Region stuttgaRt aktuell - Verband Region Stuttgart

Region stuttgart
aktuell
Infomagazin des Verbands Region Stuttgart 3 | 2016
Entrümpeln,
investieren, bauen
Eine Jahrhundertchance?
Grenzenlos
mit Glasfaser
Bezahlbarer Wohnraum
für die Region
Meinungsbild zur Internationalen Bauausstellung (IBA)
Interview mit
Professor Dr. Jürgen Anders
Daten und Fakten zur Region Stuttgart
Hätten Sie gewusst, dass ...
… die Zahl der Übernachtungen in der Region seit 2009 steil nach oben steigt?
… 2015 fast 8,5 Millionen Übernachtungen in der Region Stuttgart gezählt wurden?
… 27 Prozent der Übernachtungsgäste aus dem Ausland kommen?
… in der Region in knapp 850 Hotels, Pensionen oder Hostels insgesamt rund
54.500 Betten zur Verfügung stehen?
…d
ie durchschnittliche Auslastung der Übernachtungsbetriebe von 33 Prozent im
Jahr 2009 auf gut 44 Prozent im Jahr 2015 gestiegen ist?
Anzahl der Übernachtungen in der Region Stuttgart
Übernachtungen insgesamt
Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland
9.000.000
8.000.000
7.000.000
6.000.000
5.000.000
4.000.000
3.000.000
2.000.000
1.000.000
0
2004
2005
2006
2007
2008
© Verband Region Stuttgart 2016, Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
© VRS / F. Eppler
Inhaltsverzeichnis
Autonomes Reallabor
Liebe Leserinnen und Leser,
Regionalplanung
08 Die soziale Dimension des Wohnens.
Veranstaltung in der Reihe „Ethik in der Region“
wann können wir in der Region Stuttgart mit Fahrzeugen
nicht nur autonom parken, sondern auch fahren? Wann wird
in der Logistik die Chance des autonom gesteuerten Betriebs aufgenommen – lautlos und elektrisch? Das Testfeld
Baden-Württemberg wurde jüngst vom Verkehrsministerium
vergeben – nach Karlsruhe, Bruchsal und Heilbronn, in einem
zweiten Schritt werden auch Ludwigsburg und Stuttgart
mit ihren Versuchsfeldern eingebunden.
Forschung und Entwicklung finden selbstverständlich hier
in der Region des Automobils statt. Unsere Region ist wie
geschaffen für den Praxistest zwischen Forschungslabor und
dem realen Einsatz, den wir im Visier haben. Wir planen
die regionale Breitbandversorgung entlang der Haupttransversalen von Straßen und Schienen. (Interview mit Professor
Dr. Jürgen Anders auf Seite 18). Ziel ist eine lückenlose Versorgung mit hoher digitaler Bandbreite – die Voraussetzung
schlechthin für autonomes Fahren im Alltag.
10 Entrümpeln, investieren, bauen.
Hürdenlauf zu mehr bezahlbarem Wohnraum
Aktuelles
13 Relex rollt regional.
Vertrag zum Expressbus geschlossen
Fraktionsumfrage
14 Eine Jahrhundertchance?
Ein Meinungsbild aus der Regionalversammlung
zur Internationalen Bauausstellung (IBA)
Wirtschaft
18 Die Glasfaser setzt uns keine Grenzen.
Professor Dr. Jürgen Anders über den Breitbandausbau
Der Flughafen könnte als der Verkehrshub der Zukunft autonom angefahren werden, denkbar als Shuttle von Stuttgart
und Ludwigsburg aus, mit Verlängerung zum Testfeld Karlsruhe. Bleiben wir also dran, die Region für den praktischen
Einsatz der Zukunftstechnologie vorzubereiten. In zehn Jahren
werden mit hochmoderner Infrastruktur und 5-G-Richtantennen Schienen und Straßen angebunden sein. So können
wir von allen Möglichkeiten autonomen Fahrens profitieren.
Ihre
Dr. Nicola Schelling, Regionaldirektorin
Kommune im Profil
20 Vier prägende Persönlichkeiten.
Stadtporträt Nürtingen
22 „Wir sind Pioniere der Bürgerbeteiligung“
Oberbürgermeister Otmar Heirich im Interview
rubriken
04 Kurz notiert
23 Termine & Veranstaltungen
23 Impressum
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 3
Göpfert neuer Leiter
des Europabüros
Marcus Göpfert ist neuer Leiter des
Europabüros der Region Stuttgart in
Brüssel. Der 38-jährige Diplom-Betriebswirt kennt das politische Zentrum der
EU aus mehrjähriger Brüssel-Erfahrung:
Seit 2012 arbeitete er dort für die
EnBW Energie Baden-Württemberg als
Manager European Affairs. Zuvor war
Göpfert bei der EnBW in Karlsruhe unter
anderem im Bereich Energiepolitik
tätig.
Dr. Walter Rogg, Geschäftsführer der
Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
GmbH (WRS), will vor allem auf die Erfahrungen von Marcus Göpfert als
Mann aus der Wirtschaft bauen: „Wir
werden uns auch künftig in Technologie- und Kooperationsprojekten mit
anderen europäischen Regionen austauschen. Mit seiner Berufserfahrung
und seinem Netzwerk in Brüssel hat Herr
Göpfert beste Voraussetzungen, um
dafür geeignete Programme zu identifizieren und die Region Stuttgart als
attraktiven Projektpartner zu positionieren“, so Rogg weiter.
Die Regionaldirektorin Dr. Nicola
Schelling verspricht sich von Marcus
Göpfert Unterstützung beim„Agenda-Setting“. „Es geht darum, die
Interessen und Positionen von Ballungsräumen in die Willensbildung europäischer Institutionen einzubringen.“
Diese Aspekte würden immer stärker
bei der Ausgestaltung europäischer
Politik berücksichtigt. „Die Region
Stuttgart hat hier eine wichtige Vorbildfunktion wie auch die Bereitschaft, sich gestaltend einzubringen.
Herr Göpfert verfügt dafür über
vielversprechende Erfahrungen. Ich
freue mich auf die Zusammenarbeit.“» pm / WRS
Ein regionales Urgestein
„Für Ihren langjährigen Einsatz, auch für die Region Stuttgart, möchten wir
­Ihnen danken. Sie haben die Region entscheidend vorangebracht und weiterentwickelt.“ Mit diesen Worten würdigte die Spitze des Verbands Region Stuttgart
Walter Hirrlinger anlässlich dessen 90. Geburtstags. Er hatte zahlreiche p
­ olitische
Ämter in der Kommunal- und der Landespolitik inne, unter anderem als Minister für Arbeit und Soziales in der Großen Koalition unter Ministerpräsident Hans
Filbinger.
Vielfältiges Engagement
20 Jahre lang, von 1974 bis 1994, war Walter Hirrlinger Vorsitzender des Regionalverbands Mittlerer Neckar beziehungsweise des Regionalverbands Stuttgart,
den Vorläufer-Organisationen des Verbands Region Stuttgart. „Ihr vielfältiges
Engagement in der Politik und für die Gesellschaft war herausragend. Auch
die Region Stuttgart konnte umfangreich davon profitieren, in dieser Zeit wurden unter anderem die Weichen für die Entstehung des Verbands Region
Stuttgart gestellt und seine Errichtung vorbereitet“, heißt es in dem Glückwunschschreiben weiter, das der Verbandsvorsitzende Thomas S. Bopp und Planungsdirektor Thomas Kiwitt als Stellvertreter der Regionaldirektorin unterzeichneten.
» hö / la
4 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
Landschaft, Erlebnis, Weg
Von wegen, „wer rastet, der rostet“ –
die illustre Gäste­schar ließ es sich bei
der Eröffnung des Landschaftserleb­
niswegs Backnanger Bucht nicht nehmen, die gemütli­­­­­chen Sitz­bänke ­­­­­­­­­­­­­­­zu
testen. Wald, Felder und Streuobstwiesen – ein­gebettet in eine reizvolle
Halbhöhenlage, dafür steht der Landschaftserlebnisweg.
Er verbindet auf einer Gesamtlänge
von 85 Kilometern herrliche Ausblicke,
Wissenswertes zum Obstbau und
die beteiligten Orte: Backnang, Allmersbach im Tal, Weissach im Tal,
Auen­wald, Oppenweiler, Affalterbach,
Aspach, Kirch­­­­berg und Burgstetten.
Von einer „Gemeinschaftsleistung, auf
die die Städte und Gemeinden stolz
sein können“, sprach Regionaldirektorin
Dr. Nicola Schelling bei der Eröffnung.
Rechtzeitig zur Rad- und Wan­der­saison
sei eines der großen Gemeinschafts­
projekte aus dem Masterplan Murr- / Bottwartal an den Start gegangen.
Der Verband Region Stuttgart habe sich
nicht nur bei der Arbeit am Masterplan eingebracht, sondern das Projekt
finanziell gefördert, hob Dr. Schelling
hervor: In zwei Etappen gab’s insgesamt
225.000 Euro aus dem Förderprogramm
Landschaftspark Region Stuttgart.
Das Murr- / Bottwartal sei außerdem Vor­­­­­­­­­­­­­­­­­
rei­­­­­­­ter der „wohnmobilfreundlichen
Re­­­gion“. Dieser Aufbau eines Netzes an
Wohnmobilstellplätzen werde vom
Verband Region Stuttgart ebenso un­ter­
stützt wie das Schwäbische Most­
viertel. » la
© Stadt Backnang / Schimke
© privat
Kurz notiert
Kurz notiert
Die Hochschulen in der Region Stuttgart
wollen sich an der Internationalen
Bauausstellung (IBA) 2027 beteiligen.
Das hat der Vorstand der Hochschulund Wissenschaftsregion Stuttgart beschlossen, sagte der Vorsitzende des
Vereins und Rektor der Uni Stuttgart
Professor Dr.-Ing. Wolfram Ressel kürzlich im Wirtschaftsausschuss. Anlass
war ein Rückblick auf die Arbeit des
Vereins während der letzten zwei
Jahre. Wie die IBA-Beteiligung konkret
aussieht, bleibe abzuwarten, bis die
möglichen Schwerpunktthemen gesetzt
seien. Denkbar seien Ringvorlesungen
oder ein Studium generale.
Die Resonanz im In- und Ausland auf
die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten
des Vereins sei durchaus positiv, so
Professor Dr.-Ing. Ressel weiter. Über
eine rege Messepräsenz seien viele
Kontakte zu potenziellen Studierenden
entstanden, auch in der Türkei. Dort
beteiligte sich der Verein an der Messe
deutschsprachiger Universitäten und
Hochschulen, die in Kooperation mit
dem Goethe-Institut stattfand. Die
Region sei auch stark in vom Wissenschaftsministerium geförderten Reallaboren vertreten. Dort arbeiten Städte
und Hochschulen bei Zukunftsthemen
zusammen.
Perspektivisch sei daran gedacht, Portale für Studienberatung, Weiterbildung und Unternehmen einzurichten.
