Ausgabe 38 30. September 2016 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Mittelstand Erfahrung schützt vor Fehlern nicht Der deutsche Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft I n Sachen Innovation und Betrauenskultur als Basis für langständigkeit ist der Mittelstand fristigen Erfolg“. aus der deutschen Wirtschaft Jüngst zeigte sich das bei nicht wegzudenken. Viele Ardem Blick auf die deutsche Aubeitsplätze und die meisten tomobilindustrie. Während die Erfolge großer internationaler großen Konzerne wie BMW, VW Konzerne hängen von der Wertund Daimler sich noch auf die Verbrennungsmotoren stürzten schöpfung der Mittelständler und in Sachen Elektromobilität ab. „Die Rede ist von einigen taunur verhalten produzierten, hasend Industrieunternehmen des Maschinenbaus, der Antriebsben Zulieferer hier bereits wichtechnik, der Medizintechnik, der tige Weichen gestellt. Im Bereich elektrotechnischen Industrie, des automatisierten Fahrens der Verpackungsindustrie, der sind deutsche Zulieferer sogar optischen Industrie und vor alInnovationstreiber. Zusammen mit dem Econlem – übergreifend betrachtet – Verlag und den beiden Autoren der Zulieferindustrie“, so Heiner Heiner Kübler und Carl A. SieKübler und Carl A. Siebel in ihDie Weitergabe von Generation zu Generation ist auch im Mittelstand rem Buch „Mittelstand ist eine bel präsentieren die Deutschen ein wichtiges Credo. Aber nicht immer gelingt dies. Foto: Flickr/ Micha? Koralewski/CC by nc nd 2.0 Haltung. Die stillen Treiber der Mittelstands Nachrichten in der Deutschen Wirtschaft“. DMN-Reihe „Das bewegt deutEntscheidend für den Ersche Mittelständler“ in den komfolg der deutschen Mittelständler ist Sinne des Lebenswerks, vorsichtiger menden Wochen regelmäßig Einblicke tatsächlich ihre Haltung. Dazu gehören Umgang mit Geld, die Mitarbeiter ma- in den deutsche Mittelstand, die Hid„langfristiges Denken und Handeln im chen das Unternehmen aus sowie Ver- den Follower. „Wir vermuten, dass es in Analyse Millionen Autos übersteigen Schadstoff-Grenzwerte in Europa In Europa werden derzeit offenbar rund 29 Millionen Fahrzeuge gefahren, welche die offiziellen Stickoxid-Grenzwerte deutlich übersteigen. Dies geht aus einem Bericht der Umweltschutzgruppe Transport & Environment (T&E) hervor. T&E berichtet, dass diese Schätzungen „konservativ“ ausgelegt worden seien und dass die Anzahl von 29 Millionen Autos etwa 76 Prozent aller Diesel-Fahrzeuge entspreche, die zwischen 2011 und 2015 verkauft wurden. Im Zuge der Affäre um manipulierte Dieselfahrzeuge des Volkswagen-Konzerns war bekanntgeworden, dass Autos fast aller großen Hersteller die Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb übersteigen, berichtet EUobserver. Demzufolge würde die Abgasregelung automatisch ausgeschaltet oder heruntergefahren, weil eine dauerhafte Anwendung den Motoren schaden würde. Pikant an den von T&E entdeckten Verstößen gegen die Schadstoff-Grenzwerte ist, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) zahlreichen Autokonzernen in den Jahren 2009 und 2010 Kredite im Gesamtumfang von etwa 7,5 Milliarden Euro gewährt hatte, mit dem Ziel, dass dieses Geld in die Entwicklung emissionsarmer Fahrzeuge fließen soll. Zu den Empfängern der Kredite gehörten Fiat, die französische PSA-Gruppe, Renault, VW, Volvo, Jaguar, Nissan und Ford. Zweck der Kredite sei es gewesen „Investitionen, die eine Reduzierung der Emissionen anpeilen, sowie der Energieeffizienz der europäischen Automobilbranche kurzfristig Unterstützung zukommen zu lassen“, schreibt die EIB in einem Bericht. So wurde im Sommer 2010 ein Kredit im Umfang von 550 Millionen Euro an Ford ausgereicht, für „die Forschung, Entwicklung und Innovation einer neuen Generation effizienter und schadstoffarmer Diesel- und Benzinmotoren.“ T&E zufolge habe Ford seit dem Erhalt des Kredites jedoch rund 1,5 Millionen Autos verkauft, welche die Grenzwerte der EU um mindestens das Dreifache übertreffen. An die französische PSA-Gruppe gingen 400 Millionen Euro, ebenso wie an Volkswagen. 1 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 Deutschland mehr als 1500 solcher Hidden Followers gibt“, so die Autoren. „Die Hidden Champions und Hidden Followers machen dann zusammen mehr als 2800 Firmen aus. Vor allem sie sind gemeint, wenn Menschen in aller Welt vom German Mittelstand sprechen.“ Digitalisierung nicht verpassen Erfolgreiche Mittelständler mit einer Firmengeschichte von mehr als zehn Jahren gelten in ihrer Branche oft als Spezialisten und werden daher meist als Standbein einer Branche angesehen. Doch dieser Ruf kann, wenn man sich darauf zu lang ausruht, zu einer falschen Sicherheit werden. So wie Nokia damals als Handyhersteller den Tipping Point in Sachen Smartphone und Touchscreen verpasste, ging es auch einem Unternehmen für Elektrogeräte wie Rauch-Feuchte- und Windmelder, das wir hier aus Datenschutzgründen SIGMELD nennen. Seit Jahren liefen die Geschäfte mit den Großhändler sehr gut: In Deutschland war die Position gefestigt und in 30 weiteren Ländern war man aktiv. Dass Geschäfte seit Jahrzehnten gut laufen, heißt jedoch nicht, dass sie die kommenden zehn Jahre gut laufen oder dass es keine neuen Entwicklungen im Unternehmen geben muss. Gerade in Sachen Digitalisierung ist jedes Unternehmen jeder Branche gefragt, sein Angebot zu überdenken, neue Strategien zu entwickeln und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren. Die