Inhaltsverzeichnis 1. Traumfrau 2. Pussywagon 3. Gedankenspiele 4. Der Apfel der Erkenntnis 5. Blind-Date 6. Wunschträume 7. Amelie 8. Bleib bei mir 9. Synkope 10. Lebenserfahrungen 11. Ein heißes Bad 12. Grundgütiger! 13. Ich liebe dich 14. Der Gang zum Galgen 15. Kirschblüten und Drecksfotzen 16. Epilog Anhang/Danksagungen Love on the left lane - Or how a mistake led me to you Impressum Text: © Copyright by Isabella Kniest, 9184 St. Jakob im Rosental, Österreich Cover: © Copyright by Isabella Kniest E-Mail: [email protected] 1. Auflage 2016 Nun, hier noch der übliche rechtliche Mist: Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig. Markennamen, die von der Autorin benutzt wurden, sind Eigentum ihrer jeweiligen Inhaber und wurden rein zu schriftstellerischen Zwecken benutzt. Weitere Informationen entnehmen sie bitte dem Anhang und den Danksagungen am Ende des Buches. Ich sagte es früher schon und ich sage es jetzt auch wieder: Doppelspurige Straßen in Städten sind keine Überholspuren! Herrgott! Es gibt nicht viele Dinge, die mir dermaßen auf den Sack gehen, wie Autofahrer, die denken, die linke Spur als Rennstrecke benützen zu dürfen und im weiteren Verlauf andere PKWs - welche sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten anzuhupen, anzublinken oder abzudrängen. Nicht einmal dann, wenn sich dadurch eine Romanze entwickeln sollte. Das ist nämlich bloß gemeingefährlich, rücksichtslos und unanständig! Ich habe meinen Führerschein seit bald dreizehn Jahren, aber diese Drängelei, die auf den Klagenfurter Straßen herrscht, habe ich nirgendwo sonst in einer solch aggressiven Form erlebt. Okay, vielleicht beim GTI-Treffen - aber das findet ja bloß einmal im Jahr statt. Nun, wie auch immer. Sollte dieser Roman zufälligerweise irgendwelchen Klagenfurter Pseudo-Rennfahrern in die Hände fallen, so denkt das nächste Mal dran: Dort wo fünfzig ist, ist fünfzig - und basta! Egal, ob eine Spur oder drei. Nun aber genug gejammert. Jetzt geht’s los! Es ist der Weg, welchen wir gehen, der uns verändert. Er formt uns, bereichert uns, füllt uns, fordert uns Und wenn wir dessen Ende erreicht haben, müssen wir uns die Frage stellen: Können wir stolz auf das sein, was aus uns geworden ist? Ich (Isabella Kniest) Für Carina, Theo und Christof 1. Traumfrau Steffi redete wieder einmal wie ein Wasserfall. Sie sprach über Lippenherpes, ihren Freund das Weichei, die Sternkonstellationen und dass diese heuer gut standen für Veränderungen, neue Beziehungen und Glück. Tracey seufzte. Vielleicht bei anderen. Doch bei ihm? Fehlanzeige. Die einzigen Weiber, die er abbekam, waren durchgeknallte Schnepfen. »Und, wie findest du den neuen Superheldenfilm?« Er trank einen Schluck seines bereits zur Hälfte ausgetrunkenen dunklen Biers. »Interessiert mich nicht.« Das Lokal war wieder einmal gerammelt voll. Steffi und Tracey hatten die letzten freien Plätze an der Theke ergattert. Etwas weiter links lachte eine Männergruppe laut, ungezwungen, vergnügt. Rechterhand ums Eck saßen fünf Single-Frauen in Männerjagd-Modus. Dies erkannte er daran, dass die, wie üblich viel zu stark geschminkten und viel zu freizügig gekleideten Frauen der lärmenden Proletenrunde immer wieder tiefe Blicke zuwarfen. »Er ist gut. Du solltest ihn ansehen.« Eine blonde Männerfang-Tusse hatte eben einen neuen typischen Flirtversuch gestartet: Oberarme gegen die Bar gelehnt, Dekolleté hinausgedrückt und einen leider nicht wirklich sexy wirkenden - Schlafzimmerblick aufgesetzt. Gott, war das billig! »Ich stehe mehr auf Actionfilme.« »Da kommt viel Action vor.« »Ja, kann schon sein.« Er nahm einen neuen Schluck. »Aber interessiert mich das alles nicht.« Sein Blick glitt zur Männerrunde. Scheinbar hatten sie angebissen. »Was ist los? Sonst bist du nicht so schlecht drauf.« Tracey drehte sich zu seiner besten Freundin zurück. Er kannte sie nun seit sicherlich fünfzehn Jahren und in all der Zeit hatten sie niemals etwas miteinander gehabt. Zugegeben, sie war hübsch anzuschauen mit ihren rehbraunen Augen, dem drallen Dekolleté und den vollen Lippen. Die blondierten Haare, das viele Make-up und ihr manchmal etwas zu forscher Charakter wogen dann aber doch zu schwer auf. Außerdem sprach sie für seinen Geschmack einfach viel zu viel. Aber der wichtigste Punkt: Es fühlte sich und hatte sich nie richtig angefühlt, mit ihr in die Kiste zu hüpfen. »Es ist einfach alles zum Kotzen, okay?« Sie nippte an ihrem Laphroaig. »Ist es wegen deiner Ex?« Er warf ihr einen sarkastischen Blick zu. »Nein, natürlich nicht!