„Wir sind erfolgreich, aber wir müssen
diesen Weg weitergehen, um noch erfolgreicher zu werden“, so das Fazit
von Professor Dr.-Ing. Ressel. Er bedankte
sich für die Unterstützung der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
GmbH (WRS). Insgesamt zählt der
Zusammenschluss 26 Mitglieder, davon
16 Hochschulen sowie Städte aus der
Region und der Verband Region Stuttgart. Hauptziele sind die bessere Vernetzung nach innen und eine stärkere
Wahrnehmung des Hochschul- und
Wissenschaftsstandorts Region Stuttgart
nach außen. » la
© DB AG / G. Stoppel
Erfolgreich und gut vernetzt
Bunte Streifen zur Beschleunigung
Um eine bessere Verteilung der Fahrgäste über die gesamte Länge des S‑Bahnsteigs zu erreichen, weisen ab sofort in der Haltestelle Hauptbahnhof (tief)
grüne und orange Streifen an den Wänden der Station auf die Haltebereiche
von Kurz- und Vollzügen hin. „Mit den farbigen Markierungen haben die Fahrgäste eine klare Orientierung, in welchem Abschnitt des Bahnsteigs eine S­­‑Bahn
hält. Wenn dann alle Türen entlang der S-Bahnen genutzt werden, funktioniert
der Fahrgastwechsel reibungsloser und schneller“, so Dr. Rothenstein, Sprecher
der Geschäftsführung der S-Bahn Stuttgart.
Auf den Fahrgast-Informationstafeln wird angezeigt, in welchem Farbbereich
die nächste S-Bahn hält. Auch Ansagen weisen darauf hin. Die Markierung der
weiteren Stationen zwischen Stadtmitte und Schwab­straße ist in Planung.
» DB / pm
Beitrag für höhere
Pünktlichkeit
Die zehn neuen S-Bahn-Fahrzeuge,
die der Verband Region Stuttgart mit
über 80 Millionen Euro finanziert,
werden in der zweiten Jahreshälfte
spürbare Verbesserungen bringen.
Mehr Komfort
„Mit längeren Zügen und überschlagenen Wenden leisten wir einen
wichtigen Beitrag zu größerem Komfort und höherer Kapazität“, hat
Dr. Jürgen Wurmthaler im Verkehrsausschuss angekündigt. Die ersten
Züge wurden vertragsgemäß im Juli
ausgeliefert. Sie werden schrittweise
eingesetzt. Im Endzustand wird es in
den Zügen der S-Bahn-Linien S 1, S 2
und S 3 in den Hauptverkehrszeiten
morgens und abends ein Plus von
3.300 Sitzplätzen geben. Die zusätzlichen Betriebskosten werden sich ab
2017 auf knapp 300.000 Euro jährlich
belaufen.
Um zeitliche Puffer im Fahrplan zu
schaffen und damit die Pünktlichkeit der
S-Bahn zu erhöhen, soll an den Endhaltestellen in Schorndorf, Filderstadt
und Stuttgart-Vaihingen je eine zusätzliche Fahrzeug-Garnitur zum Einsatz
kommen. Durch entspanntere Zeiten
beim Wenden sollen mögliche Folgeverspätungen im Netz vermieden oder
abgebaut werden. Auch dafür werden
die neuen Fahrzeuge eingesetzt. » la
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 5
Kurz notiert
Alltagstauglich
In der Prälatur Stuttgart und somit
auch in der evangelischen Leitung des
Dialogforums der Kirchen in der
Region Stuttgart gibt es eine personelle
Veränderung: Prälat Ulrich Mack geht
Ende September nach zehn Jahren
Amtszeit in den Ruhestand. Feierlich
verabschiedet wird er bei einem
­Sonntagsgottesdienst am 18. September
in der Stuttgarter Stiftskirche. Jahrelang pflegte er im Dialogforum den Austausch mit der katholischen Kirche und
dem Verband Region Stuttgart. Zentrales
Anliegen war ihm dabei eine starke
Rolle der Kirche in der Wirtschaftsregion Stuttgart. Zuletzt thematisierte
das Dialogforum ethische Aspekte ­­­­­­­­­­­­
zum Thema „Wohnen“ (siehe auch
Seite 8).
„Elektromobilität funktioniert im Alltag“, sagte Regionaldirektorin Dr. Nicola
Schelling bei der Präsentation der Fahrzeugflotte des Vereins Ökostadt Renningen e. V. in Weil der Stadt. Der wohl
kleinste Carsharing-Anbieter in der Region habe seine Flotte nach und nach
zu einem Drittel elektrifiziert. Die Elektromobilität sei also Standard für alle
derzeit 500 Nutzer und nicht etwa einem
exklusiven Kreis vorbehalten, lobte sie.
Der Verband Region Stuttgart hat acht
der insgesamt 22 Fahrzeuge sowie
fünf Ladesäulen aus seinem Programm
„Modellregion für nachhaltige Mobilität“ mit rund 110.000 Euro gefördert.
Beispielgebend sei, mit wie viel Motivation und Herzblut die Carsharing-Vereine arbeiten. Gerade bei kürzeren
Strecken passen Carsharing und E-Mobilität bestens zusammen, betonten der
­Vorsitzende des Vereins Ökostadt Renningen, Jochen Breutner-Menschick,
und Jürgen Raimann, Vereinsvorsitzender der Weiler Carsharing-Gruppe.
Die Erste Beigeordnete von Weil der
Stadt, Susanne Widmaier, verwies
darauf, dass ein Carsharing-Auto sechs
bis zehn Autos ersetze. » la
© Christian Hass
Prälat Mack in Ruhestand
Pfarrerin Gabriele Arnold ist als
Nachfolgerin für die Prälatur Stuttgart
gewählt worden. Sie wird ihr Amt
voraussichtlich Ende des Jahres antreten. » hö
© VRS / Ch. Hass
Regionaldirektorin Dr. Nicola Schelling
die Gastrednerin Uta-Micaela Dürig
ein, Geschäftsführerin der Robert Bosch
Stiftung GmbH. Vor deren Wechsel
zur Robert Bosch Stiftung hatte sie gut
zehn Jahre lang die weltweite Kommunikation der Robert Bosch GmbH
geleitet.
Offenheit und Zuhören
Zwischen Schlossgarten und Rosensteinviertel, dem „Zentrum der
Stadtentwicklung Stuttgarts“, begrüßte
der Verbandsvorsitzende Thomas S.
Bopp im Juli an die 300 Gäste zum Sommerempfang der Region Stuttgart.
„Die Region Stuttgart profitiert bis
heute von der Weitsicht eines
Robert Bosch, eines großen Unternehmers und Humanisten“, führte
6 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
„Die derzeitigen Herausforderungen
sind nur gemeinsam anzugehen und
mit gebündelten Kräften bewältigbar“,
sagte Uta-Micaela Dürig. Sie konkretisierte diese Aussage an den drei
Themen Europa, der Integration von
Flüchtlingen und dem Zusammenhalt
in der Gesellschaft. Dabei sei Interdisziplinarität ebenso gefordert wie der
Konsens in wichtigen Lebensfragen
und last, not least: „Es braucht wieder
eine positive, nachhaltige Belebung
der Wertegemeinschaft und Friedensidee Europa“ – ganz im Sinne von
Robert Bosch. Dafür seien Offenheit
und das Zuhören unerlässlich, so
Dürig. Wirtschaftsförderer Dr. Walter
Rogg leitete nach den Ausführungen von Uta-Micaela Dürig zum
gemütlichen Teil über – mit kühlenden
Getränken und Grillspezialitäten. » la
In Amt und Würden
Seit der letzten Ausgabe gab es
folgende Landrats- sowie Ober- und
Bürgermeisterwahlen.
Neu gewählt
Kohlberg: Rainer Taigel
Salach: Julian Stipp
Winterbach: Sven Müller
Wiedergewählt
Affalterbach: Steffen Döttinger
Dürnau: Markus Wagner
Freiberg am Neckar: Dirk Schaible
Hohenstadt: Günter Riebort
Landkreis Böblingen: Roland Bernhard
Landkreis Esslingen: Heinz Eininger
Herzlichen Glückwunsch allen Gewählten, ebenso dem neuen Regierungspräsidenten des Regierungspräsidiums
Stuttgart, Wolfgang Reimer.
Stand: 18. Juli 2016
© WRS
Kurz notiert
Ein regionaler Plan für
Schnellladung
„Wir möchten die Vorreiterrolle der
Region Stuttgart bei der Elektromobilität
weiter ausbauen. Mit dem Förderbescheid des Bundes gehen wir einen
weiteren Schritt in Richtung Alltagstauglichkeit von Elektromobilität“, freute
sich Regionaldirektorin Dr. Nicola
Schelling über einen Zuschuss des Bundesverkehrsministeriums von rund
70.000 Euro für ein Standortkonzept
für Schnellladeinfrastruktur des Verbands Region Stuttgart. Die Gesamtkosten werden bei vermutlich 90.000
Euro liegen. Holger Haas, Leiter des Geschäftsbereichs Standortentwicklung I
der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) nahm die Förderzusage aus den Händen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt entgegen.
„Elektromobilität braucht verlässliche
und schnelle Lademöglichkeiten. Hier
setzen wir mit unserer regionsweiten
Planung an“, sagt Dr. Schelling. So
sollen die besten Standorte für Schnellladestationen identifiziert werden, die
zwei Voraussetzungen erfüllen: Zum
einen sollen sie innerhalb der Region
gut platziert sein. Zum anderen soll
die Ladezeit gewinnbringend genutzt
werden können. Das alles unter Berücksichtigung von Verkehrsströmen,
vorhandener Ladeinfrastruktur,
Nutzerstudien sowie Mobilitätskonzepten und der Elektrofahrzeugdichte.
Die Untersuchung baut auf vorhandene
Erkenntnisse aus bisherigen Modellprojekten zur Elektromobilität auf, die
die WRS federführend betreut.
Die Ergebnisse, die bis Ende 2016 vorliegen sollen, werden Städten, Stadtwerken, potenziellen Investoren und
weiteren Interessenten zur Verfügung
gestellt. „Mit dieser koordinierten regionalen Betrachtung verbessern wir die
Planungssicherheit für Investoren und
können wertvolle Anstöße geben“,
ist Dr. Schelling überzeugt. Künftige
Geschäftsmodelle, zum Beispiel von
Taxiunternehmen und CarsharingAnbietern, basieren auf dieser schnellen Technik. Private Kaufentscheidungen werden maßgeblich von der
Verfügbarkeit von Ladestationen
abhängen. » la
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3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 7
Regionalplanung
Die soziale Dimension
des Wohnens
Die Kirchen fragen nach: Wie wollen wir wohnen? Wie kann
ausreichend bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt werden?
Und kann man Arbeiten und Wohnen besser zusammenbringen?
