0114 mittendrin Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch ARBEITSLOS Nichts ist selbstverständlich Rolf Mauti (60) hat eine schwere Zeit hinter sich. 4 Jahre lang war er arbeitsund obdachlos. Heute ist er wieder auf dem aufsteigenden Ast: Seit Kurzem hat er ein Dach über dem Kopf und ein geregeltes Einkommen. Er ist einer von drei Stadtführern, die unter dem Patronat des Vereins Surprise Touren durch das soziale Basel anbieten. Da erzählt er Interessierten sein Leben, zeigt ihnen die Plätze und Institutionen, die ihm nach seinem sozialen Absturz zur Heimat geworden sind, und macht damit auf eine Realität aufmerksam, von der viele Menschen keine Ahnung haben. Seine neue Arbeit gefällt ihm gut; er fühlt sich dabei auch ein bisschen als Vermittler zwischen zwei ganz verschiedenen Welten. Wenn er erzählenderweise auf sein Leben zurückblickt, dann merkt man ihm an, dass er durch seine Erfahrungen als Randständiger ein anderer Mensch geworden ist. «Ich weiss heute, dass nichts selbstverständlich ist im Leben», sagt er, und berichtet von der Solidarität derer, die auf der Gasse leben und ihm damals viele Tipps gegeben und Institutionen gezeigt haben, die ihn weitergebracht haben. Ein Unfall hat ihn damals aus der Bahn geworfen. Operationen mit unbefriedigenden Resultaten folgten, von da an ging es ganz schnell bergab. Von einer 20%igen SUVA-Rente konnte er nicht leben, zum Sozialamt gehen mochte er nicht, weil er sein eigener Herr und Meister und frei sein wollte, also machte er sich selbstständig. Er nahm Geld auf, das er nicht zurückmittendrin012014 zahlen konnte, seine Ehe ging in Brüche, bald konnte er sich auch keine Wohnung mehr leisten. Aber Rolf Mauti ist ein zäher Mann. Er machte Gelegenheitsjobs, lernte im Job-Shop neue Fertigkeiten, packte überall an, wo es etwas zu tun gab, war zuverlässig und murrte nicht. «Ich habe immer an mich geglaubt», meint er. Das war vielleicht sein wichtigstes Kapital. Und er hat Menschen getroffen, die ihm eine Chance gegeben haben. Das hat ihn dankbar gemacht. Rolf Mauti weiss heute besser als früher, wie wichtig es ist, dass man Menschen um sich hat, die für einen da sind: «Unser Dasein ist ein Geschenk. Wir sollten es so einsetzen, dass das Leben auch für andere lebenswert wird.» Er weiss aber auch um die Grenzen der Solidarität. Heute gehört er nicht mehr zu denen ganz unten. Das macht den Kontakt mit ihnen schwieriger. Nicht wenige beneiden ihn darum, dass er es geschafft hat, wieder in ein einigermassen normales Leben zurückzufinden. Sie begegnen ihm mit Argwohn und Groll. In der «normalen» Welt aber zeigt man manchmal mit Fingern auf ihn und hält ihn für einen Sozialschmarotzer. Rolf Mauti weiss, dass er das nicht ist. Sein Weg ist weit und schmerzlich gewesen und seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft hat Kraft gekostet. Er ist darum nicht nur dankbar für die Chancen, die man ihm geboten hat, sondern auch stolz darauf, dass er sich ihrer als würdig erwiesen hat. Er ist mit seinem Leben zufrieden. Sein Rat an alle, die ihre Arbeit verlieren, ist klar: «Nehmt jede Gelegenheit zu arbeiten wahr! Wer bei Arbeitsintegrationsprogrammen mitmacht, auch wenn die vom RAV finanziert sind, bekommt länger Geld vom Arbeitsamt.» Arbeits- und obdachlos zu sein, das weiss Rolf Mauti, ist kein Schleck und es kann jeden und jede treffen. Gut, wenn man sich nicht unterkriegen lässt, sondern kämpft und offen ist für Neues. Es gibt immer einen Weg. • Markus Schütz, Interview Vreni Mühlemann, Gesprächsaufzeichnung RUBRIKTITEL EDITORIAL ARBEITSLOS Arbeitslosigkeit in Zahlen Liebe Leserin, lieber Leser, Kirche findet nicht nur am Sonntag statt. Oft ist es viel mehr der Alltag, der