« Er stützte den Kopf mit seinem linken Arm an der Theke ab. »Ich verstehe nicht, wieso ich immer auf dieselben Scheißweiber hereinfalle.« Steffis Züge wurden milde. »Ich bin mir sicher, du wirst noch die Richtige finden. Deine Traumfrau. Ganz bestimmt.« Traumfrau. Verächtlich stieß er die Luft aus. »Als ob! So etwas gibt es nicht. Bisher habe ich bloß Vorzimmerdrachen an Land gezogen. Außerdem kenne ich niemand, der die Frau seiner Träume getroffen hätte.« Er trank einen Schluck. »Eher stolpern sie über eine, die genau das Gegenteil ist. Man bekommt nämlich immer nur das, was man nicht will: Willst du eine hübsche Frau, heiratest du am Ende eine, die hässlicher ist, als die Nacht finster. Willst du eine intelligente Frau, bekommst du bestimmt die Dümmste der ganzen Stadt. Und wünschst du dir zum Beispiel eine Jungfrau, kannst du dir sicher sein, die größte Flitsche des Bundeslandes aufzugabeln.« Steffi fing an, zu lachen. Ungezwungen, herzlich und laut. Tracey war sich sicher: Ihr Gelächter vernahm man mit ziemlicher Sicherheit auch vor dem Lokal. »Du bist echt frustriert.« Dann verengten sich ihre Augen, sie sich zu ihm lehnend. Oh nein! Das bedeutete nichts Gutes. »Sag mal ... Wie sollte denn deine Traumfrau aussehen?« Er verzog das Gesicht. »Auf das habe ich jetzt echt gewartet.« Sie schlug ihm auf die Schulter. »Komm schon! Jetzt kennen wir uns schon so lange, aber darüber hast du noch nie ein Sterbenswörtchen verloren.« Aus einem einfachen Grund: Seine erotischen Fantasien gingen außer ihm niemanden etwas an. »Weil ich eine Privatsphäre habe.« »Aber mir kannst du es doch erzählen! Du weißt, dass ich wie ein Grab schweige.« Ja, das wusste er. Steffi war vielleicht lästig und aufdringlich, aber ein Geheimnis für sich bewahren, das konnte sie wie keine Zweite. Aber jetzt mit ihr über solch ein heikles Thema zu sprechen, fühlte sich ebenso wenig richtig an, wie sie sich als seine andere Hälfte vorzustellen. Des Weiteren fühlte er sich hundeelend. So hundeelend, dass er sich am liebsten nur noch in sein Bett verkriechen wollte. »Ich bin nicht in Stimmung, über Wunschträume zu sprechen, die letzten Endes eh nicht in Erfüllung gehen.« Sie spitzte die schreiend rot geschminkten Lippen. »Bist du dir ganz sicher? Manchmal kann das nämlich ganz schön aufbauend sein.« Er zog seine linke Augenbraue nach oben. »Aber nicht, wenn man nur noch daran denkt.« »Oh.« Für einen kurzen Moment huschte so etwas wie Bedauern über ihr Gesicht. »Ist es denn so schlimm?« Seufzend fasste er nach seinem Krug. »Jedenfalls schlimm genug.« »Dann erzähle mir davon.« Nun fing sie langsam aber sicher an, ihm auf die Nerven zu gehen - und das zeigte er, indem er ihr einen schiefen finsteren Blick zuwarf. »Hey!«, rief sie beleidigt aus, ehe sie mit einem breiten Grinsen fortfuhr. »Sieh mich nicht so an, als wäre ich die lästigste Person, die du kennst.« »Das bist du aber nun mal.« Diese Neckereien standen bei ihnen an der Tagesordnung, und genau deshalb fasste sie keiner von ihnen beiden jemals ernst auf. »Dann sag endlich was! Du weißt, dass ich viele Leute kenne. Vielleicht treffe ich ja einmal auf eine Frau, die so ist, wie du dir das wünschst.« »Ja, klar. Und den Weihnachtsmann gibt es tatsächlich.« »Ja, sicher doch!« Sie richtete sich auf und stemmte die Hände gegen ihre Hüften. »Schließlich wurde er vom heiligen St. Nikolaus von Myra inspiriert.« Er schüttelte den Kopf. Es war hoffnungslos mit ihr. »Was soll ich dir denn bitte erzählen?« Verwunderung machte sich in ihrem Gesicht breit. »Na, wie sie aussehen soll oder welche charakterlichen Eigenschaften. So was halt.« Ein frustrierteres Seufzen drang aus seiner Kehle. »Ich weiß nicht ...« »Soll sie große Töpfe haben?« Steffi wäre natürlich nicht Steffi, würde sie ihre Fragen und Aussagen nicht mit ausladenden Gesten unterstreichen. Er prustete los. »Du bist so durchgeknallt. Wie kommt dein schüchterner Freund eigentlich mit dir klar?« Sie grinste. »Weich nicht aus! Beantworte lieber meine Frage.« Und etwas leiser. »Er steht auf Frauen, die anpacken. Das macht ihn heiß.« »Oh Gott ... Okay, so genau wollte ich das gar nicht wissen.« Kichernd wie kopfschüttelnd trank er einen Schluck. »Also, keine großen Möpse, oder was?