SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Die Grenzen des Erlaubten (Folge 8) Umweltethik Warum wir die Natur schützen wollen Von Dirk Asendorpf Sendung: Samstag, 17. September 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Detlef Clas Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen: Radio Akademie können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Die Manuskripte von SWR2 Wissen: Radio Akademie gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. 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Seit 500 Jahren wird die Insel nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt, seit 1936 steht sie unter Naturschutz. Immer wieder geht der Blick vom Steilufer weit hinaus über die Ostsee, davor dehnt sich ein einsamer Sandstrand. Die Insel Vilm – zweieinhalb Kilometer lang und 600 Meter breit – ist einer der ganz wenigen Orte in Deutschland, an denen Wildnis erlebt werden kann. Cut 3: Hans Dieter Knapp (Atmo Laubfrosch) – Mit Stille, das wird von Gästen aus Großstädten und Ballungsräumen mit Erstaunen und Verwunderung wahrgenommen, dass es einen Ort gibt, an dem nur natürliche Geräusche vorkommen. Und eine andere Überraschung ist die Dunkelheit der Nacht, die Tiefe des Himmels und des Funkelns der Sterne, was in Großstädten ja auch kaum mehr möglich ist. Cut 4: Insel-Atmo bei Sonnenaufgang, Tiergeräusche Sprecherin: Wildnis war in der Menschheitsgeschichte über lange Zeit vor allem bedrohlich. Dort musste mit gefährlichen Tieren, giftigen Pflanzen und plötzlichen Unwettern gerechnet werden. Die positive Sicht auf ungezähmte Natur und der Wunsch nach ihrem Schutz sind recht neu und eng mit der Verstädterung verbunden. 1 Sprecherin: Heute ist die Wildnis weitgehend verschwunden, und Umweltschutz ist weltweit zur Modeforderung geworden. Doch umstritten ist, ob die Natur vor den Menschen oder für die Menschen geschützt werden soll. Ist ihre Bewahrung ein Wert an sich oder sollen Tiere, Pflanzen, Mikroben, Landschaften, Meere und Atmosphäre erhalten bleiben, um als sogenannte Ökosystemdienstleistung nachhaltig, also möglichst effizient von uns genutzt zu werden? Dürfen wir die Umwelt dafür mit moderner Technik umfassend nach unseren Vorstellungen gestalten? Schon kursiert der Begriff vom Anthropozän für die heutige Epoche der Erdgeschichte. Und wie passt eigentlich unser persönliches Verhalten zu unserer Naturliebe? Cut 5: Atmo Gruppe, Erläuterung von Hans Dieter Knapp We have sea eagle as a predator. How big are they? Giant, uhhh One of the largest ... Sprecher: Seeadler brüten am äußersten Ende der Insel Vilm, dort ist sie für Menschen komplett gesperrt. Trotzdem handelt es sich bei der völlig in Ruhe gelassenen Natur nicht um Wildnis im engeren Sinne. Der Kieler Philosoph und Umweltethiker Konrad Ott: Cut 6: Konrad Ott Man muss unterscheiden zwischen primärer, absoluter Wildnis – das sind Gegenden, da war noch nie ein Mensch. So etwas gibt es heute praktisch nicht mehr. Dann gibt es Formen von relativer Wildnis, da waren schon mal Menschen, sie prägen das Naturgeschehen in diesen Landschaftsräumen aber nicht entscheidend. Dann gibt es aber natürlich auch sogenannte sekundäre Wildnis. Da zieht sich der Mensch aus ehemals genutzten Gebieten zurück und überlässt das Gebiet der freien Naturdynamik. Und dann stellt sich innerhalb Hundert oder 200 