uns herausfordert, und mit ihm die Arbeitswelt mit ihren Nöten. Umfragen zeigen immer wieder, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit auf vielen Menschen lastet. Kündigung der Arbeitsstelle, erfolglose Arbeitssuche, Verlust eines geregelten Einkommens und entsprechende Existenzsorgen lasten auch in unserer Gemeinde auf Menschen und ihren Angehörigen. Ihre Not ist oft schwer zu entdecken, weil sich Betroffene zurückziehen. Sie versuchen, nach aussen das Gesicht zu wahren, um ihren Platz in der Gesellschaft zu behalten. Sie sind dringend darauf angewiesen, dass es für sie ein verlässliches Auffangnetz mit kompetenten Hilfs- und Beratungsstellen gibt. Unsere Kirche knüpft mit an einem solchen Auffangnetz. Die vorliegende Ausgabe von «mittendrin» gibt Ihnen Einblick in bestehende Einrichtungen und lässt Betroffene und Betreuende zu Wort kommen. Lassen Sie sich von den Geschichten berühren und überlegen Sie sich eigene Schritte: Vielleicht wieder einmal ein «SurpriseHeft» vor dem Einkaufscenter kaufen, eine tolerantere Haltung gegenüber schwierigen Jugendlichen gewinnen oder eine der vorgestellten Institutionen mit einer Spende unterstützen. Nun wünschen wir Ihnen Zeit und Ruhe zum Lesen und ein frohes und gesegnetes Osterfest. • Ende Februar 2014 waren in Allschwil 322 und in Schönenbuch 11 Personen ohne Arbeit. Die Statistik wies in Allschwil eine Arbeitslosenquote von 3.3%, in Schönenbuch eine solche von 1.7% aus. Die Arbeitslosigkeit in der Gemeinde Allschwil bewegte sich im vergangenen Jahr seitwärts und lag Ende Februar 2014 auf dem Niveau des Jahresbeginns 2013. Dies gilt auch für den Kanton Basel-Landschaft insgesamt. In der Gemeinde Schönenbuch reduzierte sich die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen im gleichen Zeitraum von 17 auf 11. Arbeitslosenquote Ende Februar 2014. Die Prozentzahlen zeigen das Verhältnis der arbeitslos gemeldeten Personen zu den Erwerbspersonen. Die gesamtschweizerische Statistik des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigt weitere Zahlen, welche auch für die Arbeitslosigkeit in Allschwil und Schönenbuch gelten dürften: So übten 61% der Arbeitslosen vorher eine Fachfunktion aus, 30% eine Hilfsfunktion, 5.3% eine Kaderfunktion und 3.7% übrige Funktionen. In den meisten Fällen ist die Dauer der Arbeitslosigkeit mit 1 bis 6 Monaten (64%) relativ kurz; nur 21% der Arbeitslosen sind bereits seit 7 bis 12 Monaten ohne Job und 15% sind über einem Jahr auf Stellensuche. Nicht mehr in der Statistik erscheinen diejenigen Arbeitslosen, welche ausgesteurt werden und nicht mehr bei den Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen registriert sind. Das sind monatlich gut 1% der Erwerbslosen, in Allschwil und Schönenbuch also rund 3 Personen pro Monat. • Markus Jäggi Für das Redaktionsteam, Iren Herren-Heer In Allschwil und Schönenbuch waren Ende Februar 2014 total 333 Personen arbeitslos. Die Grafik zeigt die Aufteilung nach Altersklassen. Quellen: KIGA Baselland, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO mittendrin012014 ARBEITSLOS Ein Arbeitstag im TATkraft 04.15 Uhr: Ab auf den Vita Parcours bis 5 Uhr! Das gibt mir die nötige Energie für den Tag. 06.20 Uhr: Eintreffen im TATkraft. Das TATkraft betreibt an der Hauptstrasse 38 in Binningen ein Café und einen Laden mit rund 800 Bio- und regionalen Produkten. Das Café bietet von Montag bis Freitag ein vegetarisches und ein nicht vegetarisches Tagesmenü mit Suppe, Salat und Hauptspeise an. Ausserdem sind täglich frische Kuchen und Sandwiches im Angebot. Am Samstag kann man bei uns frühstücken. Personen, die Sozialhilfe bekommen, leisten Arbeitseinsätze in den Bereichen