68 Samstag Sonntag, S./9. Februar 1975 WOCHENENDE Nr. .'2 3lcuc Äcljcr leitung als Ruderer auf dfcn Galeeren zu dienen hätten. Ein späterer Allianzvertrag von ,1603 enthielt als Gegenleistung für die Oeffnung rd e Pässe und1 die Bewilligung von Mannschaften mehrere Artikel und Ergänziivigeti, die unter anderem den Bündnern die Niederlassung und Tccie Ausübung von Handel und Gewerbe jeder Art in der Republik Venedig zusicherten. In den folgenden Jahrzehnten kam es Öfters zu Streitereien, denn die Macht rd e Bündner Kaufleute ntaihm ständig zu. Am Ende des 17. Jahr- hunderts waren von 4S Geschäften rd e Zuckerbäckerbranche 38 in Bündnerbesitz. Aatch in den übrigen Branchen war es nicht viel anders. Die Finanzbehörden der Stadt Venedig hatten nachgewiesen, dass die schor« seit langer Zeit im Schutze rd e Republik niedergelassenen Bündner willige Zahler der Zölle seien, indem sie zum Beispiel in den Jahren an die öffentlichen Kassen allein an Branntweinzoll 286491 Lire entrichteten, während die italienischen Berufskollegen im gleichen Zeitraum nur 167 972 Lire bezahlt hutten. Solche Summen weisen auf eine bedeutende Ausbreitung idei Gewerbe« der Branntweinverkäufer hin; zu diesen zählten auifcfa die Cafetiers. Die in Vciicdic niedergelassenen Bündner waieit es auch, die als erste den Kaffee als Getränk in den Kaffeehäusern anboten. Obgleich schon um 1550 in Konstantinopel importit-rt, gelangte der Kaffee erst um 1645 von Aegypten nach Venedüg, wurde aber damals nur in Apotheken, und zwar zu sehr h>;t»hen Preisen, als Heilmittel verkauft. Erst um K?80 errichteten einige Graubündner in Venedig die ersten Kaffeegeschäfte. SpiJter haben armenische und arabische Kaufleute ebenfalls KalcehtiB.isiM errichtet und die Bündner in der Auswahl der Bohnensorten fibertroffen. 1693 Im Jahre 1706 schlossen die beiden Freistaaten ihre zweite Genua: Alte Backwih Ollelleria Fonlo» um 191)0. Bündner Zuckerbäcker, Cafetiers und Handelsleute in der Fremde Ein Beitrag zur Geschichte der Fünften Schweiz ( on Dolf Kaiser In rd e Frühgeschichte der mit gewerblicher und handelsgeschäftlicher Tätigkeit verbundenen Emigration aus Graubünden, die sich neben dem Söldnerdienst entwickelt hatte, bildete die Stadt und Republik Venedig den Hauptanziehungspunkt. Zur Stadt gehörte auch die «terra ferma« mit, den Provinzen Friaul. Dalmatien. Vicenza, Verona, Brescia und Bergamo. Nach der Eroberung des Veltlins durch die Bündner im Jahre 1512 grenzte die Republik Venedig an das Gebiet der Drei Bünde. Doch bereits im 12. Jahrhundert wanderten Bündner, wie J. A. Sprecher in seiner «Geschichte der Republik der Drei Bünde» berichtet, nach Venedig aus. Einwanderungen fanden in der Folge vor allem Daniel Josty (1777 Cafetier und Bierbrauer in Berlin. Hamburg: Konditorei Perini und Josty, später Giovanoli, um 1845. Berlin: Literatencafe Steheli am Gendarmenmarkt um 1840. nach grösseren Pestepidemien statt, so in den Jahren 1348. 1383, 1407 und 146U. Unter den bündnerischen Emigranten befanden sich zahlreiche Brotbäcker, die sich in der Fremde dann vielfach auf die Zuckerbäckerei spezialisierten. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts nahm die Auswanderung nach Venedig beträchtlich zu, nachdem in den Jahren 1554 und 1557 diesbezügliche Vertrage (Kapitulate) abgeschlossen worden waren. Schon im Vertrag von 1558 war vereinbart worden, dass bei eintretendem Mangel an Ruderknechten für die Kriegsflotte die in Venedig niedergelassenen Fremden, unter ihnen auch die Bündner, gleich wie die Einheimischen selbst, gegen Bezahlung 1. Josty (1773 1826), Mitbegründer der gleichnamigen Firma in Berlin. Florenz: Konditorei Gilli, seit 1783, heute Frizzoni. Kopenhagen: Allianz, und die alten Privilegien der Bündner wurden nochmals bestätigt Venedig stellte ahcir die Forderung auf, dass in den Zünften der «scalctteii - (/Sickerbäcker), caquavitaj* (Branntweinverkäufer) und "vctrai" (Glaser) eine