0316 mittendrin Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch wachsen Unser Dorf Wenn in Allschwil oder Schönenbuch das Thema Wachstum zur Sprache kommt, endet die Diskussion unweigerlich beim Flugverkehr oder beim verdichteten Bauen. In differenzierteren Gesprächen wird der Fokus dann noch auf den Innovationspark und die Actelion gelenkt. Flughafengegner und Flughafenbefürworter diskutieren hitzig um Dezibel, Flugrouten und Mindestanzahl von Rotationen, damit für Easyjet das Geschäft weiterhin rentabel ist. Verdichtetes Bauen finden grundsätzlich alle gut, sei es aufgrund landschaftsschützerischer, gesamtwirtschaftlicher oder finanzieller Überlegungen. Sobald aber die Bagger im schönen Garten des Nachbarn auffahren, bekommt die eigene innere kritische Stimme rasant Auftrieb. Auch Innovation finden alle gut. Wie der dadurch verursachte «gordische Verkehrsknoten» in Allschwil gelöst werden soll, darüber scheiden sich die Geister. An dieser Stelle soll jetzt aber keine sorgfältig austarierte Diskussion von Pro und Contras zum Wachstum in Allschwil und Schönenbuch in «Blei» gegossen werden. Vielmehr wird das Wort den Karten der Schweizerischen Landestopographie übergeben, die mit ihren über die Jahrhunderte von Kartographen sorgfältig nachgeführten Linien, Rechtecken, Schraffuren und sonstigen 1916, Allschwil vor 100 Jahren. Copyright: Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft mittendrin032016 Signaturen ein Bild derjenigen Entwicklung nachzeichnen, die zu den heutigen Diskussionen führte. Auf dieser und der folgenden Seite kann selbstredend nur ein kleiner Ausschnitt des verfügbaren Kartenmaterials wiedergegeben werden. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Internetseite der Landestopographie aufzurufen (map.geo.admin.ch) und dort mit den tausend Möglichkeiten zu spielen. So können beispielsweise alte und neue Karten übereinandergelegt werden oder auch «Zeitreisen» abgespielt werden. Und dies für das gesamte Gebiet der Schweiz. Viel Vergnügen! • Markus Jäggi RUBRIKTITEL wachsen EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, «Wachsen» ist in unserer heutigen Zeit ein Imperativ. Besonders in der Wirtschaft scheint nur das gut zu sein, was wächst. Das ist nicht von Natur aus schlecht, denn auch die Natur funktioniert vor allem durch Wachsen. Alles, was lebt, wird geboren und wächst heran. Pflanzen wachsen immer weiter, können sich vermehren und andere Lebewesen ernähren. Tiere und Menschen erreichen irgendwann ihre maximale äussere Grösse und wachsen dann nach innen weiter. Sie wachsen an Lebenserfahrung und vermehrtem Weltwissen, hoffentlich aber auch an Weisheit, Glaube und Liebe. Es kommt also vor allem darauf an, in welche Richtung etwas wächst. «Wachsen» wird in dieser Ausgabe des Mittendrins aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Das Wachstum des Dorfes Allschwil erschliesst sich gut aus Landkarten. Wo die Grenzen dieses Wachstums sein sollen, sorgt hingegen immer wieder für politischen Sprengstoff. Bei allem Streben nach Wachstum tun wir gut daran, hin und wieder über seine Konsequenzen und möglichen Grenzen nachzudenken. Im gesellschaftlichen Leben ist die Grenze meiner Freiheit dort, wo andere unter meinem Tun zu leiden beginnen. Im Inneren kann diese Grenze auch Gott sein, der seine Rolle als Gegenüber wahrnimmt. Er kann mir hin und wieder auf sanfte Art und Weise zeigen, dass ich so, wie ich bin, gut bin, auch wenn ich mich zurzeit nur ausruhe und nicht weiterwachse. Solche Momente können sich gut auf einem Spaziergang in Richtung Allschwiler Wald einstellen. Deshalb sollen auch die Natur und ihre Schönheit in dieser Ausgabe eine Stimme erhalten. • Für das Redaktionsteam: Marc Burger 1941, 1966 und 2013. Allschwil vor 75, 50 und 3 