SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Wohnraumrevoluzzer Alltag in einem besetzten Haus Von Nina Marie Bust-Bartels Sendung: Freitag, 30. September 2016, 10.05 Uhr Redaktion: Fabian Elsäßer Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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O-Ton 3 (Heike) Länge 0’53’’: So das ist das Parkett das wir geschenkt bekommen habe und ja, das muss ich jetzt noch auf Maß schneiden und dann hoffen wir, dass das gut aussieht. Regie: O-Ton endet mit Atmo (sägen und räumen) Erzähler: Heike ist eine Frau, die zupacken kann. Sie trägt Jeans und T-Shirt, legere Arbeitskleidung. Seit einer guten Stunde robbt sie auf den Knien über den verschlissenen Boden, legt präzise eine Parkettdiehle an die nächste. Und das, obwohl sie schon einen ganzen Arbeitstag in ihrem regulären Beruf hinter sich hat. Das Haus, in dem sie heute einen neuen Boden verlegt, gehört ihr nicht. Zusammen mit einem guten Dutzend anderer hat sie es besetzt. Das heißt, sie sind in das leerstehende Haus eingestiegen und haben beschlossen: Wir wohnen jetzt hier. Atmo1 (Heike kramt Bauzeug) Länge: 0’39’’ O-Ton 4 (Heike) Länge 0’44’’: Es gab natürlich eine Vorbereitung und eine Überlegung, es gab viele Menschen, die sich dazu getroffen haben und überlegt haben, dass das hier eine Unmöglichkeit ist, (..) also dieses Haus steht seit sechs Jahren leer und das war in der Zeit, in der täglich neue und mehr Geflüchtete nach Deutschland kamen und auch hier in Göttingen die Geflüchteten in große Massenunterkünfte untergebracht waren. Das geht nicht, also hier ist ein Haus, zwanzig Leute können hier wohnen mindestens und haben ein eigenes Zimmer, haben ihre Privatsphäre hier. Und das war aus dem Grund folgerichtig, dann zu beschließen, wir gehen hier rein. Es gab natürlich Vorbereitungen und es gab natürlich Überlegungen, wie wir das hier gemeinsam gestalten wollen und ja. Erzähler: Es war eine regnerische Nacht im November 2015. Damals flüchteten jeden Tag tausende Menschen zu Fuß nach Deutschland. Sie wohnten in Zelten und zu hunderten in großen Hallen. Nicht nur Heike war empört, dass der graue 50er Jahre 2 Bau mit der gekachelten Fassade leer stand und zunehmend verfiel. Sie und ihre Mitstreiter wurden zu Besetzern. Jetzt hängen bemalte Bettlaken aus den Fenstern, und die Türen stehen offen. Erzähler: Einer von den neuen Göttingern, die in dem besetzten Haus wohnen, ist Anas. O-Ton 5 (Anas) Länge 0’39’’: Before I was in a Camp close to here, in Friedland. Yeah there was no place in there and it was so shitty, so it was better solution to move here. Übersetzer: Vorher war ich in einem Flüchtlingslager hier in der Nähe, in Friedland. Aber da war es so überfüllt und die Zustände waren so schlecht, da war es besser hier her zu ziehen. I came after five days or something. I have friends here in Göttingen and they told me about the project and they told me about the project, because it was like kind of popular. A lot of people here in the city know about it. And I came here and I saw the project for the first time and then I started to come more and I moved in, I asked for moving in and it worked. Übersetzer: Ich bin so nach fünf Tagen dazu gekommen. Ich habe Freunde hier in Göttingen und die haben mir von dem besetzten Haus erzählt. Das ist sehr bekannt in Göttingen