Digitalisierung ist kein kurzer Trend, der vorüber geht. Es ist ein Richtungswechsel, der neue Unternehmen großgemacht hat und Unternehmen, wie Institutionen und Verbraucher stärker vernetzt. Diese Erfahrung musste SIGMELD auch machen. Zwar gewann die Smart Home-Technologie immer stärker in den Haushalten und auch bei Unternehmen an Bedeutung, das Unternehmen für Elektrogeräte wie Rauchmelder ignorierte die neue Entwicklung jedoch und vertraute auf die Wertigkeit der eigenen, bewährten Produkte. Gerade in langjährigen, erfolgreichen Unternehmen ist es aber umso wichtiger, sich trotz des Urvertrauens in die eigenen Kompetenzen zusammenzusetzen und neue Trends sowie ihre Folgen für das eigene Geschäft gemeinsam zu bewerten. Im Fall des betrachteten Unternehmens stellte sich heraus, dass Smart Home dazu führen wird, dass die eigenen Produkte, die auf eine alte Kommunikations- und Anschlusstechnik setzten, bald nicht mehr nachgefragt werden könnten. Hier war es nun wichtig, eigenen Strategien für neue Produkte und deren Vermarktung zu entwickeln, auch wenn dies einen mehrjährigen Prozess und einige Umbaumaßnahmen nach sich ziehen sollte. Das Beispiel SIGMELDS zeigt, wie schnell Konkurrenten und wichtige technische Wandlungen schnell dazu führen können, ein etabliertes Unternehmen an den Rand des Abgrunds zu führen. Übernahmen können schnell scheitern Viele deutsche Mittelständler werden in den kommenden zehn Jahren einen geeigneten Nachfolger für ihr Unternehmen suchen müssen. Immer seltener finden sich die Nachfolger in der eigenen Familie. Neue Geschäftsführer von außen oder ein Verkauf des Unternehmens werden dann notwendig. Doch es muss klare Vereinbarungen und Gespräche über sinnvolle Zielsetzungen geben, sonst scheitert das Unternehmen nach dem Führungswechsel. Viele deutsche Mittelständler sind erfolgreiche Familienunternehmen, die behutsam aufgebaut wurden und sich stark an den seit Jahrzehnten vermittelten Werten orientieren. Umso wichtiger ist für die Mitarbeiter, Inhaber und auch für die Kunden eine geeignete Nachfolge. In den kommenden zehn Jahren werden etwa 46.000 Mittelständler eine geeignete Nachfolge finden müssen. Am liebsten wird die familieninterne Nachfolge von den Mittelständlern gesehen. Doch nicht immer funktioniert das. Und so werden Verkäufe an Private-Equity-Investoren oder aber der Einsatz eines familienexternen Managements häufiger. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Sonst könnte es dem 30. September 2016 Unternehmen am Ende so gehen wie einem einst erfolgreichen Produzenten von Antriebskomponenten, welches aus datenschutzrechtlichen Gründen im Folgenden Ankog genannt werden soll. Ankog war ein familiengeführtes Unternehmen mit weltweit etwa 1.100 Mitarbeitern. Das Unternehmen stellte sowohl Standard- als auch Sonderkomponenten her und erreicht ein EBIT von 8 Prozent. Ursprünglich sollte das Unternehmen an die Tochter des Inhabers gehen. Als diese aber aus gesundheitlichen Gründen ausschied, wurde das Unternehmen mit samt den drei geschäftsführenden Gesellschaftern an ein Private-Equity-Unternehmen verkauft. Dieser US-Konzern orientierte sich beim Ebit am eigenen Markt und verlangte fortan eine Ebit-Rate von 20 Prozent. Zudem sollte jeden Monat ein 32-seitiger Bericht erstellt und die Sonderkomponenten nach und nach verschwinden. Trotz zahlreicher Versuche der drei Geschäftsführer, mit der USFührung über die neue Ausrichtung zu sprechen, blieb der US-Konzern bei seinen Zielvorgaben. Das hatte zur Folge, dass nach den drei Geschäftsführern, und einem gescheiterten Versuch des früheren Inhabers, das Unternehmen zurückzukaufen, immer mehr Führungskräfte das Unternehmen verließen und zur Konkurrenz wechselten. Der US-Konzern hatte seine Zielvorgaben und seine Arbeitskultur scheinbar ohne Rücksprache und ohne Kenntnis auf das deutsche Unternehmen projiziert. Vier Jahre nach dem Kauf des US-Konzerns „wurde die ANKOG für einen guten Preis an eine PrivateEquity-Gesellschaft verkauft, die das Unternehmen bald an die nächste Gesellschaft weiterveräußerte“, schreiben Heiner Kübler und Carl A. Siebel in ihrem Buch „Mittelstand ist eine Haltung: Die stillen Treiber der Deutschen Wirtschaft“. Wie „eine heiße Kartoffel wurde das einstige Vorzeigeunternehmen weitergereicht – inzwischen aber nur noch zur Hälfte des einstigen Kaufpreises.“ 2 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 30. September 2016 Wirtschaft Studie: TTIP kann zur wirtschaftlichen Spaltung Europas führen Laut einer Studie würde TTIP die Desintegration in Europa vor allem auf dem Arbeitsmarkt beschleunigen D ie EU-Kommission verweist bei ihrer Kommunikation für TTIP auf Prognosen, die zahlreiche positive Effekte für die EU-Mitgliedsstaaten aufzeigen. Doch diese Untersuchungen und Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, wie eine neue Studie zeigt, die den Deutschen Mittelstands Nachrichten vorliegt. Die ähnlich positiven Ergebnisse der meisten bisher vorliegenden Untersuchungen lassen sich nämlich unter anderem auf deren umstrittene Methodik zurückführen. So verwenden beispielsweise drei der vier offiziellen Studien das gleiche „ökonomische Berechnungsmodell, das Computable General Equilibrium (CGE) Modell sowie gänzlich oder teilweise dieselben Datensätze für die Quantifizie- Demo gegen TTIP und CETA in Berlin. Foto: Flickr/Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen/CC by 2.0 rung der nicht-tarifären