In seiner Reihe „Ethik in der Region“ nahm das Dialogforum
der Kirchen soziale und ethische Aspekte zum Wohnen in
der Region Stuttgart in den Blick. Rund 70 Menschen tauschten sich im Juni mit Experten über die gesellschaftlichen
Herausforderungen des Wohnens aus, darunter zahlreiche
Vertreter der Regionalversammlung, von den Kirchen, aus
den Kommunen der Region Stuttgart und aus der Immobilienwirtschaft.
die Geschichte von Kain und Abel als Konflikt zwischen
Sesshaften und Nomaden auf heute – zwischen denen, die
sich eine Wohnung leisten können, und jenen, die lange
wohnungs­suchend sind. „Gott gibt jedem das Recht auf
Raum zum Leben, aber auch Regeln für ein friedliches
Miteinander.“ Es sei wichtig, über das bloße Wohnen hinaus soziale Gemeinschaften zu bilden und so Isolationen
entgegen­zuwirken.
Zur Begrüßung forderte Regionaldekan Dr. Heiko Merkelbach,
katholischer Leiter des Dialogforums, die Referenten und
Gäste zum Querdenken auf. Der biblische Impuls von Prälat
Ulrich Mack, evangelischer Leiter des Dialogforums, übertrug
Soziale Durchmischung als Qualität begreifen
Auch Hauptreferent Dr. Gerd Kuhn mahnte an, die soziale
Durchmischung bei der Gestaltung von Wohnraum von Anfang an mitzudenken. Der Architektur- und Wohnsoziologe
Expertenrunde
sieht Wohnen
8 Die
Region
Stuttgart Aktuell 3 / 2016 als Grundrecht eines jeden Menschen
© Foto: Dialogforum der Kirchen
Text: Uta Hörmann
Regionalplanung
Bezahlbarer Wohnraum und Integration in der Praxis
Die anschließende Diskussion moderierten Jutta Wiedmann
und Romeo Edel, die gemeinsam die Geschäfte des Dialogforums führen. Neben Dr. Kuhn und Prälat Mack waren
Experten aus den Bereichen Stadtplanung, Kommunalpolitik und aus der Bauwirtschaft gefragt.
Beatrice Soltys, Baubürgermeisterin von Fellbach, sprach
über die Herausforderungen einer mittelgroßen Kommune
in direkter Nachbarschaft zu Stuttgart: Der freie Markt
lässt auch dort die Wohnungspreise enorm steigen, Sozialwohnungen werden kaum geschaffen und gleichzeitig
laufen Sozialbindungen im Bestand aus. Die hohen Mieten
führen dazu, dass bereits Bürger aus der „Mitte der
Gesellschaft“ für geförderten Wohnraum berechtigt werden.
Rasch müsse genügend bezahlbarer Wohnraum entstehen:
„Eine reine Innenverdichtung greift für den Bedarf zu kurz.
Man muss darüber nachdenken, zusätzliche Flächen im
Außenbereich zu erschließen.“ Es sei eine gesellschaftliche
Aufgabe, Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen bereitzustellen. Fellbach erprobe mehrere Ansätze und Modelle
für mehr bezahlbaren Wohnraum, sei es über Belegrechte
und Wohnkonzeptionen, Ausschreibungen gemischter Quartiere oder sei es, dass die Kommune selbst als Bauträger
aktiv wird. Wichtig sei es, einen Weg zu beschreiten, der
für die Stadt auch finanzpolitisch nachhaltig sein kann.
Soltys möchte daher vermeiden, „das Tafelsilber der Kommune“ zu veräußern. Sie sieht zudem Bund und Land
in der Pflicht, geeignete Abschreibungs- und Förderprogramme aufzulegen. Wie soziale Integration in der Praxis
umgesetzt werden kann, schilderte Jürgen Schilbach,
Geschäftsführer des Siedlungswerkes, am Beispiel des
Wohnquartiers St. Vinzenz Pallotti in Stuttgart-Birkach. Dort
realisiert das überwiegend vom Bistum Rottenburg-Stuttgart
getragene Unternehmen ein neues Viertel für alle Kreise der
Gesellschaft. Wichtig sei es, von Anfang an Räume einzuplanen, wo Menschen zusammenkommen können.
Wohnen und Arbeiten an einem Ort?
Andreas Feldtkeller, Architekt und langjähriger Leiter des
Tübinger Stadtsanierungsamtes, berichtete über Erfahrungen
mit der Entwicklung der Tübinger Südstadt. Er kritisierte
den stadtplanerischen Grundsatz, Wohnen und Arbeiten
räumlich zu trennen. Dadurch legen die Menschen täglich große Wegstrecken zurück. Beispielsweise war ein badenwürttembergisches Kind im Jahr 2008 durchschnittlich
25 km am Tag unterwegs, oftmals von den Eltern gefahren.
Feldtkeller sagte: „Wohnen und Arbeiten zusammenzubringen, wo möglich, spart Platz und sorgt für lebendige
Viertel.“ Soltys verwies hierzu auf geltende Einschränkungen
wie planungsrechtliche Vorgaben oder den Immissionsschutz.
Schilbach gab zu bedenken, dass auch das Verbraucherverhalten – Stichwort Einkaufen auf der grünen Wiese – eine
Trennung von Wohnen und Arbeiten faktisch fördere.
Nach der Auffassung von Prälat Ulrich Mack sollten neue
Quartiere dorfähnliche Strukturen und Orte für die Begegnung erhalten. Das fördere den Gemeinsinn, was nicht zuletzt auch dem sozialen Frieden diene. Angesichts des
demografischen Wandels hält es Schilbach für unabdingbar, ausreichend barrierefreien Wohnraum zu schaffen.
Regionaldekan Dr. Merkelbach resümierte, dass das Thema
Wohnen eine Herausforderung darstellt, die sich auf die
ganze Bandbreite der Gesellschaft auswirkt. Neue Ansätze,
Konzepte und Visionen seien gefragt – für eine nachhaltige
Entwicklung und für ein gutes Miteinander. «
© Foto: Dialogforum der Kirchen
von der Universität Stuttgart verdeutlichte, dass Neubauten
derzeit vor allem im mittleren und oberen Preissegment
entstehen. Die aktuellen Mietpreise in Stuttgart belegen bundesweit den dritten Platz, gleich hinter Frankfurt und
München. Dr. Kuhn bedauerte den stetigen Rückgang von
Sozialwohnungen trotz eines weiterhin hohen Bedarfs,
gerade auch in der Region Stuttgart. Eine Folge könnte sein,
dass Menschen mit geringerem Einkommen sowie größere
Haushalte ins Umland abgedrängt werden. Angesichts der
Entwicklung hin zu Single-Haushalten und einer immer
„bunter“ werdenden Gesellschaft forderte Dr. Kuhn: „Eine
gute soziale Durchmischung ist eine Qualität, die wir nicht
preisgeben sollten.“ Großen Handlungsbedarf sieht er in
der langfristigen Sicherung von bezahlbarem Wohnraum,
beispielsweise durch städtische oder genossenschaftliche
Bauträger. Dieser müsse jedoch gut integriert sein in
bestehende Wohngebiete. Mit einem zu hohen Anteil von
Sozialwohnungen in Neubauquartieren werden neue
soziale Brennpunkte geschaffen, warnte er.
Dr. Gerd Kuhn sieht das Thema Wohnen als breite
gesellschaftliche Aufgabe
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 9
Regionalplanung
Entrümpeln,
investieren, bauen
Wie gelingt es, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Indem preiswerte Grundstücke bedarfsgerecht und kostengünstig bebaut werden.
Das ist leichter gesagt als getan. Denn auf dem Weg zu mehr
Wohnungen müssen zahlreiche Hürden gemeistert werden. Wie?
Darüber haben sich Experten auf einer Fachtagung ausgetauscht.
Text: Dorothee Lang
„In Plänen kann niemand wohnen.“ Weitergedacht heißt
diese Feststellung von Thomas S. Bopp, dem Vorsitzenden
des Verbands Region Stuttgart: Aus Plänen müssen Wohnungen werden. Und genau darum ging es auf der Fachtagung „Wohnbauflächen mobilisieren“ des Verbands Region
Stuttgart Anfang Juli. Es gibt dafür kein Patentrezept. Aber
es gibt vielfältige Ansätze auf allen Ebenen, um bezahlbaren
Wohnraum zu schaffen. Experten der Immobilien- und
Wohnungswirtschaft, Stadtplaner und Interessenvertreter
haben ein „Rundumpaket geschnürt“, so Moderatorin
Dagmar Lange. Die Lösungen reichen vom Entrümpeln der
Baunormen über stärkere Investitionen in öffentlichen
Wohnraum bis hin zu Verfahrensfragen bei der kommunalen
Baulandumlegung oder dichtere Bauformen. Etwa 100 Teilnehmer, darunter Oberbürgermeister, Bürgermeister, Planer
und Regionalpolitiker, erhielten interessante Impulse.
» Wir wollen die beste Qualität zum
günstigsten Preis verkaufen.«­­ Frank Berlepp, Geschäftsführer LBBW Immobilien­
management GmbH
„Diese Veranstaltung kann nur ein Beitrag gewesen sein,
dem andere folgen werden“, zielte Regionaldirektorin
Dr. Nicola Schelling auf weitere Diskussionen und Entscheidungen auch in den Gremien der Regionalversammlung
ab (siehe Artikel auf Seite 12). Sie hob hervor: „Der Regionalplan für die Region Stuttgart ist auf Wachstum gerichtet
und zeigt erhebliche Gestaltungsspielräume auf.“ Der Verband Region Stuttgart wolle Städte unterstützen, Wohnbauflächen, die sich nicht umsetzen lassen, an machbaren
10 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
Standorten zu realisieren, sagte sie weiter. „Dabei bleiben
das Wie und das Wo entscheidend.“ Eine internationale
Bauausstellung (IBA) stelle „eine hervorragende Möglichkeit“ dar, innovative Ansätze für bezahlbaren Wohnraum zu realisieren. Wichtig sei es, dass alle an einem Strang
ziehen. „Wir brauchen ein breites Bündnis der Akteure“,
so Dr. Schelling.
„Wir dürfen nicht alles zubauen“
Dass beim Thema Wohnraum alles mit allem zusammenhängt,
machte der Vorsitzende des Verbands Region Stuttgart,
Thomas S. Bopp, in seiner Begrüßung deutlich. Die Region
Stuttgart brauche „qualifizierte Zuwanderung“. Fachkräfte
wiederum bräuchten bezahlbaren Wohnraum. Siedlungs-
» Wenn wir Entwicklungsmaßnahmen
ergreifen, wird nicht gleich die Fahne mit
Hammer und Sichel gehisst.«­­ Hilmar von Lojewski, Leiter des Dezernats Stadt­entwicklung,
Bauen, Wohnen und Verkehr des Deutschen Städtetags
entwicklung und leistungsfähige Infrastruktur seien also
eine Seite der gleichen Medaille. Doch, „wir dürfen nicht
und wollen auch nicht alles zubauen“, ist er überzeugt.
Die Strategie des Verbands Region Stuttgart sieht regionale
Wohnbauschwerpunkte an den S-Bahn-Linien vor. Sie habe
sich bewährt, gleichwohl gebe es noch Flächenreserven für
um die 150.000 Menschen. Vorstellbar wäre es gegebenenfalls, „Karteileichen aus dem Regionalplan zu entfernen
und neue Wohnbauschwerpunkte auszuweisen“. Es komme
darauf an, „die Akzeptanz der Bevölkerung für den Bau von
© VRS / W. Bächle
Regionalplanung
Wenn die Kräne stehen, sind die schwierigsten Hürden gemeistert
zusätzlichem Wohnraum“ zu fördern. Dabei wolle die
Region unterstützen.
