommen und heute haben wir beides zusammen, wir haben also Schwestern, die gemeinsam hier sind und die alleine hier sind, und das ist immer besonders spannend. …(weiter als Atmo unter Sprecherin) 2 Erzählerin: Barbara Ziebell und ihre Schwester Cordula veranstalten Seminare für Geschwister, die mehr über ihre Beziehungen zueinander erfahren wollen. Die Konflikte klären, Probleme aufarbeiten oder ganz einfach wissen möchten, was es bedeutet, Schwester zu sein und eine Schwester zu haben. Auf die Idee kamen die beiden nach einem gemeinsamen Urlaub, bei dem sie ein paar Mal auf ihr enges und harmonisches Verhältnis angesprochen worden waren. O-Ton 6 (Cordula): Also dieses Schwesternthema stand plötzlich so im Vordergrund, dass wir doch sehr erstaunt waren und sehr verblüfft, weil für uns war das ja was ganz selbstverständliches, gemeinsam in Urlaub zu fahren, und irgendwann nach dem Urlaub hatte ich plötzlich mitten in der Nacht so eine Eingebung…Seminare anzubieten, von Schwestern für Schwestern. Atmo 2: Workshop Erzählerin: In den dreitägigen Wochenend-Workshops können die Teilnehmerinnen unter Anleitung und in geschützter Atmosphäre ihre Schwesternbeziehung erforschen. Die ist nicht selten geprägt von Enttäuschungen, Kränkungen und Verletzungen. O-Ton 7 (Cordula): Viele Frauen, die kommen, kommen mit großen …Erwartungshaltungen an ihre Schwester, … wenn meine Schwester anders wäre, dann würden wir uns viel besser verstehen. Wir setzten aber dort an, dass wir nur etwas verändern können, was bei uns selber liegt. Wir können nur Veränderungen bei uns selber bewirken, und das bewirkt dann auch Veränderung beim anderen. Bestenfalls. Nicht immer. Aber bestenfalls. Sprecherin: Cordula Ziebell ist 58 Jahre alt und von Beruf Gestalttherapeutin; Barbara ist dreieinhalb Jahre älter und arbeitet als Referentin in der Erwachsenenbildung. Die eine ist groß, schlank und blond, die andere ein paar Zentimeter kleiner und hat dunkle Haare, aber die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen. In ihren Gesichtszügen genauso wie in ihren Bewegungen. Vor allem stimmlich sind die beiden kaum zu unterscheiden. Das ist bei Schwestern häufiger so. Schließlich kennen sie sich von klein auf in jeder erdenklichen Situation, teilten die Eltern, das Zimmer, die Badewanne. Es gibt kaum jemanden, der einem so nah ist und so viel über einen weiß. ((Für viele Frauen ist die Schwester einer der wichtigsten Menschen im Leben. Vertraute, Verbündete und Retterin in der Not. Trotzdem läuft nicht immer alles harmonisch und reibungslos.))o.c. O-Ton 8 (Cordula): Viele Schwestern beschreiben es so, dass sie sehr darunter leiden, nicht gesehen zu werden. …(Sie leiden auch sehr darunter, dass sie sich mehr Kontakt wünschen,) viele sprechen von Sehnsucht zu ihren Schwestern, gerade, wenn sie auch älter werden, wenn die Eltern älter werden oder sterben wächst das Bedürfnis nach mehr Nähe ungemein, und fühlen sich da oft in ihren Wünschen unerfüllt. Oder auch allein 3 gelassen. …Dann erkennen sie erstmal im Workshop, im Seminar..., dass es vielen Frauen ähnlich geht, und dadurch entsteht erstmal so eine allererste Offenheit und Öffnung. O-Ton 9 (Ortrud): Ich glaube, in der Vergangenheit habe ich viel vor meinen Schwestern verborgen und wenig von meinem Leben mitgeteilt und habe vieles auch extra anders gemacht. Ich fand meine Schwestern spießig und konservativ: Heiraten, Kinder kriegen, Häuser bauen, das ist überhaupt nicht meins, (und) ich war dann in der Clique und hatte große Klappe und hab geraucht und bin durch die Gegend gezogen und hatte wechselnde