Jahren. Copyright: Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. mittendrin032016 wachsen Glauben ist wie ein Gang auf dem Wasser Mit Vertrauen auf Gott durchs Leben zu gehen, ist wie ein Gang auf dem Wasser: eine Gratwanderung zwischen Sensation und gnadenlosem Scheitern. Dabei hilft das Vertrauen, dass mein Glaube gerade auch im Scheitern wachsen kann. Unter «Glauben» verstehen nach wie vor viele Menschen ein Für-wahr-Halten von religiösen Grundsätzen, die man nicht beweisen kann. Doch das greift zu kurz. Glaube und Vertrauen sind im biblischen Sprachgebrauch dasselbe Wort. Ich kann nicht an Gott glauben, ohne ihm zu vertrauen und aus diesem Vertrauen heraus mein Leben zu gestalten. Mit dem Vertrauen ist es aber so eine Sache. Ich kann es nur lernen, indem ich es tue und damit gute Erfahrungen sammle. Wie aber soll ich Gott vertrauen, wenn ich ihn noch nicht kenne und wenn ich auch generell kein Vertrauen im Leben habe? Es bleibt mir nichts anderes, als ein Sprung ins Wasser. Ich muss hineinspringen um herauszufinden, wie es sich anfühlt. Nur so lerne ich, wie ich mit diesem neuen Element umgehen muss. Die Bibel hilft In Bezug auf das Vertrauen in Gott birgt die Bibel grosse Schätze, die mir helfen, mich auf den Sprung vorzubereiten oder im Nachhinein mein Schwimmen im Wasser besser zu verstehen. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist der Gang des Apostels Petrus auf dem Wasser (Mt 14). Während einer Nacht auf dem See Genezeret wurde das Wetter stürmisch und die Jünger fürchteten, dass das Boot untergehen könnte. Da kam ihnen Jesus über den See entgegen und beruhigte sie. Petrus war so verblüfft über diese Erscheinung, dass er sofort Jesus entgegengehen wollte. Dieser freute sich über so viel Enthusiasmus und rief ihn zu sich. Petrus verliess das Boot und machte erfolgreich einige Schritte auf Jesus zu. Dann aber spürte er den Wind im Gesicht und realisierte, was er gerade tat. Das erfüllte ihn mit Angst - und mittendrin032016 Schwupps war der Zauber vorbei und er sank ins Wasser. Jesus holte ihn raus und schimpfte mit ihm, dass er so wenig Vertrauen hatte und zweifelte. gen: in den Bereich, in dem sich göttliches und menschliches Handeln überschneiden und zusammenwirken. In diesen Bereich vollsten Vertrauens ist er für einen kurzen Moment eingetaucht und hat erlebt, wie es sich dort anfühlt. Das ist sein grosser GeAngst und Zweifel Genaugenommen nennt ihn Jesus einen winn. «Kleingläubigen», einen, «der wenig Glauben hat». Im Moment des Einsinkens hatte Vertrauen reifen lassen Dass er anschliessend in dieser neuen Petrus wohl akut nicht wenig, sondern gar keinen Glauben mehr. Angst hatte sich in Spähre gescheitert ist, gehört zu unserem ihm ausgebreitet und Zweifel ausgelöst. Das Menschsein, denn wir sind noch nicht ganz zerstörte sein ganzes Vertrauen in die Situati- und gar Gott. Das ist auch nicht schlimm, on. Durch dieses Scheitern könnte das ganze denn wenn ich in diesen Zwischenbereich Erlebnis zu einer schlechten Erfahrung wer- eingetaucht bin und dort Vertrauen in Gott den, die sein Vertrauen in Gott nachhaltig gefunden habe, dann habe ich etwas vom beeinträchtigt. Das Erlebnis kann aber auch Wichtigsten gefunden, was ich im Leben zu einer guten Erfahrung werden, die das überhaupt finden kann. Von jetzt an kann Vertrauen in Gott nachhaltig stärkt. Denn ich dieses Vertrauen nur noch reifen lassen, Petrus hat auf Gott vertraut und auf diese indem ich es stärke und vertiefe. Dass ich auf diesem Weg immer wieder auch scheiWeise Schritte auf dem Wasser geschafft. Damit letzteres geschieht und sein Ver- tern werde, gehört zum Reifungsprozess, trauen wachsen kann, ist es wichtig, dass ganz im Vertrauen darauf, dass ich nicht Petrus nicht das Scheitern in Erinnerung nur scheitere, sondern im selben Augenblick behält, sondern