« Tracey räusperte sich. Es fiel ihm viel schwerer, darüber zu sprechen, als er es selbst für möglich gehalten hätte. Schließlich war er sonst auch nicht auf den Mund gefallen. Wenn es jedoch um seine ganz persönlichen Vorlieben ging, wurde er schlagartig zurückhaltend. Das lag an einem einfachen Grund: Es kam ihm vor, dass seine kostbaren wenigen Wünsche dadurch ihre Reinheit verlieren würden. Wie der kindlich-naive Glaube an eine gute Welt, an eine höhere Macht, die helfend eingriff, wenn es nicht mehr weiterging, an Elfen, Zauberer und Monster. Natürlich klang es vollends dumm, dennoch fühlte er sich verantwortlich, seine Wünsche zu hüten. Möglicherweise würden sie ja doch noch in Erfüllung gehen, wenn er sie niemals laut aussprach. Möglicherweise verloren sie ihren Wert, wenn er darüber redete. Er blickte auf sein Bier. Oder womöglich hatte er doch bloß zu viel getrunken? »Sie braucht keine großen Möpse haben.« »Okay, und sonst?« Er drehte sich zu ihr zurück. »Es muss einfach passen.« Sie furchte ihre Stirn. »Das heißt?« Verzweifelt warf er die Hände in die Höhe. »Herrschaft, das weiß ich auch nicht!« »Na, welche Haarfarbe, welche Augenfarbe, welche Kleidergröße?« »Du weißt doch, mit welchen Frauen ich schon zusammen war.« »Okay.« Erneut spitzte sie die Lippen. »Also schlank soll sie sein ... ein wenig durchtrainiert vielleicht?« Es wurde ihm warm. Er konnte sich gar nichts Besseres vorstellen: Eine Frau mit einem sportlichen Körper sah schließlich immer sexy aus. Anstatt Steffi dies jedoch zu sagen, entgegnete er lieber: »Das Leben ist aber kein Wunschkonzert!« »Mann! Tracey! Hier geht es doch darum, was du dir wünschst!« »Na, gut ... Ja, ein zartes Sixpack wäre sicherlich nicht verkehrt.« Er versuchte dies, so nüchtern wie möglich über die Lippen zu bringen, Ihre Augen fingen an, zu strahlen. »Na endlich machen wir Fortschritte!« Er fuhr sich durchs blonde Haar. Dieses Treffen war keine gute Idee gewesen. Er hätte sich gleich denken können, dass sie es wieder auf irgendetwas abgesehen hatte. Jetzt stellte sich bloß die Frage: Was war es? »Und sonst?« Sie zog die Augenbrauen nach unten. »Komm schon! Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?« »Du bist so lästig!« »Ja.« Sie zeigte ihm ein breites Grinsen. »Deshalb sind wir ja auch so gute Kumpel!« Dann fuhr sie mit strenger Stimme fort. »Also, schlank, durchtrainiert und weiter?« Sein Blick wanderte zu den Single-Frauen, zu welchen sich nun die gut gelaunte Männerrunde gesellt hatte. »Willst du es wirklich so genau wissen?« »Ja, jedes einzelne Detail deiner schweinischen Fantasien.« Damit fanden seine Augen wieder die ihren. »Wer sagt, dass ich schweinische Fantasien habe?« Mit ihrem ach so bekannten allwissenden Blick lehnte sie sich zurück. »Jeder hat das.« »Jeder hat das«, wiederholte er, ließ sich etwas Zeit, ehe er weitersprach. »Und warum willst du das überhaupt wissen? Mich interessiert es auch nicht, was du dir so alles ausmalst.« »Mir ist bloß langweilig.« »Gibt es keine anständigen Erotikromane mehr zum Lesen ... oder hast du schon alle durch?« Durch diese Aussage erhielt er die exklusive Ehre, ihren relativ seltenen Pass-bloßauf-Blick zugeworfen zu bekommen. »Was denn, stimmt doch! Wie viele Liebesschnulzen liest du so in der Woche?« »Zehn.« In ihrer Stimme klang eine Menge Stolz mit. Wie, zur Hölle, konnte man auf so etwas denn bloß stolz sein? »Zehn? ... Warum willst du dann solche Dinge von mir wissen? Zieh dir einfach einen weiteren Schinken rein und gut ist.« »Ich bin einfach nur neugierig.« »Und ich will nicht darüber sprechen. Fertig. Also wechseln wir endlich das Thema.« »Nein, nein!« Sie schüttelte vehement ihren blonden Kopf. »Vergiss es! Ich lass dich erst hier rausmarschieren, wenn du mir alles gesagt hast oder-« Ihre Augen schweiften durch den vollen Raum. »Du eine dieser billigen Weiber da aufgerissen hast.« Tracey hätte sich beinahe an seinem Bier verschluckt. »Hey! Geht’s noch!?« Sie schmunzelte. »Die Weiber wirst du sicher nicht ansprechen, also überwinde dich und erzähl mir ein wenig von deinen erotischen Gedanken.« Es folgte eine Pause, in der sie sich bloß stumm anstarrten. »Glaub mir, das kann sehr befreiend sein.« Weshalb bloß immer er? Er stützte sich auf die Theke und vergrub das Gesicht in seine Hände. »Du machst mich echt fertig.« Zum Glück folgten keine Widerworte ihrerseits. »Sei kein Mädchen.« Zu früh gefreut. »Na gut.« Er richtete sich auf, griff nach seinem Krug und sagte: »Die Haarfarbe ist mir ziemlich egal.« Abschließend nahm er einen Schluck. »Und sonst?« »Nun, ich mag schlanke Frauen. »Das haben wir schon durch.« Er überlegte. »Ich mag lieber, wenn Frauen zurückhaltender sind.« Sie zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ach echt? Deine Ex-Freundinnen sind aber das krasse Gegenteil davon.