Bewerbungsrede zur Direktkandidatur im Bundestagswahlkreis 225

Bewerbungsrede zur Direktkandidatur im Bundestagswahlkreis 225 Traunstein
von Alexander Reich
Kreisvorsitzender der FDP Berchtesgadener Land
auf der Wahlkreismitgliederversammlung am 28.09.2016 in Teisendorf
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wir sind heute hier, weil wir das gemeinsame Ziel haben, als Freie Demokraten in der
kommenden Legislaturperiode wieder im Bundestag vertreten zu sein. Ganz gleich, welche
Präferenz wir haben, wir alle sind der festen Überzeugung, dass der Liberalismus unserem
Land gut tut. Wir wollen nicht zurück in den Bundestag, weil es uns um persönliche
Karrieren geht oder ausschließlich um unsere Partei.
Denn worum geht es denn eigentlich wirklich? Es geht darum, dass sich Frau Müller,
die ohnehin schon zwei Jobs hat, um über die Runden zu kommen, nicht auch noch
Gedanken darüber machen muss, ob sie sich den Schulausflug ihres Kindes vielleicht nicht
leisten kann. Es geht darum, dass unsere Kinder keine Angst davor haben müssen, was sie
in der Zukunft erwartet. Es geht darum, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger wieder
sicher sein kann, dass Leistung anerkannt wird und dass es sich lohnt, morgens
aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Und es geht darum, dass sich die Bürger zugleich
sicher sein können, dass auch Scheitern erlaubt ist – solange man wieder aufsteht. Es geht
um die Menschen in unserem Land.
Politik lebt von Vertrauen. Doch gerade in der letzten Zeit hat dieses Vertrauen
massiv gelitten. Deshalb habe ich einen unverrückbaren Grundsatz, der die Basis meines
politischen Handelns ist: Ich bin ein Bürger, der Politik macht und kein Politiker, der
vergessen hat, dass er auch Bürger ist.
Wir alle kennen die jüngsten Umfragen: Die Deutschen blicken so pessimistisch in
die Zukunft wie schon seit Jahren nicht mehr. Woran liegt das? In letzter Zeit haben wir des
Öfteren gehört, dass wir in einer postfaktischen Welt leben. Also in einer Welt, in der
Emotionen mehr zählen als Fakten. Darum ist derzeit in der Bevölkerung ein großes
Problem auch ein Gefühl: Das bohrende Gefühl, nicht gehört und nicht ernst
genommen zu werden.
Nicht gehört und nicht ernst genommen von einer Bundesregierung, die Satirikern
Straftaten vorwirft, weil sie Schmähgedichte schreiben.
Nicht gehört und nicht ernst genommen von einer Bundesregierung, die in die Arbeit
der Bundesanwaltschaft eingreift.
Nicht gehört und nicht ernst genommen von einer Bundesregierung, die sich erst
dann um Abhörskandale schert, wenn das Handy der Bundeskanzlerin selbst abgehört wird
und dann auch noch die Vorratsdatenspeicherung beschließt.
Nicht gehört und nicht ernst genommen von einer Bundesregierung, die zwar „wir
schaffen das“ sagt, aber „ihr schafft das schon“ meint.
Die Menschen in Deutschland fühlen sich wie auf dem Narrenschiff, dass Reinhard
Mey besungen hat: „Klabautermann führt das Narrenschiff, volle Fahrt voraus und Kurs
auf’s Riff. Der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken, die Mannschaft lauter [hörige]
meineidige Halunken.“
Wir sehen Stillstand auf der Kommandobrücke, wichtige Entscheidungen werden
vertagt, der Bundestag im Maschinenraum setzt auf volle Kraft voraus und bewundert durch
die Bullaugen auch noch die Steilküste, die sich vor ihm auftut, während die Passagiere
versuchen, die Verantwortlichen zu warnen.
Eines der Riffe, auf das die MS Deutschland Kurs genommen hat, ist die
Digitalisierung. Denn für die Kapitänin ist das Internet ja bekanntermaßen „Neuland“ – sie
droht, auf diesem Neuland Schiffbruch zu erleiden.
Wir müssen uns das auf der Zunge zergehen lassen: Nur gut 1% der deutschen
Haushalte
hat
derzeit
einen
Glasfaser-Anschluss.
Die
Welt
ist
im
Wandel,
die
Digitalisierung verändert praktisch alle Bereiche unseres Lebens - die Bundesregierung
denkt in DIN A4-Zetteln, Aktenordnern und Durchschlagspapier --- und verschläft diesen
Wandel. Dadurch drohen aber vor allem unsere ländlicheren Gebiete auf der Strecke
zu bleiben. Durch den fehlenden flächendeckenden Breitband-Ausbau werden den
Menschen die Vorteile der Digitalisierung vorenthalten, die ihnen doch eigentlich so viele
Chancen bieten würde:
Beispielsweise gibt sie den Menschen neue Flexibilität in der Arbeit. Arbeit von zu
Hause, Selbstständigkeit - all das wird durch die Digitalisierung erleichtert und ermöglicht.