Detailhandel, Warenbewirtschaftung, Warenpräsentation, Dekoration, Küche, Service, Qualität. Sie werden bei der Abklärung und Erweiterung ihrer beruflichen Fähigkeiten unterstützt und kompetent begleitet, wenn sie den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt machen. Bei meiner Ankunft früh morgens im TATkraft sind die Frischprodukte schon geliefert, und ich beginne sofort mit dem Auspacken der Ware. Das sollte möglichst schnell gehen, da die Kühlkette nicht unterbrochen werden darf. Gleichzeitig erledige ich die Abschreibungen im Kühler. Das frische Gemüse wird so gerüstet, dass es verkaufstauglich wird. Allerdings mache ich das nur selber, wenn wir wenig Personal haben. 07.00 Uhr: Fertig mit Auspacken! Jetzt beschrifte ich die Aussentafeln mit dem aktuellen Menü. Das Geld im Tresor zähle ich jeden Tag und es stimmt immer. Ich mache die Kasse einsatzbereit und bringe sie in den Laden. Um 07.30 Uhr trifft die Köchin im Betrieb ein. Nach einer kurzen Besprechung widmet sie sich ihren Aufgaben. Die ersten telefonischen Reservationen für den Mittag erfolgen. Danach hole ich das bestellte Brot und packe es aus. Um 08.30 Uhr treffen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im TATkraft ein. Ich informiere sie über den Tagesablauf. Eine mitarbeitende Person ist in der Küche eingeteilt und eine im Laden. Das Personal schulen wir mittendrin012014 gezielt im Detailhandel und im Gastronomiebereich. Die Schulung im Detailhandel übernehme ich, die in der Küche verantwortet unsere Köchin. Um 09.00 Uhr öffnet der Betrieb. Die ersten Kunden und Kundinnen warten schon vor der Tür. Jetzt beginnt der Verkauf. Es ist ein schönes Gefühl, wenn die Kundenschaft schätzt, was wir machen. Dank vieler Gespräche kann ich ein Sortiment zusammenstellen, das auf sie abgestimmt ist. Ich mache Bestellungen und erledige adminstrative Aufgaben. Um 11.45 Uhr liefere ich die ersten Essen in unserer Strasse aus. Um 12.00 Uhr startet der Mittagsservice. Das ist die hektischste Zeit des Tages. Ich helfe in der Küche. Nach der Mittagszeit kommt neues Personal (Schichtbetrieb). Wieder wird es von mir eingewiesen. Für Konflikte und Gespräche mit den Angestelltenl habe ich mir ein Zeitfenster von etwa einer Stunde pro Tag reserviert. Mit meiner Chefin, der Geschäftsführerin, versuche ich, täglich eine halbe Stunde lang zu besprechen, was gerade ansteht – allerdings nur, wenn der Betrieb es erlaubt. Am Abend rechne ich die Kasse ab und eine mitarbeitende Person reinigt den Betrieb. Mein Arbeitstag endet um 19.15 Uhr. Das Beste an dieser Arbeit ist der tägliche Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen. Die Bereitschaft, von den Kunden und Kundinnen zu lernen und vernetzt zu denken, machen aus meiner Sicht einen guten Betriebsleiter aus. Es ist eine Herausforderung, einen Betrieb auf Erfolgskurs zu bringen. Meine Chefin und ich gehen sie voller Tatendrang an. Als Betriebsleiter muss man sich bewusst sein, dass die Arbeit nie aufhört. Wenn ich in ein Geschäft gehe, denke ich unweigerlich an unseren Betrieb und überlege, ob die Produkte hier möglicherweise auch für uns etwas wären. Das Schönste von allem ist natürlich, wenn eine mitarbeitende Person Fortschritte in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung macht. • Patrick Wüthrich Betriebsleiter Patrick Wüthrich im TATkraft in Binningen ARBEITSLOS Hat das Leben ohne Arbeit noch einen Sinn? um Hilfe bitten kann. Tragen mich meine Familie und mein soziales Netz auch dann, wenn ich nicht mehr das gewohnte Budget und Prestige nach Hause bringe? Ich habe den Eindruck, dass sich in der Schweiz viele Menschen sehr stark über ihre Arbeit definieren. Wir haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber unserer Arbeit. Die Arbeit gut und zuverlässig zu verrichten ist bei uns eine grosse Tugend und bringt uns viel Anerkennung ein. Demensprechend stark hängt auch unser Selbstwert an dem, was wir leisten. Für die wirtschaftliche Entwicklung des allseits gelobten «Erfolgsmodelles Schweiz» ist dieser hohe Stellenwert von grosser Bedeutung. Für die seelische Gesundheit der Arbeitnehmer birgt er aber ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Dass für Gott nicht der wirtschaftliche Faktor entscheidend ist, sondern der menschli- che, zeigt die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16). Ein Gutsherr stellt zu verschiedenen Zeiten des Tages Taglöhner ein und vereinbart mit ihnen je einen Lohn für ihre Arbeit. Am Schluss des Tages stellt sich heraus, dass alle gleichviel erhalten. Arbeiter damals wie heute empfinden dies als Ungerechtigkeit. Aber die Geschichte erinnert daran, dass vor Gott nicht die Leistung zählt, sondern der gute Wille der Arbeitssuchenden und die Güte des Gutsherrn gegnüber den Benachteiligten. Jeder Mensch hat denselben Wert, ob er eine Arbeit hat oder nicht. Denn nicht die Leistung zählt, sondern das Menschliche und Zwischenmenschliche. Oder mit anderen Worten: dass ich mich und meine Nächsten liebe und mit Respekt behandle und dass ich auch in der Not für sie da bin. Oder gibt es etwas im Leben, das mehr Erfüllung und Sinn stiften kann? • Marc Burger Bild: blog.kvbern.ch In unserer Gesellschaft hat die Arbeit einen zentralen Stellenwert. Das ist nicht weiter überraschend, denn die allermeisten Menschen sind auf Arbeit angewiesen, um ihre Existenz zu sichern. Ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld keine Wohnung und kein Essen. Für viele Menschen in unserem Land ist Arbeit aber mehr als nur Existenzsicherung. Sie ist Mittel zum Zweck. Wenn ich mehr als das Existenzminimum verdiene, ermöglicht mir das, meine Träume zu erfüllen. Diese Träume sind unendlich breit gefächert, vom gesellschaftlichen Aufstieg, über das Eigenheim bis zur Weltreise. Die Erfüllung dieser Träume gibt meinem Leben Sinn und die Arbeit ist der Weg dazu. Im allerbesten Fall finde ich diesen Sinn sogar in meiner Arbeit selbst. Dies geschieht, wenn ich in meiner Arbeit meine Talente, meine «Berufung», entfalten kann. Das macht besonders glücklich, weil ich bereits in der Arbeit Sinn erlebe. Wenn ich von einem Tag auf den anderen meine Stelle verliere, stürzt mich das zuerst einmal in eine Existenzkrise. Angst macht sich breit und raubt mir den Boden unter den Füssen. Für eine kleine Existenzgrundlage kann in einer Mehrheit der Fälle unser Sozialsystem aufkommen. Aber für den Verlust des persönlichen Status und für Sinn im Leben kann keine Institution aufkommen. Zu stark hängt mein Selbstwert an dem, was ich leiste. So kommt es leider bei Verlust der Arbeitsstelle immer wieder zu tragischen Geschichten. Väter, die am Morgen während der Arbeitszeit aus dem Haus gehen, weil sie sich nicht getrauen, der Familie zu sagen, dass sie ihren Job verloren haben. Oder Menschen, die sich in dieser Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gar das Leben nehmen. Besonders schlimm finde ich diese Geschichten, weil das Schicksal vielfach davon abhängt, ob ich in der Not über meinen eigenen Schatten springen und mittendrin012014 ARBEITSLOS Pro und Contra Am 18. Mai kommt die Eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz fairer Löhne» (Mindestlohn-Initiative) zur Abstimmung. Die Initiative verlangt einerseits, dass Bund und Kantone die Löhne in der Schweiz schützen, indem sie die Festlegung von Mindestlöhnen in Gesamtarbeitsverträgen fördern. Andererseits soll der Bund einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde festlegen. Wird die Arbeitslosigkeit in Allschwil und Schönenbuch zunehmen? Jean-Jacques Winter, Einwohnerrat und Präsident SP Allschwil: Kaum! Die ortsansässigen Unternehmen berichten durchwegs, ihre Lohnzahlungen entsprächen den genannten Forderungen. Die Arbeitnehmenden werden eher weniger zu einem vermeintlich besseren Angebot wechseln, was zu innerbetrieblicher Stabilität führt und weniger Wechselkosten verursacht. Roland Naef, Einwohnerrat und Mitglied der reformierten Kirchenpflege: So direkt wohl nicht. Höhere Mindestlöhne führen aber allgemein zu negativen Folgen für niedrig qualifizierte Arbeitnehmende. Denjenigen, die von den Mindestlöhnen profitieren sollten, u.a. Jugendliche und Ungelernte, schadet die Initiative mittel bis langfristig, da die Anzahl Jobs, die eine tiefere Qualifikation voraussetzen, sicherlich reduziert werden. Es gibt Studien über Mindestlöhne die aussagen, dass eine Erhöhung der Mindestlöhne um 10% die Beschäftigung der Jugendlichen um bis zu 3 % reduziere. Weiter ist nicht zu vernachlässigen, dass mit Mindestlöhnen für den Einen oder Anderen jeglicher Ansporn auf eine gute Ausbildung wegfällt! «Was soll ich noch zur Schule gehen? 4‘000 Franken bekommittendrin012014 Bild: Monika Flueckiger, freshfocus Die Mindestlohn-Initiative fordert eine faire Entschädigung für eine erbrachte Leistung, ob im Handwerks- oder Dienstleistungsbetrieb. Arbeitsleistende sollen bei einem Stundenlohn von 22 Franken finanzielle Sicherheit und grösstmögliche Unabhängigkeit von gemeinschaftsgetragenen Unterstützungen erreichen. Welche Folgen hätte die Annahme der Initiative in Allschwil und Schönenbuch? Roland Naef und Jean-Jacques Winter nehmen Stellung. Gewerkschaften reichen die Mindestlohn-Initiative im Januar 2012 bei der Bundeskanzlei in Bern ein. me ich ja auf alle Fälle…» Entscheidend für das spätere Einkommen ist doch immer noch die Ausbildung und diese ist zu fördern. Muss ich mit höheren Kosten für Handwerker, Einkäufe und Dienstleistungen rechnen? R. Naef: Sicherlich entstehen teilweise höhere Kosten für den Konsumenten. Branchen, die heute noch keinen Mindestlohn von 4‘000 Franken im Monat kennen, werden die für sie höheren Lohn- und Sozialkosten dem Konsumenten umgehend weiterverrechnen. Geht dies nicht, kommt es unweigerlich zu Betriebsschliessungen. Gesamthaft betrifft dies nach Seco etwa 8% der Erwerbstätigen in der Schweiz. Eine Festlegung des Mindestlohnes betrifft vor allem KMU-Betriebe mit weniger als 50 Angestellten. Bei Unternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten erfasst die Initiative etwa 20% aller Mitarbeitenden. Am stärksten betroffen wären wohl die Coiffeur- und Kosmetiksalons, die Gartenbauer und die Bekleidungsindustrie. J.-J. Winter: Im Handwerk entsprechen die heutigen Löhne der Initiative, gemäss KMU-Vertretern. Hier stehen die Herausforderungen eher über die Landesgrenze an. Schlägt der Kaffee im Bistro um 10 Rappen auf und dieser Batzen ist für Bedienung und Abwasch, so stimmt für mich diese Rechnung. Überdurchschnittlich viele Frauen sind von tiefen Löhnen betroffen: Unsere Partnerinnen als billige Arbeitskraft? Welche Auswirkungen hat die Initiative auf unsere Einwohnergemeinden? J.-J. Winter: Zu- oder Wegzug, kaum! Menschen mit Mindestlöhnen haben mehr zum Leben. Das schafft mehr Kaufkraft, senkt Unterstützungsbeiträge und bringt mehr Steuereinnahmen. R. Naef: Da ich davon ausgehe, dass die Gemeinden bereits heute Mindestlöhne und hervorragende Sozialleistungen bezahlen, wird es da keine direkten Einflüsse geben. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der eine oder andere KMU-Betrieb aufgeben muss. ARBEITSLOS Zukunftsperspektiven für junge Menschen Lea* ist 21 Jahre alt, eine sympathische junge Frau mit langen braunen Haaren, gepflegt und modisch gekleidet. Der erste Eindruck lässt vermuten, dass sie, wie viele Frauen ihres Alters, nach einer Arbeitswoche am Wochenende mit Freundinnen shoppen geht, abends im Ausgang Freunde trifft und unbeschwert in den Startlöchern fürs Leben steht. Ich kenne Lea von der Arbeit her. Sie absolviert bei Overall, der Genossenschaft für integriertes Arbeiten in Basel, die zweijährige berufliche Grundbildung zur Büroassistentin. Bei uns absolvieren viele junge Leute in verschiedenen Betrieben eine zwei- oder mehrjährige Lehre: Gastronomie, Bau, Detailhandel, Facility Service, Büro und Informatik. Die Lernenden hier haben ohne Ausnahme einen schweren Rucksack zu tragen: erweiterte Lernschwierigkeiten, desolates soziales Umfeld, schwierige Lebensläufe, Suchtproblematiken, physische oder psychische Beeinträchtigungen und vieles mehr. Diese erschwerten Voraussetzungen verunmöglichen ihnen eine erfolgreiche Lehre in der Wirtschaft, obschon alle jungen Leute Fähigkeiten und Talente mitbringen. Sie sind motiviert, einen Beruf zu erlernen, sie wollen und können arbeiten. Aber unsere leistungsund gewinnorientierte Gesellschaft macht es ihnen schwer. Und Ausbildungsplätze für Menschen mit schwierigen Voraussetzungen sind rar. Mit intensivem individuellem Coaching rund um Praxisausbildung, Theorie, Schule und auch um Sorgen und Nöte im Privatleben sind die meisten unserer Lernenden, fähig, eine Ausbildung abzuschliessen – regelmässig sogar mit Bestnoten im Rang! Es erfüllt mich immer wieder mit Freude und berührt mich, wenn die jungen Menschen stolz von der Lehrabschlussfeier erzählen. Sie dürfen mit Recht stolz sein: Trotz widriger Umstände haben sie die Lehre geschafft und können ihre berufliche Zukunft angehen. Sie alle haben während ihrer Lehrzeit Enormes geleistet. Eine nächste Hürde ist dann der Schritt von der Lehre in die Erwerbsarbeit. Arbeitgebende entscheiden in Selektionsverfahren oft nach klar eruierbaren Merkmalen wie Alter, Berufserfahrung, Art und Zahl der absolvierten Weiterbildungen. Trotz aktuellem Fachwissen haben die jungen Menschen neben erfahreneren Mitbewerbenden oft geringe Chancen. Vielen unserer Lernenden gelingt diesen risikoreiche Übergang trotzdem – mit einem ganz individuellen Vermittlungsmodell. Die Vermittlungsfachleute von Overall lernen die Stellensuchenden samt ihren Fähigkeiten und Talenten sehr gut kennen und vermitteln sie entweder exakt an die Stellen, die zu den jungen Menschen passen, oder sie helfen ihnen, eine Anschlusslösung wie beispielsweise eine Weiterbildung oder ein Praktikum zu finden. mittendrin012014 ARBEITSLOS Lea ist noch nicht so weit, sie arbeitet zurzeit auf die Lehrabschlussprüfung hin. Auch sie hat einen Rucksack zu tragen. Sie ist alleinerziehend. Ihr Kind ist knapp drei Jahre alt und schläft noch nicht durch. Der Vater ist aus allem raus, auch aus der Verantwortung. Lea lebt in einem Haus mit anderen jungen Frauen in der gleichen Situation. Sie hat dort mit ihrem Kind ein Zimmer und eine Tagesstruktur. Sie kann sich austauschen, Rat holen und sich stärken. Lea ist Epileptikerin und bezieht eine IVRente. Nach einem Anfall erscheint sie jeweils bleich zur Arbeit, bewegt sich wie in Zeitlupe und redet langsam. Sie ist dann erschöpft und ohne Energie. Manchmal ist ausserdem ihr Kind krank, braucht besondere Aufmerksamkeit, weint bis in die frühen Morgenstunden. Leas Lebenssituation ist anspruchsvoll – privat wie beruflich. Die Anforderungen an sie in der Lehre sind hoch, und es gelingt Lea nicht konstant, sie zu erfüllen, was sie hin und wieder entmutigt. Trotzdem erlebe ich Lea in