Jahren ein Zustand ein, der dann als sekundäre Wildnis bezeichnet werden kann, obwohl der kundige Ökologe immer noch Spuren menschlichen Einflusses nachweisen kann. Sprecherin: Derartige sekundäre Wildnis gibt es weltweit recht häufig – und nicht nur in ausgewiesenen Schutzgebieten wie der Insel Vilm. Auch aufgelassene Bergalmen gehören dazu, überwucherte Terrassenfelder in Südeuropa oder renaturierte Moore in Nordeuropa. Und sekundäre Wildnis – das erscheint zunächst überraschend – findet sich auch mitten im brasilianischen Regenwald. Cut 7: Atmo Bootsmotor startet und tuckert los Sprecher: Eine Bootsfahrt auf dem Rio Guamá, einem Nebenfluss des Amazonas. Auf beiden Seiten des braunen Wassers undurchdringliches Grün – absolute Wildnis, so scheint es. Doch dann ragt plötzlich ein grob gezimmerter Bootssteg in den Fluss. Ein Quilombo ist hier im Wald versteckt, eine kleine Siedlung. Ein Trampelpfad führt zu strohgedeckten Holzhäusern, die sich unter das gewaltige Blätterdach ducken. Daneben sprießen auf einer kleinen Lichtung üppig grüne Maniokpflanzen. Dünger 2 ist nicht nötig, der Boden ist fruchtbar. Terra Preta – Schwarzerde – wird er genannt. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass zehn Prozent Amazoniens mit dem humusartigen Material bedeckt sind. Dabei handelt es sich um Hunderte Jahre alte Überreste von Siedlungsabfällen. [Die Biologin Dirse Kern leitet eine Wissenschaftlergruppe, die im nordostbrasilianischen Belém die Zusammensetzung und Herkunft der Schwarzerde untersucht. Cut 8: Dirse Kern Osos, cabelos ... e esteiras, de redes etc. Übersetzerin: Knochen, Tierhaare, verschiedene tierische Abfallprodukte, die dafür sorgen, dass wir chemische Elemente finden wie Magnesium, Phosphor, Kalzium und Kalium. Zink und Mangan, die auch in hohen Konzentrationen in der Schwarzerde enthalten sind, stammen offenbar aus Pflanzenresten, von Palmen, Kokosnüssen, Samen, von allem, was in die Siedlung hineingebracht wurde für die täglichen Aufgaben. Alles, was bei der Zubereitung des Essens, beim Bau der Häuser, der Dächer, der Möbel, beim Weben der Hängematten usw. angefallen ist.] Sprecher: Schon lange vor Ankunft der ersten Europäer muss die scheinbar so wilde Natur am Amazonas also besiedelt gewesen sein. Der Agraringenieur Nestor Kämpf: Cut 9: Nestor Kämpf As evidencias mostra ... talvez maior do que isso. Übersetzer: Große Gebiete des amazonischen Regenwaldes sind offensichtlich gar kein Urwald. Es ist ein von Menschen beeinflusster Wald, geprägt durch Jahrhunderte land- und forstwirtschaftlicher Nutzung, die von den europäischen Eroberern jäh unterbrochen wurde. Konservative Schätzungen gehen von rund sechs Millionen Bewohnern aus, vielleicht sogar noch mehr. Cut 10: Atmo Greenpeace-Reklamefilm „Save the Forest“ Wir Affen sind auf den Urwald angewiesen, ohne ihn sterben wir. (Motorsäge) ..., Sprecherin: Es gibt viele gute Gründe, den Regenwald zu schützen. Doch um primäre Wildnis, einen Urwald, von dem auch dieser Reklamefilm einer Umweltorganisation spricht, handelt es sich keineswegs. Cut 10 wieder hoch: Tiere können sich nicht gegen die Urwaldzerstörung wehren. Aber Sie! Unterstützen Sie Greenpeace im Kampf gegen die Abholzung der letzten Urwälder. Sprecherin: Naturschutz ist eine recht neue Idee. Entstanden ist sie nicht etwa im dicht besiedelten Europa, sondern in