Gerade für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das ein großer Meilenstein. Frau
Müller, die in ihrem erlernten Beruf als Informatikkauffrau bisher nur in Großstädten einen
Job bekommen hat, könnte ihrem Beruf nach dem Umzug aufs Land endlich wieder
nachgehen, weil sie die Arbeit von zu Hause machen kann.
Vielleicht möchte Frau Müller ihr Kind nämlich nicht mit 1 Jahr in die Kinderkrippe
geben, sondern sich selbst um das Kind kümmern. Frau Müller kann dann arbeiten
UND sich um das Kind kümmern, auch weil sie sich ihre Arbeitszeit zu Hause frei
einteilen kann. Frau Müller zahlt währenddessen also auch in die Rentenkassen ein.
Sie ist deshalb im Alter weniger von Altersarmut bedroht. Kurzum: Frau Müller
kann frei entscheiden.
Liberalismus heißt für mich, dass mich mein Wohnort nicht in der Berufswahl
einschränkt und umgekehrt. Er bedeutet für mich die Freiheit, entscheiden zu können, wie
ich mein Leben gestalten möchte.
Es ist durch die Digitalisierung auch möglich, den Bürokratie-Aufwand für die
Bürgerinnen und Bürger deutlich zu reduzieren: Durch eine Etablierung eines effektiven
und sinnvollen „e-government“-Systems können die meisten Behördengänge online
abgewickelt werden – ohne Parteienverkehrszeiten auf dem Amt – Frau Müller müsste sich
also nicht mehr extra einen Tag frei nehmen, nur um einen Behördengang zu absolvieren.
Sie müsste auch keine Wartezeiten mehr auf dem Amt hinnehmen, sie käme ohne Papierflut
aus und ohne Warteschleife am Telefon. Ich möchte, dass der Bürger vom Bittsteller zum
Auftraggeber und die Verwaltung zum Dienstleister wird.
Ich weiß es ja aus eigener Erfahrung: In Österreich wird die Steuererklärung
standardmäßig online ausgefüllt, auch den Bescheid erhält man online. Wenn meine Frau
und
ich
uns
nebeneinander
setzen
und
gleichzeitig
anfangen
die
Steuererklärung
auszufüllen, dann suche ich schon längst nach einem Kinderwagen und der BabyErstausstattung für unser Kind, während meine Frau erst Anlage AV13a ausfüllt.
Liberalismus heißt für mich, die wertvolle freie Lebenszeit nicht mit einem
Hindernislauf aus Anträgen, Genehmigungen und Formularen zu verbringen, den sich Kafka
nicht verwinkelter hätte ausdenken können.
All diese Vorteile bleiben in Deutschland vorerst auf der Strecke – das möchte ich
ändern.
Nun habe ich viel über die Digitalisierung gesprochen und sie sehr gelobt. Doch
natürlich birgt sie auch Risiken. Wenn ich wieder einen Blick auf die MS Deutschland werfe,
so fällt mir auf, dass gerade das Recht auf Privatheit inzwischen nur noch ein Beiboot ist.
Und dieses Beiboot wirft die Besatzung auch noch über Bord, um Ballast loszuwerden.
Bevor die Entgegnung kommt: --- Doch, wir haben etwas zu verbergen: --- Es nennt
sich Privatsphäre! Wenn der Staat alles über seine Bevölkerung weiß, entsteht ein
allgemeines Gefühl des Misstrauens. Nicht das Gefühl der Sicherheit herrscht dann vor,
sondern eine latente Angst, sich nicht mehr gegenseitig trauen zu können und nicht seine
Meinung sagen zu können. Das hatten wir in Deutschland schon --- wir brauchen es nicht
noch einmal.
Liberalismus heißt für mich, darüber bestimmen zu können, welche Informationen
über
mein
Privatleben
ich
wem
preisgebe.
Liberalismus
braucht
ein
effektives
Datenschutzrecht, für das ich mich vehement einsetze. Es muss gewährleistet sein, dass
Frau Müller die Souveränität darüber hat, wem sie von ihrer letzten Erkrankung erzählt,
wem sie ihre letzte E-Mail zeigt und wem sie von ihren Sorgen erzählt. Ich möchte keinen
gläsernen Bürger, ich möchte einen gläsernen Staat. Politik muss zuhören, nicht
abhören!
