Sehr geehrte Damen und Herren,

«DCOR»
PRESSEMITTEILUNG
Viszeralmedizin 2016
Darmkrebs ist nicht gleich Darmkrebs:
Tumoren sind so individuell wie ein Fingerabdruck
Hamburg, 22. September 2016 – In Deutschland erkranken jährlich etwa
60 000 Menschen an Darmkrebs. Vorsorge und Therapie der Erkrankung
haben sich in den letzten Jahren enorm verbessert. Die Therapie der Zukunft
wird sich an neuesten Erkenntnissen über den molekularen Aufbau von
Darmkrebs-Tumoren orientieren. Denn immer mehr Untersuchungen zeigen,
dass sich die Krebsgeschwulste von Patient zu Patient stark unterscheiden –
und dass diese Unterschiede Einfluss auf Verlauf, Therapie und Prognose der
Erkrankung haben. Auf der heutigen Pressekonferenz anlässlich des
Kongresses Viszeralmedizin 2016 erläutern Experten, wie sich die Behandlung
von Darmkrebs verändert hat und weiter verändert.
Heute wird Darmkrebs anhand der sogenannten TNM-Klassifikation einschließlich des sogenannten histologischen Gradings – also nach Kriterien wie
etwa Größe, Aggressivität und Ausdehnung des Tumors oder dem
Vorhandensein von Metastasen – in bestimmte Stadien eingeteilt. Therapie und
Prognose orientieren sich daran. „Es zeigt sich allerdings immer deutlicher, dass
diese Einteilung zu kurz greift“, sagt Professor Dr. med. Bertram Wiedenmann,
Kongresspräsident der Viszeralmedizin 2016 und Direktor der Medizinischen
Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie an der Charité
Berlin. „Denn wir wissen inzwischen, dass Darmkrebs eine sehr heterogene
Erkrankung ist. Der individuell unterschiedliche molekulare Aufbau von
Tumoren hat großen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, was dazu führt,
dass sich auch die Therapie zunehmend danach ausrichtet.“
Etwa bei der Behandlung des fortgeschrittenen nicht-erblichen Darmkrebses:
Hier kamen bislang zwei Antikörper zum Einsatz, die gezielt das Krebswachstum
hemmen sollten. „Heute wissen wir, dass bei manchen Patienten eine
bestimmte Mutation des Tumors vorliegt, die dafür sorgt, dass diese Antikörper
nicht wirken“, erklärt Wiedenmann. „Inzwischen untersuchen wir Tumoren vor
der Behandlung auf diese Mutation hin und setzen die Mittel nur ein, wenn sie
auch wirken können.“ So bleiben Patienten Nebenwirkungen von
Medikamenten erspart, die bei ihnen unwirksam sind.
Auch für Patienten im Frühstadium der Erkrankung zeichnen sich
Veränderungen bei der Therapie ab: Diese Patienten erhalten heute eine
sogenannte adjuvante Chemotherapie. Sie ist dazu da, Krebszellen zu vernichten, die nach der Operation noch im Körper vorhanden sind. „Kürzlich
wurde entdeckt, dass Tumore, die das Protein CDX2 bilden, meist seltener
Metastasen ausbilden. Patienten, die einen solchen Tumor aufweisen, haben
eine deutlich bessere Prognose und benötigen oftmals keine adjuvante
Chemotherapie“, so Wiedenmann. Ein Test auf CDX2 könnte in Zukunft viele
Patienten hinsichtlich ihrer Prognose beruhigen.
Wenn junge Menschen an Darmkrebs erkranken, liegt oftmals eine erbliche
Form der Krankheit vor – etwa das Lynch-Syndrom. Bei diesen Patienten ist der
Darm übersät mit Polypen, Krebsvorstufen, die bei einer Darmspiegelung nicht
alle entfernt werden können. „Bei diesen Patienten sollte der Dickdarm entfernt
werden, um sie vor einem Krebstod zu schützen“, so Wiedenmann. Doch nicht
alle Menschen mit vielen Krebsvorstufen haben ein Lynch-Syndrom. Kürzlich
wurde entdeckt, dass eine Mutation im MUTYH-Gen ebenfalls zu vielen Polypen
im Darm führen kann, aber die Krebsgefahr nicht so hoch ist. „Eine vorsorgliche
Entfernung des Darmes ist bei diesen Patienten nicht notwendig, regelmäßige
Darmspiegelungen könnten ausreichen“, so Wiedenmann.
„Wir gewinnen derzeit enormes Wissen über das Genmuster und die Marker
von Darmkrebs-Tumoren“, so Professor Wiedenmann. „Die Charakterisierung
und Einteilung von Tumoren anhand ihres molekularen Aufbaus weist den Weg
in eine neue Ära der Präzisionsmedizin: Unser Ziel muss es sein – abhängig vom
molekularen Fingerabdruck des Tumors – künftig jedem Patienten eine
maßgeschneiderte Therapie zukommen zu lassen.“
Literatur:
-
Dalerba et al., New Engl. J. Med., 2016, 374, 211-2222, CDX2 as a
Prognostic Biomarker in Stage II and Stage III Colon Cancer
Fakih. J, Clin. Oncol., 2015, 33, 1809-1824 Metastatic Colorectal Cancer:
Current State and Future Directions
Nagaraja et al., Journal of Clinical Oncology, 2015, 33, 1-3 Hitting the
Target in BRAF-Mutant Colorectal Cancer
Phipps et al., Gastroenterology. 2015 , 148(1):77-87 Associtation
between molecular subtypes of colorectal cancer and patient survival.