« Tracey seufzte. Wieder einmal. »Ja, weil sie ihre kratzbürstigen Seiten erst später gezeigt haben.« Er stierte ihr genervt in die Augen. »Und deshalb nenne ich sie ja auch Ex.« Zum Abschluss stellte er das Bier mit einem lauten Knall zurück auf die Holztheke. »Und sonst noch?« »Mehr gibt es nicht«, log er. Er wollte ihr dieses klitzekleine und doch für ihn so dermaßen erregende Detail nicht anvertrauen. Nein, auf gar keinen Fall würde er das. Sie gab ihm einen weiteren Klaps. »Natürlich gibt es da noch mehr! Jetzt sei nicht so zugeknöpft! So kenne ich dich ja gar nicht!« Sie würde ihn bestimmt auslachen. »Du reitest so lange darauf rum, bis ich es dir sage, oder?« Steffi grinste siegessicher. »Darauf kannst du wetten!« Und das glaubte er ihr aufs Wort. Ach, verdammt nochmal! Er wollte einfach nicht darüber sprechen. Was brachte ihn das Ganze denn schon? »Erzähl’s mir«, drängte sie weiter, ihn mit ihrem linken Ellbogen anstupsend. Natürlich wusste er, wie diskret Steffi sich bei solchen Dingen verhielt. Sie war die Einzige, der er hundertprozentig vertraute. Wenn er irgendwen diese intimen Fantasien erzählen würde, dann ihr. Aber jetzt? Und hier? Er schob den Krug über den polierten Tresen. »Weißt du ... ich habe das noch keinem gesagt.« Und das hörte sich so bescheuert kindisch an, dass er sich am liebsten selbst eine reingehauen hätte. Sie lehnte sich zu ihm. »Ich sage es niemanden weiter. Versprochen.« Ein intensiver Blick in ihre braunen Augen. »Aber wehe, du lachst mich aus!« Sie nahm einen Schluck Whiskey. »Keine Sorge, das mache ich nicht.« Sie sah aufrichtig aus dabei. Konnte er es tatsächlich wagen? Sollte er es tatsächlich wagen? Durfte er es tatsächlich wagen? Drauf geschissen! »Nun ja, ich mag es nicht, wenn Frauen schon mit mehr Männern geschlafen haben, als ich zu meinen Bekannten zählen kann.« Wahrscheinlich lag es wirklich am Bier ... »Gut, also nicht mehr als drei Ex-Freunde.« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Du glaubst also, ich habe nur mit drei Leuten engeren Kontakt?« Sie kicherte. »Also das hast du jetzt gesagt!« Etwas leiser fügte sie hinzu. »Du Einzelgänger.« Blöde Schnepfe! »Gut, jetzt sage ich nichts mehr.« »Hey! Zick nicht so rum! Du hast fast keine Leute um dich. Das ist eine Tatsache.« Die Holzmaserung des Tresens begutachtend, erwiderte er: »Ja, weil ich mit diesen gesellschaftlich unfähigen Leuten nicht zurechtkomme.« »Genau wie ich.« Eine Pause entstand. »Also, nur wenige Beziehungen.« Langsam wanderte sein Blick zurück in ihr Gesicht. »... Noch besser wären gar keine.« Warum hatte er das jetzt gesagt?! Verfluchter Alkoholspiegel. Morgen würde er sich dafür verteufeln. Er suchte nach Anzeichen in ihrem Gesicht, was sie denn von dem Gesagten hielt. Da bemerkte er, wie sich ihre Augen zu weiten begannen. Wenn sie jetzt nur eine blöde Meldung schieben würde, dann, bei Gott ... »Also eine Jungfrau?«, kam es komplett sachlich aus ihrem Mund, womit er absolut nicht gerechnet hatte. »Okay. Das ist aber ziemlich selten heutzutage. Gerade in deinem Alter ... Und eine Minderjährige ... also, ich weiß ja nicht.« Er hielt die Hände von seinem Körper weg. »Hey! Ich stehe nicht auf Kinder!« »Ja, aber ab zwanzig wirst du da keine mehr finden. Und wenn schon, dann hat die bestimmt einen an der Klatsche.« »Meinst du? Ist das so selten?« Sie überlegte etwas. »Nun ja. Ich kenne da eine. Und sie sieht sogar ziemlich passabel aus. Sie hat gesagt, sie wolle auf den Richtigen warten.« Traceys Herz fing an zu klopfen. »Also gibt es so etwas doch noch!« Keinen Moment später schlug ein eiskalter Blitz in seine Magengegend. Verdammte Scheiße! Am liebsten hätte er sich vom Pyramidenkogelturm gestoßen. Er wollte doch nicht verraten, wie sehr er darauf abfuhr. Denn letztlich waren es nichts anderes, als Fantasien eines naiven Idioten. Sie grinste. »Ja schon ... aber wirklich nicht so oft, wie du denkst. Also das wird sicherlich nicht so einfach werden.« Mit ernsten Augen versuchte er, seinen kleinen Gefühlsausbruch zu überspielen. »Das habe ich auch nie gemeint! Schließlich sprechen wir hier über Träume, nicht über die Realität.« »Aber liegt dir verdammt viel daran ... so wie du reagiert hast.« Ein verschmitztes Lächeln folgte. »Aber zurück zum Thema. Gibt es sonst noch etwas, das sie auszeichnen sollte? Ein Beruf zum Beispiel oder eine weitere charakterliche oder körperliche Eigenschaft.