Partner und ach, alles anders, gerade extra, war auf Demos und hab Häuser besetzt und was weiß ich. …Und dieses Rumgeeier, was ich dann hatte, das hat oft auch mit Minderwertigkeit zu tun gehabt, ich wusste einfach nicht richtig, was ich will. Ich weiß es heut noch manchmal nicht. Erzählerin: Sagt Ortrud, die mit ihrer älteren Schwester Petra und ihrer jüngeren Schwester Astrid das Seminar besucht. O-Ton 10 (Astrid): Also Ortrud ist für mich total faszinierend, schon von klein auf gewesen, weil die hat unheimlich viel ausprobiert, und die kriegte Sachen hin, die konnte so gestalten, also auch so Sachen nähen und irgendwelche verrückten Sachen sich ausdenken und machen und malen und tun und irgendwie alles konnte sie, aber ich habe mich immer in ihrer Gegenwart ganz winzig gefühlt. Erzählerin: Astrid, mit 48 das Küken der Familie, die 56-jährige Ortrud und Petra, 60 Jahre alt, leben bis heute nicht weit voneinander entfernt. Trotzdem war ihr Verhältnis früher nicht gerade von schwesterlicher Nähe gekennzeichnet. O-Ton 11 (Petra): Also schlagfertig und Sprüche, das ist in unserer Stammfamilie ziemlich wichtig gewesen über Vaters Seite, und das haben wir auch, aber es gibt bei diesen Schlagfertigen ja auch den Satz, lieber eine Freundschaft vergeigen als einen guten Spruch ungesagt lassen, und das haben wir auch drauf, und dadurch haben wir manchmal durch so flapsige Bemerkungen uns gegenseitig tief verletzt, weil wir dann aber in dieser Flapsigkeit so unterwegs waren, war das nicht mehr aufzuarbeiten. O-Ton 12 (Ortrud): Wir waren auch nicht so Schwestern, die kichernd unter einer Bettdecke sich Geschichten aus ihrem Liebesleben erzählt haben, gar nicht, also diese Vertrautheit, die hatte ich jedenfalls Euch gegenüber nicht. O-Ton 13 (Astrid): Obwohl ich sagen muss, dass ich doch schon den Eindruck hatte, dass ihr mehr auf Muttis Seite wart, und ich mit Wolfram und Vati auf der anderen Seite war. Also, dass das so zwei Lager waren. 4 Erzählerin: Jahrelang hatten die Schwestern, abgesehen von gelegentlichen Treffen bei Familienfeiern, nur wenig miteinander zu tun. Erst eine schwere Erkrankung, die Ortrud beinahe das Leben gekostet hätte, brachte sie einander wieder näher. Und war für die drei auch der Anlass, den Workshop zu besuchen. Dass Schwestern in dem Alter gemeinsam über die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung sprechen möchten, ist keine Selbstverständlichkeit. Darum gibt es auch einen Workshop für Frauen, die alleine kommen möchten, weil sich die Fronten verhärtet haben. O-Ton 14 (Linda): Also der Auslöser war, dass ich mich wieder mit meiner Schwester überworfen hatte, ich hab alte Geschichten ausgepackt …und das hat irgendwie als Resultat gehabt, dass meine Schwester dann auch alte Geschichten auspackte bzw. auf einmal mich regelrecht mit Dreck bewarf, und so ging das hin und her, und wir hatten also dann absolute Funkstille, Sendepause, wir konnten eigentlich überhaupt nicht mehr miteinander umgehen, …das hat mich sehr belastet und hat mir auch nochmal so vorgeführt, mein Gott, das sind jetzt so Probleme, die schleppst Du jetzt schon Jahrzehnte mit dir rum, und immer wieder kommt es zu diesen heftigen Zerwürfnissen, und ich möchte das endlich mal loswerden, und dann habe ich gegoogelt im Internet, einfach mal eingegeben „Schwesternproblematik“ und dann kamen, blinkte direkt als erstes dieser Schwesternworkshop und… ich muss sagen, ich bereue das keine Sekunde, dass ich das gemacht habe. Atmo 3: Workshop Erzählerin: Linda ist 48 Jahre alt und ein sogenanntes Sandwichkind. Sie hat einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester, mit der sie immer ein sehr enges Verhältnis hatte. So eng, dass sie in der Kindheit nicht nur dieselben Hobbies hatten sondern auch dieselben Freundinnen teilten und später, als Teenies, sogar die Beziehungspartner tauschten. Bei der 54-jährigen Karla war das ganz anders. O-Ton 15 (Karla): Unser Miteinander in der Kindheit war, glaube ich, sehr, also soweit ich es erinnere, doch ziemlich stark geprägt von… Differenzen und Differenzierung. Es ging stark um: Was hat sie, was hab ich nicht? Was will ich aber haben, was aber nicht zugänglich ist, und das auch schon in ziemlich zartem Alter, …Ein banales Beispiel, banal ist es äußerlich, innerlich war es schlimm. Also meine Schwester war glatthaarig, dunkel, ich war blond-lockig, ich trug diese lockigen Haare gerne offen, meine Mutter kriegte von der Lehrerin den Hinweis, ja Sie müssen dem Kind mal die Haare etwas ordentlicher machen, und meine Schwester hat sich sozusagen darein gehängt und hat das unterstützt, dass meine Mutter mir die Zöpfe auf eine Weise band, dass es so wehtat, und das war so, so’ne Beschneidung von Freiheit, also wirklich...ganz konkret, wo es um, auch um körperlichen Schmerz ging, gehauen werden, gekniffen werden, das war, fand ich sehr demütigend. …Da kann ich meine Mutter und meine Schwester so als eine Instanz sehen, die mich einfach auflaufen lassen, die mich auch, ich sag das jetzt bewusst ein bisschen grob, vergröbert, die mich schikanieren können, wo ich mich klein, gleichbedeutend mit ohnmächtig fühle. 5 Atmo 2: Workshop Erzählerin: Mit Schwestern ist das so eine Sache: In keiner anderen Beziehung liegen Bewunderung und Herablassung, Liebe und Hass, Solidarität und Rivalität so eng beieinander. Schwestern beglücken und quälen sich, beschützen und verpetzen sich, liebkosen und verprügeln sich. Sie konkurrieren um das beste Essen, den besten Platz am Tisch und um die Zuneigung und Fürsorge der Eltern, die nicht immer gleich verteilt werden. Obwohl der Einfluss der Eltern in den Schwesternworkshops nur eine untergeordnete Rolle spielt. O-Ton 16 (Barbara): Es gibt ja manchmal auch so Aufgaben, die man in Geschwisterkonstellationen hat oder Rollenzuweisungen, die einen dann irgendwo einengen oder zu sehr festlegen. Habt Ihr da auch noch ein Beispiel für? Wenn es so ein Beispiel noch gibt? O-Ton 17 (Linda): Ich bin ja die Ältere, und ich hab ganz klassisch die Rolle der Älteren eingenommen, ich war ja die Leistungsorientierte, die Vernünftige…das ist die Tochter, auf die wir so stolz sein können, die erreicht was, die macht das gute Abi, die schreibt die guten Noten, und …meine Schwester hingegen war so ein bisschen vogelfrei, ich hatte das Gefühl, an die wurde gar nicht so viele Erwartungen gestellt, die war so mehr die Sportliche, die Hübsche, der Schmetterling, sozial sehr aktiv… für mich sah das immer so aus, die wird einfach so geliebt wie sie ist, ohne dass sie irgendwas anstellen muss, und ich musste mir das irgendwie erkämpfen oder erarbeiten. O-Ton 18 (Ortrud): Ja ich war ja immer die Hübsche und da hieß es dann immer, die kann auch einen Sack anziehen und sieht gut aus und da fühlten sich meine Schwestern dann immer so Nänänä, ich weiß nicht so genau, auf jeden Fall, ich kann ja auch nichts dafür, und das reicht ja vor allen Dingen nicht. Ich meine, da kann ich zwar schöne Augen haben, aber was soll ich damit, da kann man kein Geld mit verdienen. …Ich war auch überzeugt, dass ich vertauscht worden bin bei der Geburt. Ganz fest davon überzeugt, ich hab immer Adoptionsurkunden gesucht