TZ-SPEZIAL DIENSTAG, 27. SEPTEMBER 2016 | 15 Eine große Ehre für die sympathische, energiegeladene, energische Frontfrau der Musik Die TZ druckt heute die Laudatio auf Prof. Elvira Dreßen, die TVG-Geschäftsführer Benno Kittler anlässlich der Verleihung des Gellert-Preises gehalten hat BAD DÜBEN. Der Gellert-Preis wurde zum 18. Mal gemeinsam von Landkreis Nordsachsen und Sparkasse Leipzig verliehen. Der Preis leistet seit 1999 einen Beitrag zur Förderung der Künste im Mitteldeutschen Raum. Er wird jährlich wechselnd in den Sparten Bildende Kunst, Musik und Literatur vergeben. Namensgeber ist Dichter Christian Fürchtegott Gellert, der vor 300 Jahren geboren wurde und gilt als einer der bedeutendsten Kulturpreise Mitteldeutschlands. Frühere Preisträger sind unter anderem Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel, Maler Volker Pohlenz und die Künstlerin Christine Ebersbach. „Alle 18 Preisträger eint“, so Sparkassen-Vorstand Andreas Koch, „der Bezug zur Region und der Wunsch, hier etwas zu bewirken und dies über die Grenzen der Region und Mitteldeutschlands hinaus zu tragen.“ Für den ländlichen Raum sei dies sehr bedeutsam, man treffe hier auf alle Facetten der Kunst, so wie in einer Großstadt auch. Mit der diesjährigen Preisverleihung in der Kategorie Musik schließt sich der Kreis der umlaufenden Vergabe in den Kategorien Bildende Kunst, Literatur und Musik zum sechsten Mal. „18 Preisträger und eine kontinuierliche Verleihung des Kunstpreises seit 1999 sind zugleich Ausdruck großer Nachhaltigkeit und hoher Attraktivität des Gellert-Preises“, hob Landrat Kai Emanuel (parteilos) in seiner Festrede hervor. Kathrin Kabelitz Nach der Preisverleihung im Saal des Heide Spa: Elvira Dreßen gemeinsam mit Sparkassen-Vorstand Andreas Koch (links) und Landrat Kai Emanuel. Sparkasse und Landkreis Nordsachsen stiften alljährlich den Gellert-Preis. VON BENNO KITTLER BAD DÜBEN. Wir verleihen heute den bedeutensten Kunstpreis Mitteldeutschlands und ich fühle mich sehr geehrt, die Laudatio für die diesjährige Preisträgerin halten zu dürfen. Wer ist unsere Preisträgerin in diesem Jahr? Diese Frage ist ganz einfach zu beantworten: Professor Elvira Dreßen Was ist unsere Preisträgerin? Eine sympathische, energiegeladene, energische Frontfrau der Musik. Man könnte sicherlich das eine oder andere Attribut noch hinzufügen. Mir fiele da noch stark, motivierend und kreativ ein oder stark überzeugend. Sie lebt Musik, ja sie ist die personifizierte Musik. Bei ihr lässt sich Musik nicht nur auf die Arbeit reduzieren. Sie hat sogar Theater zu Hause. Nein, nein, nicht was sie meinen, meine Damen und Herren, nicht das Theater, was jeder von uns mal zu Hause erlebt. Nein, sie hat ihr eigenes Musiktheater bei sich zu Haus. Wenn sie aus dem Haus tritt, geht es links in den Komfortbereich und rechts in die Musikscheune. Dabei fing alles einmal klein an. Elvira Dreßen ist eigentlich eine Ur-Torgauerin. Obwohl in Herzberg ge- „Elvira Dreßen ist eigentlich eine Ur-Torgauerin.“ boren, zog die Familie alsbald nach Torgau. Diese Feststellung ist mir wichtig, da die diesjährige Preisträgerin aus unserer Region so fantastische Sachen für ihre Region gemacht hat. Aber weiter zur kleinen Elvira. Ihr Vater, Wolfgang Schulze, baute hier seinen Dachdeckerbetrieb auf. Die Kinder wurden wohlbehütet auf den Lebensweg vorbereitet. Die kleine Elvira wollte zur Musikschule und da zu Hause noch kein Klavier vorhanden war; sie hatte ursprünglich pianistische Ambitionen, kam sie eben in die Celloklasse. Beide, das Cello und Elvira, waren etwa gleich groß. Schnell stellten sich erste Erfolge ein. Herr Rohr, auch Leiter des Kreisorchesters Torgau, förderte die junge Begabung. Und die Spezialmusikschule in