der Zusammenarbeit als verbindlich und zuverlässig. Ich weiss, wo Leas Grenzen sind und wo sie engere Begleitung braucht als andere. Ihr Coach und die Ausbildnerin stärken Lea, und auch die anderen Lernenden nehmen Anteil an ihrer Geschichte. Immer wieder spüre ich, dass die jungen Menschen bei uns einander mögen; sie tauschen sich aus, gehen respektvoll miteinander um und lachen zusammen. Mit der richtigen Unterstützung wird Lea die Lehre erfolgreich beenden. Sie will unbedingt abschliessen, will Unabhängigkeit und berufliche Perspektiven. Immer wieder gibt sie, was sie kann, und leistet viel. Wie würde die Zukunft von Lea und all den anderen tollen jungen Menschen, die ich über die Jahre bei meiner Arbeit kennengelernt habe, ohne Berufslehre aussehen? Sie würden schon in ganz jungen Jahren zu Langzeitarbeitslosen, ausgegrenzt, ohne gesellschaftliche Integration, ohne Wertschätzung, ohne Verantwortung für das eigene Leben. Manchmal macht es mich traurig, wenn ich sehe, dass viele Junge wie Lea den Weg nicht schaffen, einfach, weil es zu wenig passende Lehrstellen gibt. Manchmal macht mich die Situation auch wütend, denn die Jungen von heute machen die Gesellschaft von morgen aus. Was für Perspektiven haben sie, wenn wir ihnen heute nicht realistische Chancen auf einen Platz in unserer Gesellschaft verschaffen? • Regine Minio-Steigert *Name geändert OSTERN Ostern Sonntag, 20. April Kein Stein bleibt auf dem andern. Ein neuer, nie da gewesener Morgen bricht an. Alles – und gerade das Dunkle und Schwere – kommt ins Licht, ins Auferstehungslicht und da blüht Leben, kommen Hoffnung und Freude auf. Wir feiern Ostern auf vielfältige Weise: 5.30 Uhr; Ökumenische Auferstehungsfeier auf dem Friedhof Allschwil mit Osterfeuer und feierlichem Tauferneuerungsritus ab 6.45 Uhr: Ökumenisches Oster-Zmorge im Saal von St. Peter und Paul ab 9.30 Uhr: Oster-Zmorge für alle im Calvinhaus mit Osternestlisuchen für die Kinder 10.30 Uhr: Festgottesdienst mit Abendmahlsfeier in der Christuskirche mit Gospelchor und Kinderkirche Die neue Osterkerze für das Kirchli, gestaltet von Claudia Handschin, Simonetta Imber und Susanne Jäggi IMPRESSUM Zeitschrift der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch Erscheint vierteljährlich · Auflage: 4’000 Exemplare · Herausgeberin: Kirchenpflege Redaktion: Marc Burger, Iren Herren, Markus Jäggi Bilder: wo nicht anders vermerkt, zur Verfügung gestellt Gestaltungskonzept: typoallee, Michelle Kiener, Allschwil · Druck: Kurt Fankhauser AG, Basel Zuschriften bitte an: «mittendrin», Reformierte Kirchgemeinde, Baslerstr. 226, 4123 Allschwil oder an [email protected] mittendrin012014 Gewinnerinnen Kreuzworträtsel Ausgabe 12/2013 Die richtigen Lösungsworte lauteten «neu gestaltet». Folgende Personen aus Allschwil haben je einen Suppentagbesuch im Calvinhaus gewonnen: Ursula Mohler, Schützenweg 96; Mariette Roggensinger, Steinbühlweg 18; Margrit Wagner, Hegenheimermattweg 22. Wir gratulieren den Gewinnerinnen herzlich und danken allen Leserinnen und Lesern, die mitgerätselt haben. Die Redaktion Es erwartet Sie ein lebendiger Ostermorgen. Schön, wenn Sie ganz oder teilweise mit uns feiern. • Elke Hofheinz KONTAKT Reformierte Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch Baslerstrasse 226 · 4123 Allschwil Telefon 061 481 30 11 [email protected] [email protected] www.refallschwil.ch PERSÖNLICH Einfach helfen Helene Dobmeier und Esra Sünbül im Gespräch vor der Christuskirche AZB 4123 Allschwil 1 Wer in der Arbeitsgruppe «Versteckte Armut Allschwil-Schönenbuch» mittun will, muss Hilfsbereitschaft und ein offenes Ohr für Notleidene mitbringen. Helene Dobmeier, seit drei Jahren dabei, und Esra Sünbül, seit vergangenem