den Anteil, der gelungen ist. auch wachsen kann und in dieser Not trotz Mit seinen Schritten auf dem Wasser ist er allem von Gott getragen bin. • in eine neue Sphäre des Lebens vorgedrun Marc Burger Hält oft nur für einen ganz kurzen Moment: der Gang auf dem Wasser im Konflager Uerikon 2016. Bild: Raphael Niederer / www.nightwalks.ch wachsen Über Einschaltquoten und Einflussnahme Was treibt einen privaten Fernsehmacher an? Welchem Druck von aussen ist er ausgesetzt und wie nimmt das Fernsehen selbst Einfluss auf die Zuschauenden? Werner Marti im Gespräch mit Willi Surbeck. Werner Marti (W.M.): Wachstum im quantitativen Sinn ist der zentrale Begriff der Industriegesellschaft. Eine Firma, will sie wirtschaftlich überleben, muss wachsen, muss mehr produzieren, mehr Umsatz machen, mehr Gewinn. Das gilt auch für ein privates Medienunternehmen, wenn auch hier mehr von Einschaltquoten und Hörerreichweite gesprochen wird. Wie wichtig sind Einschaltquoten für ein Medienhaus wirklich? Willi Surbeck (W.S.): Einschaltquoten sind wichtig, sie treiben den Preis für Werbung hoch. Aber diese Zahlen können auch dem uneingestandenen Irrglauben Vorschub leisten, was die meisten glauben, sei die Wahrheit. Unsere Gesellschaft weiss nicht, worauf sie sich ausrichten soll. Wir haben ein spirituelles Wertevakuum. Anstelle der biblischen Werte, die unsere Gesellschaft noch heute mehr prägen, als manchen bewusst ist, sind Zahlen getreten. Zahlen kann man messen, sie geben Sicherheit und Orientierung. Ganz schön kann man das am Beispiel des Sportes sehen: Derjenige, der 1/100 Sekunde schneller ist als der andere, ist besser. Zahlen als Kult. Christoph Blocher, ein anderes Beispiel, sucht Präsenz in der Öffentlichkeit, sucht Zugang zur professionellen Meinungsbildungsszene. (W.M.) Welches waren für Sie die Hauptfaktoren? W.S. Da gilt es zuerst die ökonomischen Rahmenbedingungen zu nennen. Ich kann nur produzieren, was ich mir finanziell leisten kann. Dann mache ich das, was die Menschen interessiert, und dazu brauche ich auch Zugang zu den richtigen Quellen, zu Menschen, die in der Öffentlichkeit und in (W.M.) Quoten sind also wichtig. Aber wel- Wirtschaft oder Politik Gewicht haben. che anderen Faktoren sind von Bedeutung (W.M.) Auf der aktuellen Homepage von für einen Fernsehmacher? (W.S.) Das kommt auf die Besitzerschaft Telebasel steht der Satz. Telebasel sendet des Mediums an. R.T.L. oder die Tageszei- «alles was man wissen muss aus News, Lifetung BLICK zum Beispiel wollen vor allem style, Kino…». Wer bestimmt, was man Geld verdienen. Eine politische Ausrichtung wissen muss? Anders gefragt, wie entsteht oder Nichtausrichtung spielt dabei weniger öffentliche Meinung? Wer steuert mehr, die eine Rolle, sie sind nur Mittel zum Zweck. Medien oder die Medienkonsumenten? mittendrin032016 wachsen (W.S.) Was man wissen muss, entscheidet jeder selbst. Das können Medien nicht. Medien haben zwar eine gewisse Wirkung. Die entfaltet sich aber erst aufgrund einer Basis, die schon da ist. Es müssen also Gedankenmuster, Gefühle, Verzweiflung usw. vorhanden sein, auf denen die Medien aufbauen können. Erfolgreiche Journalisten spüren das. Dann haben Medien einen katalysatorischen Effekt. Sie können einen Prozess beschleunigen oder verlangsamen. Aus nichts etwas machen geht nicht. Sehr gutes Beispiel dafür ist die UNO-Beitrittsabstimmung in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Alle wichtigen Meinungsmacher von Bundesrat, SRG, NZZ und Tages-Anzeiger bis Blick haben den Beitritt aus allen Rohren befürwortet und beschworen. Was folgte, war eine krasse Verwerfung des UNO-Beitritts an der Urne. Am gelben Kioskaushang hiess es: «UNO bachab – und wie!» gewinnt in der Regel, wer sich am TV besser als die Konkurrenz in Szene setzen kann. Das gab es in den