« Da brauchte er nicht lange zu überlegen. »Also, wenn es bloß um eine verrückte Fantasie geht-« »Ja, das habe ich dir doch schon gesagt, oder? Red einfach geradeheraus - nicht die ganze Zeit um den heißen Brei, wie ein Weib.« Er brummte. »Okay, schon gut, schon gut.« Er zögerte, aber sprach er letztlich doch wieder weiter. »Lehrerin oder professionelle Turnerin - und ungeküsst sollte sie sein.« Nun brachte sie das erste Mal echte Verwunderung zum Ausdruck. »Jungfrau und ungeküsst? Das ist aber eine verdammt altmodische Einstellung.« »Hey!« Tracey setzte sich gerader hin. »Du wolltest es doch wissen!« Ein neues Grinsen huschte über ihre Lippen. »Das stimmt ... Trotzdem hätte ich das von dir nicht erwartet.« Sie schwenkte ihren Kopf hin und her, bevor sie ihm einen undefinierbaren Blick zuwarf. »Aber Lehrerin ... Ich will ja nicht wissen, wie deine Fantasien da mit dir durchgehen.« Sie leerte ihr Glas. »Ein langes Lineal, mit dem sie dir den Arsch versohlt?« Er funkelte sie an. »Ich stehe nicht auf 50 Shades of Grey. Egal, welche Position ich dabei einnehmen würde!« Weitere Vermutungen ließen nicht lange auf sich warten. »Ein zugeknöpftes Outfit? Bieder und altmodisch?« Schließlich folgte der Seitenhieb. »Genau wie du?« »Steffi!« »Aber dann, wenn ihr alleine im Klassenzimmer seid, zeigt sie dir, wie verdorben sie wirklich ist.« Schlagartig wurde es ihm heiß. Verflucht, ja! Genau das! Eine hochgeschlossene Bluse aber dafür einen Minirock weil ihr sexuelles Verlangen bereits so dermaßen große Ausmaße angenommen hatte ... und sie ihn unbedingt will - den er, hinter ihr stehend, langsam hinaufschieben würde - sie gegen den Bürotisch gelehnt, ängstlich-erregter Ausdruck in ihren Augen mit eingeschlossen. Vielleicht sogar ein Lineal in der zitternden Hand haltend ... »Jungfräuliche Lehrerin?«, riss sie ihn aus seinen aufkommenden Fantasien. Er nickte gedankenverloren. »Die ihre ersten sexuellen Erfahrungen in ihrem eigenen Klassenzimmer macht?«, vermutete sie weiter. Verdammt, ja! Was denn sonst? Das war schließlich eine seiner zahllosen Fantasien. Oder diese hier: Sie seinen Namen hilflos wimmernd, währenddessen er sie in seinen Armen hält und es ihr mit seinen Händen besorgte. Himmel, Arsch! Wenn er so weiterträumte, würde er hier in aller Öffentlichkeit noch einen Ständer bekommen. »Jetzt ist aber gut, verdammt!«, schimpfte er, die aufkommende Erregung zu unterdrücken versuchend. Seine beste Freundin schaute ihn aus unschuldigen Augen an. »Ich habe nur überlegt, was du dir so vorstellen könntest.« »Ja, und genau das wollte ich eigentlich verhindern.« Sie lehnte ihren rechten Unterarm gegen den Tresen, ihre Lippen ein entwaffnendes Lächeln formend. »Du kannst dir sicher sein, dass ich das niemanden verrate, okay?« »Ich hoffe es.« Schlagartig kam ihm eine Vermutung, auf was Steffi aus sein könnte. »Und versuche erst gar nicht, mir wieder irgendein Date zu beschaffen.« Sie fing an, zu lachen. Und das ließ alle seine Alarmglocken ertönen. Wenn er es nicht besser wüsste, steuerte er auf ein neues Desaster zu. Dafür - da war er sich sicher - würde diese Verrückte schon Sorge tragen. Früher oder später. 2. Pussywagon So ein verdammter Scheißtag! Sein Urlaub war gestrichen worden - wieder einmal. Dabei hatte er bloß eine Woche Auszeit gewollt. Aber die Kollegen mit Kindern bekamen da natürlich den Vorzug. So wie immer. Als ob Singles kein Anrecht auf Erholung hätten! »In den Energieferien sind die Kinder zu Hause, Tracey«, äffte er die Worte seines Chefs nach. »Da wollen die Eltern auch Urlaub haben.« »Aber habe ich meinen Urlaub schon vor einem halben Jahr eingetragen! Verdammt nochmal!« Am liebsten hätte er gegen das Lenkrad geschlagen, doch konnte der alte VW ebenso wenig etwas dafür, wie er selbst. Er bog in die Feldkirchnerstraße. Zum Glück schien der Nachmittagsverkehr nicht allzu zäh zu sein. Schleichende Autofahrer, die die zweite Spur blockierten, waren das Letzte, mit dem er sich jetzt wieder rumplagen wollte. Schließlich hatte er heute bereits dreimal damit zu kämpfen gehabt. In genau dem Moment drängte ein Mercedes Benz zwischen ihn und den vor ihm fahrenden roten Skoda hinein. So viel er erkennen konnte, saß ein alter Sack mit Hut vor dem Steuer. »Na ganz fein!«, polterte er. »Nicht schon wieder!