und da bin ich einfach mal vorbei gegangen. Weil es mir gefallen hat, bin ich immer öfter gekommen - und irgendwann bin ich eingezogen. Erzähler: Anas sitzt auf dem Sofa in seinem Zimmer im dritten Stock. Neben ihm sitzt Sophie. Die beiden haben sich hier im besetzten Haus kennengelernt und teilen sich das Zimmer. O-Ton 6 (Anas und Sophie) Länge: 0’42’’: Anas: Here Sophie has 160 cm, something like this, tall, beautiful face, long blond hair and yeah..blue eyes. Übersetzer: Sophie hier ist etwa 1,60 groß, hat ein sehr schönes Gesicht, lange blonde Haare und blaue Augen. Sophie: Anas, der neben mir sitzt, hat braune Augen und ist ungefähr 1,80 groß und er hat dunkle Haare und trägt heute grüne Shorts und ein grünes T-Shirt. O-Ton 7 (Anas) Länge 0’38’’: The room, okay, there is two beautiful blue couchs and bed, it’s like a matress on the floor, but I like it. And some pictures and Stickers on the walls. And we have plants, 3 what’s this thing - mint? - no the other one. - Grünlilie? - Yeah Grünlilie, it’s growing good. Yeah maybe the window looks a bit as a office window, but we changed the lights and with all the things in the room it’s completely fit for living. Übersetzer: Anas: Das Zimmer, ja wir haben zwei schöne blaue Couchen und ein Bett. Eigentlich ist es eine Matratze auf dem Boden, aber ich mag das. Und ein paar Bilder an den Wänden… Und ja, Pflanzen haben wir auch. Was ist das nochmal? Sophie: Mint? Anas: Nein, die andere. Sophie: - Grünlilie? Anas: Yeah Grünlilie. Die wächst echt gut. Und ja das Fenster erinnert noch daran, dass das hier mal ein Büro war, aber wir haben die Neonleuchten ausgetauscht und mit all den Möbeln ist das Zimmer jetzt sehr wohnlich. Erzähler: Insgesamt 16 Leute wohnen in dem besetzten Bürogebäude. Die meisten haben ein eigenes Zimmer, nur wer möchte, teilt sich eines. Aber viele Räume sind Durchgangszimmer. Viel Privatsphäre gibt es also nicht. O-Ton 8 (Anas) Länge 0’21’’: Yeah, we are living together like so friends, we always see each other, we always sit together in each others room, so it’s like you know who is in the room and you know if you should knock or not, so it’s more like family, yeah. Übersetzer: Wir wohnen hier alle sehr eng zusammen, wie Freunde. Wir sehen uns sehr viel und sitzen oft zusammen. Dann weißt du auch, wer da ist und wann man besser anklopfen sollte, bevor man durch ein Zimmer geht. Das Zusammenwohnen ist mehr wie bei einer Familie. O-Ton 9 (Sophie) Länge 1’11’’: Also ich glaube schon, dass es auf eine Art zusammen schweißt, weil wir ja auch viele Aktionen zusammen machen, also überhaupt das Haus aufrechterhalten, ist ja, also die ganzen Aktionen die hier passieren, das ist ja viel Arbeit, die wir hier zusammen machen. Und eben auch zusammen dafür uns einsetzen, dass das so erhalten bleiben kann. Aber gleichzeitig wohnen hier glaube ich unterschiedlichere Leute zusammen, als in normalen Wohngemeinschaften, dadurch gibts auch mehr Konfliktpotential, also in einer Wohngemeinschaft kann kann man sich vielleicht über’s Abwaschen streiten, oder Lärm, aber so viel gibt es dann auch nicht über das man sich streiten kann. Aber wenn man etwas zusammen erreichen will, bringt das einen mehr zusammen, aber ja man lernt sich irgendwie auch besser kennen, anders. Und dann, oft läuft es dann schon anders als in einer