Maßnahmen und sehr ähnliche Datensätze für die Wirtschaftsdaten der einzelnen Länder“, heißt es in der DMN-Studie. nisse der positiven Prognosen auf Zahlen, herrschende Trend nach Europa imporDas CGE-Modell sei aber aufgrund seiner die selbst nicht als sichere Annahmen tiert: Die scheinbar guten Job-Zahlen sind Eigenheiten (Prinzip des Gleichgewichts- gelten können. Die Geheimhaltung der seit einigen Jahren auf das Wachstum im zustands) nicht in der Lage, zulässige Aus- TTIP-Verhandlungen bedingt, dass es kei- Niedriglohnbereich zurückzuführen, wähsagen über die Auswirkungen von TTIP ne konkreten Datensätze gibt. Selbst die rend die Zahl der klassischen IndustriearTTIP-Leaks von Greenpeace ermöglichten beitsplätze schrumpft. Diesen Zustand auf die Arbeitsmärkte zu treffen. Wie entscheidend die Berechnungs- es letztlich nur, zu sehen, mit welchen hatte zuletzt US-Präsident Barack Obama modelle für den Trend der Prognosen sind, unterschiedlichen Standpunkten die EU bei seiner Rede vor den UN ausdrücklich zeigt die neue DMN-Studie. Unter Anwen- und die USA in die Verhandlungen gehen. beklagt und festgestellt, dass diese Entdung des „United Nations Global Policy Wie sich mit welchen Deals geeinigt wer- wicklung auch auf den Bedeutungsverlust Models“ etwa, winkt mit TTIP in Europa den wird, ist weiterhin unklar. Aber genau der Gewerkschaften zurückzuführen sei. ein Rückgang des BIPs, der persönlichen das wird entscheidend dafür sein, wie sich Diese Entwicklung ist einer der maßgebliEinkommen und der Beschäftigung. „Zu das Freihandelsabkommen auf den Wohl- chen Faktoren für den Erfolg von Donald erwarten sind zunehmende Instabilität stand, das Leben und die Arbeit der EU- Trump. „Um eine informierte Entscheidung im Finanzsektor und ein kontinuierlicher Bürger auswirken wird. In den offiziellen Gutachten so gut zu treffen, sollte man sowohl die ChanAbwärtstrend beim Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit (Lohn- wie gar nicht berücksichtigt sind die Un- cen als auch die Risiken abwägen“, so quote)“, so die Studienautorin Stefanie tersuchungen der unabhängigen Tufts- Schneider. Daher erscheine es etwas beSchneider. „Die Evaluierung mit dem UN- University, die zu einem sehr deutlichen sorgniserregend, wenn von Seiten der Modell lässt für Europa eine wirtschaftli- Ergebnis kommt: Das TTIP werde im Nor- Europäischen Union nur über die Vorteile che Desintegration weitaus wahrscheinli- den Europas – also in Deutschland, den und Wohlfahrtseffekte gesprochen werde cher wirken als eine weitere Integration.“ Niederlanden und in Skandinavien – zu und negative Auswirkungen per se ausTatsächlich würden die Vorteile von TTIP einem Boom im Niedriglohnsegment füh- geschlossen würden. Und daher „besteht nur auf Kosten des bilateralen Handels ren. Insgesamt geht diese Untersuchung eine realistische Gefahr, dass eine Fehlzwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu er- davon aus, dass knapp 600.000 klassi- einschätzung der Wirkungen des TTIP zu sche Arbeitsplätze durch TTIP wegfallen erheblichen sozialen Problemen in der EU reichen sein. Darüber hinaus basieren die Ergeb- könnten. Damit würde der in den USA führen wird“, warnt die Studie. 3 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 30. September 2016 Innovation Verpackung aus Milch Sie schützt Lebensmittel und kann sogar mitgegessen werden Da die neue Verpackung aus Milch besteht, ist sie zudem biologisch abbaubar. M ittlerweile sind viele Speisen in Supermärkten eingeschweißt – nicht selten sind sie außerdem zwei bis drei Mal verpackt. Viele der Verpackungen basieren auf Öl. Verpackungen aus alternativen Stoffen sind daher immer gefragter. Forscher der American Chemical Society haben nun eine Alternative aus Milch geschaffen. „Die aus Milchproteinen basierten Verpackung sind starke Sauerstoffblocker, die den Verderb von Lebensmitteln verhindern“, sagte die leitende Forscherin Peggy Tomasula auf dem 252. Treffen Foto: ACS der American Chemical Society. „Als Verpackung genutzt könnte man Lebensmittelverschwendung entlang der Nahrungskette verhindern. Grundlage der neuen Verpackung ist Kasein, das Protein der Milch. Die Forscher konnten damit eine dünne Folie produzieren. Die so hergestellte Verpackung halte Sauerstoff 500mal besser von Lebensmitteln fern als ölbasierte Folien. In den ersten Versuchen war die auf Milch basierte Verpackung jedoch nicht haltbar genug. Schnell löste sie sich bei Feuchtigkeit auf. Das Hinzufügen von Pektinen aus Zitrusfrüchten machte die Folie jedoch widerstandsfähiger. Da die neue Verpackung aus Milch besteht, ist sie zudem biologisch abbaubar. Packt man beispielsweise eine Suppe oder Nudeln darin ein, kann man die Verpackung mit im heißen Wasser auflösen. Zukünftig könnte man in die Milchverpackung auch Gewürze oder Vitamine einarbeiten, die dann beim Auflösen der Verpackung in heißem Wasser freigesetzt werden. „Die Anwendungen für dieses Produkt sind endlos“, sagt Laetitia Bonnaillie, die ebenfalls an der Milchverpackung mitgeforscht hat. Man könnte beispielsweise auch Chips oder Salzstangen darin verpacken, um zu verhindern, dass wie bei Tetrapacks Stoffe aus der äußeren ölbasierten Verpackung in die Lebensmittel eindringen. Bei Cornflakes beispielsweise nutzt man häufig Zucker, der auf die Flakes gesprüht wird, damit diese trotz möglicher Feuchtigkeit knusprig bleiben. Statt Zucker könnte man nun aber auch den Milch-basierten Film zum