« Er blickt auf den Tacho: 40. Der alte Sack fuhr tatsächlich 40! Konnte es denn noch schlimmer kommen?! Einige gedankliche Schimpftiraden später ordnete er sich wieder zur Ruhe. Es brachte nichts, durchzudrehen. Wer wusste, war dieser Pensionist bald einer seiner nächsten Kunden. Sein erhitztes Gemüt ein wenig abgekühlt, ging er auf Abstand und schaltete das Radio ein. Der für ihn an Fingernägel, die an eine Tafel kratzten erinnernde Song »Umbrella« von Rhianna drang aus den alten Boxen. Innerlich fluchend tat er das einzige Vernünftige: Er schaltete wieder ab. Ja, die Sache mit dem Urlaub. Wenn es bloß das gewesen wäre! Aber nein, natürlich nicht! Der Gipfel dieses beschissenen Tages bildete der neue Dienstplan: Sein Chef hatte ihn für die nächsten Wochen wieder für die vormittäglichen Krankentransporte eingeteilt! Die Dienstzeit war zwar klasse - immerhin kam er jeden Abend um siebzehn Uhr nach Hause - jedoch alte jammernde Leute von einem Arzt zum Nächsten zu kutschieren, stellte nicht unbedingt DIE befriedigende berufliche Herausforderung für ihn dar. Noteinsätze waren es, für die er lebte. Menschen zu retten, sie zu beruhigen, ihnen Trost zu spenden - das Gefühl, der Allgemeinheit helfend unter die Arme zu greifen, das bedeutete alles für ihn. Einfach alles. Natürlich fielen alltägliche Krankentransporte ebenso in diese Rubrik, aber fühlte er sich dadurch schlichtweg nicht ausgelastet. Es langweilte, ja unterforderte ihn. Tracey wollte helfen, anpacken, etwas verändern - notleidenden Menschen in ihrer schweren Stunde zur Seite stehen. Er wollte ihnen Sicherheit geben ... und jetzt saß er hinter dem Lenkrad und wurde von Schleichern ausgebremst. Scheiße! Nun, wenigstens ein Gutes hatte es: Sein dunkelhaariger Kollege Franz - den er nicht eben zu seinen besten Freunden zählte - durfte hinten sitzen und sich die langweiligen Geschichten der Greise anhören. So wie auch jetzt. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die, wie nichts Vergleichbares, ihn blendende Sonne riss ihn aus seinen Gedanken. Abermals fluchte er - doch dieses Mal nicht bloß im Gedanken, hatte er doch seine Sonnenbrille daheim vergessen. Ja, was musste heute eigentlich nicht noch alles schief laufen? Da erinnerte er sich an eine weitere Kleinigkeit: Die alte Frau, die ihn von oben bis unten vollgekotzt hatte. In aller Früh. Scheiß Drecksmontag! Den alten Mercedesfahrer nachkriechend bog er in die Rosentalerstraße ein. Wann würde dieser alte Sack denn endlich abbiegen?! Eben wollte er auf die rechte Spur wechseln, da schwenkte der Benz ebenfalls nach rechts - ohne Blinken, ohne Schauen. »Ja, hat der sonst keine Probleme, oder was?!«, keifte er. »Verfluchte Pensionisten!« Er atmete tief ein. ›Beruhig dich. Es bringt nichts.‹ Wenigstens war er den Fahrer damit los. Er beschleunigte. Er wollte diese Tour endlich hinter sich bringen. Nur noch Mr. Herzkrank zu Hause abliefern, dann war Schluss für heute. Dann würde er nach Hause fahren, heiß duschen, sich eine Bretterljause richten und einen knallharten Actionfilm reinziehen. Hinter einem grässlich pink lackierten Wagen blieb er stehen, der, wie die anderen PKWs links und rechts von ihm, an der roten Kreuzung warteten. Was für eine Tussi saß da wohl hinter dem Steuer? Die Ampel sprang auf Grün und der Tussen-Wagen fuhr an. Nun, das Auto rief zwar Augenkrebs hervor, doch würgte der Fahrer wenigstens nicht den Motor ab. Das erlebte er häufiger, als er es selbst je für möglich gehalten hatte. Wenn man dermaßen viel Zeit auf der Straße - und ganz besonders in der Stadt - unterwegs war, wurde man Zeuge von Erlebnissen, die man nicht einmal in einem Quentin Tarantino Film zu sehen bekam. Und wieder einmal fragte er sich, woher all diese fahrunfähigen Leute ihren Führerschein erhielten. Er begnügte sich mit der Ansicht, dass wohl mehrere Fahrschullehrer bestochen werden würden. Nachdem der Pussywagon auch nach dreihundert Metern noch immer nicht auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beschleunigt hatte, erreichte seine schlechte Laune einen neuen Tiefstpunkt. Was war denn heute bloß los?! Wieso gab diese blöde Kuh da nicht endlich vernünftig Gas? Eine weitere rote Ampel nötigte den Pussywagon wieder zum Halten - und in weiterer Folge den seinen. »Alter! Das gibt’s doch nicht!« »Was ist los?«, rief Franz nach vor. »Da ist wieder so eine elendige Tusse, die nicht fahren kann!« »Reg dich ab. Wir sind eh gleich da.« Der pinke Wagen beschleunigte erneut so schnell, wie eine Weinbergschnecke. Jetzt reichte es! Er blendete auf. Immerhin fuhr er ein Rettungsfahrzeug. Diese Tusse sollte endlich ihren Arsch auf die erste Spur bewegen! Sie jedoch wurde weder schneller, noch fuhr sie auf die Seite. Konnte das denn die Möglichkeit sein? »Ist die blind, oder was?!