Wohngemeinschaft, dass man nicht so sehr nach Sympathie entscheidet, wer einzieht, sondern auch andere Gründe, wie wenn jemand halt gerade dingend was braucht und dann passt es halt manchmal und manchmal nicht so gut. Atmo 2 (Szene Wasser läuft) Länge: 0’30’’ 4 Erzähler: Sophie, Anas und die anderen Besetzerinnen und Besetzer stecken viel Zeit in den Ausbau des Hauses und in die sozialen Beziehungen untereinander. Sie besorgen Lebensmittel, kochen gemeinsam und geben Deutsch-Unterricht für die, die ihn brauchen. Oder sie organisieren Protestaktionen zum Erhalt des Hauses oder zu aktuellen Flüchtlingsthemen. Oft sitzen sie auch einfach nur gemeinsam in der Küche und genießen den Ort, den sie sich hier geschaffen haben. Wenn man einen VollzeitJob hat, ist das schwieriger. Tischlerin Heike wohnt zum Beispiel nicht hier. O-Ton 10 (Heike und Sophie) Länge: 0’42’’: Heike: Nee, ich wohne eigentlich ganz schön und ich habe nicht überlegt. Ich habe ja die erste Zeit auch hier übernachtet, natürlich klar, weil das dann frisch besetzt war, nein, aber ich habe nicht überlegt hier einzuziehen. Sophie: Naja, bei einem besetzten Haus weiß man ja nun mal nicht, wie lange man da wohnen kann und das bringt natürlich wenn man einzieht so eine Unsicherheit mit sich und ja jüngere Leute ziehen vielleicht auch schneller um, deswegen wohnen hier auch mehr jüngere Leute. Aber ein paar Leute, die hier wohnen, sind auch so zwischen dreißig und vierzig, genau. Erzähler: In den 1970er und 80er Jahren gab es in jeder größeren Stadt besetzte Häuser. Unter anderem in Freiburg, Heidelberg, Stuttgart, Pforzheim und Karlsruhe. Die Band Ton Steine Scherben besang damals die Räumung eines besetzten Hauses in Berlin. Die Hausbesetzer damals waren eine eigene Subkultur, eine politische Bewegung. Heute gibt es deutschlandweit nur noch wenige besetzte Häuser. O-Ton 11 (Heike) Länge 0’29’’: Ich hatte schon eine Zeit lang den Eindruck, dass hier die politische Arbeit früher intensiver war. Klar es gab riesengroße Demo, riesengroße Hausbesitzerszene, Hausbesetzerinnen-Szene, das ist alles ein bisschen zurückgefahren, so. Ist nicht mehr so wie es früher gewesen ist, finde ich. Wobei jetzt, wo ich hier in diesem Haus bin und erlebe, wie viele Menschen jetzt hier politisch sind, dann kann ich mir auch vorstellen, dass ich vielleicht auch ein falsches Bild davon hatte in der Zwischenzeit…. ( weil jetzt ist ja schon wieder viel los hier.) Erzähler: In den letzten Jahren wurden vielerorts leerstehende Häuser besetzt. In Göttingen zum Beispiel 2013, als Studierende ein altes Wohnheim besetzten, um auf ihre Probleme bei der Wohnungssuche aufmerksam zu machen. Aber wie in den meisten Fällen, kam nach einigen Tagen die Polizei und räumte die Besetzerinnen und Besetzer aus dem Haus. Warum funktioniert die Besetzung von Anas, Sophie, Heike und den anderen? In neun der sechzehn Zimmer wohnen Flüchtlinge. Und mit ihnen bekommt die Besetzung etwas, dass die früheren Besetzungen in Göttingen nie erreichten: Die Unterstützung der Bevölkerung. 