Vorschriften entrümpeln
Wer bezahlbaren Wohnraum möchte, müsse günstige
Grundstücke anbieten, führte Frank Berlepp, Geschäftsführer der LBBW Immobilienmanagement GmbH, aus.
» Wohnraumförderung ist kein Auslaufmodell, sondern ein Zukunftsmodell.«­­ Mathias Metzmacher, Referatsleiter Wohnen und Gesell­
schaft beim Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Als weiteren wesentlichen Kostentreiber machte er die
im Laufe der Zeit verschärften Bauvorschriften und Normen
aus. Hier besteht Entrümpelungsbedarf, erkannte auch
Hilmar von Lojewski. Der Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr des Deutschen
Städtetags sprach sich dafür aus, Standards zu überprüfen,
um Baukosten zu senken. Der Stand der Technik dürfe
nicht automatisch als Baunorm definiert werden.
» Wenn Eigentümer nicht befürchten müssen, über den Tisch gezogen zu werden,
steigt die Kooperationsbereitschaft.«­­ Dr. Thomas Burmeister, Fachanwalt für Verwaltungsrecht
aus Freiburg, plädiert für einen fairen Umgang zwischen
Kommunen und Grundstücksbesitzern.
Dass eine lange erhobene Forderung von Kommunen auf
Bundesebene ankam, führte Mathias Metzmacher vom
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung aus. Er stellte
das „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen des
Bundes“ vor. Darin sei unter anderem die Forderung enthalten, die Gesetzgebung so zu ändern, dass die Ausweisung von Alternativflächen möglich werde. Damit könnte die
Verhandlungsposition der Gemeinden gegenüber Grundstückseigentümern deutlich verbessert werden. Welche Hebel
haben Städte und Gemeinden, um dafür zu sorgen, dass
die Grundstücke auch wirklich bebaut werden? Fachanwalt
Dr. Thomas Burmeister aus Freiburg zeigte Wege auf,
bereits im Kaufvertrag eine Bauverpflichtung zu verankern.
»Dicht darf nicht doof sein.«­­ Wilhelm Natrup von der Baudirektion des Kantons Zürich
zitierte eine Überschrift aus der Neuen Zürcher Zeitung
In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag von Hilmar
von Lojewski, das „schärfste Schwert“ des Baugesetzbuches
zu ziehen, die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme.
Sie enthält die Pflicht, Grundstücke zu bebauen. Darüber
hinaus forderte er ein Verfallsdatum für Baugenehmigungen.
Qualität auf kleinem Raum
Sobald viele Menschen auf möglichst wenig Raum wohnen,
sinken die Preise. Michael Wenderoth und Frank Schneider
von ARP ArchitektenPartnerschaft Stuttgart zeigten anhand
von Beispielen, dass auch 200 Menschen auf einem Hektar
leben könnten, ohne Abstriche bei der Wohnqualität hinnehmen zu müssen. Wilhelm Natrup von der Baudirektion
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 11
Regionalplanung
des Kantons Zürich plädierte dafür, nicht nur auf die Einwohner pro Hektar (Nutzungsdichte) zu schauen, sondern
auch die Zusammensetzung der Bevölkerung (soziale Dichte)
und die verschiedenen Nutzungen (funktionale Dichte) im
Auge zu behalten. Die Akzeptanz für Nachverdichtung sei
angesichts der hohen Zufriedenheit mit der heutigen Situation gering, stellte er die Ergebnisse einer Befragung
vor. Nachverdichtung solle vor allem im urbanen Raum stattfinden. Um die Akzeptanz zu erhöhen, müssten Qualität
bewahrt und Defizite behoben werden, zum Beispiel Lärmreduktion, bessere Verkehrsanbindung oder niedrigere Wohnkosten. Einen neidischen Blick nach Zürich konnte sich
Beatrice Soltys, Vizepräsidentin der Architektenkammer
Baden-Württemberg, nicht verkneifen. Dort seien die
Ziele bereits umgesetzt. Damit sei man einige Jahrzehnte
voraus. Die Mischung macht’s, so könnte man das Beispiel
» Unser Vorschlag ist: 65 Standorte mit 65
Wohneinheiten bis zum 65. Geburtstag
des Landes Baden-Württemberg im Jahr
2017 zu realisieren.«­­ Beatrice Soltys, Vizepräsidentin der Architektenkammer
Baden-Württemberg
der Stadt Konstanz zusammenfassen. Baubürgermeister Karl
Langensteiner-Schönborn stellte das Handlungsprogramm
Wohnen vor. Auf 44 Flächen fördert die Stadt Wohnungsbau. Dort sollen Menschen mit kleinem Geldbeutel, Senioren oder junge Menschen ebenso ein Zuhause finden wie
Besserverdienende. Diese „Durchmischung“ sei in Konstanz
gesetzt. «
Aktion und Anreize
Die Regionalversammlung beschließt ein Aktionsprogramm,
um auf mehr bezahlbaren Wohnraum hinzuwirken.
Text: Dorothee Lang
„Der Verband Region Stuttgart kann weder Baurecht
schaf­fen noch Wohnungen bauen“, sagte Regio­nal­direk­­
to­rin ­Dr. Nicola Schelling. „Aber wir wollen alle uns zur
Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen.“ Deshalb hat
die Regionalversammlung ein Aktionsprogramm beschlossen. Es setzt zunächst auf Unterstützung, Anreize, Lobbying und Beratung.
Die Region wird noch intensiver bei Städten und Gemein­
den darum werben, Planungsrecht zu erlassen. Sie unterstützt
dabei, Flächenreserven in den großen Wohnbauschwerpunkten zu heben. Sie exerziert praktische Lösungsansätze
beispielhaft durch. Und der Verband Region Stuttgart in­
formiert, welche Spielräume der Regionalplan bietet.
Nach den regionalplanerischen Vorgaben muss der Zuzug
von Einwohnern also auf die regionalen Wohnbauschwerpunkte gelenkt werden, die in S-Bahn-Nähe liegen. Damit
lässt sich zusätzlicher Straßenverkehr vermeiden, ­­­so der
Grundgedanke. Dort sollten vor allem mehrgeschossige
Häuser entstehen. Der Regionalplan legt aber auch den
Umfang an Wohnbauflächen für Kommunen fest. Danach
dürfen die Wohnbauflächen in kleineren Gemeinden
12 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
innerhalb von 15 Jahren um drei Prozent wachsen. In
­Städten und Gemeinden, die an der S-Bahn liegen, liegt
der Zuwachs bei 4,5 Prozent.
Laut Dr. Nicola Schelling gehöre es zur täglichen Arbeit,
mit Kommunen über die Realisierung von Flächenreserven,
speziell in regionalen Wohnungsbauschwerpunkten, zu
sprechen. Diese informelle Abstimmung wird weiter laufen,
sagte sie. „Sollten sich allerdings planerisch gesicherte
­Flächenausweisungen als dauerhaft nicht baulich nutzbar
erweisen, werden geeignete Ersatzflächen zunächst in den
­­
Flächennutzungsplänen in Abstimmung mit der Gemein­de
gesucht und ausgewiesen.“ In Einzelfällen könnte ­dies ­eine
Änderung des Regionalplans nach sich ziehen, damit
regionale Wohnungsbauschwerpunkte verlagert würden.
Dieser Weg sei allerdings langwieriger.
Über das formale Instrumentarium des Regionalplans ­hinaus
sei es denkbar, ein Anreizsystem ins Leben zu rufen. Nach
Dr. Schelling sei es vorstellbar, aus dem Co-Finanzierungsprogramm zum Landschaftspark Geld für die Aufwertung
des Wohnumfelds einzusetzen – ohne dabei den Wettbewerbsgedanken bei der Förderung aufzugeben. «
Aktuelles
Relex rollt regional
Der Verband Region Stuttgart und die Firma Schlienz-Tours
GmbH & Co. KG aus Kernen schließen den Vertrag über den
Betrieb der drei neuen regionalen Expressbuslinien.
Text: Dorothee Lang
„Die eigentliche Arbeit, um den Expressbus Relex auf die
Straße zu bringen, beginnt jetzt.“ Das sagte Wirtschaftsdirektor Dr. Jürgen Wurmthaler aus gutem Grund bei der
Vertragsunterzeichnung Ende Mai. Gemeinsam mit der
Firma Schlienz, den Städten und Gemeinden sowie der
VVS GmbH werden nun die Haltestellen eingerichtet, die
Fahrplanauskünfte für die VVS-Medien erstellt sowie die
Markeneinführung vorbereitet. Der Geschäftsführer von
Schlienz-Tours, Erhard Kiesel, freut sich „ganz besonders,
dass wir als mittelständisches Busunternehmen die Relex-Busse betreiben dürfen“, und hofft, „dass die erwarteten Fahrgastzahlen übertroffen werden“. Sein Unternehmen hat
13 nagelneue Busse der Marke Setra gekauft, die im einheitlichen, wiedererkennbaren Busdesign ab 11. Dezember
neue Direktverbindungen schaffen. „Markenzeichen der
neuen Expressbusse Relex ist ein hoher Qualitätsstandard
auf neuen regionalen Tangentialstrecken“, machte Regionaldirektorin Dr. Schelling im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung deutlich. Sie verwies darauf, dass die Firma Schlienz
zwar das wirtschaftlichste unter insgesamt acht Angeboten
abgegeben habe, doch die Konkurrenz groß gewesen sei.
„Wir freuen uns, dass sich ein traditionsreiches Unternehmen
aus der Region Stuttgart in der europaweiten Ausschreibung durchgesetzt hat. Der regionale Expressbus bleibt im
besten Sinne regional“, hatte sie formuliert. „Die regionalen
Expressbusse bieten hohen Komfort zum VVS-Tarif“, betonte
Dr. Wurmthaler. In den Bussen werde man kostenlos im Internet surfen können. Sie enthalten dynamische Fahrgastinformationen sowie Komfortsitze mit verstellbaren Lehnen.
Ebenfalls an Bord: Klapptische, Leselampen an den Plätzen
und USB-Steckdosen. „Hochwertige Ausstattung und hohe
Beförderungsqualität sind uns als traditionsreichem Busunternehmen wichtig“, so Kiesel. Ihm liege nicht nur das Wohl
der Fahrgäste, sondern auch der Busfahrer am Herzen. „Wie
in der europaweiten Ausschreibung der Region gefordert,
zahlen wir Tariflohn.“ «
www.region-stuttgart.org/relex
Die Haltestellen
X 10: K
irchheim (Teck), ZOB – Wendlingen, ZOB – Köngen, Kirchheimer Straße – Denkendorf, Neuhäuser
Straße – Neuhausen (Fildern), Schlosserstraße – © VRS / Feuster
Flughafen / Messe
Ein erster Meilenstein ist geschafft. Dr. Jürgen Wurmthaler (links)
und Erhard Kiesel bei der Vertragsunterzeichnung für den neuen
X 20: Waiblingen, Bahnhof – Rommelshausen,
Karlstraße – Stetten, Diakonie – Esslingen,
Flandernstraße – Esslingen (Neckar), ZOB
X 60: Leonberg, Bahnhof – Gerlingen, Schillerhöhe,
Bosch – Stuttgart, Universität – Flughafen / Messe
regionalen Expressbus Relex.