grössere Anzahl von Meistern der katholischen Knnfcssion angehören sollte und dass die protestantischen Meister nicht beim katholischen Gottesdienst erscheinen dürften. Hingegen, wurde etwas später (1717) ihrem Verlangen nach einem angemessenen Begräbnisplatz entsprochen. und zwar auf rd e Insel San Sfcrvolo in der Lagune zwischen der Stadt und dem Lido. Eine Zeitlang konnten sich die bündnerischen Gcwerbsleute unangefochtener Ruhe erfreuen, doch 173 hatte sich die Zahl der niedergelassenen Bündner so stark vergrössert, dass sie fast in allen Zünften die Mehrheit bildeten. Die Ueberfremdung nahm ständig zu. Nun rührten sich wieder die Gegner und Neider der Bündner. Das Ziel, das man verfolgte, war offenbar, die Fremden nach und nach ganz aus den Zünften hinauszudrängen. Die Ucberfneimlung war für die Stadt Venedig unerträglich geworden. Die Zeiten für die Bündner in rd e Lagunenstadt verschlimmerten *ich. Ein sehr unkluges politisches Vorgehen der Drei Bünde löste dann die Krise aus. Das bündnis mit Venedig ging 766 zu Endei Weil indessen so viele bündnerische Gewerbetreibende im Venezianischen niedergelassen waren, knüpfte man in ihrem Interesse) Unterhandlungen an. um das Bündnis zu erneuern. Durch dicsan Vertrag sollten sich die beiden Republiken auch noch verpflichJen, von Bergamo aus über den Sankt Markus-Berg nach Mortxjgpo im Veltlin einen Saumweg zu erstellen. Dadurch wäre Ntaland umgangen worden, und Venedig hätte eine direkte Verbindung zu den Bündner Pissen bekommen, die es aus wirtschaftspolitischen und vor allem aus G r ü n d e wünschte. Diese Vorschlage wollten die militärischen n Bündner näher erwägen und luden 1~ö; daher Venedig ein. einen Gesandten nach Chur zu entsenden. Dort wurde rd e venezianische Gesandte Colombo .mit grössen Ehren empfangen. Doch bevor man mit ihm unterhandeln konnte, musste das Ergebnis der gleichzeitig in Mailand mit vSpani*ch-Oe^terreich geführten Verhandlungen abgewartet werder. Diese verliefen zu voller Zufriedenheit, so dass ein Vertrag; (Mailänder KapiiulaO abgeschlossen wurde, betreffend eine Grenzberichtigung. Getreideausfuhr. Förderung des Warenzugs, über Chiavenna. Zollerleichterung und Zahlung der Jahrgelder. Zugleich verpflichtete sich Graubünden in diesem Vertrag, von der Anlage der «Markusstrasse» abzusehen. Durch diesen Schachzug war die Mission des venezianischen Gesandten gegenstandslos geworden. Entrüstet erklärte dieser, er und sein Senat «Sien durch das diplomatische Doppelspiel Opfer einer unwürdigen Täuschung geworden. Colombo reiste mit der Drohung abj, die Bündner, die im Vene1 Krakau: Cafe Ridolfi, später Maurizio, Meute Kawiarnia Antyezna. Kaffeehaus Stephan ä Porta um 1363. Neue Zürcher Zeitung vom 08.02.1975 Warschau: Cafe tourte um 1850, gemalt von Andrea Robbi. 9teuc <;3ürdjer leitung zianischcn arbeiteten, würden das zu spüren bekommen. Im Sommer 1766 wurde die alte Allianz wirklich gekündigt. Am 31. Dezember 1766 wurden alle Privilegien rd e Bündner aufgehoben und das Betreiben jeglichen Gewerbes in den Ländern der Republik untersagt. Diese Verfügung suchte man abermals damit zu begründen, dass die Bündner lediglich darauf bedacht seien. Geld zu erwerben, um es in ihre unfruchtbaren Gebiete zu bringen und auf solche Weise den venezianischen Staat arm zu machen. Alle Schritte Bündens, diesen Beschluss rückgängig zu machen, blieben ohne Wirkung. Somit begann der Auszug aus Venedig. Die Bündner kehrten aus Venedig zurück und verwünschten nicht allein die venezianische Regierung, sondern fast noch mehr jene Manner im Vaterland, deren törichter Politik sie ihr Unglück zuschrieben. Aus Venedig vertrieben, flüchtete die bündnerische Industrie in andere Länder, denn in rd e Heimat selbst gab es für sie keine Beschäftigung. Dadurch entstanden neue Auswanderungszentren, hauptsächlich in grösseren Städten Europas, so in