5 O-Ton 12 (Heike und Sophie)Länge: 0’58’’: Heike: Von der Matratze bis zum Teppichboden, genau Fußböden sind uns gespendet worden, ganz viel Geld ist gespendet worden, Lampen, Glühbirnen, alles Mögliche eigentlich. Alles was man braucht zum Wohnen und zum Leben ist hierher gebracht worden. Das waren tausende die uns hier unterstützen (..). Sophie: Ja auch auf ganz unterschiedliche Arten: Sachspenden gibt es viele immer wieder, dann gibt es Leute, die mal zu einem Fest vorbei kommen, die mit demonstrieren. Dann gibt es eben Leute, die sich in den verschiedenen Gruppen engagieren, wie zum Beispiel Deutschkurse geben oder die Cafégruppe, die Fluchthilfegruppe, das sind auch… tja, wie viele Leute? … In den den Gruppen, wenn man Deutschkurse und so dazurechnet, über Hundert, denke ich, weil die Fluchthilfeleute sind auch echt viele. Erzähler: Wie überall in Deutschland engagieren sich auch in Göttingen viele Bürgerinnen und Bürger für Geflüchtete. Und im neu besetzten Haus ist Platz. Platz für Deutschkurse und Asylberatung, für Austausch und Gemeinsamkeit. Das besetzte Haus ist ein Anlaufpunkt für alle: Senioren, Studenten, Berufstätige, gemäßigte oder politisch radikaler denkende Menschen. Während die Hausbesetzer-Szene in den 1980er Jahre eine in sich geschlossene Subkultur war, spricht diese Besetzung große Teile der Göttinger Bevölkerung an. Fast schon so etwas wie eine bürgerliche Revolution. Die Hürden, sich zu beteiligen sind geringer, als damals. Deutsch zu unterrichten, das fühlt sich schließlich nicht illegal an. O-Ton 13 (Sophie) Länge: 0’23’’ (beginnt mit Atmo) Genau hier im Treppenhaus sind verschiedene Pläne, was so in der Woche passiert, welche Gruppen sich treffen, wer wann im Haus ist. Damit ja Informationen eben transparent sind und ausgetauscht werden können, weil ja nicht immer alle Leute zum Plenum kommen. Atmo 3 (Treppenhaus: Schritte) Länge: 1’07’’ Erzähler: Aber auch wenn viele Menschen in dem besetzten Haus ein und ausgehen, bleibt das ganze immer noch illegal. Das Gebäude steht auf einem Filet-Grundstück mitten in der Altstadt. Da stellt sich die Frage: Was sagt eigentlich der Eigentümer zu den neuen Bewohnern? O-Ton 14 (Heike) Länge 0’34’’: Der Eigentümer, ja das ist die VTG, die haben dann auch relativ schnell reagiert, also VTG ist ja die Vermögensverwaltungsgesellschaft, die Treuhandgesellschaft vom DGB, also eine Tochter vom DGB und die haben recht schnell reagiert. Der Veichtinger von der VTG, der hatte uns dann angerufen, gleich am ersten Tag und er wollte uns sagen, dass wir hier nichts verändern dürfen baulich und er hat auch deutlich gemacht, dass er erstmal nicht plant, da eine Anzeige zu stellen. 6 O-Ton 15 (Sophie) Länge 0’18’’: Es könnte natürlich Konsequenzen haben, hier zu wohnen, was illegal ist, aber ich glaube, in dem Projekt, gerade dass so viele Leute involviert sind, das macht die Sache für alle einzelnen sicherer. O-Ton 16 (Heike) Länge 0’27’’’: Ja natürlich ist das illegal, was wir hier machen, aber A, wenn es eine Strafe geben sollte am Ende, dann wäre das für mich auch in Ordnung, das würde ich in Kauf nehmen. Aber eigentlich muss es kriminalisiert werden, dass so ein Haus so lange leer steht und auf der moralischen Ebene sind wir auf jeden Fall auf der legalen Seite. O-Ton 17 (Sophie) Länge 0’25’’: Ja das betrifft besonders Geflüchtete, aber ja auch andere Menschen, die Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden, vor allem eine Wohnung in der Innenstadt, weil der Wohnungsmarkt angespannt sind und alle Leute, die weniger privilegiert sind, einfach extreme Schwierigkeiten haben. Dafür ist halt dieses Haus auch ein