+ 44 TITELSTORY INDUSTRIESTANDORT SCHWEIZ 9.2016 Härten – aber gekonnt Flammhärten eines Zahnrades bei der Härterei Gerster BIL D: H Ä RT EREI GER S T ER /C A D ER A DE SIGN Bei der Wärmebehandlung von Bauteilen aus Stahl hat die Härterei Gerster jahrzehntelang Erfahrung aufgebaut. Diese Kompetenz teilt das Unternehmen vermehrt mit seinen Kunden. BIL D: H Ä RT EREI GER S T ER TITEL Für das Randschichthärten von Bauteilen setzt die Härterei Gerster u. a. das Laserhärten ein. V iele Konstrukteure wählen für ihre Entwicklungen meist denselben Werkstoff aus. Doch gerade in der Auswahl des geeigneten Werkstoffs und des dazu passenden Härteprozesses steckt viel Potential. Felix Heimgartner, Geschäftsleiter Vertrieb der Härterei Gerster AG, Egerkingen/Schweiz, weiß: „Für Werkstoffauswahl und Wärmebehandlung fehlt schon in der Ausbildung meistens die Zeit“. So werde dann häufig teuer und aufwendig nachbearbeitet. „Das erleben wir viel zu oft“, stellt Heimgartner fest. Um diese Situation zu verbessern, bietet die Härterei Gerster ihren Kunden neu eine systematische Unterstützung bei Werkstoffauswahl und Wärmebehandlung an. Im Idealfall sitzen die Fachleute aus der Schweiz von Anfang an mit im Entwicklungsteam des Kunden und beraten bei Werkstoffauswahl und Wärmebehandlung. Ziel ist es, die Abläufe zu optimieren und zu einem Produkt zu gelangen, das entweder besser oder aber günstiger ist als sein Vorgänger. Erfahrung mit Stahlwerkstoffen und deren Wärmebehandlung hat die Härterei Gerster in sechs Jahrzehnten gesammelt und dabei ein umfassendes Know-How aufgebaut. Seit 1950 ist das Unternehmen in der Härterei- und Wärmebehandlungstechnik aktiv. Heute beschäftigen die Schweizer etwa 100 Mitarbeiter. Dieses Wissen setzt Gerster heute nicht nur für die Wärmebehandlung von Bauteilen, sondern auch in Beratungsprojekten zur Prozessoptimierung oder für maßgeschneiderte Outsourcing-Projekte ein. Diese Leistungen bietet die Härterei für die unterschiedlichsten Branchen an, darunter Maschinenbau, Hydraulik, Antriebstechnik, Automobilindustrie, Medizintechnik, Luftfahrt, Nuklearindustrie sowie Lebensmittelindustrie. Mit etwa 100 verschiedenen Anlagen auf einer Produktionsfläche von 25 000 m2 können sowohl schwere Einzelstücke bis zu 20 t als auch Kleinstteile in Millionenserien behandelt wer- FA K T Die Wärmebhandlung kann neben Zuverlässigkeit und Lebensdauer auch die Korrosionsbeständigkeit oder die Gleiteigenschaften eines Bauteils verbessern. den. Vor allem beim Härten komplexer Teile sieht Heimgartner die Stärken des Unternehmens. Härten verbessert die Eigenschaften Die Wärmebehandlung von Bauteilen erhöht deren Zuverlässigkeit, Lebensdauer und Sicherheit. „Ungehärtet würde es schon klappen, aber nicht lange“, bringt Felix Heimgartner den Nutzen mit einem Augenzwinkern salopp auf den Punkt. Darüber hinaus lassen sich über das Härten weitere Funktionen beeinflussen, darunter Korrosionsbetändigkeit, Magnetismus oder die Gleiteigenschaften der gehärteten Schichten. „Vor allem mit diesen Eigenschaften können sich unsere Kunden einen Vorsprung erarbeiten“, sagt Heimgartner. Der Prozess der Wärmebehandlung ist auf den ersten Blick einfach: erwärmen, abschrecken, entspannen. „Spannend wird es durch die Vielfalt der verschiedenen Verfahren, Bauteile und Werkstoffe“, so Felix Heimgartner. Die unterschiedlichen Verfahrenstechniken umfassen die Hauptgruppen Randschichthärten sowie Ofenverfahren. Beim Randschichthärten wird nur die Randzone des Bauteils gehärtet. Der Bauteilkern behält seine zähen Eigenschaften, die chemische Zusammensetzung bleibt unverändert. Neben dem Induktions- und Flammhärten setzt Gerster bei diesem Verfahren vor allem auf das Laserhärten, das, so Heimgartner, „nach wie vor noch relativ unbekannt“ ist. Dabei erzeugt Ute Drescher Chefredakteurin konstruktionspraxis Ofenverfahren wirken durchgreifend: In der geschlossenen Ofenkammer verändert sich das Materialgefüge entscheidend. ein Hochleistungsdiodenlaser einen präzisen, energiereichen Laserstrahl. Beim Auftreffen des Strahls auf der Werkstückoberfläche