letzten 20 Jahren mehrfach bei Telebasel. Doch es gibt noch eine ganz andere wichtige Aufgabe der Medien: Politiker, Manager und Promotoren im öffentlichen Meinungswettbewerb überlegen sich zweimal, was sie sagen und machen, wenn sie wissen, dass das am nächsten Tag in den News gesendet werden könnte. Die Medien üben im positiven Sinn ein präventives Wächteramt aus. (W.S.) Die Werte, die uns Jesus Christus vorgelebt hat, sind bis heute für mich Massstab eines sinnvollen Lebens. Innovation, Liebe und Vergebung. Allerdings habe ich auch gesehen, dass es den Kirchen zusehends schwer fällt, die Glaubensinhalte zu vermitteln. Gott ist einfach invisibel. Schon früh hat mich die Frage umgetrieben, wie man den Menschen Glaubensinhalte näherbringen kann. Allgemeiner formuliert: Wie kommt spannende Kommunikation, die auf gegenseitiger Achtung beruht, zustande? Zwar stand diese Grundfrage einmal am Anfang meines Einstiegs in die Medienbranche. Allerdings merkte ich, dass Medien nicht Glauben vermitteln sollten, sondern nachprüfbare Fakten, welche eine Emanzipation der Zuschauer oder Leserschaft bewirken. Hilfreich ist für mich die Kulturdefinition des Europarates: «Kultur ist alles, was dem Individuum erlaubt, sich gegenüber der Welt, der Gesellschaft und auch gegenüber dem heimatlichen Erbgut zurechtzufinden; alles, was dazu führt, dass der Mensch seine Lage besser begreift, um sie unter Umständen verändern zu können.» (W.M.) Zurück zu den Quoten: Senden was gefragt ist, was die Menschen interessiert, haben Sie gesagt. Was für Sendungen kommen dabei zu kurz und wären doch auch wichtig? (W.S.) Komplexe Zusammenhänge, Langzeitbetrachtungen und Kausalitäten. Gerade das ist im TV schwierig zu vermitteln. Die Menschen wollen primär unterhalten werden. Was sie sehen, muss immer auch (W.M.) Das TV kann also die öffentliche einen Teil Unterhaltung haben. Meinung nicht machen, beeinflussen aber (W.M.) Eine letzte Frage: Sie sind in einem schon. (W.S.) Das stimmt. Das gilt vor allem pietistischen Elternhaus aufgewachsen. Inbei Patt-Situationen, wo der Ausgang einer wiefern hat Sie die eng an der Bibel orien(W.M.) Herr Surbeck, vielen Dank für Volksabstimmung unbestimmt ist. Im Patt tierte Lebensweise ihrer Eltern geprägt? das Gespräch. • Willi Surbeck (1955) ist Direktor der Biennale Pratteln, Publizist für Print, Web, TV und Video, Musiker und Dipl. Maschinenmechaniker BMS. Aufgewachsen ist er in Zürich und Oberhallau (SH), seit 1984 lebt er in Allschwil. Willi Surbeck ist mit Heidi Basler verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Stationen aus dem Lebenslauf: 1984 - 1988 Freier Journalist 1988 - 1993 Reporter bei Blick 1993 - 1996 Chefreporter, Redaktor und Fotograf beim Doppelstab 1996 - 1998 Redaktor Stadtkanal Basel-Stadt 1999 - 2008 Geschäftsführung von Telebasel 1999 - 2014 Programmleitung von Telebasel 2008 - 2014 Telebasel Service Public-Auftrag des „BAKOM“ 2015 - Initiierung der grössten wöchentlichen Jam Session der Nordwestschweiz 2016 - Direktion Biennale Pratteln IMPRESSUM Zeitschrift der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch Erscheint vierteljährlich · Auflage: 4’000 Exemplare · Herausgeberin: Kirchenpflege Redaktion: Marc Burger, Markus Jäggi, Vreni Mühlemann Bilder: wo nicht anders vermerkt, zur Verfügung gestellt Gestaltungskonzept: typoallee, Michelle Kiener-Buess, Allschwil · Druck: Kurt Fankhauser AG, Basel Zuschriften: «mittendrin», Reformierte Kirchgemeinde, Baslerstrasse 226, 4123 Allschwil · [email protected] mittendrin032016 KONTAKT Reformierte Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch Baslerstrasse 226 · 4123 Allschwil Telefon 061 481 30 11 [email protected] [email protected] www.refallschwil.ch wachsen Nachhaltigkeit als Perspektive des qualitativen Wachstums Das