Triest, Genua, Florenz, Rom, Neapel, Lissabon. Paris, Bordeaux, Marseille, London, Amsterdam, Kopenhagen, Berlin, Breslau, Leipzig, Danzig, Königsberg, Petersburg, Warschau, Wien und Odessa. Im Jahre 1822 kamen einige in Florenz angesiedelte ausländische Protestanten, darunter mehrere Bündner, überein, eine evangelische Kirchgemeinde zu gründen. Die beiden Haupt- initianten waren der aus Samedan stammende Bankier Gaudenz Salvet, Mitbegründer verschiedener Kaffeehäuser, und rd e aus Sent gebürtige Kaufmann Giovanni Vital. Ueber zwanzig Bündner, die im letzten Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Rolle in Florenz gespielt haben, unterzeichneten die Gründungsurkunde. Während rd e Amtszeit des Fetaner Pfarrers Andrea ä Porta. 1867 71, wurde rd e Gottesdienst einmal im Monat in romanischer Sprache abgehalten. Die romanischsprechenden Protestanten bildeten neben den deutsch-, englisch- und französischsprechenden Glaubensgenossen zeitweise die Mehrheit. Odessa: Confiserie it 032/6S WOCHENENDE Samstng/Sonntag. 8./9. Februar 1975 Die Emigration nach Alt-Oestcrreich hat sieh vor allem auf die Hafenstadt Triest und auf die dalmatinische Küste konzentriert; aber auch in Wien, Prag, Budapest und bis weit nach Galizien hinein land man einst Vertreter der «Bündner Kaffcehaiisindustric». Die Hafenstadt Triest hatte nach dem Exodus aus Venedig viele Bündner aufgenommen. Als um 1780 der Schweizereigentlich eher ein verein gegründet wurde , BÜndnerverein war die Kolonie schon bedeutend. Im Jahre 1784 wurde von dieser Gemeinschaft die Kirche San Silvestro erworben, die heute unter Denkmalschutz steht und immer noch in Schweizerbesitz ist. In Triest waren, im Gegensatz zu anderen Städten, nicht nur tätig; es wurden auch Importund Zuckerbäcker und Cafetiers Exportgeschäfte sowie Textilmanufakturen aufgebaut. Die Namen einiger der zahlreichen Kaffeehäuser in Triest klingen für heutige Begriffe fast ein wenig hochtrabend. Da gab es ein «Caffe Universo», ein «Caffe Progresso» und ein «Caffe alPEuropa felice». Aber mit dem Glücklichsein in Triest war es 1914 zu Ende. Fast Biindneruntcrnehmungcn hat den Ersten Weltkrieg keine rd e d e zwanziger und dreissiger überstanden. Einige verschwanden in n Jahren, vor allem in Fiume. Pola und Laibach. Eine Strasse in Triest führt heute noch den Namen «Androna dci Grigioni», und Grigioni». in Fiume gab es eine «Via Einem Gesuch von Bündnern, die in den preussischen Ländern Handel und Gewerbe zu treiben wünschten, wurde bereits 1743 entsprochen; so entstanden Niederlassungen zu Halle, Breslau und Potsdam. Bald erlangten die Zuckerbäcker die gleichen Begünstigungen von Kursachsen, und ihre Geschäfte verbreiteten sich in ganz Deutschland, vor allem im östlichen Teil. Berlin hatte damals als preussische Hauptstadt für die bündnerischen Auswanderer, insbesondere für die Oberengadiner, keine geringe Bedeutung. Eine nicht zu unterschätzende Rolle in rd e Emigration spielte zweifellos die Familie Josty aus Sils i. E. und Madulain. Johann Josty (1773-1826) war zuerst Konditor in Magdeburg und siedelte später nach Berlin über, wo er mit dem ebenfalls aus Sils stammenden Andrea Puon/. (in Deutschland Ponz Odessa: SommerpaviHon Cafe Fanconi an der Katharinenstrasse um 1900. teste Berliner Konditorei), ferner die beiden Cafes Courtin und Vicedomini an rd e Königsstrasse, dann das Cafe Spargnapani «Unter den Linden» und noch das Cafe Giovanoli an der Jäger- Odessa: «Salon des Dames' im Cafe Fanconi um 1912. strasse. Josty, Stehely, Spargnapani und den Nichtschweizer 69 Kranzler nennt R. Springer in «Berlin wird Weltstadt» um 1850 einzige Unternehmen die «Confiseurs rois». Das wahrscheinlich Weltkriege der «BUndncrindustric» in Deutschland, das die beiden Prinzipalmarkt überdauert hat, dürfte die Konditorei Schucan am hundertjähriges in Münster in Westfalen sein, die auf ein über Bestehen zurückblicken kann. Osteuropa war im vorigen Jahrhundert ein bevorzugtes Gebiet für die