erwärmt sich das Material örtlich schnell (> 1000 °C/s) und wandelt sich in einer Tiefe von 0,1 bis 1 mm um. Die Wärmeableitung ins Werkstückinnere bewirkt eine Selbstabschreckung. So entsteht eine gehärtete Spur mit feinstkörnigem Martensit (ein metastabiles Gefüge, das aus dem Ausgangsgefüge entsteht). Die Vorteile des Laserhärtens hat Heimgartner schnell aufgezählt: Das Verfahren ist sehr präzise, lokal begrenzt und verzunderungsfrei, das Teil bleibt also blank. Damit entfallen weitere Bearbeitungsschritte wie das Schleifen und Polieren des Bauteils. Den Vergleich zum Flamm- und Induktionshärten zieht der Vertriebsleiter sehr anschaulich: „Während das Flammhärten die Keule ist, mit der man die größten Tiefen erzielt, ist das Induktionshärten der Hammer im Mittelfeld. Das Laserhärten könnte man in diesem Zusammenhang am ehesten mit einem Skalpell vergleichen“. PRAX IS Dem Zerkratzen ein Ende gesetzt Nach 90 Jahren mit dem gleichen Stahlwerkstoff (1.4301) hat sich Besteckhersteller WMF entschieden, einen neuen Weg zu gehen: Die Wahl fiel auf den Werkstoff 1.4016, der eine hohe Härte bei praktisch gleicher Korrosionsbeständigkeit aufweist, kombiniert mit der Hard-Inox-P-Behandlung, einem Wärmebehandlungsverfahren im Vakuumofen unter Stickstoffpartialdruck, vergleichbar mit dem Einsatzhärten. Von Anfang an war klar, dass die Serienproduktion der Teile in einem bestehenden Werk in Asien stattfinden würde. WMF und Gerster starteten nach der Prozessentwicklung ein Contracting-Projekt, mit dem Ziel, den kompletten Härteprozess ins bestehende chinesische Werk zu implementieren. Nach einer Projektdauer von rund zwei Jahren vom Kick-Off bis zur Schulung der asiatischen Mitarbeiter sowie der Inbetriebnahme der Anlage, blickt WMF seither auf eine störungsfreie Produktion zurück. 9.2016 BIL D: U. D RE S CHER / KO NS T RUK TIO NSPR A XIS TITELSTORY INDUSTRIESTANDORT SCHWEIZ BIL D: H Ä RT EREI GER S T ER 55 „Mit unseren neuen Angeboten, Kunden schon während der Entwicklung oder beim Aufbau von Wärmebehandlungsprozessen zu beraten, machen wir gute Erfahrung“, berichtet Felix Heimgartner, Geschäftsleiter Vertrieb bei Gerster. Im Gegensatz zum Randschichthärten wirken die Ofenverfahren durchgreifend: Das gesamte Bauteil wird in einer geschlossenen Ofenkammer auf Behandlungstemperatur gebracht. Dabei kommt es zu den entscheidenden Gefügeumwandlungen. „Diesen Prozess müssen Sie extrem gut beherrschen“, erklärt Heimgartner. Denn ob die gewünschte Härte erreicht wurde, lässt sich schwer messen: „Die Oberflächenhärte können Sie zwar überprüfen, aber wie tief sie reicht oder wie die Gefügestruktur im tiefen Inneren des Bauteils aussieht, ist kaum messbar“. Beratung und Contracting im Angebot Dass auch für diese Prozesse viel Know-how und Erfahrung gefragt sind, erfährt mancher Kunde schnell am eigenen Leib. Denn vor allem Kunden, deren Auftragsvolumen bei der Härterei Gerster eine gewisse Summe überschreitet, überlegen sich, die Wärmebehandlung selbst durchzuführen. „Sie wissen meist nicht, was sie tun“, warnt Heimgartner. Denn neben dem erforderlichen Prozess-Know-how kommen anfangs zu den Kosten für einen Ofen noch eine Reihe weiterer hinzu, etwa für eine Waschanlage, eine Ammoniak-Versorgung, einen Kühlwasserkreislauf, eine größere Stromversorgung und Laboreinrichtungen. Wer sich von diesen Investitionen nicht abschrecken lässt, dem bietet die Härterei Gerster seit kurzem mit der Dienstleistung Contracting Unterstützung an. Je nach Beratungsvertrag kümmert Gerster sich darum, den Wärmebehandlungsprozess beim Kunden so aufzubauen, dass er auch dort wie gewohnt funktioniert. Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Dienstleistungsangebot der Härterei Gerster – sowohl mit entwicklungsunterstützender Beratung als auch mit dem Contracting – sind sehr positiv, berichtet Felix Heimgartner: „Unsere Kunden müssen etwas besser machen am Markt. Und das geht nur, wenn alle an einem Tisch sitzen“. Die Härterei Gerster jedenfalls ist darauf vorbereitet. (ud) www.gerster.ch
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