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 13
Fraktionsumfrage
Eine Jahrhundertchance?
Dr. Joachim
Pfeiffer MdB
CDU
Der Zukunft verpflichtet
Das Selbstverständnis von Men­­­schengenerationen spiegelt sich in der
Archi­tektur wider. Die Kom­pe­tenz,
Fragestellungen des Zusammen­­lebens
aufzugreifen und vorhandene Pro­b­
leme nachhaltig zu lösen, ist untrenn­
bar mit der Stadt- und Regionalplanung verbunden. Deswegen ist unsere
Initiative für eine IBA in der Region
Stuttgart knapp einhundert Jahre nach
der Internationalen Bauausstellung
­­in der Weissenhofsiedlung nicht eine
historisierende Erinnerung – sondern
eine in die Zukunft gerichtete Verpflichtung.
Wir benötigen Antworten auf viele
Fragen: Wie können die heutigen und
die kommenden Generationen gut ­­
in unserer Region leben? Wie kann es
uns gelingen, dass Leben, Wohnen
und Arbeiten intelligent und ressourcenschonend verknüpft werden?
14 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
Welche Wohnformen benötigt eine
sich schnell verändernde Gesellschaft
in Bezug auf den demografischen
Wan­del, den Erhalt unseres wirt­schaft­
lichen Wohlstandes und die rasan­ten
Veränderungen durch Migration? ­
Wie vernetzen wir klug verschiedene
­Verkehrsträger, schützen gleich­­­­­zeitig das Klima und sorgen für einen
­sparsamen Umgang mit Energie­
quellen?
Unser ehemaliger Fraktionskollege und
Stuttgarter Alt-OB Wolfgang Schus­ter
hat bereits in den 1990er-Jahren e­ ine
IBA für Stuttgart und die Region
vo­­ran­­getrieben. Deswegen erfreut es
uns, dass sich sein Amtsnachfolger
end­lich in dessen Fußstapfen begibt
und Stutt­gart zum Motor für die IBA
machen will. Die Städte und Gemeinden in unserer Region profi­tieren glei­
cher­maßen von einer IBA: Sie wird
zum Nukleus für Innovatio­­nen in der
sich schnell wandelnden Landeshauptstadt, aber gerade auch für dezentralere ­­Bereiche.
Und schließlich gilt es der Welt z­ u
z­ eigen, dass der international ausgezeichnete Ruf der Region Stuttgart ­­­
als Heimat bedeutender Konstrukteure, Architekten und Planer seinen
Widerhall auch bei uns finden wird.
© Keyvisual des IBA-Plattformprozesses, WRS GmbH
Ein Meinungsbild aus der Regionalversammlung zu einer
Internationalen Bauausstellung (IBA) in der Region Stuttgart
Fritz Kuhn
Bündnis 90 / Grüne
»Stuttgart hat
Lust auf die IBA !«
Die Region Stuttgart und die Landeshauptstadt haben sich auf den Weg zu
einer Internationalen Bauausstellung
(IBA) gemacht. Hundert Jahre nach der
Ausstellung des Deutschen Werkbunds
mit der Weissenhofsiedlung wollen wir
ein sichtbares Zeichen für innovatives
Bauen setzen. Stuttgart hat Lust auf die
Internationale Bauausstellung im Jahr
2027! Während die Väter der Weissenhofsiedlung noch in der klassischen
Aufteilung von Wohnen und Arbeiten
gedacht und gebaut haben, stehen
­­wir heute vor einer neuen Herausforderung. Denn heute wissen wir, diese
Aufteilung ist nicht zukunftsfähig. Sie
hat viele Probleme verursacht, zum
­Beispiel große Verkehrsströme. Wir wol­­
len für moderne Menschen bauen,
­daher müssen wir die Lebensformen
für moderne Menschen in einer IBA
­ausprobieren. Der Stuttgarter
Fraktionsumfrage
Beteiligungsprozess zum Rosensteinquartier könnte uns ein Beispiel geben,
wie diese Lebensform aussehen könnte.
Der Beteiligungsprozess soll einen
breiten gesellschaftlichen Diskurs über
die Zukunft des neuen Stadtteils ermöglichen. Wie wollen wir in Zukunft
leben? Wie nutzen wir diese einmalige
Chance der Stuttgarter Stadtentwicklung so nachhaltig, dass auch die späte­
ren Generationen davon profitieren?
Dabei sollen Faktoren wie Nachhaltigkeit und die Entwicklung als Ener­­gieplus-Viertel, aber auch die soziale
Durch­­mischung des neuen Viertels eine
zentrale Rolle spielen. Am Ende des
Prozesses werden wir eine Antwort darauf haben, ob das künftige Rosensteinquartier ein Baustein für eine Inter­
nationale Bauausstellung sein könnte.
Stuttgart und die Region sind reich an
­­­
Natur, Wirtschafts- und kultureller
­Anziehungskraft. Wir werden daher
nicht irgendein IBA-Thema wählen
kön­nen, sondern das für unsere Stadt
­­und unsere Region richtige Thema
­finden müssen. Für mich kristallisiert
sich zunehmend Vielfalt als Frage­
stellung einer IBA heraus. Wie ermöglichen wir Zusammenleben von Arm
und Reich im Zentrum unserer Region?
Eine kluge Antwort darauf wäre beispielgebend für die nächste Generation
der Entwicklung von Stadtquartieren.
Matthias Hahn
SPD
Den Fragen von
morgen nachspüren
„Nichts ist so mächtig wie eine Idee,
deren Zeit gekommen ist.“ Da wollen
wir hin. Vom Begriff Internationale
Bau­ausstellung (IBA) geht ein Ver­spre­
chen aus, das sich aus dem Strom ­­
des Alltäglichen abhebt, Neues aufgreift, exemplarisch sichtbar macht ­­­­­­­­
und ­­­­als Tendenz und Vorbild in die
­Zukunft verlängert.
Die Region ist dabei, den Fragen nachzuspüren, die im Jahr 2027 vorn a­ uf
der Tagesordnung stehen. Dazu gehören unverändert die Wohnungsfrage,
die Mobilität, das Thema der Qualität
der öffentlichen Räume und der
­Umgang mit den energetischen Ressourcen.
Bezahlbarer Wohnraum für breiteste
Bevölkerungskreise bei hoher bau­
licher Qualität. In gemischten kompakten Quartieren mit auf die Bedarfe
opti­mier­ten Wohnungsgrößen bei sorg­
fältig geplantem Wohnumfeld im
­öffentlichen Raum. Das stellt auch die
Frage nach neuen Bautechniken,
­Ener­gieeffizienz, Begrünung und er­heb­­
li­cher staatlicher Förderung. In ­­­­­der
„neuen Mischung“ sollen auch Gründer und andere Dienstleister in die
Wohnbereiche integrierte Orte erhalten.
Das Thema Mobilität wird die Region
2027 unverändert bewegen. Der
Übergang zwischen den Verkehrsträgern, insbesondere hin zu Bahnen
(große Elektromobilität) und Bussen
muss in einer neuen Qualität ent­
wickelt werden.
Es bedarf einer gestaltungsstarken
­Intendantin oder eines Intendanten,
die / der jenseits der klassischen Verwaltungsstrukturen den Fortgang der
Ereignisse initiiert und lenkt, aber
­­­­den Regisseuren vor Ort ausreichend
Freiheit lässt.
Die Chance für die Region ist, dass ­
sie nach innen weiter zusammenwächst und sich nach außen als spannender Ort darstellt. Ob die Idee
wirklich schon reif ist und ob wir ein
zwingendes Motto finden, müssen die
Monate bis zum Herbst des Jahres
­erweisen. Der Findungsvorgang ist sehr
breit angelegt. Wir Sozialdemokraten
unterstützen den Weg.
Andreas Hesky
Freie Wähler
Viele Puzzlesteine
für ein Bild
Wir Freien Wähler unterstützen den
Plan der neuen IBA von Anfang an.
Warum? Weil die IBA eines der seltenen Projekte ist, das alle 179 Kom­
munen in der Region positiv verbinden
kann. Alle können sich beteiligen ­­­­­­mit
in­­­­­di­viduellen Beiträgen, die wie Puzzle­­­
steine gemeinsam ein großes Bild
­ergeben. So werden regionales Bewusstsein und Identität geschaffen. Auch
die Einbindung von Universitäten und
Hochschulen wird die IBA zu einer
breiten Bewegung machen.
Nun gilt es, ein gemeinsames Thema
für die IBA 2027 zu finden, das eint
und nicht spaltet. Ebenso wichtig ist es,
Begeisterung bei allen Akteuren ­­­­­zu
wecken und sie zusammenzuführen,
um sich gemeinsam auf den Weg ­­­
zu machen. Sehr froh sind wir Freien
Wähler darüber, dass sich auch die
Stadt Stuttgart mit dem Gedanken der
IBA anfreunden konnte. Die Bürger­
beteiligung für das Rosensteinviertel
zeigt, dass qualitätsvolles Bauen und
Bürgerbeteiligung keine Gegensätze,
sondern miteinander vereinbar sind.
Der Verband und die WRS, die im
­bisherigen Prozess gute Arbeit leistet,
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 15
Fraktionsumfrage
sollten moderierend und gestaltend
mitwirken, denn es wird notwendig
sein, bei der Ausweisung von Bau- ­­und
Gewerbegebieten sowie von Flächen
für öffentliche Einrichtungen auch die
Frage zu stellen, ob unsere bisherige
Regionalplanung mit den Herausforderungen einer vernetzten und urbanen
Lebensweise vereinbar ist und wie es
gelingen kann, auch dem ländlichen
Raum Entwicklungspotenziale zu geben, damit dieser auch weiterhin ein
attraktiver Lebensraum bleibt.
Eine IBA soll nicht nur kluge Archi­tek­
tur hervorbringen, die zeigt, wie Mo­bi­
li­tät, Energieerzeugung, Wohnen,
­Arbeiten und Kommunikation vernetzt
sind und wie wir gut in einer digitalen
Welt leben, sondern auch eine vorausschauende Planung, die auf aktuelle
Bedürfnisse reagieren kann ohne dogmatische Hürden, die noch aus ana­
logen Zeiten stammen.
langjährigen Prozess, der sich mit
­Themen der Stadtgesellschaft und des
ländlichen Raums befasst, ist ein provokantes Thema notwendig, das die
Probleme erfasst und zuspitzt. Das
­Ermöglichen und Finden eines solchen
Themas ist die nächste wichtige
­Aufgabe des Verbands Region Stuttgart und der WRS.