Protest. O-Ton 18 ( Heike) Länge: 0’40’’: Naja in diesem Fall konnte der DGB aber auch eigentlich nicht anders handeln, weil wenn man sich die Statements anschaut, die der DGB auch bezüglich der Geflüchteten ja präsentiert und in den Medien verbreitet, kann er jetzt hier dieses Haus nicht räumen, behaupte ich, also so einfach zumindest nicht. Klar, dieses Haus hat auch noch ne Geschichte, es steht auf dem Platz der ehemaligen Synagoge, damals hat die jüdische Gemeinde dem DGB als halt auch vom Nazi-Regime betroffene Gruppe dieses Grundstück übermacht und aus dem Grund gibt es da natürlich auch eine historische Verantwortung, so. Atmo 4 (Rundgang, Schritte) Länge: 0’41’’ Erzähler: Wenn der DGB, der Deutsche Gewerkschaftsbund, nun veranlassen würde, Schutzsuchende mit Polizeigewalt aus seinem Haus tragen zu lassen, käme das nicht gar nicht gut an, meint Heike. O-Ton 19 (Heike) Länge 0’29’’: (beginnt mit Atmo) Also das hier sind die Fluchthilferäume. Hier haben wir zum Beispiel ein Zimmer, das muss einmal das Chefbüro gewesen sein, ganz hübscher Einbauschrank hier noch, sowieso diese ganzen Einbauschränke sind echt super praktisch hier, also die sind gut eingebaut, gute Arbeit, gute tischlerische Arbeit, kann ich auch sagen. Erzähler: Fluchthilferäume, das sind die Schlafräume im ersten Stock. Hier stehen mehrere Betten nebeneinander. Sie sind frisch bezogen, im Regal liegen Handtücher. Göttingen ist ein ICE -Knotenpunkt. Auf ihrem Weg durch Deutschland stranden viele Flüchtlinge nachts in Göttingen. Jeden Abend gehen deswegen Leute aus dem 7 besetzten Haus zum Bahnhof und bringen die Menschen hier her. Vor einem Jahr waren jeden Abend alle Betten belegt, jetzt sehen nur zwei bewohnt aus. Auf ihnen liegen Kleidungsstücke und Kinderspielzeug. O-Ton 20 (Heike) Länge 0’51’’: Klar, auf Grund der geschlossenen Grenzen ist der Bereich nicht mehr so groß. Die Menschen hocken in der Türkei und in Griechenland fest und das ist natürlich auch ein großer Mist. Aber es sind mittlerweile über 500 Leute, die hier übernachtet haben, das heißt 500 Mal auch hier die Betten frisch beziehen und die Betten waschen und alles. Und das (..) ist ganz ganz, also richtig toll auch, dass wir zum Beispiel auch Menschen haben, die im Haus eigentlich nicht viel machen oder gar nichts machen, die einfach nur hier herkommen und die Wäsche abholen und die Wäsche waschen und wieder zurück bringen. Ohne solche Unterstützung wäre das hier auch gar nicht möglich zum Beispiel. Das ist eine riesengroße Hilfe, die irgendwie leider ja auch garnicht sichtbar ist, aber es ist halt dringend nötig und wir freuen uns über solche Sachen. Erzähler: Die Arbeit für Flüchtlinge und der Kontakt zu ihnen verändert die Leute, die sich hier einbringen. Es lässt das eigene Leben plötzlich unglaublich komfortabel und privilegiert aussehen. Sophie spürt eine Ohnmacht, die sie vorher nicht kannte. O-Ton 21 (Sophie) Länge: 01’02’’: Ja also es sind Sachen, die mir vielleicht vorher auch schon theoretisch bewusst waren, aber die durch den persönlichen Kontakt natürlich nochmal viel stärker werden. Also es ist so, dass ich mit jemandem eng befreundet bin, der sich in einem Landkreis aufhalten muss, wo sich Katze und Maus gute Nacht sagen. Und da würde ich nicht wohnen wollen und mein Freund, der eben auch jung ist, will das auch nicht. Und