Trotz der Risiken: Wir dürfen uns nicht aus Sorge vor Missbrauch die Lust
auf Fortschritt und Möglichkeiten nehmen lassen. Ich bin auch davon überzeugt, dass
wir unseren Horizont
in diesem Punkt erweitern müssen. Wir können unseren
Sicherheitsbehörden nicht alle technischen Möglichkeiten aus Bedenken vor Missbrauch
verwehren. Umso wichtiger ist es, dass wir die Digitalisierung als Handlungs- und
Gestaltungsauftrag annehmen, um Politik mit Augenmaß betreiben zu können.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wahrscheinlich wartet Ihr schon alle darauf: „Wann sagt er etwas zur Flüchtlingspolitik?“ –
Zu Beginn meiner Rede habe ich es ja bereits kurz anklingen lassen: Selbstverständlich hat
auch der Umgang mit den Sorgen und Bedenken vieler Bürgerinnen und Bürger im Rahmen
der Flüchtlingspolitik sehr viel mit dem Vertrauensverlust der Menschen zu tun. Ich bin der
Meinung, dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung vor allem darauf ausgelegt war,
alles dafür zu tun, um sich von „rechts“ abzugrenzen.
Dabei verschwammen die Linien zwischen Genfer Flüchtlingskonvention,
deutschem Asylrecht und der Arbeitsmigration, die eigentlich über ein (bisher noch
nicht vorhandenes) Einwanderungsgesetz zu regeln wäre. Ich stehe in dieser Sache voll und
ganz hinter der Linie unseres Bundesvorsitzenden Christian Lindner: Wer vor Krieg
flüchtet, muss subsidiären Schutz erhalten. Asyl können dabei allerdings nur diejenigen
erhalten, die tatsächlich nach der Genfer Konvention Verfolgte sind. Um unabhängig
davon die Möglichkeit zu schaffen, dass diese Menschen auch dauerhaft bei uns bleiben
können, wenn sie möchten, müssen wir ein modernes Einwanderungsgesetz auf den Weg
bringen,
das
mit
einem
Punktesystem
nach
kanadischem
Vorbild
funktioniert.
Selbstverständlich bin ich auch der Meinung, dass die EU ihre Außengrenzen selbst effektiv
schützen muss, anstatt sich in Abhängigkeit von Drittstaaten zu begeben.
Wir alle können uns noch an das vergangene Jahr erinnern – denn unsere Region
war einer der Hotspots. Wir haben als Kreisverband Berchtesgadener Land die Bundespolizei
in Bad Reichenhall besucht, da der hohen Belastung, der die Bundespolizisten ausgesetzt
sind, in der Öffentlichkeit viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wir hörten einen
Revier-Verantwortlichen, dessen Offenheit Bände sprach. Wir sahen eine Dienststelle, die
für
die
Polizistinnen
und
Polizisten
unzumutbar
ist.
Wir
wandten
uns
auch
an
Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Niemand in Berlin hat sich allerdings um die Situation der Polizisten gekümmert,
nicht einmal eine Antwort haben wir erhalten. Auch ein zweiter offener Brief blieb bisher
unbeantwortet, obwohl sich in einer Umfrage über 75% der Teilnehmer ebenfalls für eine
Verbesserung der Situation ausgesprochen haben.
Diese Art der Berliner Politik möchte ich ändern, ich möchte den Menschen zeigen,
dass Demokratie nicht heißt, nur alle 4 Jahre zur Wahl zu gehen. Demokratie heißt für mich,
gehört zu werden, in den Dialog treten zu können. Das heißt nicht, dass ich Politik betreiben
will, indem ich immer dem vermeintlichen Mainstream hinterherlaufe.
Aber Liberalismus und Demokratie heißen für mich, anderer Meinung sein zu
dürfen und das Recht darauf zu haben, von meinem Gegenüber die Begründung seiner
Meinung zu hören.
Wenn wieder angefangen wird, Argumente auszutauschen und andere Meinungen
ernst zu nehmen, dann kann kommt auch das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder
zurück. Dann kann die MS Deutschland ihren Kurs noch ändern und an den Riffen
vorbeimanövrieren. Dann beginnen die Menschen wieder, sich wohlzufühlen, mit Zuversicht
in die Zukunft zu blicken und an sich selbst zu glauben.
Liebe Freundinnen und Freunde, welche politische Kraft könnte den Menschen ihr
Selbstvertrauen besser wieder zurückgeben als wir Freie Demokraten? Wir glauben an die
Selbstbestimmtheit jedes Einzelnen – sorgen wir dafür, dass die Menschen dieses
Selbstvertrauen wiedererlangen! Dafür werde ich kämpfen und deshalb bitte ich Euch heute
Abend um Eure Stimme!