und so was, weil ich so anders war. Also irgendwie ja, ich war die Hübsche, aber viel mehr kam da auch nicht. O-Ton 19 (Petra): Mein Vater hat zu mir gesagt, Du stehst schon in der Bibel: Und es kam eine lange Dürre. …Ich fand mich immer als total unhübsch und eigentlich als jemand, der das mit Jungs oder so, brauchst Du dir gar keine Mühe zu geben, das wird eh nichts, und ich war dann die Fromme. Ich bin im CVJM gewesen, ich habe ganz viel Jugendarbeit gemacht …und ich bin dann als Kümmerin bin ich Krankenschwester geworden und dann weiter bin ich jetzt Pflegepädagogin und unterrichte, das ist alles wunderbar. …Aber es war eben auch, gib das mal der Petra, die macht das dann schon. O-Ton 20 (Carla): Also mir fällt auf, es gibt hier so einen einhelligen Konsens, dass die älteren Schwestern per se die sind, die zur Hilfe eilen, Verantwortung tragen, und das habe 6 ich in unserer Familie ganz anders erlebt. Ich habe erlebt, dass meine ältere Schwester eine Meisterin darin war, ich nenn das bewusst so, egoistisch ihren Neigungen nachzugehen und sich häufig zu verabschieden, und dass es bei uns so war, dass die einfühlsame, kleinere Schwester für die Eltern sozusagen dablieb und nicht in der Zeit losging und sich verwirklichte sondern sehr stark die anteilnehmende, hilfespendende und auch mit dem Kopf immer unterwegs: Wie kann ich jetzt helfen, wie kann ich jetzt helfen? …Also unsere Familie ist dafür sicherlich ein anderes Beispiel, ein anderes Modell. O-Ton 21 (Cordula): Das ist super, dass du das anbringst, weil als Älteste geboren zu werden oder als Jüngste bringt nicht per se ne Verhaltensweise mit sich sondern die Rollenzuschreibung und die Aufgaben, die vermittelt werden innerhalb der Familie. …Nur was wir in unseren Workshops schon erleben ist, dass es auch etwas Typisches gibt. Atmo 4: Workshop ((Erzählerin: Die Schöne und die Kluge, die Ängstliche und die Mutige, die Ernsthafte und die Lustige, die Brave und die Rebellin – die Etiketten und Rollenzuweisungen aus der Kindheit wirken oft noch viele Jahre fort. Sie beeinflussen die Berufs- und Partnerwahl, prägen das Verhalten in bestimmten Situationen und auch den Umgang mit anderen. Die eine prescht vor, will alles unter Kontrolle haben, die andere wartet lieber ab und überlässt anderen das Kommando. Das kennt auch Seminarleiterin Cordula Ziebell.))o.c. O-Ton 22 (Cordula): An mir typisch kleine Schwester ist immer noch, dass ich oft denke, Barbara kann das besser. …und mir ist bewusst, dass das ein alter Zopf ist, den ich immer noch mit mir herumtrage. Manchmal kann ich das auch mit Humor nehmen, manchmal muss ich ein bisschen drauf rumkauen und dann geht es wieder. O-Ton 23 (Petra): Als große Schwester trete ich immer wieder auf. Auch in Gruppen, in der Gemeinde, in der Schule, meiner Chefin gegenüber, und wenn ich dann da aufstehe und da bin, dann werde ich von anderen auch als große Schwester empfunden. also ich mach gar nichts, ich bin einfach nur da, aber ich bin eben deutlich da und das finden andere anstrengend, und dass das anstrengend sein kann, war mir vorher nicht klar, das ist mir da sehr bewusst geworden. O-Ton 24 (Astrid): …und was mir da auffällt in Bezug auf die Geschwistereihenfolge ist, dass ich unglaublich gerne Verantwortung abgebe, d.h. ich fühl mich wohl …in meinem Umfeld, wenn noch ein Chef da drüber ist, der mir sagt, was ich tun soll, und der mich fragt, wie es mir geht und der dann auch Entscheidungen trifft, die meiner Arbeit entsprechen. …Ich hab aber auch dieses Gefühl, es reicht nicht eigentlich, das ist auch ein bisschen so