Einsprühen nehmen. Die Forscher rechnen mit einem Einzug der Milchverpackung in den Markt in ungefähr drei Jahren. Die Folie ist noch nicht so dehnbar, wie die Forscher es gern hätten und einige andere Weiterentwicklungen sollen in den kommenden Monaten noch folgen. Innovation Erster Wasserstoff-Zug der Welt fährt in Deutschland Bereits ab Ende 2017 sollen im deutschen Nahverkehr die weltweit ersten Brennstoffzellen-Züge rollen D er französische SchienentechnikHersteller Alstom stellte den neuen, emissionsfreien Antrieb auf der Bahntechnikmesse InnoTrans vor. Das Prinzip des sogenannten „Hydrail“: Die Brennstoffzelle wandelt Wasserstoff in elektrische Energie um. Die Entwicklung der in Salzgitter gebauten Züge namens „Coradia iLint“ hat der Bund mit acht Millionen Euro gefördert. Sie haben auf dem Dach einen Was- serstofftank und die Brennstoffzelle sowie Batterien im Boden des Zugs. Damit können sie bis zu 140 Stundenkilometer fahren. Entwickelt wurde er von Ingenieuren binnen zwei Jahren. Die Funktionsweise erklärt das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr: „Der neue Zug wird von Wasserstoff-Brennstoffzellen (die einer Batterie ähnlich sind) mit Strom versorgt. Chemische Energie wird in elektrische Energie umgewandelt – und das bei einem hohen Wirkungsgrad. Das Fahrzeug gibt lediglich Wasserdampf und Kondenswasser ab und ist überdies im Betrieb vergleichsweise geräuscharm.“ Den dafür benötigten Wasserstoff beziehe Alstom aus Chemieanlagen, in denen das Element als Abfallprodukt bei der Herstellung anderer Produkte anfalle, berichtet die Zeitung Welt. Bisher werde der so entstehende Wasserstoff häufig einfach 4 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 verbrannt. Der „Hydrail“ von Alstom sei damit von der Stromgewinnung bis zum Betrieb absolut emissionsfrei. Der Wasserstoff solle neben dem Bezug aus Industrieanlagen mittelfristig aber aus eigenen Alstom eines der Probleme gelöst, das die Autobauer bislang bei den Wasserstoffautos bremst: die fehlende Infrastruktur für die Energieversorgung. Ein Hydrail kommt voll aufgetankt 600 bis 800 Kilo- Die Entwicklung der in Salzgitter gebauten Züge namens „Coradia iLint“ hat der Bund mit acht Millionen Euro gefördert. Foto: Alstom Quellen kommen. Bei Alstom überlege man, für die H-Züge entsprechende Elektrolyseanlagen zu bauen, um die Bahnen vor Ort betanken zu können. „Damit hätte meter weit“, berichtet die Zeitung. Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen hat schon 14 Exemplare des „iLint“ bestellt. Im Herbst soll das Zu- 30. September 2016 lassungsverfahren beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA) beginnen. Die Prototypen fahren künftig im regulären Fahrbetrieb für die Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB), deren Mehrheitseigentümer das Land ist. Nach Angaben von Alstom gibt es zudem Absichtserklärungen aus Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg und Hessen, in denen auch Züge mit Wasserstoff fahren sollen. Mit vier Millionen Euro fördert das Ministerium auch den Alstom-Konkurrenten Bombardier, der einen mit Batterien ausgestatteten Talent-3-Zug entwickelt, so die dpa. „Insbesondere auf Nebenstrecken, an denen Oberleitungen unwirtschaftlich oder noch nicht vorhanden sind, fahren bislang Züge mit Dieseltriebwagen“, sagt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Brennstoffzelle und Batterie seien emissionsfreie, energieeffiziente und kostengünstige Alternativen. Die Branche erwartetet angesichts einer immer größeren Weltbevölkerung und wachsender Städte gute Geschäfte in den nächsten Jahren. 2015 erreichte der weltweite Markt für Eisenbahnzulieferer nach einer Roland-Berger-Studie für den europäischen Herstellerverband UNIFE ein Rekordvolumen von 159 Milliarden Euro. Wachstum verspricht demnach vor allem die Region Asien-Pazifik. Wirtschaft Indien wird zum wichtigsten Smartphone-Markt Nokia hat ein Smartphone für knapp 30 Euro vorgestellt. Das Handy kann nicht viel, soll jedoch Nokia wieder etablieren B essere Kameras, HD-Aufnahmen, zahlreiche Apps und zusätzliche Angebote wie eine Virtual Reality Brille – fast jedes halbe Jahr präsentieren die Handyhersteller mittlerweile neue Produkte. Der Markt in Europa, Asien und den USA wird regelrecht geflutet. Die Konkurrenz ist groß und die Anzahl der noch nicht erreichten Kunden wird immer kleiner. Doch seit einiger Zeit verlagert sich der Fokus der Hersteller auch immer stärker nach Indien. Der dortige Handymarkt ist groß. So groß, dass Start-ups sich hier genauso tummeln wie die Branchenriesen Apple, Samsung und Huawei. Selbst Nokia (Microsoft) versucht nun noch einmal, auf dem Handymarkt Fuß zu fassen. Indien soll dabei helfen. Wie Nokia das erreichen will, zeigt das neue Handy des Herstellers. Das Nokia 216 wird es vorerst nur auf dem indischen Markt geben. Mit 33 Euro ist es nach europäischen Standards äußerst günstig. Der Akku des Geräts hält sehr lang, währenddessen ist es aber bei der Zahl der Apps, der Megapixelzahl der Kamera (0,3 Megapixel) und beim Surfen im Netz nicht mit der 4G-Technologie vergleichbar. Auf dem indischen Markt könnte dieser Ansatz jedoch funktionieren. Mitte des Jahres hatte der indische Smartphone-Hersteller Ringing Bells das Indien gilt als vielversprechender Handy-Markt. Foto: Flickr/Stefano Ravalli/Cc by sa 2.0 Handy Freedom 251 für 251 Rupien (3,30 Euro) präsentiert. 