Babypopo statt Runzelbacke Werbung kritisiert
Dieser Artikel referiert über
Kritik an der Werbung für
Hautpflege im speziellen und
über Werbung allgemein. "Bringt
nix", ist die Kurzaussage, aber
es lohnt sich trotzdem, auf die
Argumente einzugehen
ArtsyBee, pixabay).
(Bild:
Viele Menschen – zumal weiblichen Geschlechts -, lieben es,
ihrem Ego zu schmeicheln. Die Selbstbauchpinselung wird im
Gesicht aufgetragen und macht die Betreffenden jünger,
schöner, erfolgreicher. Diesen schönen Schein versucht die
Propaganda jedenfalls zu verkaufen.
Dagegen schreibt der Physiker und Wissenschaftserklärer
Florian Aigner bei futurzone an, unter dem Rubrum Wissenschaft
& Blödsinn, Titel Porentiefer Blödsinn (20.9.): Die
Kosmetikindustrie wirbt mit esoterischen Versprechungen, die
sie nicht halten kann. Billige Hautcremes genügen völlig,
teure Produkte zu kaufen lohnt sich nicht.
Aigner macht sich lustig über die merkwürdigen Inhaltsstoffe
in den atemberaubend teuren Tiegelchen. Die Aufschriften der
Kosmetikprodukte stehen kaum hinter der Bibliothek eines
Biochemie-Instituts zurück. Coenzyme, Pro-Retinol, Phytomere,
Vitamin-Komplexe – und das alles für die Komplexion und gegen
unschöne Komplexe. Aigners Wort dazu: "Falten im Gesicht
müssen
aus
irgendeinem
Lebensbedrohendes sein."
Grund
etwas
schrecklich
Sonst würde man ja nicht so erbittert dagegen ankämpfen. Die
Werbung redet den Empfänglichen ein, erwachsene Haut solle
sich anfühlen wie ein Babypopo. Babypopos sind ansonsten nicht
unbedingt die vorführgeeignetsten Körperteile …
Und die Babypopo-Legende ist auch gar nicht wahr. Werden die
Wundermittel unter kontrollierten Bedingungen getestet, dann
zeigt sich die Wahrheit: Viele Kosmetikprodukte halten nicht,
was sie versprechen. Der Preis spielt dabei keine Rolle,
superteure Luxuscremes können meist auch nicht mehr als
Billigprodukte aus der Großpackung. Der Autor spricht von
Kosmetik als Schönheits-Esoterik, als Placeboprodukt im
hübschen Döschen.
Nicht dass das Prinzip sinnlos wäre: Hautcremes sollen der
Haut Feuchtigkeit zuführen. Dafür reicht eine Emulsion aus
Wasser und Öl, und deshalb leistet das jede Creme, egal ob
billig oder teuer. Was sonst noch dazugemischt wird, dient nur
dem Eindruckschinden und der Werbewirksamkeit. Bestenfalls ist
es ziemlich nutzlos, und wenn man Pech hat, ist es sogar
schädlich.
Diese Aussage ist nicht neu. Warum geht die Werbung dann immer
weiter und verheißt „sichtbare Faltenreduktion in 14 Tagen“
und dergleichen? Zwar gibt es temporär wirkende Chemikalien,
die kleine Hautfalten beseitigen können, z.B. Alpha-HydroxySäuren, Vitamin C und gewisse Vitamin-A-Verbindungen. Die
müssen aber in hohen Konzentrationen und mit hohem Säuregehalt
aufgetragen werden, so dass die Haut Schaden nimmt, statt dass
sich ein bleibender Erfolg einstellt.
Aigner spricht denn auch vom Wegätzen der Haut. Das würde
gehen, ist aber nicht zulässig. Um eine Zulassung zu erhalten,
müssen die Wirkstoffe sehr stark verdünnt werden. Die Werbung
tut dann so, als ob der Wirkstoff trotzdem wirken würde – auch
wenn die Wirkung höchstens unter dem Mikroskop erkennbar ist.
Es ist naiver Aberglaube, dass unser Körper beliebige
Substanzen über die Haut aufnehmen und verarbeiten könne.
Deshalb ist es auch sinnlos, sich Stammzellen oder DNA auf die
Haut zu schmieren. Dafür hat der Autor ein schönes Gleichnis:
Ein Auto fährt nicht besser, wenn man das Dach mit
Superbenzin einreibt.
Eine kuriose Situation – hier hört die irrationale
Verteufelung von Gentechnik und Stammzelltherapie auf, bloß
haben diese Sachen in der Kosmetik nichts verloren. Wer sich
DNA oder Stammzellen von besonders glatthäutigen und
runzelfreien Apfelsorten ins Gesicht schmiert, wird deshalb
nicht selber runzelfrei. Gepflegt wird da nicht die
Wissenschaft, sondern der Aberglaube. Das klassische
Simsalabim wird ersetzt durch die Zauberwirkung der
Eigenschaftsübertragung:
Eincremen mit Seidenproteinen soll seidig machen,
Edelweißextrakte sollen samtigweich machen – genau dieselbe
verquere Logik, nach der Tiger und Nashörner zu Potenzmitteln
verarbeitet werden. Mit Wissenschaft hat das nichts mehr zu
tun; man verheddert sich in tiefster voraufklärerischer
Alchemie.