Dieses Thema muss eine Schnitt­
stellenfunktion haben, um inhaltlich
Technik mit Sozialwissenschaften ­
zu verbinden, um Fachleute und Zivilgesellschaft zu animieren, an diesem
Prozess teilzunehmen. Es geht also unter anderem um die Darstellung und
Weiterentwicklung von Baukultur, um
Kommunikation und Mobilität, um
Energieverbrauch, um interkommunale
Fragestellungen, aber auch um Nah­
versorgung und Möglichkeiten der Teil­
habe am kulturellen Leben, um soziale
Vernetzung. Es geht gegen Spekula­
tionsspiralen, die das architektonische
Erbe und das soziale Gefüge zerstören.
Den „präventiven Wandel“ gestalten
Die Region Stuttgart hat die Chance, eine Internationale Bauausstellung
(IBA) des „präventiven Wandels“ auf die Beine zu stellen, unterstrich
Dr. Walter Rogg bei der Auftaktveranstaltung zum Plattformprozess im
Frühjahr. Im Gegensatz zu vielen bisherigen IBAs müsse hier keine akute
Krise bewältigt werden, so der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung
Region Stuttgart GmbH (WRS) weiter. Die Voraussetzungen sind gut,
­gerade auch im Hinblick auf das symbolträchtige Datum 100 Jahre nach
der Weissenhofsiedlung im Jahr 1927, stimmte Kunibert Wachten, Profes­
sor für Städtebau und Landesplanung an der RWTH Aachen zu. Als
­Mitglied im Expertenbeirat der Bundesregierung zur Zukunft der Inter­
nationalen Bauausstellung kennt er sich aus und empfiehlt, bei der
Peter Rauscher
Die Linke
­Themenfindung für eine mögliche IBA „auch unbequeme Wege zu ge­
hen“. Die Bereitschaft, eingetretene Pfade zu verlassen und ehrlich ­nach
Schwachstellen in der Region Stuttgart zu fragen, sei notwendig. Nur
dann ließen sich modellhafte Lösungen für die spezifischen Herausfor­­
de­rungen finden. Einige zentrale Themen sind aus Sicht des Vorsitzenden
IBA ohne Rosensteinviertel
des Verbands Region Stuttgart Thomas S. Bopp die Flächenknappheit, neu­e
Mobilitätskonzepte, aber auch eine „Smart City“ im regionalen Maßstab.
Der IBA-Prozess in der Region hat
­be­gonnen. „Die IBA wandelten sich von
Architektur- zu Bau-Kultur-Ausstel­
lungen“ (Memorandum). Ein IBA-Pro­
zess soll nicht nur Flächen bebauen,
er muss Themen und Inhalte präsentieren ­­und benennen sowie mögliche
­Lösungen aufzeigen. Unsere Fraktion
hält es daher für falsch, S 21-Flächen
und das ­­­­­sogenannte Rosensteinviertel
in die IBA einzubringen. Dadurch
­­wird auch die Teilnahme von wichtigen
zivil­gesellschaftlichen Gruppen
­erschwert oder verhindert. Für den
16 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
Die WRS hatte diesen dreistufigen Plattformprozess angestoßen, der
­im Oktober mit einem IBA-Convent abgeschlossen werden soll. Bis dahin
erarbeiten Vertreter von Städten, Landkreisen, aus der Wirtschaft und
Wissenschaft sowie weitere Partner nun eine gemeinsame Vision und ein
Motto für eine Internationale Bauausstellung. Auf der Grundlage eines
interfraktionellen Antrags stellt der Verband Region Stuttgart der WRS
100.000 Euro aus dem laufenden Budget für die Organisation dieses IBAPlattformprozesses zur Verfügung. Weitere 200.000 Euro waren für die
Gründung eines Projektbüros vorgesehen und werden nach Beschluss des
Wirtschaftsausschusses nun ebenfalls für den Prozess eingesetzt. » la
www.iba2027.region-stuttgart.de
Fraktionsumfrage
Es geht um das Fehlen kostengünstigen
Wohnraums: Ghettoisierung und so­
ziale Segregation müssen kein Ergeb­nis
der Stadtentwicklung sein – auch
nicht in Zeiten intensiver Migration.
Ein Fachtag über die Anwendbarkeit
des „Cradle-to-Cradle“-Prinzips der
Öko­effektivität mit bestehenden Initia­
tiven und Aktivitäten kann ein guter
Ausgangspunkt der Themenfindung
sein, wie dies von der Verwaltung ­­­
aufgrund unseres Antrags vorgeschla­
gen wurde. (WIV, 18.11.2015)
Kai Buschmann
FDP
Auf dem Boden der
Tatsachen
„Schaffe, schaffe, Häusle baue“ –
die Herkunft dieses Satzes ist ungewiss.
Dass Theodor Heuss ihn 1957 auf
dem siebten Weltkongress des interna­
tionalen Bausparerverbandes in Stuttgart geadelt hat, ist laut Dr. Paula
­Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte gewiss. Und dass Ralf Bendix 1964
das Liedle als Schlager zum Hit machte,
auch. „Schöner wohnen“ ist ein Ur­­be­dürfnis des Menschen und besser
bauen ein Thema, das alle umtreibt.
Womit eine IBA in der Region Sinn
machen kann.
Alle Fragen haben wir vor der Haustür:
Wie den Traum der Menschen ver­
wirklichen, der vor allem bei Familienmenschen nach wie vor aus dem
Wunsch nach Haus, Garten und genügend Freilauf für die Kinder besteht?
Wie das mit dem Eigenschaftswort
„bezahlbar“ verknüpfen, das
heutzutage fast so inflationär verwendet wird wie „nachhaltig“? Der Einheimische baute schon immer nachhaltig,
wie jahrhundertealte Fachwerkhäuser
überall belegen. Er baute aber auch
nach Geldbeutellage. Da spricht die Eigentümerquote von 30,1 Prozent ­
in Stuttgart Bände. In der Region sind‘s
52,2 Prozent, nicht spitze, aber besser.
Logisch, sagt der Einheimische, Häus­le
und Eigentumswohnungen, die in
­die­­ser Quote stecken, haben ihren Preis.
Zumal, wenn das Bauland schon mal ­
in Richtung 600 Euro plus X je Qua­
drat­­meter marschiert. Das ist der Boden
der Tatsachen, auf dem eine IBA ste­hen
muss, wenn sie nicht abgehoben da­
her­­kommen will: Hunderttausende in
der Region (96 Prozent der Mieter l­aut
Interhyp) träumen vom eigenen Haus.
Wie sich dieser Traum hier bei uns
­erfüllen lässt, ist die Antwort, die eine
IBA liefern muss, damit die Millio­­nen­
ausgabe Sinn macht. Wohnungsbau
lebenswert und erstrebenswert, sprich
menschengerecht, hat für uns Prioriät:
Schaffe, schaffe, Häusle baue – kann
auch 2027 der Hit sein. Vorausgesetzt,
das IBA-Konzept überzeugt.
Stephan
Wunsch
AfD
Breite Akzeptanz notwendig
Wikipedia bringt es auf den Punkt:
Eine IBA als Instrument der Stadtplanung und des Städtebaus soll mit
neuen Ideen und Projekten Impulse
setzen für einen in der Region als
­erforderlich angesehenen städtebau­
lichen bzw. landschaftlichen Wandel.
Die Region Stuttgart ist erfreulich
­attraktiv für gut für den Arbeitsmarkt
qualifizierte Menschen aus dem Inund Ausland. Das daraus resultierende
Bevölkerungswachstum erzwingt den
erforderlichen Wandel und benennt
zugleich die zentrale Zielvorgabe an die
IBA: die ökologisch und infra­struk­tu­rell
optimierte Integration sinnvoll ver­dich­­
teter Wohnbebauung in den regio­na­
len Schwerpunkten des Wohnungsbaus entlang der Entwicklungsachsen.
Das erfordert, eine große Bandbreite
an Ideen gut über die Region verteilt
umzusetzen. Teure Leuchtturmpro­
jekte erscheinen kontraproduktiv. Diese Ausrichtung der IBA sicherzustellen,
ist eine Hauptaufgabe des VRS. Die
breite Akzeptanz der Projekte durch
­die Bürger ist fundamental für eine
­er­folg­reiche IBA. Sie müssen deshalb
wäh­­­rend der gesamten Planungs- ­
und Umsetzungszeit entscheidungsmaßgeblich eingebunden werden.
Ulrich
Deuschle
Innovative Politik
Innovationsschub ist
möglich
Die Internationale Bauausstellung ist
ein interessantes Projekt, das zu einem
Innovationsschub, zum Beispiel in
Archi­tektur und Bauwesen, Stadtplanung und Verkehrsinfrastruktur, füh­­­
ren kann. Der Verband Region Stuttgart
hat mit der Beauftragung seiner Wirtschaftsfördergesellschaft (WRS) die ersten Weichen in diese Richtung gestellt.
Die ersten Planungen und Projekte
weisen darauf hin, dass die IBA für die
Kernstadt Stuttgart und die anlie­gen­
den Kommunen infrastrukturelle Er­fol­­
ge bringen könnte. Die Frage ­eines
Mehrwerts für die gesamte ­Re­gion und
auch konkret für Kommunen am
­Rande wie Alfdorf, Erken­brechts­weiler
oder Böhmenkirch ist aber noch zu
klären.
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 17
Wirtschaft
„Die Glasfaser setzt
uns keine Grenzen“
Professor Dr. Jürgen Anders von der Hochschule Furtwangen
ist überzeugt: Der heutige Breitbandausbau bestimmt die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur mindestens für die nächsten 50 Jahre.
Interview: Dorothee Lang
Herr Professor Anders, Sie gelten
als der Breitbandexperte in BadenWürttemberg. Sie reisen kreuz
und quer durchs Land, um schnelles
Internet auf den Weg zu bringen.
Das klingt nach einer Mission.
Professor Anders: Wir fühlen uns
vonseiten der Hochschule durchaus
berufen, zu schauen, wie sich die
Digitalisierung oder die Industrie 4.0
entwickeln. Diese beiden großen
Themen brauchen eine Basis, nämlich
die Infrastruktur. Die Infrastruktur
von morgen muss auch dem Bedarf
von morgen gerecht werden. Es ist
eine Aufgabe von mehreren Jahren,
um die richtigen Weichen­stellungen
vorzunehmen.
» Die Infrastruktur von
morgen muss auch
dem Bedarf von morgen
gerecht werden.«­­
Derzeit wird der Bedarf von Unternehmen und privaten Haushalten danach
definiert, was die heutige Infrastruktur
leisten kann. Das ist aus unserer Sicht
der falsche Ansatz. Wir müssen schauen, wie die Welt von morgen aussieht,
und die Technologie danach wählen.
18 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
Deshalb spreche ich von Glasfaser.
Glasfaser setzt uns keine Grenzen.
» Der Bedarf existiert
inzwischen branchenübergreifend, natürlich
in unterschiedlicher
Intensität.«­­
Was heißt Breitband denn genau?
Gibt es eine Definition?