Jahr Mitglied der Gruppe, erzählen über ihre Motivation und ihre Tätigkeit. Die 27-jährige Esra Sünbül hat sich aufgrund eines Aufrufs im Allschwiler Wochenblatt bei der «Versteckten Armut Allschwil-Schönenbuch» gemeldet. Nach einem ersten Kennenlernen ist sie 2013 herzlich als neues Mitglied aufgenommen worden. «Dass ich eines der jüngeren Mitglieder bin und ausländische Wurzeln habe, stört mich überhaupt nicht», sagt die Mutter von zwei Kindern. Im Gegenteil: Es ist eine Bereicherung für die Gruppe, denn Armut kennt keine Grenzen und vor allem kein Alter. Dem kann Helene Dobmeier, sportliche Baslerin der Vorkriegsgeneration, nur zustimmen. «Diese generationenübergreifende Bereitwilligkeit, für Benachteiligte da zu sein, ihnen Zeit und Gehör zu schenken, sie zu ermutigen, zu begleiten und zu unterstützen, hilft den Menschen, die sich in Not befinden und keinen Ausweg mehr sehen.» Probleme lösen Nach dem Tod des Ehemannes vor einigen Jahren war es für Helene Dobmeier selbstverständlich, ihre Sozialkompetenz für die von Armut betroffenen Menschen einzusetzen. Durch Pfarrerin Elke Hofheinz liess sie sich für das Engagement in der «Versteckten Armut Allschwil-Schönenbuch» begeistern. In der Arbeitsgruppe und zusammen mit den Gesuchstellen- den leistet sie seither einen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme. Sie unterstützt Personen bei Formalitäten im Umgang mit Ämtern, Versicherungen und Institutionen, macht auf günstige Einkaufsmöglichkeiten aufmerksam, führt mit jungen Müttern Gespräche in ihrem Familiengarten oder zeigt einer alleinerziehenden Mutter ganz praktisch, wie sie selber Eistee zubereiten kann. Dank Spenden können Esra Sünbül und Helene Dobmeier einer arbeitslosen Mutter mit Kleinkind mit einem Zolli-Abo neuen Lebensmut geben, Fremdsprachigen mit einem Zustupf zum Deutschkurs bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bieten oder einem jungen Mann in Ausbildung auch dank dem Entgegenkommen des Zahnarztes die Zähne sanieren. Würde und Unabhängigkeit «Bei allem Schwierigen, das wir zu sehen bekommen, ist es besonders schön, wenn ich einem Menschen durch mein Engagement ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann», meint Helene Dobmeier zu ihrer Motivation. Esra Sünbül lebt, seit sie mit zwei Jahren in die Schweiz eingereist ist, in Allschwil. Sie ist zwischen zwei Kulturen aufgewachsen und kennt die damit verbundenen Probleme. Schon in jungen Jahren sah sie ihre berufliche Zukunft im Sozialbereich und will sich heute speziell auch für die im Arbeitsmarkt Benachteiligten einsetzen. Denn nicht nur Armut ist für Arbeitslose eine Gefahr, sondern auch die Änderung in der gesellschaftlichen Stellung, welche zu Hilfsund Mutlosigkeit, Depressionen und mangelnder Motivation führen kann. «Wenn jemand wieder ins Erwerbsleben integriert werden kann», ist Esra Sünbül überzeugt, «gibt das der betreffenden Person auch ein Stück Würde und Unabhängigkeit zurück». • Markus Jäggi, nach Notizen von Helene Dobmeier und Esra Sünbül Die Arbeitsgruppe «Versteckte Armut Allschwil-Schönenbuch» durfte am 5. Dezember 2013 in feierlichem Rahmen den 1. Preis für Freiwilligenarbeit im Sozialbereich des Kantons Baselland entgegennehmen. Die «Versteckte Armut Allschwil-Schönenbuch» wird gemeinsam von den Kirchen in Allschwil und Schönenbuch getragen und durch Pfarrerin Elke Hofheinz sowie den römisch-katholischen Theologen Gregor Ettlin geleitet. Sie setzt sich freiwillig für Menschen aus den beiden Gemeinden ein, die in soziale Not geraten sind. Sie hilft schnell und unkompliziert, berät und vermittelt vor allem in Übergangssituationen. mittendrin012014
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