Bruttoinlandsprodukt misst nur das quantitative Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft und ist damit nur eingeschränkt geeignet, um als Messlatte für die Wohlstandsentwicklung eines Landes zu dienen. Vielmehr müssen zur Beurteilung des qualitativen Wachstums alle Komponenten des nachhaltigen Wirtschaftens berücksichtig werden. Nachhaltigkeit bedeutet grundsätzlich, dass Ressourcen so bewirtschaftet werden müssen, dass das Kapital erhalten bleibt und nur die Zinsen entnommen werden. Nur was nachwächst, und nur so viel, wie nachwächst, darf dem Produktionssystem entzogen werden. Sachlich passend ist der Vergleich mit der Holzwirtschaft in einem Wald, in dem nur so viel Holz geschlagen werden darf, wie zwischen den Eingriffen der Holzfäller auch nachwachsen kann. Tatsächlich wurde der Grundsatz der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft entwickelt und zwar im frühen 18. Jahrhundert. Das Nachhaltigkeitsprinzip war eine Reaktion auf die Übernutzung des Waldes, vor allem durch die Köhlerei, mit der eine starke Nachfrage nach Kohle für die Metallverhüttung befriedigt werden sollte. Messgrössen qualitativen Wachstums In modernen Gesellschaften stellt sich die Frage, was Nachhaltigkeit bedeutet, nicht in so einfachen Begriffen. Die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 (der so genannte «Erdgipfel») hat Nachhaltigkeit so definiert, dass neben einer ökologischen auch eine soziale und eine wirtschaftliche Komponente zu ihrem Recht kommt. Nachhaltigkeit ist mehr als «Naturschutz», berücksichtigt aber auch diesen. Nachhaltigkeit in einem erweiterten Sinne bezieht auch andere Werte mit ein, insbesondere die soziale Verantwortung und Tragfähigkeit der Gesellschaft sowie eine zukunftsfähige wirtschaftliche Entwicklung. Nachhaltigkeit wird so zu einer Perspektive «qualitativen Wachstums». Die Verständigung über Messgrössen qualitativen Wachstums ist eine ausserordentlich komplexe Aufgabe. Synthetische Indikatoren für qualitatives Wachstum sind daher zu entwickeln. Diese kommen zwar ohne Näherungen und Vergröberungen nicht aus, aber sie bieten eine weitaus sachgerechtere Grundlage für die Bemessung von Wohlstandsgewinnen oder –verlusten als etwa das seit Jahrzehnten stark kritisierte Bruttoinlandsprodukt (BIP). Zwar ist die Debatte über die begrenzte Aussagefähigkeit des BIP bereits über dreissig Jahre alt. Sie hat aber in der jüngsten Vergangenheit aufgrund mehrerer Studien, auch von kirchlicher Seite, neuen Auftrieb erhalten. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen fordert in seiner Stellungnahme zur Finanzund Wirtschaftskrise explizit die Entwicklung neuer Fortschrittsindikatoren, die Auskunft geben über Lebensqualität und Lebensgewohnheiten, gute Regierungsführung, Bildung, Gesundheit, ökologische Belastbarkeit, kulturelle Vielfalt, Vitalität des Gemeinwesens, ausgewogenes Zeitmanagement sowie geistiges und geistliches Wohlbefinden. Unsichtbare Arbeit sichtbar machen Seitens der nichtkirchlichen Akteure hat im September 2009 eine hochkarätige Kommission zur Messung der Wirtschaftsleistung und des sozialen Fortschritts (unter dem Vorsitz von Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und unter Beteiligung des Nobelpreisträgers und Ökonomen Amartya Sen sowie des französischen Ökonomen Jean-Paul Fitoussi) ihren Bericht vorgelegt. Auf den 292 Seiten wird die Erstellung neuer Indikatoren für das gesellschaftliche Wohlergehen gefordert. Ziel dieser Messziffern sei es, das individuelle Wohlergehen des Menschen, die Umweltverträglichkeit des wirtschaftlichen Wachstums sowie ehrenamtliche Arbeit und haushaltsnahe Dienstleistungen insbesondere aus der Sorgeökonomie oder Care Ökonomie in den Indikator aufzunehmen. Auch wenn in der Care Ökonomie wesentlich mehr Arbeitsstunden verrichtet