« Er betätigte erneut das Aufblendlicht. Keine Reaktion. »Zum Teufel!«, fauchte er. »Jetzt reichts!« Damit fuhr er knapp auf, blendete wie ein Verrückter auf. Und was tat sie? Sie wurde langsamer! Sein Blutdruck musste in dem Moment so ziemlich jede kritische Skala gesprengt haben - als der Tussen-Wagen endlich nach rechts fuhr. Aber, bei aller Liebe, jetzt würde er sich nicht mehr zurückhalten. Dann sah er die Fahrerin - wie sie ihn aus kalten verächtlichen Augen heraus anstarrte. Schlagartig dämmerte es ihm: Es war pure Absicht gewesen! Sie hatte es darauf anlegen wollen! Diese verfluchte Nutte! Die sich schnell nähernde Tankestelleneinfahrt rückte in sein Blickfeld. Ehe er noch weiter nachdachte, lenkte er zu dem schrecklich lackierten Ungetüm eines PKWs. Erst reagierte die Frau gar nicht, dann fing sie zum Hupen an. Aber letzten Endes brachte er sie dazu, in die Tankstelle einzubiegen. Sie hielt den Wagen an. Er hielt den Wagen an. Während er den Wagen verließ, hörte er noch, wie Franz ein »Was ist denn jetzt los?« rief, jedoch antwortete er nicht mehr. Zu fixiert war er auf das bevorstehende Aufeinandertreffen: Tusse gegen Krankentransportfahrer. »Sind Sie noch ganz dicht!?«, schrie die Frau hasserfüllt, sich ihm mit schnellen Schritten nähernd. In ihm brodelte eine dermaßen große Wut, dass er das unaussprechlich elegante Outfit des Lenkers beinahe nicht bemerkt hätte. Dabei liebte er es gewöhnlich, Frauen genauestens anzusehen. Besonders hübsch Gekleidete. Dies hatte ihm seit jeher imponiert - selbstbewusste Frauen in schönen Businesskleidern oder Hosenanzügen. Dazu eine gepflegte Frisur, Highheels und ein eleganter Mantel. Vielleicht noch eine große Sonnenbrille. Was gab es Schöneres, als solche Damen zu betrachten? Frauen in schönen Gewändern hatten schlichtweg etwas unaussprechlich Ästhetisches. Etwas Anziehendes, dessen er sich um nichts in der Welt zu entziehen vermochte. Jedoch heute? Da sah er bloß Rot im wahrsten Sinne. Der Bruchteil einer Sekunde war nötig, um sie in eine Kategorie einzuordnen: Vorzimmerdrachen ... und Ex-Freundin. Meine Fresse! Sie hatte tatsächlich eine gewaltige Ähnlichkeit mit seiner vermaledeiten Verflossenen. Die roten Haare, die großen Augen und die ewig langen Beine - verflucht, sie hätten Geschwister sein können. Und seine Drecksschnepfe von Ex war die schlimmste Hexe, die ein Mann sich auszumalen im Stande war! »Sie glauben wohl, Ihnen gehört die verdammte Straße, oder was?!«, polterte sie weiter. Ihre Stimme hatte einen herrischen wie tiefen Klang. Satt und selbstbewusst. Eine gänzliche Emanze. Mit ziemlicher Sicherheit beharrte sie auch auf dieses bescheuerte Gendern. Er antwortete ihr nicht, stattdessen wartete er darauf, was sie sich noch so von sich zu geben getraute. Denn eines war klar: Wenn sie ihm bloß ein falsches Wort an den Kopf warf, würde er ihr eine verpassen, dass sie sich dreimal im Kreis drehte. Sie traten zueinander - und sie zeigte ihm einen Vogel. »Gehst’s eigentlich noch?! Sie haben wohl zu viele Actionfilme angeschaut!« Ihre Augen waren gefüllt mit Wut und Hass. »Ich werde das der Polizei melden.« »Oh nein Schätzchen! Du wirst dich selbst anzeigen! Einen Rettungswagen behindern, ist ja wohl die Oberfrechheit!« »Sie elendiger Drecksack! Was bilden Sie sich überhaupt ein!?« Jäh legte sich irgendein Schalter in seinem Kopf um. So schnell konnte er gar nicht überlegen, holte er ausUnd sie blockte ab, schlug ihm in den Magen und verpasste ihm schließlich noch einen Tritt gegen seinen Oberschenkel. ›Professionelle Kampfkunst‹, schoss es ihm in den Kopf. ›Reagiere. Reagiere.‹ Sie wollte wieder zuschlagen, doch war nun er es, der abwehrte und ihre offene Deckung benutzte, um sie letztlich zu Boden zu bringen - mit einem Schlag in ihren angespannten Bauch, und sein rechtes Bein, das er zwischen ihre hakte. Das würde noch passen, dass er sich von einer Tussi niederschlagen lassen würde! »Scheiß elendiges Drecksweib! Diese ganze Scheiße reicht mir jetzt!« Er wollte nochmals zuschlagen, da fühlte er, wie ihn jemand zurückhielt und auf die Beine zog. »Hey!«, hörte er von weit her schreien. »Spinnst du?! Was machst du denn?!« Die Stimme gehörte zu Franz, der ihn - so schien es jedenfalls, denn so genau vermochte er dies aufgrund seines Wutanfalls nicht zu beurteilen - von hinten fixierte. »Das geht doch nicht!