den USA. Altgriechische und römische Städte, mittelalterliche Schlösser und Burgen, klassische Theater und Museen – all das gab 3 es in dem noch im 19. Jahrhundert kaum erschlossenen amerikanischen Westen nicht, wohl aber sehr viel Wildnis. Cut 11: Konrad Ott Das ist der Grand Canyon, das sind die Rocky Mountains, das sind die Prairies. Und man hat eben versucht, Wilderness als ein Identifikationskonzept zu entwickeln und hat dann auch folgerichtig die ersten National Parks schon Ende des 19. Jahrhunderts in Yosemite und Yellowstone eingerichtet. Und weil internationale Naturschutzvereinigungen sehr stark von diesem Wilderness-Gedanken geprägt waren lange Zeit, hat man Wilderness Protection auch zu einer wesentlichen Leitlinie des Naturschutzes erklärt und sie hat sich etabliert auch in Europa. Sprecherin: Inzwischen haben praktisch alle Staaten der Welt Naturschutzgesetze. Das UNUmweltprogramm UNEP führt seit 1961 eine Liste, darauf stehen derzeit über 200.000 Schutzgebiete in 193 Ländern und internationalen Meeresgebieten. Zwar ist das Schutzniveau sehr unterschiedlich und wird oft auch nicht ausreichend kontrolliert. Doch die Ausdehnung ist beeindruckend: über 30 Millionen Quadratkilometer sind in irgendeiner Weise geschützt, das entspricht der dreifachen Fläche Europas. Cut 12: Atmo Demo gegen den Nationalpark Schwarzwald Sprecher: Eines der jüngsten Schutzgebiete auf der UNO-Liste ist der Nationalpark Schwarzwald. Gegen seine Einrichtung zum 1. Januar 2014 gab es erbitterten Protest. Die Opposition aus CDU und FDP stimmte im Landtag fast geschlossen dagegen und eine Bürgerinitiative kämpfte unter dem Slogan. „Unsere Heimat darf keine Wildnis werden“. Cut 12: wieder hoch Sprecher: In dem Konflikt ging es nicht – wie manchmal andernorts – um Einschränkungen für die Industrie und mögliche Arbeitsplatzverluste. Im Schwarzwald standen sich auf beiden Seiten erklärte Freunde der Natur gegenüber. Wenn die Region so schutzwürdig ist, so die Bürgerinitiative, dann haben die Schwarzwaldbewohner ihre Umwelt ja offenbar über Generationen sehr pfleglich behandelt. Auf einer Anhörung erklärte der Bad Wildbader Pfarrer Stefan Itzek: Cut 13: Stefan Itzek Auch die Gegner des Nationalparks sind Bewahrer der Schöpfung. Sie lieben ihren Wald und wollen die Artenvielfalt. Die Menschen leben hier in einem beispielhaft guten Einklang mit ihrem Kulturwald. Auch ein gepflegter und geliebter Kulturwald trägt zur Bewahrung der Schöpfung bei. (Applaus) Sprecherin: Der Umweltethiker Konrad Ott kennt diese Konfliktlinie auch aus anderen Auseinandersetzungen um Naturschutzgebiete: 4 Cut 14: Konrad Ott Man spricht da von einem Akzeptanzkrater: Also direkt im Gebiet und am Rande des Gebietes ist der Protest groß, Grund dafür ist das Verbot der stofflichen Nutzung. Die Leute haben Angst, dass sie keine Beeren mehr sammeln dürfen, dass sie keine Pilze mehr sammeln dürfen, dass sie nicht mehr angeln dürfen, dass der Tourismus reglementiert wird usw. usw. Dann sieht man aber auch: Je weiter man außen rum geht, um so größer wird auch die Zustimmung. Nur direkt da, wo die Einschränkungen auch spürbar sind, ist in der Regel mit Protest zu rechnen. Sprecherin: Wildnis ist nur dann wirklich schön, wenn man ihr nicht im Alltag ausgesetzt ist. Anwohner von unter Schutz gestellten Mooren können ein Lied davon singen, was