werden als bezahlte Arbeitsstunden in der offiziell ausgewiesenen Wirtschaftstätigkeit einer Volkswirtschaft, bleibt die unbezahlte Care Arbeit in offiziellen Statistiken unsichtbar. Dabei werden mehr als drei Viertel dieser gesellschaftlich notwendigen Arbeit (Kinder betreuen, Erwachsene pflegen, Kochen, Reinigen, Haushalten) unbezahlt von Frauen geleistet. Nationaler Wohlfahrtsindex Im November 2008 haben der Ökonom Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg und der Verwaltungswissenschaftler Roland Zieschank von der Forschungsstelle für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin im Auftrag des Bundesumweltamtes in Deutschland einen Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) entwickelt, mit dem Leistungen, die in offiziellen Statistiken nicht erscheinen, in die volkswirtschaftlichen Berechnungen miteinbezogen werden. Ähnlich wie beim BIP ist die Basis des NWI der private Verbrauch. Dieser wird im NWI jedoch mit einem Verteilungsindex gewichtet. Ziel ist es aufzuzeigen, dass, wenn alle mehr konsumieren, dies den Wohlstand einer Nation mehr steigert, als wenn nur eine kleine Gruppe in hohem Umfang konsumiert. Ein weiteres neues Element ist, dass der Wert der unbezahlten Hausarbeit und der ehrenamtlichen Tätigkeiten hinzugezählt, hingegen die Kosten von Umweltschäden und der Verbrauch nicht erneuerbarer Wohlstand neu orientieren In die gleiche Richtung argumentieren Ressourcen von den Bilanzierungen abgezoauch der evangelische Theologe John Cobb gen werden. mittendrin032016 wachsen und der Ökonom Herman Daly in den USA. Bereits Ende der 80er Jahre legten sie ein Buch vor, mit dem ein ganzheitlicheres Bild der Wirtschaft entstehen sollte, das die menschliche Lebenswirklichkeit, die Gemeinschaft und die Umwelt angemessen mit einbezieht. Das Buch enthält einen Entwurf für einen neuen Wohlstandsindikator, der das Bruttoinlandsprodukt als Messlatte für den Wohlstand eines Landes ablösen sollte. Der Index of Sustainable Economic Welfare und dessen Weiterentwicklung, der Genuine Progress Indicator, sollen eine realistischere Einschätzung der Leistung von Volkswirtschaften ermöglichen. Offene und verdeckte Folgen des Wirtschaftens wie Umweltschäden, Kriminalität, Zufriedenheit und Gesundheit der Bevölkerung finden Eingang in die Messung. Die nachhaltige Qualität des Wirtschaftswachstums und dessen Folgen werden berücksichtigt. Der Geldwert ist nicht mehr der einzige Indikator für den Wohlstand einer Volkswirtschaft. In verschiedenen Ländern wurde aufgrund dieses Nachhaltigkeitsindexes bereits der Wohlstand neu berechnet und – anders als bei der traditionellen Messung mit Hilfe des BIP – ein stetig sinkender Wert festgestellt. • Hella Hoppe und Otto Schäfer Der vorliegende Text beruht auf der SEK-Studie «Gerechtes Haushalten und faires Spiel. Die jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrisen aus evangelischer Sicht» (Bern 2010). Der Kirchenbund hat diese Überlegungen auch in die nationalen Konferenzen «Haushalten und Wirtschaften» der Stiftung Zukunftsrat Schweiz eingebracht. Wir danken dem Autorenteam für die freundliche Erlaubnis, diesen Text abdrucken zu dürfen. Die Messung der Wohlstandsentwicklung ist eine ausserordentlich komplexe Aufgabe. mittendrin032016 Dr. rer. pol. Hella Hoppe ist seit Juni 2016 Geschäftsleiterin des Evangelischen Kirchenbundes. Vorher war sie Beauftragte für Ökonomie des SEK. Pfr. Dr. sc. agr. Otto Schäfer ist seit 2006 Beauftragter für Theologie und Ethik beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund. PERSÖNLICH Freude an Blumen AZB 4123 Allschwil 1 Christine und Jürg Vogt auf ihrem Hof in den Mülibachmatten in Allschwil. Viele Leute meinten, der Ort sei nicht optimal. Christine und Jürg Vogt verfolgten ihre Idee aber weiter und der Funke