Halle war der erste Ausflug über Jahre aus Torgau. Nur an den Wochenenden kamen Elvira und ihr Cello in die Fischeraue. Dies ging lange Jahre gut, aber kurz vor Studienbeginn stellten sich Lehrer und Elvira einige Fragen. Ist ein Leben mit dem Cello für Elvira und das spätere Orchester die Idealverbindung, fragten sich die Leh- rer und sieht man mich denn eigentlich im Orchestergraben, fragte sich Elvira? Den salomonischen Beschluss fasste die Leitung der Spezialschule und sagte der jungen Musikerin, sie solle doch an der Hochschule für Musik in Leipzig für ein Studium des Gesangs vorsingen. Das war nun wirklich überraschend, da Elvira bis dahin mit Gesang so gut wie nichts am Hut hatte. Sie lernte also „Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün“ und fuhr nach Leipzig, wunderte sich über all die komischen Dinge, welche die anderen Kandidaten taten. Später erfuhr sie, dass man sich „einsingt mit Technik und so“. Davon hatte sie bis dahin nichts geahnt. Ihre Musikalität wurde geprüft, da hatte sie durch die vielen Jahre an der „Spezi“ natürlich Vorteile. Die Stimme gefiel „Mit dem Gesang hatte Elvira bis dahin nichts am Hut!“ und dass sie keine Arie oder ähnliches vorbereitet hatte, wurde durch die gute musikalische Ausbildung und hohe Erwartungen an die Zukunft kompensiert. Also für fünf Jahre Studium in Leipzig. Elvira Dreßen studierte an der Leipziger Musikhochschule bei Gerda Schriever und bei Maria Croonen. Noch vor dem Staatsexamen 1980 konnte sie am Theater in Altenburg und am Leipziger Opernhaus erste Erfahrungen sammeln. Es folgten Engagements am Weimarer Nationaltheater und zeitgleich an der Deutschen Staatsoper Berlin, ergänzt von Gastverpflichtungen an der Sächsischen Staatsoper Dresden und der früheren Wirkungsstätte in Leipzig. Der Staatsoper Berlin blieb sie als Ensemblemitglied 15 Jahre treu. Bis zum Jahre 2012 war sie als freiberufliche Opernsängerin an der Semperoper Dresden sowie an den Opernhäusern Leipzig, „Sie sang über 80 Opernpartien und arbeitete mit bedeutenden Regisseuren zusammen.“ Amsterdam, Augsburg, Potsdam und Chemnitz. Zu ihren bedeutendsten Opernpartien gehören: Carmen, Dorabella, Cherubino, Hänsel, Olga, Magdalene, Octavian, Niklas, Suzuki und Frau Reich. Sie sang unter der musikalischen Leitung von Dirigenten, wie Daniel Barenboim, Fabio Luisi, Horst Stein, Ottmar Suitner, Hartmut Hähnchen und Peter Schreier über 80 Opernpartien und arbeitete mit so bedeuten- den Regisseuren, wie Harry Kupfer, Ruth Berghans, Horst Bonner und Joachim Herz. Besonderes Interesse schenkte sie als Künstlerin der zeitgenössischen Musik, wovon auch viele ihrer CD-Produktionen sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen zeugen. Seit 1994 unterrichtet sie im Lehrauftrag für Gesang an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Elvira Dreßen und ihr Ehemann Dieter fanden im Herbst 1996 mit einem Bauernhof in Melpitz ein neuen Domizil. „Mit der Gründung der Musikscheune Melpitz wurde kulturelles Kleinod geschaffen“ Dabei wussten beide zunächst nicht so recht, was sie mit der alten Hofscheune anfangen sollten. Bald jedoch wurde die Idee geboren, diese zu einer Konzertstätte umzugestalten. Es wurde der Verein Musikscheune e. V. gegründet und so gibt es seit 1997 die Musikscheune Melpitz, in der regelmäßig Konzerte mit Künstlern unterschiedlichen Genres Besucher aus nah und fern anlocken. Besonders eng ist die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, an der Elvira Dreßen seit 1994 nach wie vor lehrt. Als künstlerische Leiterin der Musikscheune gelingt es ihr mit unermüdlichen Engagement immer wieder, dank ihrer nationalen und internationalen Kontakte, hochkarätige Künstler zu verpflichten und ein beachtenswertes