Professor Anders: Die offizielle
Defini­tion ist der ISDN-Standard, sprich
128 kbit / s. Der Wert wurde dann auf
2 Mbit / s erhöht. Das ist bei der schnel­­­
len Entwicklung natürlich völlig aus
der Zeit. Deswegen hat die Bundesregierung eigentlich ohne eine Defini­tion
50 Mbit / s als Grundlage festgelegt.
Werden 30 Mbit / s in der Fläche nicht
erreicht, erlaubt das Beihilferecht staat­
liche Subventionen. In Baden-Würt­
temberg gilt diese Eingriffsschwelle für
Privathaushalte und 50 Mbit / s für
Unternehmen. Das ist eine Besonderheit. Damit gelingt es, über staatliche
Subventionen auch Unternehmen an
sehr hochleistungsfähige Netze an­
zubinden.
Wie sieht es denn in der Region
Stuttgart mit schnellem Internet aus?
Professor Anders: Die Versorgung ­­ist
in städtischen Bereichen tendenziell
besser. Dort besteht das höchste Kundenpotenzial für die Privatwirtschaft.
Im ländlichen Raum sieht es dementsprechend eher schlechter aus.
Davon sind auch die politischen
­­Entscheidungen bisher stark geprägt
worden. Wir stellen aber auch fest,
dass die Versorgung immer nur einen
Mittelwert über eine Fläche darstellt,
der in der Region Stuttgart vergleichsweise hoch ist. Es zeigt sich aber eine
sehr heterogene Situation. Da gibt es
auch im Verdichtungsraum weiße Fle­
cken der Versorgung, vor allem in Ge­
wer­begebieten. Der Staat sollte sich
vom Grundsatz einer flächendeckenden
Versorgung für die Digitalisie­rung und
für Industrie 4.0 leiten lassen.
Für Unternehmen zählt der Bedarf,
nicht der Standort. Hat die Region
Stuttgart spezifische Anforderungen?
Professor Anders: Der Bedarf exis­tiert
inzwischen branchenübergreifend,
­natürlich in unterschiedlicher Intensität.
Wir brauchen die infrastrukturellen
­Voraussetzungen dafür, dass die Trends
gesetzt werden und Innovationen
stattfinden können. Industrie 4.0 ist ein
riesiges Thema. Dafür brauchen wir
die netztechnischen Voraussetzungen.
Wirtschaft
Professor Anders: Die Region ist ­­­­gut
aufgestellt. Die Geschwindigkeit des
Ausbaus wird auch durch die Regula­rien
vom Bund bestimmt, beispiels­wei­se­
­bezogen auf Ausschreibungen. Wichtig
ist, dass der Netzausbau gezielt erfolgt
und auf die Leistungsfähigkeit aus­­ge­
richtet ist. Das ist entscheidender als
kurzfristige Lösungen. Denn die Infrastruktur bleibt uns mindestens die
nächsten 50 Jahre erhalten.
» Zusammenschlüsse
sind generell gut und
hilfreich ...«­­
­­­ Der Verband Region Stuttgart und ­­­­­­
die Wirtschaftsförderung Region Stutt­
­gart GmbH geben dem Breitband­
ausbau Impulse und nehmen eine ko­
ordinierende Rolle im Zusammenspiel
mit den Landkreisen und Kommunen
ein. Ein Modell mit Zukunft?
Professor Anders: Zusammenschlüsse
sind generell gut und hilfreich, weil der
Aufwand auf mehrere Schultern verteilt wird. Und es werden Versorgungs­
einheiten geschaffen, die für den
­späteren Netzbetrieb interessant sind.
Die momentan aufgrund von Größe
und Strukturen funktionierende Einheit
ist der Landkreis. In Baden-Würt­
temberg schaut man, welche Synergien
sich über die Landkreise hinaus schaffen lassen. Die Region Stuttgart ist
­sicherlich speziell, weil sie verdichtet
und damit recht gut versorgt, aber
gleichzeitig sehr heterogen ist. Deshalb
ist es absolut sinnvoll, so vorzugehen,
wie es die Region Stuttgart macht. Ich
bin sicher, dass sich so Synergien schaf­
fen lassen. Vor dem Hintergrund der
Mobilität und der Breitbandversorgung
entlang der Verkehrsachsen wird der
landkreisübergreifende Ansatz sehr in­
te­ressant, weil für Mobilfunkunter­
nehmen die Landkreisgrenze eigentlich
nicht existiert. Sie müssen ihr Versorgungskonzept fürs gesamte Bundesland gestalten.
» Der Backbone-Ausbau
und der innerörtliche
Ausbau sollten möglichst
parallel erfolgen.«­­ S­ tuttgart ebenso einzubinden wie die
kleineren ländlicheren Gemeinden.
Die zentrale Frage ist die Eigentumsfrage, also wem gehört das Netz
­hinterher? Wie schreibt man den Netzbetrieb aus? Werden die Netze
ge­clustert oder als Ganzes ausgeschrieben? Bleibt man auf Ebene der
­Landkreise? Man muss vom Ende her
denken und die Organisationsform
­darauf abstimmen. Daran arbeiten wir
gerade. «
Die Mobilfunkstandorte werden ja
gerade als Teil der Backbone-Planung
regionsweit erhoben. Die Ergebnis­se
der Planung sollen Anfang 2017 vorliegen. Was erwarten Sie?
Professor Anders: Es wird gezeigt,
wie die einzelnen Versorgungsgebiete
in der Region angebunden werden,
­also das gesamte Netzkonzept für jeden
­Ortsteil und jedes Gewerbegebiet. ­­­­­­­­­­­Der
Backbone ist die Grundvoraussetzung
dafür, dass man mit dem Ausbau be­
gin­nen kann. Spannend wird die Frage,
wie hoch die Kosten sind und welche
Synergien durch bereits vorhandene Lei­
tungen genutzt werden können. Der
zentrale Erfolgsfaktor und der Mehrwert bestehen darin, dass Endkunden
ans Netz angeschlossen werden. Deshalb sollten der Backbone-Ausbau ­­­und
der innerörtliche Ausbau möglichst
para­llel erfolgen. Wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Kommunen
von Anfang an eng in das Projekt eingebunden werden, damit sie zeitnah
ihre innerörtlichen Planungen machen
können. Das läuft in der Region
­Stuttgart vorbildlich. Organisatorisch
könnte man sich vorstellen, dass wiederkehrende Beratungsaufgaben in
einem Kompetenzzentrum gebündelt
werden. Die Frage ist, wie statte ich
es aus? Und wer kann es wie nutzen?
Hier gilt es, eine Großstadt wie
© Foto: privat
Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit
gelten nicht nur für die Datenlei­
tungen, sondern besonders für die
Umsetzung des Breitbandausbaus.
Wie sehen Sie die Region Stuttgart
zeitlich aufgestellt?
Professor
Dr. Jürgen Anders
lehrt seit Mai 2010 an der Hoch­
schule Furtwangen an der Fakul­
tät für Digitale Medien. Sein
Schwerpunkt gilt der Forschung
im Bereich der Ausbaustrate­­gien
für kommunale Breit­band­ver­
sorgung. Darüber hinaus ist er
beratend tätig, beispielsweise
für isucomm Rechtsanwälte.
Der Physiker studierte in Stutt­gart
und den USA. Nach For­schungs­­
aufenthalten in Südkorea und Ja­
pan arbeitete er bei der Firma
Siemens im Bereich Produktent­
wicklung für Breitbandausbau.
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 19
© Stadt Nürtingen
Kommune im Profil
Ein Hauch von schwäbischer Toskana
Vier prägende
Persönlichkeiten
Kommune im Profil (59): Nürtingen.
Schon Römer und Kelten haben hier ihre Spuren
hinterlassen, die Alemannen haben sich auf einem
Bergsporn hoch über dem Neckar angesiedelt.
Heute ist Nürtingen eine quicklebendige Kommune
mit schöner Altstadt, einer vielfältigen Kultur­szene und einer leistungsstarken Wirtschaft.
Text: Harald Beutel
„Er (Hölderlin) wachte auf, als sie den Vater in der Nacht
holten. Der Neckar sei über die Ufer getreten, die Unterstadt
überschwemmt … Es war ein einziger Lärm, und er meinte,
noch schlaftrunken, die Welt stürze zusammen … Das kann
nur die Brücke sein.“ So schildert Peter Härtling das Hoch­
wasser im November 1778. Die Fluten spülten nicht nur die
Brücke weg. Der vom achtjährigen Friedrich Hölderlin
geliebte Stiefvater und Bürgermeister von Nürtingen starb
an den Folgen seines Kampfes gegen die eisigen Wogen
in jener Herbstnacht.
20 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
Vier aus Nürtingen
Dies sind zwei wichtige Persönlichkeiten Nürtingens.
Hölderlin, der hier Kindheit und Jugend verbrachte. Peter
Härtling lebte hier von 1946 bis 1954. Er schrieb vor
40 Jahren „Hölderlin – Ein Roman“. Auch Eduard Mörike
hat in der Stadt gewohnt. Klar, dass nach ihnen allen
Schulen benannt sind. Zu so viel Ehre hat es ein weiterer
Nürtinger noch nicht gebracht: Harald Schmidt. Dafür
weiß mittlerweile ganz Deutschland um die Bedeutung des
Nürtinger Bahnhofs. Diesem hat er 2001 in seiner Show
mit augenzwinkernder Ironie ein Denkmal gesetzt.
Stadtumbau hinter dem Bahnhof
Stichwort Bahnhof: Dort wird nun ernsthaft ein Projekt
künftigen Stadtumbaus geplant – die „Bahnstadt“ auf altem
Bahngelände. In den nächsten Jahren wird ein Quartier
der kurzen Wege für Leben, Arbeiten, Einkaufen und Erholen
entwickelt. Es grenzt an die Innenstadt und wird direkt an
das Nahverkehrsnetz angebunden. Bahn und Bus werden zu
Fuß zu erreichen sein. Dieses Projekt wird wesentliche Ziele
des Regionalplans erfüllen: unter anderem eine am Bedarf
ausgerichtete Siedlungsentwicklung, die Nutzung vorhandener Infrastruktur und die Reduzierung des CO²-Ausstoßes
dank der Flächen für Wohnen und Arbeiten am Nahverkehr.
Auch bei neuen Gewerbeflächen punktet Nürtingen: Im Areal
Bachhalde ist jüngst ein interkommunales Gewerbegebiet
entstanden mit Handwerksbetrieben, Dienstleistern, produzierendem Gewer­be und Großhandel. Zwei Firmen bauen
derzeit im Gebiet „Großer Forst“. Und „In der Au“ hat sich vor
einem Jahr ein Qualifizierungszentrum von VW niedergelassen.
Kommune im Profil
Nürtingen
Einwohner
40.392
Fläche
4.690 Hektar
Sozialversicherungs‑­
pflichtig beschäftigte
Arbeitnehmer
17.198
Kaufkraft (2014)
23.116 € / Einw.
Auspendler
10.231
Einpendler
12.174
Radeln auf dem Neckartal-Radweg
© VRS Horst Rudel
Stand 2015
Nürtingen
Bildungslandschaft
Damit wurde auch die Bedeutung als Schul- und Bildungstadt deutlich aufgewertet. Da hat Nürtingen immens viel
zu bieten: die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, drei
Gymnasien, zwei Realschulen, eine Waldorfschule, eine Freie
Kunstakademie, die Musik- und Jugendkunstschule Nür­­tin­
gen – um nur einige Einrichtungen der vielfältigen Bil­dungs­
landschaft zu nennen.