es bedeutet, in direkter Nachbarschaft eines naturnahen Feuchtgebiets zu leben. Cut 15: Konrad Ott Man hat immer Angst vor nassen Kellern. Was vielleicht noch schlimmer ist: Wiedervernässung heißt häufig auch Mückenplage. Und wenn die Leute dann sagen: Wir können im Sommer nicht mehr auf der Terrasse sitzen, das ist unerträglich, und dann bedeutet das einen Verlust an Lebensqualität, und dann fragen die Leute natürlich auch: Warum machst Du da diese Moorwiedervernässung? Und auch der Tourismus wird nicht gerade gefördert wenn es heißt, das ist im Sommer ein einziges Mückengebiet. Da kann ich die Leute schon verstehen. Sprecherin: Natur Natur sein lassen – dieses Motto hat sich der Nationalpark Bayerischer Wald gegeben, Deutschlands größtes Wildnisgebiet. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von Prozessschutz: Die Abläufe der Natur werden vor jedem menschlichen Eingriff geschützt – egal, welche Konsequenzen das hat. Bricht eine Borkenkäferplage aus, lässt man die Bäume sterben. Und wenn es brennt? Cut 16: Atmo Waldbrand Sprecherin: Weltweit drei bis vier Millionen Quadratkilometer Wald und Buschland gehen jedes Jahr in Flammen auf, das entspricht der zehnfachen Fläche Deutschlands. Oft haben Menschen das Feuer absichtlich in Gang gesetzt, um mit Brandrodung neue Felder zu gewinnen oder bestehende mit Asche zu düngen. Doch manchmal setzt auch ein Blitz die Vegetation auf ganz natürliche Weise in Brand. Cut 17: Johann Goldammer Das Feuer hat seinen angestammten Platz auf der Erde. Mutter Erde ist ein Feuerplanet, das dürfen wir nicht übersehen. Sprecher: Johann Goldammer leitet das Global Fire Monitoring Center, eine Datenbank mit Sitz am Freiburger Flughafen. Im Auftrag der UNO sammelt sie weltweit alle Informationen über Wildfeuer aus Gegenwart und Vergangenheit. Cut 18: Johann Goldammer 5 Wenn wir in der Evolution zurückschauen und finden beispielsweise in Kohleflözen Nordamerikas eingebettete Holzkohle – das sind Überbleibsel von Vegetationsbränden aus prähistorischer Zeit, das geht also bis zu 400 Millionen Jahre zurück. Oder dann schauen wir in die Jahresringe von Bäumen rein, wo sich auch Feuersignale eingebrannt haben. Dann wissen wir, dass es diese Brände immer gegeben hat. Sprecherin: Ginge es streng nach den Regeln des Prozessschutzes, dürfte ein Waldbrand folglich nicht gelöscht werden. Denn das wäre ja ein menschlicher Eingriff in die natürlichen Abläufe. Doch was ist, wenn das Feuer zum Totalverlust des Naturschutzgebietes führt? Oder sollte danach unterschieden werden, wie das Feuer entstand? Cut 19: Konrad Ott Natürlich wäre es komisch zu sagen: Wenn der Blitz den Waldbrand verursacht, dann lassen wir’s mal munter brennen, aber wenn’s ein Zigarettenstummel gewesen ist, also anthropogen, dann laufen wir sofort und löschen. Das wäre auch irgendwie kurios. Der Naturschutz ist nicht ohne Widersprüche. Und wenn man einen Naturschützer eines Widerspruchs überführen will, dann wird man immer fündig. Und wer möchte, dass es in der Umweltethik immer ganz glatt geht, der hat wahrscheinlich die Umweltethik nicht wirklich verstanden. Es geht nie glatt auf. Cut 20: Waldatmo, Vogelgezwitscher Sprecherin: Das gilt auch für die Biodiversität, also der Vielfalt der Lebensformen. Sie ist eine zentrale Voraussetzung für das Überleben von Flora und Fauna in einer Welt, die