Zuckerbäcker. Wir finden Niederlassungen in Königsberg, Danzig, Elbing, Stettin, Posen, Krakau. Warschau, Riga, Wilna, Petersburg, Moskau, Kiew und Odessa. Das 1821 gegründete Unternehmen «L. Loursc & Co.» zu Warschau, später im Besitze der Familie Robbi von St. Moritz, dann von Zamboni und zuletzt von Riccardo Semaderu-Matossi aus Poschiavo, war vor dem Zweiten Weltkrieg zweifellos eine rd e bedeutendsten Schweizerkoiulitoreicn in Europa. Von den westeuropäischen Ländern zog Frankreich vor allem die Auswanderer an. Ausser in Paris fand man in zahlreichen kleinen Provinzstädten Bündnerkonditoreien, von denen etliche gegründet worden bereits vor der Französischen Revolution waren. Auch in verschiedenen belgischen und niederländischen Städten sind solche Unternehmen entstanden. Die grossen Kolonien des Nordens waren London, Amsterdam und Kopenhagen. Neuere Forschungen haben ergeben, dass auch in Finnland im vorigen Jahrhundert viele Bündner tätig waren. In Amsterdam war ein Zweig rd e Familie von Planta aus Samedan an verschiedenen Geschäften beteiligt. Sie waren auch die Begründer des «Twitzersche Koffyhuis». In Kopenhagen gelangten die Unternehmungen der Familien ä Porta, Cloetta, Gianelli und Mini zur Blüte. Die dortige Bündnerkolonie zählte kurz vor der Jahrhundertwende 41 Mitglieder; davon waren 14 aus der Familie Cloetta von Bergün. Zum Schluss sei noch vermerkt, dass zahlreiche Puschlaver sich in Spanien niederliessen. Davon zeugen noch heute viele Kaffeehäuser, die fast alle unter dem Namen «Cafe Suizo» bekannt sind. Kolli am Primorski Bulwar genannt) 1796 einen Laden gründete. Später gesellten sich noch die beiden Landsleute Jakob Zamboni aus Bever. Inhaber einer Konditorei in Hirschberg (Schlesien), und Christoffel Pedotti aus Fetan dazu. Die neugegründete Firma hiess: «J. Josty & Companie». Der Berliner Laden befand sich vor dem königlichen Schloss «an der Stechbahn», später an der Schlossfreiheit und dann für längere Zeit am Potsdamer Platz. Die Konditorei hat sich später eher in ein vornehmes Cafe mit verschiedenen Filialen umgewandelt. Das letzte Domizil des Kaffeehauses befand sich an rd e Kaiserallee, wo es im Herbst 1943 einem Bombenangriff zum Opfer fiel. Weitere Konditoreien und Kaffeehäuser in rd e preussischen Hauptstadt waren: Cafe Stehely am Gendarmenmarkt bis 1876 (in rd e ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts die berühm- Nr. 32 um /SSO. Man hat früher hervorgehoben, dass der Dienst in den grossstädtischen Kaffee- und Konditorläden eine Erniedrigung und Demütigung des souveränen, Freiheit u,nd Ehre liebenden Bündners sei, gab jedoch zu. dass viel übertrieben wurde, und gelangte allgemeinen Glück zu dem treffenden Urteil: «Wir müssen uns im wünschen, dass es namentlich den intelligenten Engadinern gelun- gen ist, ihre Blicke mit Erfolg über den engen Gesichtskreis unserer Berge zu werfen und im Auslande Erwerbszweige ausfindig zu machen, deren Betrieb vielen Familien eine Quelle zu dauerndem Wohlstand und fürs Vaterland im Ganzen eine Fundgrube reichlicher Unterstützungsmittel geworden ist.» In diesem Zusammenhang sei noch nebenbei erwähnt, dass ein bedeutender Teil der Bündner Fremdenindustrie (Engadiner Hotels) in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Mitteln aus der «süssen Zuckerbäckerindustrio finanziert wurde. Von den weit über 300 Firmen, die in den letzten 200 Jahren im Auslande errichtet wurden, sind heute nur noch ganz wenige erhalten. Tj Leipzig: Das 1783 gegründete Cafe Bonorand im Rosental um 1890. EperjeslPresov: Konditorei Wieland und Schröpfer um 1890. Krb'pcke. Hannover: Cafe Robby am Opernhaiti, 1880, heute Kaffee am San Pier a" Arena: «Pasticceria Elvetica* von S. Giacometti um 1910. Cafe Josty am Potsdamerplatz um 1900. Toulouse: Konditorei und Restaurant Heinz und Tester um 1920. Neue Zürcher Zeitung vom 08.02.1975
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