Landschaft mit Fluss, Fachwerk und blauer Mauer
Wer von einer Anhöhe auf die Flusslandschaft, Kirchen und
die Altstadt blickt, lässt sich gerne zu einem Stadtbummel
verführen. Vom Neckar führen Stäffele und Gassen hinauf
zur Laurentiuskirche, vorbei an Cafés und Weinstuben,
kleinen Läden mit Kunsthandwerk oder Leckereien. Weiter
geht's zum Salemer Hof mit seinem schönen Fachwerk,
zum mittelalterlichen Rathaus mit gläsernem Innenbereich
und zum ehemaligen Spital. Und die alte Kreuzkirche
mit ihrer tollen Akustik bietet einen idealen Rahmen für Konzerte, zum Beispiel die Nürtinger Meisterkonzerte mit
international renommierten Kammermusik-Ensembles. Wer
Nürtingen besucht und sich mehrere Tage aufhält, sollte
sich zu Fuß oder mit dem Drahtesel in der wunderschönen
Umgebung umsehen. Zum Beispiel am Neckartal-Radweg.
Schöne Wege führen auch zu Mörikes „wundersamer blau­
er Mauer“, der Schwäbischen Alb. Wer's bequemer
mag: Tälesbahn oder Sofa-Dampfzügle rattern auch dahin.
Nürtingen liegt aber nicht nur an der roman­ti­schen
Täles­­bahn. Die Bahnstrecke Stuttgart – Esslingen –
Reut­lingen­ – Tübingen verbindet es direkt mit wichtigen
Bildungs- und Wirtschaftszentren; wenige Kilometer
sind es bis zur Autobahn A 8 Karlsruhe­ – Stuttgart – Ulm.
Flughafen Stuttgart und Messe Stuttgart liegen quasi
vor der Haustür.
Bürgerbeteiligung wird großgeschrieben
Das jüngste Beispiel für Bürgerbeteiligung ist die Entwick­lung eines integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK).
Zwei Jahre lang haben Bürgerinnen und Bürger, Vertreter
der Stadtverwaltung und des Gemeinderats Leitbilder für
stra­tegische und räumliche Entwicklungen in den nächsten
zehn bis 15 Jahren erarbeitet. Für die Online-Beteiligung bei
diesem Projekt hat Nürtingen 2014 einen Preis eingeheimst.
An den Ufern des Neckars
Doch zurück zum meist idyllischen Neckar. Dank einer
„Treppe“ können Fische nun flussauf zu den Laichplätzen
wandern. Der Verband Region Stuttgart hat das Arten­schutz-Projekt mit 160.000 Euro gefördert. Die Fischtreppe
ist Teil des Vorhabens, den Fluss für Alt und Jung erlebbar
zu machen und seine Ufer aufzuwerten. Aber der Neckar
hat zwei Gesichter. Die Hochwassergefahr ist keineswegs
gebannt. Heute steht zwar die Brücke, anders als vor 240
Jah­ren, sehr massiv da, aber vor drei Jahren standen wieder
Wiesen und Sportplätze unter Wasser. Die Stadt will deshalb
in den Hochwasserschutz mit Unterstützung des Landes
kräftig investieren. «
www.nuertingen.de
3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 21
Kommune im Profil
„Wir sind Pioniere
der Bürgerbeteiligung“
Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich im Gespräch über
Stadtumbau, Bildungsstadt, Gewerbe und Standortfaktoren
© Stadt Nürtingen
Interview: Harald Beutel
Otmar Heirich
Oberbürger­
meister
Herr Heirich, Sie sind seit zwölf­
einhalb Jahren im Amt. Worauf sind
Sie besonders stolz?
Heirich: Besonders freut mich, dass
wir nach 30 Jahren Diskussion im
vergangenen Jahr das interkommunale
Gewerbegebiet „Großer Forst“ erschlossen haben. Dank Bürgerbeteiligungsforen konnten wir Bedenken
ausräumen. Schön ist, dass Nürtingen
als Gewerbestandort sehr interessant
ist. Das zeigt auch das in den vergangenen Jahren entwickelte Areal in
der Bachhalde, das mittlerweile mit
attraktiven Betrieben belegt ist.
Nürtingen hat auch eine Hochschule ...
Heirich: Ja und über den ersten Spa­
tenstich für das neue Hochschul­ge­bäu­­
de im Juni habe ich mich be­sonders
gefreut, es wird nahe der Innen­stadt
gebaut. Das ist wichtig, denn die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt
hat große Bedeutung für die Stadt. Wir
22 Region Stuttgart Aktuell 3 / 2016
wollen sie auf Dauer attraktiv halten.
Ich hoffe, dass wir noch 2016 auch mit
dem Bau des Medienzentrums der
Hochschule beginnen können. Zur Bildung allgemein: Nürtingen hat Tradition
als Schulstadt. Jeden Tag haben wir
5.000 Schüler hier. Ich sage aber: Wir
sind unterdessen Bildungsstadt bei
unserem hervorragenden Angebot an
Kindertagesstätten, verschiedensten
Schulformen und eben der Hochschule.
Stichwort Stadtentwicklung:
Was sind die städtebaulichen Ziele?
Heirich: Ein Leuchtturmprojekt setzen
wir gerade auf die Schiene – den
Stadtumbau östlich des Bahnhofs: die
„Bahnstadt“. Auf früherem Bahn­
gelände werden Wohnungen und Büros entstehen. Noch 2016 starten wir
einen Wettbewerb, um zukunftsfähige
Lösungen von renommierten Stadtplanern zu erhalten. Auch für den west­
lichen Bereich – ganz nahe der Altstadt – haben wir schon Ideen: Der
Bus­bahnhof könnte verlegt werden,
um einen guten Standort für Handel
und Gewerbe zu schaffen.
Wie beziehen Sie Bürgerinnen und
Bürger in die Planungen ein?
Heirich: Wir sind Pioniere der Bürgerbeteiligung. Dafür hat uns die
Bertelsmannstiftung schon 1999
ausgezeichnet. Viele Entwicklungen
bei uns sind vorausgedacht worden.
So gibt es kaum ein Projekt, das nicht
mit umfangreicher Bürgerbeteiligung
entstanden ist.
Wie steht’s um das Freizeitangebot?
Heirich: Nürtingen ist bei Einhei­mi­
schen und bei Touristen beliebt.
Wir haben eine attraktive Fußgängerzone, gerade neu gepflastert, verwinkelte Gassen und Stäffele, Cafés,
Restaurants und Bistros, altes Fachwerk und moderne Architektur. Schön
ist die Lage am Neckar und die Nähe
zur Schwä­bischen Alb. Viel Geld haben
wir in den Ausbau des Radwegenetzes investiert, besonders reizvoll ist
natürlich der Neckarradweg. Nicht
zu vergessen die erfolgreichen Sportvereine mit ihren tollen Angeboten.
Was bietet Nürtingen kulturell?
Heirich: Ein qualitativ hohes Kulturprogramm mit Theater und Musik.
Viele spannende Ausstellungen werden
in der dafür umgestalteten Kreuzkirche präsentiert: Miró, Chagall und
Hundertwasser haben sehr viele
Besucher in die Stadt gelockt. Weit
über die Region hinaus beliebt sind
auch die Jazztage sowie die „OpernAir-Tage“. Und alle zwei Jahre freuen
wir uns aufs Gitarrenfestival. «
Termine und Veröffentlichungen
TERMINE & VERANSTALTUNGEN
Eröffnung des Lichtkunstfestivals „Aufstiege“
Freitag, 16. September 2016, 19.30 Uhr
Württembergischer Kunstverein, Schlossplatz 2, Stuttgart
Die zentrale Eröffnungsveranstaltung ist Auftakt des Jah­­­­­
res­­projektes „Aufstiege“ der KulturRegion Stuttgart.
Anschließend ist das Lichtkunstfestival unter der Leitung des
Lichtkünstlers Joachim Fleischer in der Region Stuttgart
zu erleben: In 25 Kommunen sind vom 17. September bis
9. Oktober Lichtkunstwerke auf Treppen, Stäffele und an­­­­
deren Aufstiegsorten zu entdecken. Veranstaltungen the­ma­
tisieren „Aufstiege“ auch im gesellschaftlichen Kontext.
www.kulturregion-stuttgart.de
„zusammen:wachsen –
10 Jahre Landschaftspark Region Stuttgart“
Mittwoch, 21. September 2016, ganztägig mit Exkursionen
Museum am Löwentor Stuttgart, Rosensteinstraße 1
Regionalversammlung
mit Einbringung des Haushaltsentwurfs 2017
Mittwoch, 28. September 2016, 15.30 Uhr
Sparkassenakademie Stuttgart, Pariser Platz 3 A, Stuttgart
Regionalversammlung
Aussprache zum Haushaltsentwurf 2017
Mittwoch, 26. Oktober 2016, 15.30 Uhr
Sparkassenakademie Stuttgart, Pariser Platz 3 A, Stuttgart
Klima – Stadt – Wandel
Abschlussveranstaltung des Projektes KARS
Klimaanpassung Region Stuttgart
Freitag, 2. Dezember 2016, 13.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Hochschule für Technik, Schellingstraße 24, Stuttgart
„zusammen:wachsen“ lautet der Titel der Jubiläumsfeier.
Er betont das Verbindende des Landschaftsparks Region
Stuttgart in vielerlei Hinsicht. Nach zehn Jahren erfolg­
reicher Projektförderung fragen wir unter anderem: Was
hat der Landschaftspark Region Stuttgart bewirkt? Wel­­­­che Bedeutung hat er für eine Metropolregion? Und natürlich: Wie geht’s weiter? Anregungen und Impulse werden
durch praktische Beispiele aus der Region erwartet, ebenso wie durch anerkannte Experten aus anderen Teilen
Deutschlands. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Anmeldung
erforderlich bei Waltraud Heinz, [email protected]
IMPRESSUM
Herausgeber
Verband Region Stuttgart
Körperschaft des öffentlichen Rechts
Kronenstraße 25, 70174 Stuttgart
[email protected]
www.region-stuttgart.org
V. i. S. d. P.
Regionaldirektorin
Dr. Nicola Schelling
Redaktion
Dorothee Lang (la)
Telefon: 0711 / 2 27 59 11
Telefax: 0711 / 2 27 59 70
Autorinnen und Autoren
Intern: Uta Hörmann, Simone Kubiak
Extern: Harald Beutel
Titelfoto:
Keyvisual des IBA-Plattformprozesses,
WRS GmbH
Erscheinungsweise
Vierteljährlich im Januar, April,
Juli und Oktober
Verteilung
Funktionsträger und Abgeordnete in Bund, Land,
Region, Kreisen, Städten und Gemeinden; interessierte Behörden, Verbände und Einrich­tungen;
Medien; Stadtbüchereien. Weiterer Versand und
Aufnahme in den Verteiler auf Anfrage.
Gestaltung
www.jungkommunikation.de
Druck
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Stuttgart
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3 / 2016 Region Stuttgart Aktuell 23
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