Programm zusammenzustellen. Dabei erfordert ein ewiges Ringen um die Fördermittel des Kulturraumes besonders viel Kraft und Leidenschaft. Mit der Gründung der Musikscheune Melpitz wurde ein beachtenswertes kulturelles Kleinod geschaffen, durch das eine stets interessierte Zuhörerschaft für ein geringes Entgelt auch namhafte Künstler live erleben kann. Zudem wird jährlich auch dem musikalischen Nachwuchs die Möglichkeit gegeben, sein Können öffentlich darzubieten. Mit viel Kraft, Ausdauer und Liebe stellt Elvira Dreßen bekannte Opernund Operettenaufführungen auf die kleine Melpitzer Bühne, die immer wieder ein begeistertes Publikum finden. Schon bald nach Eröffnung der Musikscheune stellte sich heraus, dass die Räumlichkeiten bei Weitem nicht ausreichten. Es wurden Proberäume und preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten erforderlich und so kam Elvira Dreßen auf die Idee, ein kleines verfallenes Wohnhaus in der Windmüllerstraße zu erwerben und mit dem Verein Musikscheune und mit Hilfe des Amtes für ländliche Neuordnung in ein Studienheim umzuwandeln. Die Idee wurde umgesetzt und das Studienheim wurde Ende 2002 fertig gestellt und konnte im Jahr 2003 seiner Bestimmung übergeben werden. Ein besonderer Verdienst gebührt Elvira Dreßen um die Wiederaufführung der Oper „Daphne“ von Heinrich Schütz im Jahr 2008. Die Oper „Daphne“ wurde 1627 im Torgauer Schloss Hartenfels als erste deutschsprachige Oper uraufgeführt und hat damit für Torgau eine besondere Bedeutung. Zusammen mit dem Komponisten und Dirigenten Reinhard Seehafer wurde aus verschiedenen Werken von Heinrich Schütz eine Neufassung erstellt und „Ohne sie wäre die Wiederaufführung von Daphne nicht zustande gekommen.“ durch eigene Zwischenspiele ergänzt, denn die Partitur war in den Wirren des Siebenjährigen Krieges verloren gegangen. Das Projekt fand weit über die Grenzen Torgaus hinaus Beachtung und wäre ohne das intensive Engagement von Elvira Dreßen nicht zustande gekommen. Schon im Jahr 2001 übernahm Elvira Dreßen die Leitung der Kreismusikschule „Heinrich Schütz“ des Landkreises Torgau-Oschatz. Seitdem hat sich die Kreismusikschule ständig weiter entwickelt. Dabei geht die Tätigkeit von Elvira Dreßen weit über die üblichen Pflichtaufgaben hinaus. Die Zahl der Schüler vergrößerte sich von 726 bei der Übernahme auf mittlerweile 1300. „Mit der Kreismusikschule bereichert sich die Region.“ Unter der Federführung von Elvira Dreßen wurde im Jahr 2007 in Zusammenarbeit mit dem „Johann-Walter-Gymnasium“ das Projekt „Klassenmusizieren“ eingeführt, zunächst mit den Schülern der Klassen 5 und 6. Zu diesem Zweck wurden auch mithilfe der jeweiligen Fördervereine zwei Probenräume im Gymnasium renoviert und hergerichtet. Seitdem erlernen jährlich etwa 140 Schülerinnen und Schüler die Grundlagen des Musizierens. In öffentlichen Konzerten im Schlosshof und in der Aula des Gymnasiums konnten die erworbenen Fähigkeiten unter Beweis gestellt werden. Auch mit ande- ren Schulen gibt es mittlerweile Kooperationsverträge. Vielfältige Angebote in unterschiedlichen Unterrichtsformen ermöglichen allen Altersgruppen das gemeinsame Musizieren und Singen sowie das Erlernen von Musikinstrumenten. Die Kreismusikschule bereichert auf Initiative von Elvira Dreßen zusammen mit Schülern und Lehrkräften in vielfältiger Weise das kulturelle Leben in der Region. Zu nennen wären hier unter anderem die musikalischen Umrahmungen von Empfängen, Ausstellungen, Ehrungen, Weihnachtsfeiern in Seniorenheimen, Schulen und anderen Institutionen. Dazu kommen Konzertveranstaltungen des Erwachsenenorchesters, die Sparkassenkonzerte, Benefizkonzerte in Kirchen, die Schülerkonzerte sowie die zahlreichen Auftritte von Lehrern und Schülern zu besonderen Anlässen. Auch mit den anderen Musikschulen in der Region besteht eine enge Kooperation, die sich in gemeinsamen Probelagern und der Bildung des nordsächsischen Jugendorchesters manifestiert. Mit enormen persönlichchem Engagement initiierte Elvira Dreßen einen Schüleraustausch mit Israel und kümmert sich um die erforderlichen Fördermittel. Seit „Dieser Schüleraustausch ist ein Beitrag zur Völkerverständigung.