5 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 Indiens hat mittlerweile die USA als größten Handymarkt abgelöst. Besaßen 2013 rund 524,9 Millionen Menschen in Indien ein Handy, sind es mittlerweile 638,4 Millionen (2015). Ein Anstieg auf 775,5 Millionen wird für 2017 erwartet. Doch nicht nur der normale Handymarkt wächst in Indien rasant. Auch der Smartphone-Markt wird immer größer. Morgan Stanley rechnet damit, dass Indien im kommenden Jahr die USA auch als zweitgrößten Smartphone-Markt überholen wird. Der Smartphone-Markt wer- de, so Morgan Stanley, 2018 eine Wachstumsrate von 23 Prozent erreichen und für 30 Prozent des globalen Wachstums verantwortlich sein. „Indien wird fast fünfmal so schnell wachsen wie der derzeit weltweit größte Smartphone-Markt, China“, so Morgan Stanley. Bisher nutzen nur 18 Prozent der indischen Bevölkerung Smartphones: Das sind 225 Millionen von 1,3 Milliarden. Momentan ist der Markt für Highend-Geräte (300 Dollar und mehr) in Indien noch sehr klein. Nur 6 Prozent 30. September 2016 des gesamten Handymarktes in Indien machen diese aus. Deswegen sind Startups und andere Firmen mit günstigen Handys derzeit so erfolgreich. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass sich in den kommenden Jahren auch immer mehr Handynutzer ein teureres Handy kaufen. Selbst Apple hat in Indien noch einen erheblichen Nachholbedarf. Mehr als die Hälfte der indischen Handynutzer kennt die Marke nicht einmal. Entsprechend stark könnte Apple seine Verkäufe in den kommenden Jahren ausbauen. EU Barnier: Die EU muss sich selbst verteidigen Das Vorgehen sei jedoch nicht gegen die NATO gerichtet. Auch mit den Briten will die EU zusammenarbeiten Deutsche Mittelstands Nachrichten: Präsident Juncker hat im Dezember vergangenen Jahres die Idee angeregt, die EU sollte ihre Verteidigung gemeinsam betreiben. Bei seiner Rede zur Lage der Union hat Juncker dieses Anliegen erneut bekräftigt. Wo steht die EU in dieser Frage? Michel Barnier: Das Wichtigste gleich zu Beginn: Die Verteidigungspolitik bleibt in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Wenn sie es wünschen, kooperieren sie freiwillig auf nationaler Basis miteinander – sei es bei der Entsendung von Truppen unter der EU-Flagge oder um neue Kapazitäten in der Verteidigung aufzubauen. Die gemeinsame Verteidigung der EU ist im Artikel 42.2 des Vertrags der Europäischen Union festgeschrieben. Sie sollte unser langfristiges Ziel sein. Tatsächlich gibt es aktuell in Europa zu wenig Zusammenarbeit, aber zu viele Fragmentierungen und Doppelstrukturen in der Verteidigung. Und doch erkenne ich, dass mehr und mehr Mitgliedsstaaten an einer Zusammenarbeit in Sachen Verteidigung interessiert sind: So hat die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor zwei Wochen in Litauen klar und deutlich die Idee einer Verteidigungsunion unterstützt. Das ist ein ermutigendes Signal. Die EU-Kommission ist in enger Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament be- reit, eine aktive Rolle für das Ziel einer gemeinsamen Verteidigung zu übernehmen. In seiner Rede zur Lage der Union hat Präsident Juncker am 14. September klare Aussichten gegeben: „Europa muss mehr Härte zeigen. Dies gilt vor allem für unsere Verteidigungspolitik“. Er hat drei Vorschläge formuliert: ein gemeinsames Hauptquartier, ein europäischer Verteidigungsfund und die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit. Daran werden wir nun mit den Mitgliedsstaaten arbeiten. Wir werden zunächst mit dem Bereich der militärischen Forschung beginnen. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU werden EU-Gelder dafür eingesetzt, um innovative militärische Technologien zu finanzieren, die in zentralen europäischen Verteidigungsbereichen eingesetzt werden. Etwa 25 Millionen Euro werden dafür 2017 zur Verfügung gestellt und möglicherweise weitere 65 Millionen Euro in den folgenden zwei Jahren. Für die nächste Finanzierungsrunde 2021-2027 sollten wir dann einen noch viel breiteren Ansatz wählen. Eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von EU-Kommissarin Bie?kowska hat vorgeschlagen, 3,5 Milliarden Euro über diesen Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Das heißt, die EU würde fast genauso viel in die militärische Forschung investieren wie Deutschland oder Großbritannien. Es ist sinnvoll, mit der Forschung zu beginnen. Gemeinsame Forschung ist die Grundlage für künftige gemeinsame Programme und Synergien bei der Ausrüstung. Die EU-Kommission möchte in systematischer Weise all ihre Instrumente einsetzen, um künftige Schwerpunkte von regulatorischen bis hin zu Finanzierungsinstrumenten unterstützen zu können. Ein Beispiel: Wir fragen uns, wie man EU-Instrumente wie Zertifizierung oder Forschung am sinnvollsten nutzen kann, um etwa die Entwicklung der EUROMALE, der europäischen Überwachungsdrohne, zu ermöglichen. Die Drohne ist entscheidend für alle zukünftigen Operationen. Um diese Ziele zu definieren, werden wir bis zum Jahresende unseren Aktionsplan zur Europäischen Verteidigung entsprechend überarbeiten. In diesem Plan werden alle uns zur Verfügung stehenden Mittel zusammengeführt, um die globale EU-Strategie für Außen- und Sicherheitspolitik nachhaltig zu fördern. Weiterhin sollen Frieden und Stabilität gewährleistet werden. Mit diesem Programm wollen wir die EU-Bürger schützen und zugleich andere Partner-Staaten in die Lage versetzen, dasselbe für ihre Bürger zu leisten. In einem working paper beschreibt der EU-Thinktank EPSC die heutige Situation als ein Dilemma zwischen „Verschwendung und Mangel an Ressourcen“. Wie würde eine gemeinsame Verteidigung da helfen? 