dadurch, dass halt diese Nähe da ist, wird halt nochmal deutlicher, wie unlogisch das ist und wie ungerecht, das auch einfach ist. Weil dass es generell viel Ungerechtigkeit gibt in der Welt, ist natürlich klar, aber es wird eben viel deutlicher, wenn man den direkten Kontakt hat. Und sieht, dass eigentlich auf menschlicher Ebene die Unterschiede nicht so groß sind, aber die Möglichkeiten ganz andere. Atmo 5 (Asylberatung) Länge: 2’54’’ O-Ton 22 (Mérat) Länge 0’26’’: Ja mein Name ist Mérat und bin ich 59 Jahre alt. Ja die Frage, wie oft ich hier herkommen, ich sage so, wenn neben die Lohnarbeit, wenn es die freie Zeit lässt und so komme ich gern auch hier, Plenum teilnehmen. Wenn etwas Dringlichkeit ist, notwendig ist, bin ich auf jeden Fall hier dann. Erzähler: Mérat sitzt auf einem Stuhl in der Sofa-Ecke des großen Versammlungssaales, ihm gegenüber auf der Couch ein Ehepaar aus Kroatien. Die Frau kramt in einem Stapel Behördenbriefe, ihr Mann hat die Hände im Schoß gefaltet, er starrt apathisch geradeaus. Auf Mérats Stirn hat sich eine Sorgenfalte gebildet, während er sich auf Englisch mit der Frau unterhält, blicken seine wachen Augen immer wieder zu ihrem Mann herüber. 8 O-Ton 23 (Mérat) Länge 0’18’’: Das ist sehr schwierig, ich war selber auch Flüchtling im 80er Jahre, das weiß ich. Wegen politische Repression im Iran habe ich dort verlassen - damals islamische Republik, heute ist auch - dort habe ich in 87 verlassen, hier her gekommen. Erzähler: Jetzt hilft Mérat Menschen, die im Dschungel der Asylbürokratie verloren gehen. Jeden Tag kommen Geflüchtete zur Asylberatung in das Besetzte Haus. O-Ton 24 (Mérat) Länge 0’21’’: (Das hat viele Gründe,) wenn die jetzt Flüchtlinge, die Sprache noch nicht beherrscht, der ist Machtlos gegen diese ganze Behörde. Die reden nicht mit Flüchtlingen, die geben Papier, das ist eine Sanktion, wurdest du abgeschoben, an diesem Datum musst du zu hause sein, deine Koffer und so, basta. Erzähler: Für das Ehepaar aus Kroatien sieht es erst einmal gut aus. Aus gesundheitlichen Gründen dürfen sie vorerst bleiben. Aufmerksam studiert Mérat den Brief, den die Frau schließlich aus dem Stapel zieht. Neben den dreien wartet Ahmet. Er hält ein Stück Papier in den Händen. »Gutschein für Lebensmittel und Hygieneartikel steht darauf. Daneben der Stempel der Stadt Göttingen. Atmo 6 (Alnatura) Länge: 1’04’’ Erzähler: Lebensmittelgutscheine werden von einigen Kommunen in Deutschland statt an Flüchtlinge ausgegeben. Im Alnatura um die Ecke stößt der Gutschein auf ratlose Blicke. Vorgesetzte werden gefragt, Kolleginnen herbeigerufen. Die Schlange wird länger, die Blicke unfreundlicher. O-Ton 25 (Kassiererin) Länge: 0’11’’: Ich hab mich informiert beim Filialleiter und wir nehmen diese Gutscheine leider garnicht entgegen. Wir haben die Anweisung von der Zentrale, dass wir diese Gutscheine garnicht entgegen nehmen. So allgemein Sozialgutscheine können wir nicht einlösen. Atmo 7 (Supermarkt) Länge: 0’33’’ O-Ton 26 (Mérat) Länge 0’48’’: Gutscheine nehmen wir, wir kaufen das, damit diese Menschen ein bisschen entlastet werden, weil die immer nicht die Sprache können. Dort steht vor die Kasse, wenn die eine Kassiererin kleine Frage gestellt hat oder er falsch gekauft hat, zum Beispiel Süßwaren oder Zigaretten oder welche Sachen, die nicht gehören zum 9 