“ dem Schuljahr 2005/06 kommt es zu jährlichen Begegnungen mit Schülern aus dem Kibuz Sholim. So können Schüler der Kreismusikschule in Israel Land und Leute kennenlernen und sich mit dem kulturellen und geschichtlichen Besonderheiten auseinandersetzen. Im Gegenzug erhalten junge Israelis hier in Torgau ein Bild vom allgemeinen und kulturellen Leben in Deutschland. Dieser Schüleraustausch ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Völkerverständigung. Die gegenseitigen Besuche erfordern von der Schulleiterin ein Höchstmaß an organisatorischer Vorarbeit sowie einen erheblichen Zeitaufwand. Und dann kam jener denkwürdige Tag vor fünf Jahren, an dem mich Elvira Dreßen anrief. In einer Zeit, in der sich in Torgau eine besonders pessimistische Grundstimmung breit machte. Der Innenstadthandel krankt und es tat sich in dieser Zeit überhaupt nichts, außer einem ziellosen Streit über einen neuen Einzelhandelsstandort. Elvira Dreßen offerierte mir eine ihrer Ideen. Man müsse doch in Torgau ein bisschen Schwung in den Laden brin- Foto: Alexander Prautzsch gen und da wäre doch eine Akademie, die junge Sänger aus aller Welt weiterbildet, genau das Richtige. Da ich ohnehin der Sohn von Herrn Optimismus bin, war ich begeistert von dieser Vision und wir legten umgehend los. Elvira Dreßen, als Kopf der Stiftung, als musikalischer Leiter, als Möbelrücker, als Stundenplaner, als Quartierbeschaffer, hat in den mittlerweile vier Akademien etwas unglaubliches geschafft. „Sie hat eine Stadt glücklich gemacht“. Für einen Torgauer könnte man diesen Satz so stehen lassen. Weil sie ja die Auswirkungen der jährlichen 10 Tage im Juli gespürt haben. Da liegt förmlich Musik in der Luft. Für die nicht eingeweihten und Nicht-Torgauer möchte ich das etwas beschreiben. Beim ersten hin„Sie hat eine Stadt glücklich gemacht!“ sehen kann ich ja Torgau nicht unbedingt mit Musik verbinden. Anders als Wien – mit Strauß, Walzer, Operette oder Bayreuth und Wagner. Und doch hat Torgau sehr viel mit deutschem Liedgut zu tun. Martin Luther hat mit seiner Revolution – er war übrigens sehr musikalisch und hat gern gesungen den Grundstein für die Entwicklung der Kirchenmusik gelegt. Und Torgau ist mit Daphne die Keimzelle der deutschen Oper. Und das war die Grundüberlegung dieser Idee eine Akademie zu schaffen, die sich einzig mit der Pflege des deutschen Liedgutes beschäftigt. Marketingtechnisch würde man sagen – man stößt in eine Marktlücke. Und das ist sehr wichtig. Wenn man macht, was alle machen, wird man beliebig und hat das Ziel verfehlt. Nun alsbald waren sechs Stifter, Unternehmen aus dem Altkreis Torgau gefunden, die einen beträchtlichen Teil Stiftungskapital aufbrachten und die Internationale sächsische Sängerakademie Torgau/Schloss Hartenfels wurde auf den Weg gebracht. Bei der 4. Akademie, in diesem Jahr waren 63 Teilnehmer aus 16 Nationen, von Island bis Israel, von Japan bis USA dabei. Damit leistet die Akademie und die Akademie ist Elvira Dreßen, das Herz , der Kopf, mehr für die Völkerverständigung als es Politiker je leisten werden und können. Meine sehr verehrten Damen und Herren! ich, wir, alle können dankbar sein für diese künstlerische Lebensleistung, die unsere Region soviel Kultur beschert hat.
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