sich – derzeit noch zusätzlich angeheizt vom Klimawandel – schnell ändert. Weit über tausend verschiedene Baumarten finden sich in den Regenwäldern der Tropengürtel Südamerikas, Afrikas und Asiens, ihr Schutz bewahrt auch diesen enormen Schatz an Biodiversität. Doch in Europa sinkt die Artenvielfalt, wenn die Natur sich selbst überlassen bleibt. Cut 20: Waldatmo kurz hoch Sprecher: Hier ist das besonders gut zu sehen. Der Hasbruch, ein Wald vor den Toren Bremens, besteht aus zwei Teilen: einem bewirtschafteten Nutzwald und einem sich selbst überlassenen Gehölz, dem sogenannten Urwald. Genau dazwischen liegt der Hohenbrückner Weg, ein Lieblingsplatz des Revierförsters Jens Meier: Cut 21: Jens Meier Auf der rechten Seite haben wir hier den Urwald, seit 150 Jahren unbewirtschafteter Wald. Und auf der anderen Seite haben wir unseren lichten Eichenwirtschaftswald. Sprecher: Eichen brauchen viel Licht. Ohne Unterstützung des Försters würden die bei Naturfreunden so beliebten Bäume hier gar nicht überleben. [Das ist gut auf der anderen Seite des Weges zu sehen.] 6 Cut 22: Jens Meier Im Naturwald sehen wir, dass die Eichen von Hainbuchen überwachsen werden und wirklich umgebracht werden, sie sterben ab und es kommen auch keine neuen Eichen nach. Man sieht nur Buchen, nur junge Buchen und keine einzige Eiche. D.h., wenn wir den Eichenwald erhalten wollen auf über 400 Hektar, müssen wir was tun. Wir müssen der Eiche helfen, wir müssen Buche entnehmen, wir müssen Hainbuche entnehmen und wir müssen auch Eiche nachpflanzen, weil von alleine kommt sie nicht. Sprecher: Das Ergebnis der forstwirtschaftlichen Bemühungen ist ein lichter Mischwald, der viele Vogel- und Insektenarten anzieht. Auch optisch entspricht er viel eher unserem Idealbild eines schönen Waldes als das düstere Gestrüpp auf der anderen Seite des Weges. Cut 23: Atmo Harvester im Wald, Säge Sprecherin: Bevor die Menschen begonnen haben, den mitteleuropäischen Wald nach ihren Bedürfnissen zu verändern, bestand er vor allem aus Buchen. Und in diesen Zustand würde er ohne Bewirtschaftung nach einigen Hundert Jahren auch wieder zurückfallen. Cut 24: Konrad Ott Wildnis bedeutet nicht automatisch höhere Biodiversität. Sie finden in vielen Halbkulturformationen eine sehr viel höhere Artenanzahl. Wenn Sie Biodiversität maximieren müssen, dann brauchen Sie Offenlandgebiete, dann dürfen Sie jetzt hier nicht der Waldentwicklung alles geben. Cut 25: Atmo Harvester, Baum fällt Sprecher: Das Konzept der Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft. Es bedeutet nicht, den Wald in Ruhe wuchern zu lassen. Ein nachhaltig bewirtschafteter Wald ist einer, aus dem viel Holz entnommen wird, aber immer nur so viel, dass er auf Dauer erhalten bleibt. Viel Fachkenntnis ist dafür erforderlich. Wenn Jens Meier die roten Markierungen an die Bäume bringt, die demnächst gefällt werden sollen, dann guckt er dabei nicht nur nach oben. Cut 26: Jens Meier Da unten der Waldboden, das ist unser wichtigstes Gut. Die Humusschicht ist wirklich superdünn, wenn wir hier einmal kratzen (Atmo), dann ist hier schon Ende nach wirklich ein paar Zentimetern, und dann bin ich hier schon im gewachsenen Boden drin. Da entnehme ich wirklich wenig und gucke zu, dass der Humus besser wird, indem ich auch Laubbaumarten einbringe dort eben halt. Der Wald braucht ja auch, um