« Er wollte sich von ihm losreißen, dadurch wurde Franz’s Griff bedauerlicherweise bloß fester, ehe er ihn ein paar weitere Schritte zurückzog. Dies erinnerte ihn wieder einmal daran, warum er diesen Typen nicht ausstand! Franz musste bei allem besser sein, als er selbst. Mit Karate hatten sie gleichzeitig angefangen. Und wer legte eine Prüfung nach der anderen mit Bravour ab? Genau. Franz. Und wer bekam immer jedes Weib ab? Genau. Franz. Und wem wurde der Urlaub nächste Woche nicht gestrichen? Genau. Franz! Es war doch alles zum Kotzen! »Jetzt reg dich ab! Willst du eine Anzeige wegen Körperverletzung, oder was?« Sein Kollege drehte ihn zu sich um. »Die Frau liegt am Boden und du willst noch einmal zuschlagen? Geht’s dir noch gut?!« Diese Worte hatten eine gewisse Wirkung, denn spürte er langsam, wie sich dieses rote Tuch von seinen Augen verabschiedete. Außer Atem drehte er sich zu der Frau zurück. Sie lag noch immer auf dem trockenen Asphaltboden: Die Augen in Schock weit aufgerissen, wurde ein Gefühl in ihm ausgelöst, als würde jemand kaltes Wasser über seinen Rücken schütten, wodurch er letzten Endes wieder gänzlich zur Besinnung kam. Was zur Hölle hatte er da bloß angestellt?! Er war doch kein Schläger! Noch nie zuvor hatte er jemand geschlagen. Nicht einmal seine Drecksfotze von einer Ex, die ihn dreimal fremd gegangen war. »Scheiße«, vermochte er schließlich, hervorzuwürgen. »Geht’s dir jetzt besser?«, hörte er seinen Kollegen fragen. »Ja ... ja«, antwortete er zögerlich. Es folgten noch einige sich endlos anfühlende Sekunden, ehe er instruierte: »Kümmer du dich wieder um den alten Mann. Ich regle das hier schon.« Mit langsamen Schritten ging er auf die nach wie vor apathisch auf dem Boden und ihn mit angsterfüllten Augen musternden Frau zu. »Lassen Sie mich bloß in Ruhe«, keuchte sie, sich plötzlich unsicher erhebend. Scheiße nein, Scheiße nein! »Warte!« Sie war eben auf den Beinen, da klappte sie ohne Vorwarnung nach vorn. Kreislaufkollaps. Nochmal Scheiße! Er sah bereits, wie sie mit ihrem Gesicht voran auf die Asphaltfläche schlug. Doch ehe es soweit kam, machte er einen beherzten Satz auf sie zu und fing sie auf. Sie fühlte sich so leicht an. Wie eine Feder. Äußerst behutsam ließ er sie zurück auf den Boden gleiten. Mit dem Kopf in seinem linken Arm strich er ihr die langen Haare aus dem Gesicht. Sie war kreidebleich und zu allem Übel nicht ansprechbar. Er gab ihr einen Klaps auf ihre Wange. »Hey, komm schon. Aufwachen.« Doch rührte sie sich nicht. Ein weiterer Klaps folgte. Noch immer keine Reaktion. Er dachte, sie in eine stabile Seitenlage zu bringen, als sie letztlich doch wieder zögerlich die Lider anhob. Meine Fresse! Durch die Sonne schienen ihre dunkelblauen Augen regelrecht zu glühen. Sie hatten Ähnlichkeit mit der Farbe des Ozeans: tief und beruhigend und hypnotisierend. Er tauchte in sie ein, sank sekündlich tiefer, bis zum Grund, drang in ihre Seele ein, spürte ihre Emotionen - aufgewühlt, unsicher, dennoch irgendwie beschützt. Es war unvergleichlich. Der Versuch der Frau, sich aus seinen Armen zu befreien, riss ihn aus seiner Trance. »Lassen ... Sie mich los«, nuschelte sie mit einer ungesund klingenden dünnen Stimme. Gegangen war ihr vorhin noch so überschäumendes Temperament. Da war keine Kraft mehr, keine Aggression, kein Widerstand. Sie wirkte regelrecht gebrochen. Es tat ihm in der Seele weh. »Lassen ... lassen ... Sie mich los.« »Nein. Nicht so schnell.« Bedächtig schlang er seinen linken Arm um ihre Taille. »Du warst gerade ohnmächtig. Wenn du jetzt aufstehst, dann brichst du wieder zusammen.« Seine rechte Hand fuhr unter ihre Kniekehlen. »Ich werde dich jetzt aufheben, okay? Dann trage ich dich zum Wagen. Schling deine Arme um meinen Hals.« »Einen Scheißdreck ... werde ich tun.« Sie drehte sich aus seiner Umarmung und stand mit zittrigen Beinen auf. »Verdammt nochmal! Wieso seid ihr Weiber immer so verdammt stur!? Willst du dir noch deinen Kopf aufschlagen? Bist du scharf drauf, auf den Asphalt zu knallen?« »Niemand fasst mich an.« Taumelnd schritt sie zu ihrem Wagen, ließ sich dann auf den Fahrersitz plumpsen und griff nach ihrer Tasche. Sie kramte etwas, dann zog sie ein Handy hervor - und machte ein Foto. Erst von ihm und schließlich noch von seinem Wagen. Na noch besser! Eine neue Wutwelle begann sich in ihm aufzubauen. »Was soll der Scheiß?« Allmählich füllten sich ihre Augen wieder mit dieser Eiseskälte. »Sie wollten auf mich eindreschen! Das bringe ich zur Anzeige. Ich lasse mich nicht mehr runtermachen! Von keinem mehr!« Darauffolgend knallte sie die Tür zu und fuhr los. Tausendmal Scheiße!
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