Aber wer das Gehirn eines Mathematikprofessors isst, wird
dadurch nicht klüger. Wer sich ein Stück Pferdefleisch in die
Hose steckt, kann dadurch nicht schneller über die Steppe
galoppieren. Wer sich mit Pfirsichextrakten einpinselt,
bekommt dadurch keine Pfirsichhaut. Die beste Hautpflege ist
wohl, die Hautpflege weniger tragisch zu nehmen: Stress ist
nämlich schlecht für die Haut. Überstunden machen, um teure
Luxus-Tiegelchen zu kaufen, ist kontraproduktiv. Relax, folks.
Lachfalten sind lustiger als Sorgenfalten – soweit die
Kosmetik-Kritik.
Richtig zur Sache geht's bei den NachDenkSeiten. Da interviewt
Jens Wernicke den Wissenschaftler und Buchautor Christian
Kreiß zur alltäglichen Indoktrination und Manipulation unseres
Geistes durch die Werbeindustrie – Wider die alltägliche
Indoktrination (12.9.): Gesprochen wird über die kommerzielle
Werbung gewinnorientierter Unternehmen, also über die Werbung
zu Profitzwecken, und die wird komplett verurteilt.
Kreiß lässt bei der Arbeitsteilung nicht als sinnvoll gelten,
wenn der eine dies produziert, der andere das und der nächste
bewirbt die Sachen. Denn er produziert nur bunte Bilder und
flotte Sprüche statt realer Sachen, und er will trotzdem
durchgefüttert werden. Eine Informationsleistung weist Kreiß
von sich: Zu 90% werden keine sachlichen Informationen
vermittelt, sondern nur empathische, die das Produkt teurer
machen sollen.
Der Verhaltenswissenschaftler Kahneman wird zitiert (siehe
u.a. Liste der logischen Fehler und Schnelles Denken,
langsames Denken), um die Beeinflussbarkeit der Menschen zu
belegen. Je häufiger Worte erscheinen, desto positiver werden
sie wahrgenommen, und solche Beeinflussungstricks nutzt die
Werbeindustrie. Manipulation, Klischees, Zwang zum Sponsor-Lob
– es sei ein Märchen, dass Werbung freie Presse ermöglicht.
Das Gegenteil sei wahr, dass kommerzielle Werbung unsere
Pressefreiheit beeinträchtigt.
Es gilt das Eisverkäufer-Paradox (beigesteuert von wb): Zwei
Eisverkäufer könnten sich den Strand teilen, der eine bedient
die eine Seite, der andere die andere. Aber wenn einer zur
Mitte rückt, gewinnt er an Einzugsbereich, bis am Ende beide
in die Mitte gerückt sind. Im Beispiel von Kreiß sind es die
Autofirmen, die alle die Werbung einstellen könnten. Aber wenn
einer wirbt, gewinnt er Marktanteile, und bald werben dann
alle. Und aufhören kann keiner, ohne Marktanteile zu
verlieren.
Kollektiv betrachtet wäre es vernünftig, die gewinnmindernden
Werbeaufwendungen einzustellen. Doch wer damit beginnt, wird
für sein vernünftiges Verhalten vom Markt bestraft. So sind
die Wettbewerber in einer Situation gefangen, die alle zu
unvernünftigem Verhalten treibt. Kompetitive Werbung um
Marktanteile
ist
gesamtwirtschaftlich
betrachtet
kontraproduktiv
Erkenntnis.
–
so
eine
alte
volkswirtschaftliche
Schon vor Jahrzehnten haben bekannte Ökonomen wie Marshall und
Pigou darauf hingewiesen. Einzig um Marktanteile kämpfende
Werbung sei Unsinn und Ressourcenverschwendung, die man
verbieten oder zumindest hoch besteuern sollte. Den Anteil der
kompetitiven und mithin unsinnigen Werbung schätzt Kreiß auf
80% oder mehr. Wenn das eingestellt würde, ginge es uns allen
besser. Nur seien diese Einsichten vollkommen in Vergessenheit
geraten.
Besonders schädlich sei dabei die Werbung für Medikamente, da
seien sich praktisch alle unabhängigen Fachleute einig.
Pharmawerbung führe zu einer gezielten Verwirrung und
Untergrabung der evidenzbasierten Medizin. Deshalb sollte man
Medikamentenwerbung verbieten (endlich nicht mehr der Spruch
von den Risiken und Nebenwirkungen, wb).
Fazit von Kreiß: Die allermeiste Werbung führt Verbraucher
gezielt in die Irre.
Besonders bedenklich ist, dass allein in Deutschland etwa eine
Million Menschen für Werbezwecke arbeiten. Da sind ganze
Heerscharen mit den modernen Formen des Leutebescheißens
beschäftigt (Formulierung wb). Außer Belästigung produzieren
die aber nichts, was irgendwer wirklich brauchen kann
(Formulierung Kreiß). Der Autor stellt sich vor, diese
unnötige Arbeit abzuschaffen, dann könnte jeder knapp eine
Woche länger bezahlten Urlaub machen, ohne irgendeinen
Verlust. Da hat er sich gleich zwei mächtige Gegner ausgeguckt
…
Sein Buch „Werbung – nein danke“
Video 6 bittere Fakten über Cola und Co.
Lebenshilfe von wissenbloggt dazu:
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