sprang. Heute ist das liebevoll gepflegte Blumenfeld beim Spitzwald nicht mehr wegzudenken, erfreut Kundschaft, Passanten und Produzentenfamilie gleichermassen. Der Hof der Familie Vogt steht unmittelbar vor dem «Staudamm» im Mülitäli. Die Leute, die vor den Toren Allschwils Erholung suchten, hatten für die vorbeifahrenden Güllenfässer je länger je weniger Verständnis und auch für den Landwirt wurden die Fahrten zum «Spiessrutenlauf». Als dann die Tierschutznormen wieder änderten, gab man die Schweinehaltung auf und richtete den Betrieb neu aus. Im eigenen Garten hegte und pflegte Christine Vogt schon immer viele Blumen. Über die Zeit sammelte sich so ein beachtliches Know-how. «Die Freude an den Blumen gab den Ausschlag zum Versuch, mit Kürbissen und Sonnenblumen neue Kundschaft zu gewinnen» sagt Christine Vogt. Und siehe da: die Kundschaft war da und Familie Vogt realisierte, dass im Modell des Blumenfeldes Potential steckte. Christine Vogt bestellte kurzerhand 3‘000 Tulpenzwiebeln und bald schon verzauberten die ersten Farbtupfer Joggerinnen, Spaziergänger und Velofahrende auf ihren Runden durch das stadtnahe Grün. Die Freude an den Blumen und nicht etwa ein ausgeklügelter Geschäftsplan steuerte auch das weitere Wachstum. Christine Vogt experimentierte mit immer neuen Blumen, zauberte ein wahres Blütenmeer auf die Felder beim Spitzwald. Seit acht Jahren ist das Blumenfeld nun aber gleich gross. Jürg Vogt ist wichtig, dass die Blumen möglichst gesund wachsen können ohne den Einsatz vieler Hilfsstoffe. So werden die Blumen nicht jedes Jahr am selben Ort angepflanzt und dies auf einer relativ grossen Fläche. So kann auch das Gras dazwischen genutzt werden. Zu Sorgen und Freuden befragt, müssen die beiden nicht lange überlegen. Als Christine Vogt im August 2004 eines Nachmittags zum Spätdienst ins Bruderholzspital fuhr, zogen dicke schwarze Wolken am Himmel auf. Um die Abendessenszeit war dann klar, dass ein Unwetter mit Hagel eine Spur der Verwüstung über den Spitzwald gezogen hat. Die noch weichen Kürbisse verfaulten alle, die in voller Blütenpracht stehenden Blumen trieben nach drei bis vier Wochen glücklicherweise wieder aus. Christine Vogt erinnert sich noch gut: «Das Bild der völligen Zerstörung tat mir weh und wirkte noch lange nach». Nach dem mit viel Aufwand verbundenen Setzen der Pflanzen im Frühling folgt die Zeit anfangs Sommer, in der noch wenig blüht. «An diese Durststrecke gewöhnt man sich zwar» meint Jürg Vogt, aber es ist doch immer wieder ein speziell schönes Erlebnis, im Sommer dann den Reichtum der Blumen und die erfreute Kundschaft zu sehen. Natürlich wachsen die Blumen nicht immer gleich gut. In diesem Jahr waren beispielsweise die Gladiolen wegen des feuchten Frühlings nicht so schön, wie in anderen Jahren. Darob darf man aber nicht verzweifeln. Man muss grundsätzlich Vertrauen in die Natur haben, dass es im nächsten Jahr wieder gut kommt. Dem Wachstum setzt aber nicht nur die Natur Grenzen. Auch die eigenen Grenzen müssen respektiert werden. So produzieren Christine und Jürg Vogt seit letztem Jahr keine Kürbisse mehr. Der Bedarf der Kundschaft ist gedeckt und man hätte neue, aufwendige Wege gehen müssen, beispielsweise Events anbieten. Das schwarz-weiss Denken bei Diskussionen zum Thema Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft ärgert Jürg Vogt. Für ihn ist Wachstum nicht einfach gut oder schlecht. «Wachstum ist Wandel» sagt Jürg Vogt. Alles wächst, Natur und Mensch, und wandelt sich dabei. Wachstum und Wandel braucht es, um sich anzupassen und Neues zu schaffen. Sowohl die Natur als auch der Mensch sind aber verschwenderisch, produzieren bei guten Bedingungen viel mehr, als für den Arterhalt nötig wäre. • Markus Jäggi mittendrin032016
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