6 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 Eine gemeinsame EU-Verteidigung kann in mehrfacher Hinsicht helfen. Erstens durch eine bessere Konvergenz der Planung auf der Ebene der Mitgliedsstaaten. Die Staaten folgen nationalen Interessen und setzen entsprechend Prioritäten bezüglich der Verteidigung. Sie tun das allerdings, ohne systemisch zu beobachten, was die EU-Partner machen. Sie verfolgen dabei auch nicht unbedingt genuin die Ziele der EU. Eine Abstimmung bei den Kapazitäten ist jedoch entscheidend: Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) hat bereits damit begonnen, diese Konvergenz voranzutreiben, aber die Mitgliedsstaaten haben sich in diesem Prozess noch nicht verbindlich festgelegt. Ich stimme ganz und gar dem deutschen Weißbuch zu, das besagt, dass „die EU-Staaten eine Harmonisierung bei der Entwicklung ihrer Kapazitäten anstreben sollen“. Die gemeinsame Verteidigung kann zweitens durch mehr gemeinsame Ausrüstung und Material helfen. Sogar für europäische Standards existieren zu viele Typen. Wir haben zum Beispiel allein für den Hubschrauber-Typus NH90 23 Typen in nur sieben Mitgliedsstaaten. Es ist daher nötig, gemeinsame integrale Kapazitäten aufzubauen – in Form von multinationalem Equipment – etwa, indem wir dem Modell folgen, das wir bei der multinationalen Flotte der Tankflugzeuge bereits umgesetzt haben. Drittens: Die gemeinsame Ausrüstung geht Hand in Hand mit gemeinsamen Lösungen für den Service vor Ort, beispielsweise bei der Logistik oder der Zertifizierung. Das Potenzial, um Investments der EU in diesen Bereichen zu maximieren, ist ausgesprochen hoch. Allein im Bereich der Munition geben die Mitgliedsstaaten ein Drittel nur für Zertifizierung aus. Mit nur sehr geringer Harmonisierung können wir hier erhebliche Summen einsparen. Viertens: Eine gemeinsame Verteidigung der EU braucht eine gemeinsame Kommando-Struktur. Das Europäische Lufttransportkommando in Eindhoven ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was erreicht werden könnte. Es ist ermutigend zu sehen, dass dieses Kommando auch für die multinationale Flotte der Tankflugzeuge zum Einsatz kommen könnte. Jahr 2013 wurden 84 Prozent der Beschaffungen für die Verteidigung auf nationaler Ebene getätigt. Würden die EU-Staaten ihre Kräfte bündeln, hätten sie eine deutlich größere Verhandlungsmacht beim Einkauf. Wie groß ist Ihrer Meinung nach das Einsparungspotenzial? Das EU-Parlament und die EDA haben Studien durchgeführt, um potenzielle Einsparungen durch verstärkte Kooperation abschätzen zu können. Die Kosten, die durch die mangelnde europäische Verteidigungsarbeit – also durch ein „Non-Europe in defence“ – entstehen, betragen mindestens 25 Milliarden Euro pro Jahr. Durch kooperative Programme können also immense Einsparungen erzielt werden: bis zu 3,9 Milliarden Euro für Fregatten, bis zu 6,6 Milliarden Euro für Schützenpanzer, bis zu 2,4 Milliarden Euro für Luft-Betankung. Dennoch müssen Lehren von früheren gemeinschaftlichen Beschaffungen gezogen werden: Wir brauchen einheitliche Ausschreibungen. Jeder einzelne Kunde will nur mit einem Zulieferer arbeiten. Außerdem müssen wir die Haushaltsplanungen aufeinander abstimmen. Deshalb ist die EDA so wichtig: Sie kann sicherstellen, dass diese Bedingungen erfüllt werden. Osteuropäische Staaten wie etwa Tschechien haben vor kurzem den Gedanken einer gemeinschaftlichen Verteidigung erneut aufgegriffen. Sehen Sie ein besonderes Interesse in Osteuropa? Ich sehe ein starkes Interesse an einer gemeinschaftlichen Verteidigung in ganz Europa. Die Kapazitäten und die industriellen Rahmenbedingungen sind aufgrund der Geschichte und der spezifischen Wahrnehmung von Bedrohungen sehr unterschiedlich. Wegen der Bedrohungen, die sich an unseren Ost-Grenzen ergeben, ist es nicht verwunderlich, dass die Osteuropäer besonderen Wert auf eine gemeinsame Verteidigung legen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir alle auf politischer Ebene ein gemeinsames Ziel verfolgen: Eine gemeinsame Verteidigung ist der beste Weg, um uns selbst schützen zu können. Noch bietet die NATO eine Art Schirm für die euro- 30. September 2016 atlantische Sicherheit – aber dies wird in Zukunft nicht länger bedingungslos der Fall sein. Auch die USA fordern die Europäer auf, aktiv zu werden und ihr Engagement für die eigene Sicherheit, Frieden und Stabilität zu stärken. Es mag verschiedene Wege und Mittel geben, um dieses längerfristige Ziel zu erreichen. Mit der Ansprache von Präsident Juncker zur Lage der Union sowie dem Gipfeltreffen in Bratislava am 16. September bietet sich die Möglichkeit, unser gemeinschaftliches politisches Bestreben erneut festzustellen, weitreichende Entscheidungen zu treffen und die nächsten Meilensteine zu setzen. Nach dem Brexit ist die gemeinsame Verteidigung ein Bereich, der die 27 Staaten eint – zum direkten Nutzen unserer Bürger. Eines der größten Hindernisse scheinen unterschiedliche Militär-Doktrinen zu sein. Im erwähnten EPSC working paper wird das eher interventionistische Herangehen (Frankreich) dem parlamentarischen Ansatz (Deutschland) gegenübergestellt. Können diese beiden überhaupt miteinander in Einklang gebracht werden? Selbstverständlich. Frankreich und Deutschland stehen denselben