geblieben, also ich bin zwar ganz gut in meinem Job, und ich bin auch anerkannt und alles, aber ich denke ganz oft dieses, es ist nicht genug, es 7 ist eigentlich nicht genug, was ich hier mache. Und ich denke mal, das kommt dadurch, dass ich eben auch dieses „ich kann das nicht“ im Kopf ganz hinten klingen habe, ne. O-Ton 25 (Carla): Es ist glaube ich wirklich dieses in Stresssituationen …die Neigung zu haben, mich klein zu fühlen. Und das ist so ein Bild, aber das ist auch ganz konkret: Ich schrumpfe, also es gibt Situationen, in denen schrumpfe ich und wenn ich denke, was ich alles schon so geschafft habe und wie alt ich bin und dass ich auch einige Kompetenzen hab, denke ich, wie kann das sein? Aber ich mach mich manchmal freiwillig klein, das sagen mir auch andere. O-Ton 26 (Linda): Ich hab jetzt die seltsame Situation, dass ich auch zwei Töchter habe, die auch sehr dicht beieinander sind, wo die erste mir sehr ähnlich ist und die zweite eher meiner Schwester ähnelt. …und ich ertappe mich dabei, dass ich auch meine Ältere immer viel über ihre Leistung lobe. Was ich ja gut meine, aber wo ich dann auch manchmal Sorge habe, dass sie sich dann auch über diese Leistung identifiziert, und ich merke das auch schon, dass dieser schreckliche Umgang Früchte trägt. Wohingegen die Kleine oft kommt und sich beschwert, dass sie zu kurz kommt, dass sie in ihrer Leistung nicht anerkannt wird, dass sie ja der Loser in der Familie ist so nach dem Motto, …und dann kann ich ihr zehnmal sagen, weißt Du, du bist halt der kleine Schmetterling und Du hast so viele andere tolle Eigenschaften, Du bist halt jetzt nicht der Einser-Kandidat in der Schule, …das zählt aber nicht. Sie sieht dann nur, dass die Schwester für die schulischen Leistungen gelobt wird und sie nicht. Erzählerin: Dass Linda ihre beiden Töchter heute ganz ähnlich behandelt wie sie und ihre Schwester als Kinder von den Eltern, zeigt wie stark familiäre Beziehungen sich auf das ganze Leben auswirken. Doch bei allen Differenzen, allen Unterschieden und Streitigkeiten - sobald eine Bedrohung von außen auftaucht, halten Geschwister in der Regel zusammen und sind gemeinsam stark. O-Ton 27 (Linda): Meine Schwester wollte überhaupt nicht in den Kindergarten, und ich war schon dort und ich fand das eigentlich ganz cool und sie sollte in eine andere Gruppe kommen und hat sich, ich sehe das noch bildlich vor Augen, wie sie sich mit Händen und Füßen in den Türrahmen stemmt und da nicht hinwill. …Meine Schwester hat auch immer einen sehr starken Willen gehabt und hat es dann geschafft, dass sie dann zu mir mit in die Gruppe kam, ne und dann musste aber dafür ein anderes Kind aus meiner Gruppe in die andere gehen und die stand dann bei der anderen Gruppe am Zaun und guckte rüber, die waren so durch Zäune getrennt die Gruppen, und hat auf meiner Schwester rumgehackt, so Mamababy, kannst nicht alleine bleiben, musst bei Deiner Schwester bleiben, ich weiß nicht mehr, was wir gesagt haben, ich weiß nur, dass wir beide auf der anderen Seite standen und dann auch unsere Kommentare dazu gegeben haben oder zumindest zusammengestanden haben, ja und das ausgehalten haben, das ist jetzt, was mir so zum Zusammenhalt einfällt. 