gesund zu sein, braucht er auch einen Totholzanteil im Wirtschaftswald, den braucht er natürlich auch. Cut 27: Waldatmo 7 Sprecherin: Die komplexen Kreisläufe der Natur sind die Grundlage für alles Leben auf der Erde. Sie sorgen für den Sauerstoff in der Luft, stellen Nahrung, Medikamente und Rohstoffe zur Verfügung. Ökonomen sprechen auch von Ökosystemdienstleistungen und berechnen ihren Wert in Euro und Cent. Allein die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Bienen, Wespen, Fliegen und Käfer schlägt dabei mit 150 Milliarden Euro im Jahr zu Buche. Der jährliche Gesamtwert aller Ökosystemdienstleistungen wird auf über 50.000 Milliarden Dollar geschätzt – und damit auf etwa die gleiche Höhe wie die gesamte globale Wirtschaftsleistung. Cut 28: Atmo Trecker Sprecherin: Entsprechend groß ist die Sorge um den Verlust dieses von der Natur ja kostenlos zur Verfügung gestellten Wertes. Seit dem ersten Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung, der 1992 in Rio de Janeiro stattfand, hat sich eine globale Sichtweise auf die Erhaltung der irdischen Lebensgrundlagen durchgesetzt. Die Menschheit hat die Erde inzwischen weitgehend geprägt, also ist sie jetzt auch für ihren Schutz verantwortlich. Wir leben in der Epoche des Anthropozän. Cut 28: Atmo Trecker kurz hoch Sprecherin: Erstes Ergebnis dieser globalen Sicht war das weltweite Verbot von Fluorkohlenwasserstoffen. Tatsächlich schließt sich das damals von den Chemikalien erzeugte Ozonloch langsam wieder. Mit ihrem Weltklimarat und den jährlichen Klimagipfeln versucht die UNO diese Erfolgsgeschichte zu wiederholen. Doch die Senkung der bei jeder Verbrennung fossiler Energie entstehenden Treibhausgasemissionen ist weit schwieriger zu bewerkstelligen als das Verbot einer relativ leicht zu ersetzenden Chemikalie. Cut 29: Atmo Industriemaschine Sprecherin: Wenn die Emissionen unaufhaltsam steigen, dann muss die Erde eben auf andere Art und Weise abgekühlt werden. Das ist die Idee des sogenannten Climate Engineering. Ein erster Vorschlag dafür kam von Paul Crutzen, als Entdecker des Ozonlochs mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Flugzeuge könnten große Mengen Schwefelpartikel in der Stratosphäre verteilen und damit – in einer Art künstlichem Vulkanausbruch – die Sonnenstrahlung abschirmen. Cut 30: Atmo Climate Engineering Tagung Sprecher: Die weltweit erste große Konferenz zum Thema Climate Engineering fand im Sommer 2014 statt. Über 350 Teilnehmer aus 40 Ländern waren dafür nach Berlin gekommen, darunter Jesse Reynolds, Professor für internationales Umweltrecht an der niederländischen Universität Tilburg: 8 Cut 31: Jesse Reynolds Climate change presents serious risks to the environment and especially to poor and already vulnerable people. That’s what’s on the line. And if climate engineering in fact holds a potential that modelling has shown so far, then it offers an additional tool, not a replacement, not a solution, not a fix, but an additional tool to help to reduce risk. Übersetzer: Der Klimawandel bedeutet eine große Gefahr für die Umwelt und insbesondere für arme und schutzlose Menschen. Darum geht es. Und wenn Climate Engineering tatsächlich das Potenzial hat, das Modellrechnungen zeigen, dann stellt es ein zusätzliches Mittel, keinen Ersatz, keine einfache Lösung, wohl aber ein zusätzliches Werkzeug