Er hat nichts zu verbergen!

Er hat nichts zu verbergen! Oder?
Ein recht guter Bekannter (intelligent, wohlgenährt und meist SVP-Wähler)
nervte mich immer wieder mit dem Satz: Was soll das ganze Getue über
Internetsicherheit. Ich habe nichts zu verbergen.
Als wir dann zu später Stunde nach einigen Bieren zu zweit zusammensassen,
erzählte er mir folgende Geschichte:
Irgendwie konnte er spätabends einem Angebot, blaue Pillen (Anmerkung an
meine Haushälterin: nicht alle blauen Pillen sind V… Man darf dieses Wort nicht
aussprechen, sonst wird der Account sofort automatisch gelöscht) zu einem
sensationellen Preis (nur noch 60 Minuten, vom Apotheker ihres Vertrauens
empfohlen, diskret verschickt, 5o% Aktionsrabatt, das sind keine Pillen das ist
eine Explosion des Lebensgefühls, und zudem, aber nur heute, werden sie rosa
umgefärbt) zu bestellen. Er war sicher, dass ihm niemand über die Schulter
schaute. Also bestellte er dieses nur für ihn geltende Sonderangebot und
meldete sich dann schnell am Computer ab, nicht, dass die Kinder am nächsten
Morgen noch was an der Bestellung änderten.
Doch dann geschah etwas Beängstigendes. Alle seine Bekannte, Freunde inkl.
die Ex-Frau (irgendwie musste das Programm Zugriff auf seine Kontakte
erhalten haben) wurden freudig informiert, dass die blaue Firma einen neuen
Kunden gewonnen hat und er 1000 blaue Pillen bestellt habe. Ja nicht genug, er
hat gleichzeitig auch ein Abo für 24 Monate abgeschlossen, damit er zum
sensationellen Sonderpreis jede Woche eine solche Packung erhält. Irgendwie
muss er sich bei der Eingabe vertippt haben oder, was wahrscheinlicher ist, hat
die Firma die Anzahl Pillen automatisch eingesetzt.
Natürlich konnte ich ihn dann beruhigen, als ich ihm versicherte, dass nicht
jedes Mal, wenn er eine solche Pille schluckte, wiederum sämtliche Bekannte
und Freunde benachrichtigt werden. Auch wenn er sich damals vielleicht etwas
vorschnell angemeldet hat bei Facebook, Twitter, Google+, Xing und dem mit
VPN abgesicherten Firmennetzwerk usw. mit Klarnamen, Bild und NatelNummer (jetzt wissen wir auch, wieso die das so gerne eintragen lassen).
Die allerneuste Bedrohung nutzt Ultraschall. Das meint, wenn man ganz
gemütlich das Gebell seines Lieblingshundes am Laptop anhört (es reicht schon
ein lautes Zerbeissen einer Tablette) kann es sein, dass via Ultraschall
Schadprogramme übertragen werden (z.B. an Computer, an Natel und an TV).
Es wird geraten, überall den Ton abzustellen. Zumindest bis in ein paar Jahren
ein Gegenmittel gefunden wird.
Also bei meinem Bekannten fast nichts geschehen (ausser ein paar neidische
Blicke im Büro). Nur die Bank machte nicht ganz mit. Die freundliche
Kassiererin, mit der er immer einen Scherz austauschte, frage telefonisch nach,
ob die wöchentlichen Zahlungen von 1000.- CHF für V… (fast wäre ich wieder
hineingefallen, so nach dem Sprichwort: «Wer andern eine selbst hinein, hat
Gold im Mund» oder so ähnlich) in Ordnung wären. Er sei nun schon der Dritte
im Dorf der mit dieser Firma Geschäfte tätige. Und Hans, den er sicher vom
Stammtisch her kenne, hätte sogar pro Woche 1000 Kondome abonniert.
Seit diesem Tage erledigt er seine Zahlungen nur noch am Computer, ohne
automatische Ergänzung der Eingabe der Tastatur.
Und geht auch nicht mehr zum Stammtisch.
Und seine Kinder fangen langsam an zu fragen, wieso der Papa am
Montagmorgen immer selbst zur Poststelle geht, obwohl der Pöstler doch wie
ein Uhrwerk um 11.00 Uhr die Post abliefert.
Der Wirkstoff selbst ist natürlich nur ein Placebo. Scheint aber trotzdem
mehrmals geklappt zu haben, auch wenn er sich darüber nicht im Detail
ausgelassen hat.
Heute würde er tatsächlich etwas zögern, wenn man ihn fragt, ob er was zu
verbergen hätte.