Gutschein, dann muss er auf die Frage antworten, wenn jemand nicht weiß, wie kann auch, er steht in die Mittelpunkt in die Kasse, wo die 50 Leute stehen, wo da lange Schlange. Alle schauen dich an als Flüchtling. Auch teilweise mit rassistische Vorurteile und so. Diese Bild wird gemacht, von einem Staat mit ihren Politik mit Gutscheinen. Erzähler: Merat sorgt dafür, dass Menschen wie Ahmet diesen Blicken entgehen können: im besetzten Haus können die Geflüchteten die Sozialgutscheine vom Amt in Bargeld umtauschen. Die deutschen Bewohner lösen die Gutscheine dann für ihre eigenen Einkäufe ein. Atmo 8 (Stimmengewirr draußen) Länge: 1’26’’ Erzähler: Die Besetzerinnen und Besetzer setzen sich dafür ein, dass die Stadt Göttingen die Gutscheine abschafft - und dafür, dass die Flüchtlinge zentral untergebracht werden. Dafür haben sie eine Petiton gestartet. Draußen vor dem Haus steht eine Traube von Menschen. Viele die vorbei kommen, bleiben neugierig stehen, suchen das Gespräch. Regie: Atmo bei 0’55’’ kurz frei stehen lassen »Das ist eine Petiton…« Erzähler: Die Hausbesetzer bringen Bewegung in die Göttinger Lokalpolitik. Stadt und Studierendenwerk kündigten im Mai an, neue Wohnungen bauen zu wollen - zuerst für Geflüchtete, anschließend könnten diese dann von Studierenden bewohnt werden. Die Besetzerinnen und Besetzer sind zu politischen Akteuren geworden - weil sich so viele Menschen in dem Haus engagieren und weil es so einfach ist, vorbei zu schauen und Fragen zu stellen. O-Ton 27 (Sophie und Heike) Länge: 1’13’’: Sophie: Und ich glaube auch, dass bei dem, wie offen ein Projekt ist, auch immer mit den Leuten steht und fällt, wie offen die sind. Also ich bin ja auch dazu gekommen, als hier schon sehr viel stand und wenn man wo reinkommt, muss man ja erstmal dann überlegen, wo man sich einbringen kann und dass ich mich hier wohlgefühlt habe, lag einfach tatsächlich an der persönlichen Offenheit der Menschen. Heike: Ja, wobei ich glaube manchmal schrecken wir die Leute auch ab, die neu dazu kommen. Wenn sie in einem Plenum ankommen, wo dann halt nochmal wieder diskutiert wird ohne Ende und sie da sitzen und sich unsere Diskussionskultur anschauen, (..) eigentlich mittlerweile schätze ich die sehr, weil wir wirklich eine strenge Redner-/Rednerinnenliste haben, was manchmal auf Außenstehende wirklich wahrscheinlich ein bisschen komisch wirkt, denn es wird nicht frei diskutiert, sondern es ist sehr diszipliniert eigentlich meistens und das zieht sich dann aber auch sehr in die Länge. Wenn wir dann auch das Ganze nochmal ins Englische übersetzen, dann ja dauert das alles. Und dann müssen die Leute sehr viel Geduld 10 mitbringen, die dann dazu kommen. Manchmal wirkt es auch ein bisschen komisch, wenn dann abgewunken wird bei Zustimmung. Atmo 9 (Plenum) Länge: 1’13’’ Erzähler: Plenum, so heißen die wöchentlichen Treffen im großen Saal des Hauses. Gut fünfzig Menschen sind heute gekommen. Sie sitzen auf Stühlen und Tischen oder auf dem Boden. Das Plenum ist das Entscheidungsorgan der Besetzung. Hier wird die Renovierung des Hauses organisiert, Protestaktionen geplant und Regeln für das Zusammenleben diskutiert. Der klassische WG-Putzplan gehört auch dazu. Basisdemokratie nennen die Leute im Plenum das. Weil jeder mitreden darf und eine Entscheidung nur getroffen wird, wenn alle dafür sind. Mit