bereit, um die Gefahr zu verringern. [Sprecher: Mit dieser Überzeugung war Reynolds in Berlin allerdings ziemlich allein.] Sprecherin: Vor allem drei Gründe sprechen gegen Climate Engineering. Die Hoffnung auf eine technische Lösung könnte die politischen Anstrengungen für die Treibhausgasreduktion unterlaufen. Die Methoden der Klimaklempner könnten, wenn sie denn im großen Maßstab angewendet würden, unbeherrschbare Nebenwirkungen entfalten. Und sie müssten über Jahrhunderte zuverlässig aufrechterhalten werden, denn ihr plötzliches Ende würde zu einem nicht mehr verkraftbaren Temperatursprung führen. Sprecher: Schon erste kleine Experimente sind deshalb äußerst umstritten. Dieter-Wolf Gladrow hat das persönlich erlebt. Der Bremerhavener Physiker war an zwei von drei Forschungsprojekten beteiligt, mit denen deutsche Wissenschaftler bisher Climate Engineering Techniken erprobt haben. Es ging um die Eisendüngung nährstoffarmer Regionen des Ozeans mit dem Ziel, eine künstliche Algenblüte auszulösen. Der Kohlenstoff, den die Pflanzen dabei aus der Atmosphäre aufnehmen, sollte langfristig unter Wasser bleiben, wenn die Algen nach ihrem Absterben auf den Meeresboden sinken. Doch die Experimente, und das ist der vierte Grund gegen Climate Engineering, haben gezeigt, dass die kühne Phantasie und die nackte Realität weit voneinander entfernt sind: Cut 32: Dieter-Wolf Gladrow Wenn man ganz optimistisch ist, dann kann man vielleicht maximal zehn Prozent der jetzigen Emissionen mit der Eisendüngung abtransportieren. Das ist aber eine ganz optimistische Rechnung. Realistisch ist ein kleinerer Teil davon, also einige Prozent von den Emissionen. Und dafür müsste man aber riesige Gebiete düngen. Und das zeigt schon, dass die Eisendüngung gegen die Emissionen, die wir jetzt haben, nicht anarbeiten kann. [Sprecher: Ähnliches gilt auch für die anderen Vorschläge, die bisher für das Climate Engineering diskutiert werden: Cut 33: Dieter-Wolf Gladrow 9 Viele der Methoden funktionieren entweder gar nicht oder sie haben ein geringeres Potenzial als ursprünglich gedacht. Und darum halte ich auch diese Forschung für wichtig, dass man einfach sieht: Was sind wirklich die Optionen? Ob man die dann nachher anwendet oder nicht, das steht noch auf ner anderen Seite. Aber man sollte erst mal die Optionen kennen und dabei kommt eben raus, dass man bestimmte Optionen eben auch gar nicht hat, die einem suggeriert werden von bestimmten Optimisten.] Cut 30: Atmo Climate Engineering-Tagung, kurz hoch Sprecherin: Mit technischen Mitteln allein sind die globalen Umweltschäden nicht zu reparieren. Diese Erkenntnis lenkt den Blick zurück auf unser eigenes Verhalten. Und das ist häufig von einem merkwürdigen Widerspruch geprägt: Wir wissen was falsch ist – und tun es trotzdem. Fliegen, Autofahren, Tiefkühlpizza aufbacken oder Unkrautvernichtungsmittel spritzen: Mit moderner Technik führen wir ein bequemes Leben auf Kosten der Natur. Schutzgebiete – auch das ist eine ihrer Aufgaben – sollen uns zum Umdenken motivieren. Dafür müssen sie allerdings zugänglich bleiben. In der Praxis bedeutet das eine schwierige Gratwanderung. Der Umweltethiker Konrad Ott: Cut 34: Konrad Ott Die Natur ist ja per se, an sich, etwas Unreguliertes. Und wenn wir Naturschutz betreiben, müssen wir Regelwerke einführen und müssen Menschen dazu