Herausforderungen gegenüber. Beim Verteidigungs-Sommertreffen am 6. September in Frankreich hat der Staatsekretär im Bundesverteidigungsministerium, Ralf Brauksiepe betont, dass Deutschland mehr in seine Verteidigung investiert und sich verstärkt auch in Afrika engagiert – speziell in Mali und am Horn von Afrika. Das ist ein durchaus positives Signal für Staaten wie Frankreich, die eine stärke Aufteilung der Lasten bei gemeinsamen Militär-Operationen fordern. Militärdoktrinen sind nicht auf alle Ewigkeit festgeschrieben. Sie werden ständig an die sich entwickelnde Sicherheitslage und die Beurteilung von Bedrohungslagen angepasst. Das ist auch der Zweck der Weißbücher oder der strategischen Verteidigungsplanung. Frankreich hat sein aktuelles Weißbuch für Verteidigung und nationale Sicherheit im April 2013 herausgegeben, Deutschland das seine 2016. Wenn ich diese beiden Dokumente miteinander vergleiche, sehe ich 7 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 insbesondere eines: Unsere Interessen verflechten sich mehr und mehr. Unsere Einschätzung der Bedrohungslage gleicht sich immer stärker an. In diesem Kontext ist die bereits erwähnte „EU Global Strategy on Foreign and Security Policy” von Federica Mogherini ein entscheidender Durchbruch. Erstmals seit 2003 gibt es eine gemeinsame und ambitionierte europäische Rahmenplanung. Ohne Zweifel wird dies zu einer Annäherung der nationalen Doktrinen führen. Genau deshalb habe ich mich für einen Folge-Prozess eingesetzt – etwa in Richtung einer gemeinsamen Verteidigungsdoktrin unter Berücksichtigung der einzelnen nationalen Ansätze. Dieser Prozess sollte dazu führen, dass wir gemeinsam die Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte der globalen EU-Strategie implementieren. Die aktuelle Sicherheitslage lässt eine gemeinsame Verteidigung dringender denn je erscheinen. Sehen die Mitgliedsstaaten das genauso? Könnte man Missionen wie „Sophia” als ersten Schritt in Richtung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik sehen? Wie würde die gemeinsame Verteidigung mit der Grenzschutzagentur Frontex kooperieren? Die Aufgabe von Operation „Sophia” ist es, unter Führung der Italiener das Geschäftsmodell von Menschenschmugglern im Mittelmeer zu zerstören. Genau wie bei Operation „Atalanta”, die sich gegen Piraterie richtet, dienen diese Missionen den europäischen Sicherheitsinteressen. In dieser Hinsicht könnte man sie als ersten Schritt in Richtung einer gemeinsamen Verteidigung der EU sehen. Gemeinsame Operationen der EU verlangen eine robuste Planung und das Vorhalten von eigenen Kapazitäten, wie etwa ein gemeinsames EU-Hauptquartier für militärische Operationen. Ein solches Hauptquartier gibt es heute noch nicht. Außerdem brauchen wir eine größere finanzielle Solidarität der Mitgliedsstaaten, um solche Operationen finanzieren zu können. Ein EU-Hauptquartier würde uns in die Lage versetzen, stärker integrierte Antworten auf einige der Sicherheitsherausforderungen zu geben. Zu oft ziehen wir in Brüssel künstliche Grenzen zwischen den militärischen Einrichtungen und dem zivilen Bereich. Doch das macht Bisher war die Europäische Verteidigung als eine Art Krisenmanagement ausgerichtet: Mitgliedsstaaten senden etwa Truppen aus, um unsichere Regionen oder Länder zu stabilisieren. Jetzt sehen wir uns allerdings einer Situation gegenüber, in der die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit mehr und mehr verschwimmen: wachsende Bedrohungen sowohl im Osten als auch im Süden – aber sogar in Europa selbst durch Cyber-Attacken, hybride Kriegsführung oder Terroranschläge. Dies erhöht die Notwendigkeit einer Europäischen Verteidigung deutlich. Und die Mitgliedsstaaten teilen diese Auffassung in sehr starkem Ausmaß. Wir müssen enger zusammenarbeiten, um unsere Sicherheit gewährleisten zu können. Allerdings muss dieses politische Ziel nun in greifbare Entscheidungen und konkrete Aktionen umgesetzt werden. Der Brexit-Verhandler der EU-Kommission, Michel Barnier. 30. September 2016 keinen Sinn, weil interne und externe Sicherheit nicht mehr voneinander getrennt werden können. Wir müssen uns für einen umfassenden Ansatz entscheiden, wie es bereits bei Frontex und „Sophia” der Fall ist. Beide agieren gemeinsam und kooperativ in der maritimen Überwachung. Wie könnten die NATO und eine gemeinschaftliche Verteidigung der EU zusammenarbeiten? Und welche Bedeutung hat dann die neue EU-NATO-Partnerschaft in Bezug auf diese Politik? Die gemeinsame Verteidigung der EU sollte nicht den Eindruck erwecken, als sei sie gegen die NATO gerichtet. Auf dem NATO-Gipfel am 8. Juli haben Kommissionspräsident Juncker, Ratspräsident Tusk und Generalsekretär Stoltenberg erstmal eine Erklärung zwischen EU und NATO unterzeichnet. Lassen Sie mich daraus zitieren: „In Hinblick auf die kommenden Herausforderungen müssen wir unsere Bemühungen vervielfachen: Wir müssen neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und eine neue Ebene unserer Ambitionen finden: Weil unsere Sicherheit uns verbindet; weil wir nur gemeinsam eine große Spanne an Möglichkeiten bieten können, um Herausforderungen wie diese meistern zu können; und weil wir unsere Ressourcen mit maximaler Foto: EU-Kommission 8 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |38/16 Effizienz einsetzen müssen. Eine stärkere NATO und eine stärkere EU stützen sich gegenseitig. Nur gemeinsam können sie die Sicherheit in Europa und