Ende mit Schrecken?

Günstige BU-Tarife
Ende mit Schrecken?
Der Wettkampf um Kunden in der Berufsunfähigkeitsversicherung bringt immer neue günstige Tarife
hervor. Wer hier zugreift, spart womöglich am falschen Ende. BU-Experte Stephan Kaiser über die
Nachteile.
Noch immer ist bei den meisten existierenden Berufsunfähigkeitsversicherungen im Ernstfall der Schutz
zu niedrig. Das berichten Experten aus der Praxis. Der unabhängige BU-Experte Stephan Kaiser hatte
jüngst einen besonders tragischen Fall auf seinem Schreibtisch: ein 40-jähriger Mann, der aufgrund
diverser Erkrankungen im Zuge einer HIV-Infektion (Vollbild AIDS) berufsunfähig wurde. „Er bekommt
mit etwa 600 Euro nur die halbe Erwerbsminderungsrente plus 180 Euro Wohngeld, damit es für die
Grundsicherung reicht“, schildert Kaiser.
Die BU des Kunden erbringt lediglich 270 Euro monatliche Rente, wofür er 54 Euro im Monat bezahlt.
„Sie ist mit einem Sparvertrag in eine Kapitallebensversicherung gekoppelt, am Ende sollen 23.000
Euro herauskommen – wenn er Glück hat“, so Kaiser. Wird die BU-Option nun gezogen, bekommt der
Kunde 270 Euro BU-Rente und spart 54 Euro Beitrag, verfügt also über 320 Euro mehr. Dafür entfällt
aber das Wohngeld, denn das wird verrechnet. „Er hat unterm Strich gerade mal 140 Euro mehr, eine
solche Absicherung taugt natürlich nichts“, so Kaiser. Zumal der Kunde noch weit vom regulären
Rentenalter entfernt ist.
Vorsicht vor Missverständnissen
Neben zu geringen Versicherungssummen gibt es weitere Knackpunkte bei den günstigen Tarifen.
Lässt sich ein bestimmter Beruf bei einem Versicherer mit sehr günstigen Beiträgen versichern, kann
das daran liegen, dass es hier statistisch nur wenige oder gar keine Leistungsfälle gab, etwa bei einem
Versicherer mit kleinem Bestand. Ob dann dessen Kalkulation aufgeht, die auf dieser Grundlage
basiert, ist offen.
„Ist ein Versicherer bei einem Beruf deutlich billiger als alle anderen, ist Vorsicht angebracht. Dann
kann ein Fehler vorliegen“, weiß Kaiser. Bisweilen kommt es nämlich zu Bezeichnungsunterschieden –
nicht jeder Versicherer versteht unter einem Berufsbegriff dasselbe. So gab es einen Fall, wo ein
BU-Versicherer eine ganze Reihe Stripper in den Bestand bekam. Gemeint war der alte Beruf des
Tauherstellers, die Makler schlossen aber reihenweise für Erotik-Tänzer aus dem Rotlichtmilieu ab.
Über das Angebot von Billigtarifen in Verbindung mit vereinfachten Gesundheitsfragen holen sich
manche Versicherer bewusst risikoreicheres Geschäft in den Bestand. „Sie brauchen den Umsatz und
Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis
www.pfefferminzia.de
gleichen das Risiko dann oft über eine schleppende Bearbeitung im Leistungsfall und über geringere
Anerkennungsquoten im Nachhinein wieder aus“, sagt der BU-Experte.
Kennzahlen zum Versicherer nicht aussagekräftig
Können hier Kennzahlen wie Anerkennungsquoten, Prozessquoten und Bearbeitungszeiten helfen, das
Risiko eines zu günstig gewählten Tarifs einzuschätzen? „Es ist egal, wie ein Versicherer heute agiert.
Wichtig wäre zu wissen, was er in 20 Jahren macht, wenn der BU-Fall möglicherweise eintritt. Hier kann
keine aktuelle Kennzahl helfen“, weiß Kaiser. Zumal die Angaben schlecht nachprüfbar sind und teils
auf nicht vergleichbaren Grundlagen beruhen. Beispiel Prozessquote: Manche zählen eine Klage nur,
wenn sie endgültig beschieden wird, andere nehmen Vergleiche mit auf, wieder andere zählen eine
zweitinstanzliche Entscheidung auch, obwohl der Fall schon einmal berücksichtigt wurde.
„Man muss stets das Gesamtbild anschauen und den gesunden Menschenverstand zu Rate ziehen“,
rät Kaiser. Immerhin: Die Bedingungen in den BU-Verträgen befinden sich branchenweit auf sehr
hohem Niveau. Bei den günstigeren abgespeckten Tarifen ist bisweilen indes noch die abstrakte
Verweisung enthalten.
Alternative Produkte besser als günstige BU?
Nicht immer benötigt ein Kunde alle Top-Klauseln: Selbstständige etwa müssen oft nachweisen, dass
sie sich nicht umorganisieren können. Diese Klausel steht vielen im Weg, überhaupt als berufsunfähig
eingestuft zu werden. „Nehmen Sie einen Schreinermeister mit fünf Angestellten. Wenn der nicht mehr
als Schreiner arbeiten kann, wohin wollen sie ihn theoretisch verweisen?“, fragt BU-Experte Kaiser.
Hier könne eine abstrakte Verweisung in Kauf genommen werden, weil sie keine Rolle im Vertrag
spielt.
Durch die fortschreitende Berufsgruppendifferenzierung gibt es immer mehr Berufe, die nicht mehr
versicherbar sind. Die Alternativen zur BU rücken daher stärker in den Blickpunkt, bei Selbstständigen
könnte somit beispielsweise auch eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung eine vernünftige Lösung sein.
Dieser Artikel erschien am 29.09.2016 unter folgendem Link:
http://www.pfefferminzia.de/guenstige-bu-tarife-ende-mit-schrecken-1475151771/
Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis
www.pfefferminzia.de
Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)