bringen, die Regeln zu befolgen. Man könnte sagen: Das ist ja auch so eine dialektische Widersprüchlichkeit, die mit Naturschutz zusammenhängt. Warum darf ich gerade im Nationalpark nicht den Weg verlassen, was ich in jedem anderen Waldgebiet darf. Ich gehe gerne mal vom Wege ab, aber ausgerechnet dort, im Nationalpark, herrscht Wegegebot, das ist wieder eine Regel. Cut 35: Atmo Gruppe läuft durch den Wald, Vögel zwitschern, vietnamesische Stimmen Sprecher: Auch auf der kleinen Insel Vilm gilt ein Wegegebot und die Zahl der Tagesbesucher ist auf maximal 30 begrenzt. Dazu kommen die Gäste der Naturschutzakademie. Eine davon ist Cam Nhung, Morgenmoderatorin im vietnamesischen Staatsfernsehen. Ihre Inselerfahrung zeigt die erwünschte Wirkung – auch wenn Nhungs goldene Stoffschühchen am Ende des Rundgangs durch den Naturwald ruiniert sind: Cut 36: Pham Cam Nhung I really like this island. This is the first time I have seen such and old biosphere reservation. And I wish that in the world there would be more and more nature reservation like this. We can develop the economy but we should spare some profit of the economic development to preserve this kind of nature. Übersetzerin: Ich bin wirklich begeistert von der Insel. Ich bin zum ersten Mal in so einem alten Biosphärenreservat. Und ich wünsche mir, dass es immer mehr derartige 10 Schutzgebiete auf der Welt gibt. Wir können die Wirtschaft weiterentwickeln, aber wir sollten etwas von dem Profit dafür abzweigen, solche Natur zu bewahren. Cut 37 Atmo: Schöffel-Reklame „An alle High-Potentials und Key-Performer, Global Player und Opinion-Leader...“ Sprecher: Windjacke anziehen, Rucksack aufsetzen und dem Sonnenuntergang entgegen wandern. In der Reklame ist die Aussöhnung mit der Natur ganz einfach. Cut 37: Atmo Schöffel Reklame wieder hoch „... an all Euch Meilen-Millionäre: Macht erst mal ohne mich weiter.“ Sprecher: In der Praxis ist die Sache komplizierter. Da geht es nicht um den schnellen radikalen Ausstieg, sondern um die mühsame Veränderung unserer alltäglichen Lebensweise. Doch auch das ist möglich. Davon ist der Umweltethiker Konrad Ott überzeugt: Cut 38: Konrad Ott Ich glaube, dass man mit intelligenten Verbindungen aus technologischen Innovationen, moderaten Verhaltensveränderungen und richtigen Regulierungen unserer Landnutzungssysteme sehr, sehr viel erreichen kann – und zwar so, dass keiner sagen kann: Das überfordert mich jetzt definitiv. Sprecherin: Technik spielt eine wichtige Rolle, aber ohne Verhaltensänderungen ist eine umweltverträgliche Lebensweise im Anthropozän unmöglich. Jeder kann einen Beitrag dazu leisten: Cut 39: Konrad Ott Wenn 80 Prozent der Bevölkerung nur noch halb so viel Fleisch essen würden und nur noch halb so viel fliegen würden, dann wäre das in jedem Fall besser als wenn 10 Prozent der Bevölkerung oder weniger versuchen, da individuelle Verzichtsrekorde aufzustellen und zu zeigen: Es geht mit noch weniger. Jeder sollte im Grunde einen Beitrag leisten und nicht nur ne kleine Minderheit – was dann auch doof ist, weil diese kleine Minderheit, die fühlt sich dann manchmal auch als was Besseres, die werden dann so selbsternannte Eliten, die auf die anderen nur noch hinabblicken. Also: Alle ein bisschen – oder vielleicht auch manchmal ein bisschen mehr! *** 11
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