so vielen Leuten zu diskutieren, ist aber gar nicht so einfach. Deswegen gibt es Handzeichen, mit denen man ausdrücken kann, was man von einem Vorschlag hält. O-Ton 28 (Heike) Länge 0’22’’: Es soll das Ganze vereinfachen abkürzen, also alle Leute, die mit etwas einverstanden sind, winken dann mit der Hand, so wie die Queen das macht, ungefähr so ja, dann kann man sich dann ein bisschen vorstellen, also Hand hoch und winken und dann winken dann halt zwanzig Leute gleichzeitig zu irgendeinem Thema und das wirkt natürlich etwas komisch erstmal für Außenstehende, klar. O-Ton 29 (Sophie und Heike) Länge: 0’33’’: Heike: Man kann sich deutlich gleichzeitig mitteilen, ob man ein Thema positiv bewertet oder nicht. Ich denke, es verkürzt die ganze Geschichte und es macht es auch nochmal sichtbarer, ne also so. Sophie: Dann müssen nicht zehn Leute sagen, ich stimm dem zu. Das zieht die Sache ja unnötig in die Länge. Heike: Menschen können währenddessen weiter sprechen und werden nicht unterbrochen, während des Sprechens. Sophie: Und es ist sprachübergreifend. Atmo 10 (Saal, am Ende mit Musik) Länge: 3’51’’ Erzähler: Der große Saal, in dem das Plenum stattfindet, hat eine lange politische Vergangenheit. Einige von den älteren Göttingern, die heute hier diskutieren, waren auch früher schon hier. Auch Heike erinnert sich noch an die Zeiten, als der Deutsche Gewerkschaftsbund das Haus noch nutzte. O-Ton 30 (Heike) Länge 0’46’’: Hier hat der DGB damals schon immer große Bündnistreffen zum Beispiel gehabt, wenn es darum ging die Naziaufmärsche, die hier in Göttingen ja auch ein paar Mal angemeldet waren, gegen die große Demonstrationen auf die Beine zu stellen, andere politische Veranstaltungen haben hier auch stattgefunden. Hier hinten sieht 11 man nochmal diese alten Bilden, die haben wir hier auch stehen gelassen, vom DGB, die haben auch Tradition, das sind solche Arbeiterkampfbilder in schwarzweiß. Die ja hier glaube ich, drei Meter hoch sind schätzungsweise und eineinhalb Meter breit, die haben wir hier stehen gelassen, weil also diejenigen, die schon länger in Göttingen sind und schon länger politische Arbeit gemacht haben, denen sind diese Bilder ja auf eine Art auch heilig. Regie: Atmo kurz frei (evtl. auch mit Musik) O-Ton 31 (Heike) Länge 0’25’’: Wir wollen diesen Ort auch als politischen Raum nochmal hier nutzen, also weiter hier auch Veranstaltungen machen, dieser wunderbare DGB-Saal dort unten hat ja auch eine politische Tradition hier in Göttingen, die wissen wir sehr zu schätzen und das ist auch etwas, was wir hier gehört haben, dass viele Gewerkschaftsmitglieder dann Sorge hatten, gerade um diesen wunderbaren schönen Saal, also wir haben ihn wieder aufgemacht für alle. Erzähler: Ob der Saal und das ganze Haus auch weiterhin offen bleiben, hängt jetzt davon ab, ob sich der DGB als Eigentümer, die Stadt Göttingen und die Besetzerinnen und Besetzer auf eine langfristige Lösung einigen können. Seit einigen Monaten werden darüber Gespräche geführt. Die laufen sehr gut, sagt Heike, aber eine Einigung gibt es noch nicht. O-Ton 32 (Heike) Länge 0’12’’: Wir wollen gerne einen symbolischen Preis bezahlen für das Haus und da müssten wir halt hart und gut verhandeln mit dem DGB. Die können das ja auch gut, wir können das auch gut. 12
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