darüber hinaus gewährleisten.” Eine stärkere NATO und eine stärkere EU stützen sich tatsächlich wechselseitig – genauso ist es! In der derzeitigen Situation ist kein Raum für Rivalitäten – aber jede Menge für Ergänzung und gemeinsame Anstrengungen. Der Bereich der hybriden Bedrohungen ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass es Mittel und Wege geben muss, um Informationen über Bedrohungen oder Anschläge nahtlos zwischen NATO und EU auszutauschen. EPSC beschreibt in seinem working paper, dass sich die US-Außenpolitik in Richtung Asien orientiert. Heißt das für Europa, dass es mehr für sich selbst tun muss? Würde eine gemeinschaftliche Verteidigungspolitik die Position der EU in der transatlantischen Beziehung stärken? Der Fokus der aktuellen US-Regierung auf Asien sollte ein klarer Weckruf für Europa sein: Der Schutzschirm der USA wird nicht ewig genutzt werden können – und schon gar nicht bedingungslos. Das ist eigentlich keine neue Nachricht. Die derzeitige US-Regierung mahnt, dass die Europäer größere Verantwortung für die eigene Sicherheit in welcher Art auch immer tragen müssen – innerhalb der NATO oder innerhalb der EU. Das wird sich vermutlich auch mit der nächsten US-Regierung nicht ändern. Folglich muss Europa als glaubwürdiger Sicherheitspartner auftreten, der in der Lage ist, mit anderen Nationen zusammenzuarbeiten – speziell mit der USA oder eben autonom. Das ist der Grund, warum das Konzept der europäischen, strategischen Unabhängigkeit ganz oben auf der politischen Agenda steht – und zwar nicht im Sinne eines Konflikts mit den USA. Ein Mehr an europäischer Verteidigung schwächt die transatlantische Partnerschaft nicht – ganz im Gegenteil. Könnten Mitgliedsstaaten, die Teil der Europäischen Verteidigung sein wollen, ihre Ressourcen einfach zusammenlegen? Wo müsste das Verteidigungs-Budget platziert werden? Ein Zusammenlegen der Ressourcen ist nicht genug. Sehr oft ist die Kooperation davon geprägt, dass einzelne Mitgliedsstaaten nur kurzfristig und aufgrund von Notfällen zusammenarbeiten, ohne das langfristige Ziel im Auge zu behalten. Wir brauchen eine Vision: Die europäische Verteidigung sollte dazu beitragen, ein politisches Projekt zu entwickeln. Die globale EU-Strategie könnte diese Vision sein. Wir müssen also viel systematischer agieren, um diese gemeinsame Vision zu verwirklichen. Was ist unser militärisches Ziel? Welche Kapazitäten wollen wir vorhalten? Welche militärischen Strukturen sollten unser Anliegen untermauern? Das Framework Nation Concept, basierend auf einem Vorschlag Deutschlands, ist eine Initiative im Rahmen des NATO-Prozesses der Verteidigungsplanung. Wir können es uns als eine kreative Idee innerhalb des EU-Rahmenplans vorstellen. Im EU-Vertrag gibt es eine nie genutzte Möglichkeit, die sogenannte „Ständig Strukturierte Zusammenarbeit”. Das Ziel dieser Regel ist es, einen institutionellen europäischen Rahmenplan für eine systematische und gut organisierte Kooperation unter jenen Mitgliedsstaaten zu schaffen, die dies wünschen. Der nächste Schritt wäre die gemeinsame Verteidigung. Es ist jetzt sicher ein güns- Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Redaktion: Anika Schwalbe, Nicolas Dvorak. Sales Director: Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. Telefon: com. Erscheinungsweise wöchentliches Summary: 52 Mal pro www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de 30. September 2016 tiger Zeitpunkt, um über die Aktivierung dieser Regeln nachzudenken. Könnte der Austritt Großbritanniens eine gemeinsame EU-Verteidigung erleichtern? Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU verliert Europa seinen zweiten Platz als Militär-Investor weltweit. Wir werden auf den dritten Platz hinter den USA und China zurückfallen. Die Union wird sicherlich einiges an Expertise im Rüstungsbereich verlieren. Ich bedaure diese Entscheidung sehr und bin überzeugt, dass wir mit dem Vereinigten Königreich weiterhin eine Interessens-Gemeinschaft bilden sollten, was die Bereiche Sicherheit und Verteidigung angeht. Großbritannien hat seine Bereitschaft betont, mit der EU in Militär- und Sicherheitsfragen auch in Zukunft eng zusammenzuarbeiten. Der Brexit wird die EU jedoch nicht daran hindern, ein „global player” werden zu wollen. Der Anteil Großbritanniens an EU-geführten Operationen beträgt weniger als fünf Prozent, der Anteil innerhalb der EDA beträgt sogar nur ein Prozent des Budgets für Militärforschung und -technologie. Entscheidend wird nun die Frage sein, wie stark der politische Wille der 27 Mitgliedsstaaten ist, die gemeinschaftliche Verteidigung voranzubringen. Das Gipfeltreffen in Bratislava und Junckers Rede zur Lage der Nation sind wichtige Zwischenschritte auf diesem Weg. Wir sollten künftig mehr für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik tun, etwa durch die Einrichtung eines dauerhaften, operativen EU-Hauptquartiers sowie durch die Stärkung der EDA und die Unterstützung der EU-Kommission in Hinblick auf den Verteidigungssektor. Das kann jedoch nur in enger Kooperation mit den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedsstaaten gelingen. Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Philipp Schmidt. Layout: Nora Lorz. Copyright: Blogform Social Media GmbH, +49 (0) 30 / 81016030, Fax +49 (0) 30 / 81016033. Email: info@blogform-group. Jahr. Bezug: [email protected]. Mediadaten: [email protected]. 9
© Copyright 2024 ExpyDoc