8 O-Ton 28 (Karla): Also ich hab irgendwann gemerkt, als meine Schwester in einer gewissen Not steckte, da war ich wie so eine Löwin, da habe ich gesagt, keiner darf meine Schwester verletzen und ich bin hingegangen und hab sie wirklich, hab sie sehr unterstützt und war über mich selbst erstaunt, weil ich das gar nicht gewusst habe, dass diese ich sagt mal Unterstützungsenergie so stark in mir war. …und ich vertraue auch darauf, dass das umgekehrt auch so wäre. O-Ton 29 (Barbara): Was ich so spannend finde, ist, dass wir jetzt Teilnehmerinnen hatten in einer Alterspanne zwischen 28 und 82. …die Frauen wollten noch was für sich klären, was sie ein ganzes Leben mit sich rumgetragen haben, … irgendwie genauer hingucken und ne Antwort haben und haben es alleine nicht gefunden, … und sind auch ganz erleichtert und ganz froh und glücklich dann … und das sind die Dinge, die so besonders berühren. Erzählerin: Für Barbara und Cordula Ziebell sind die Schwestern-Workshops eine Herzensangelegenheit, in die sie viel Zeit und Energie stecken. Geld verdienen sie damit kaum. Schon ein paar Mal waren die beiden kurz davor aufzugeben. Aber die positiven Rückmeldungen der Teilnehmerinnen halten sie bis jetzt noch davon ab. O-Ton 30 (Linda): Ich denke, was ich auch so ein bisschen mitgenommen habe, auch aus dem Workshop und auch insgesamt, da so ne gewisse Gelassenheit mitzubringen, auch ein Wohlwollen, dass es so ist, das ist in allen Familien so und das man das vielleicht auch gar nicht so hoch hängen muss. Man führt ja auch außerhalb der Familie noch ein Leben, wo man sich wieder auch neu definieren kann. O-Ton 31 (Astrid): Was mir persönlich als beste Übung in Erinnerung geblieben ist, war diese Teilung der Schwesterngemeinschaften in ….große Schwestern treffen sich in Raum wasweiß-ich, mittlere Schwestern treffen sich und jüngere Schwestern treffen sich, …und reden über ihre Themen, und dass das in allen Familien die gleichen Themen waren, jedenfalls für uns als Jüngste war das, das war so lustig, und wir müssten uns dann irgendwie als Jüngste präsentieren und die Ältesten kamen zu spät, weil die irrsinnig was vorbereitet hatten, natürlich (lachen) und wir haben uns wirklich totgelacht. …Es war wirklich interessant, dass es anderen jüngsten Schwestern genauso geht wie mir, das war mir nicht bewusst. O-Ton 32 (Ortrud): Wir sollten uns aufstellen wie wir uns nach dem Seminar zueinanderstehend fühlen und da haben wir festgestellt, dass wir vom rein körperlichen Entgegenkommen uns immer mit lang ausgestreckten Armen begrüßt haben und dass meine kleine Schwester z.B. sich mal wünschen würde, dass wir uns in den Arm nehmen. Und das war uns Großen eher zu nah. Oder befremdlich. Und da hat sich was verändert. Also wir begrüßen uns jetzt viel herzlicher. (Und selbstverständlicher) 9 O-Ton 33 (Petra): Wir sind ja nun auch sehr eingespannt in die Betreuung unserer Mutter und dann haben wir auch manchmal unterschiedliche Ansichten zu dem gleichen Problem. Das ist tatsächlich nicht einfach. Aber dadurch, dass wir jetzt eben im besseren Gleichklang sind, kriegen wir das besser gehändelt und müssen nicht immer zutiefst genervt sein. Sondern wir nehmen jede Möglichkeit, damit klar zu kommen, als willkommenen Gruß, dass wir denken, naja, wir sind eben verschieden und ticken unterschiedlich, dann ist das nicht mehr so schwer. Musik Erzählerin: Schwestern kann man sich zwar nicht aussuchen, aber man kommt auch nicht von ihnen los. Die Verbindung wirkt fort, selbst wenn kein Kontakt mehr besteht. Denn sie sind sich seit frühester Kindheit vertraut und durch ein ganz eigenes Kraftfeld verbunden. O-Ton 34 (Karla): Die Frage nach dem Gefühl? Das würde ich schon schwesterliche Liebe und Zuneigung nennen, also bei allem was zwischendurch an Ärger und Genervtheit auftauchen kann, … aber grundsätzlich können wir glaube ich beide sagen, es ist gut, dass es die andere gibt. 10
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