Hilfsbereitschaft lässt sich steuern

Artikel auch erschienen: Iserlohner Kreisanzeiger
Westfalenpost vom 19.09.2016
Autor:
Harald Ries
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4
Mantel Regional
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WP Lennestadt/Kirchhundem
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Westfalenpost - Zeitung für Lennestadt und
Kirchhundem
Tageszeitung
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„Hilfsbereitschaft lässt sich steuern“
Die Hagener Psychologin Katharina Lotz-Schmitt über empathisches und egoistisches Helfen,
Fremdgruppen und Informationen über Individuen
Von Autor: Harald Ries
Frage: Da gibt es Unterschiede?
Hagen.
Antwort: Wir trennen zwischen dem
empathiebasierten selbstlosen Helfen
und einem mehr am Kosten-NutzenVerhältnis orientierten, sogenannten
egoistischen Helfen. Wir haben festgestellt, dass empathiebasiertes Helfen
umso unwahrscheinlicher wird, je weniger die Hilfsbedürftigen dem eigenen
Kulturkreis anzugehören scheinen.
Unsere Frage war nun: Lässt sich das
verändern, wenn der Fremde positive
individuelle Eigenschaften zugeschrieFrage: Vermutlich hilft man Menschen ben bekommt. Die Antwort: Ja. Trotz
aus dem eigenen Umfeld eher als ande- großer Unähnlichkeit wird dem Fremdren. Stimmt das?
gruppenmitglied aus Empathie geholfen,
wenn es als angenehm, umgänglich und
Antwort: Katharina Lotz-Schmitt: Im vertrauenswürdig wahrgenommen wird.
Prinzip gilt das. Man hilft der eigenen
Gruppe mehr als Fremdgruppen. Das Frage: Was haben Sie genau untersucht?
wird meist biologisch begründet, mit
Arterhaltung und Verwandtschaft. Aber Antwort: Wir haben in einem studentiwenn man genauer hinschaut, stellt man schen Chat Nachbarschaftsunterstütfest: Das ist nicht zwingend so. Es gibt zung für fiktive Neuankömmlinge angeauch andere Situationen.
fragt. Es ging darum, Zeit zu investieren, um persönlichen Zuspruch, darum,
Frage: Welche?
sich emotional einzubringen und mittelbis längerfristig zu engagieren. Und da
Antwort: Die Hilfsbereitschaft für zeigt sich: Wenn wir den HilfsbedürftiFremdgruppen kann höher sein, wenn gen persönlich sympathisch erscheinen
deren Bedürftigkeit höher eingeschätzt lassen, ist die Hilfsbereitschaft aus
wird. Es gibt auch einen umgekehrten Empathie heraus motiviert, und zwar
Rassismus.
auch dann, wenn ein hohes Maß an
Unähnlichkeit gegeben ist. Es wäre noch
Frage: Aber das ist die Ausnahme?
zu klären, ob das auf andere Kontexte
übertragbar ist, ob etwa im studentiAntwort: Die meisten Menschen neigen schen Umfeld andere soziale Normen
grundsätzlich zu einer Angst vor dem gelten. Aber die Ergebnisse decken sich
Fremden. Die gilt es zunächst zu über- im Wesentlichen mit anderen Studien.
winden. Und es gibt verschiedene Stufen von Fremdheit. Schweden fühlen Frage: Und was folgt daraus?
wir uns meist näher als Nigerianern.
Aber im Zentrum meiner Forschung Antwort: Zunächst: Es handelt sich um
stand die Motivation des Helfenden. Grundlagenforschung, nicht um eine
Die Hagener Diplompsychologin und
Psychotherapeutin Katharina Lotz-Schmitt hat an der Fernuniversität ihre Dissertation über die „Einflüsse interkultureller Unähnlichkeit und positiver
Eigenschaften des Hilfeempfängers auf
empathiegeleitetes Helfen“ verfasst. Das
klingt kompliziert, lässt sich aber auf die
Frage reduzieren: Warum helfen Menschen den einen – anderen aber nicht?
anwendungsbezogene. Aber interessant
für die Praxis kann das schon sein, wenn
wir uns fragen, was für die jeweilige
Situation passend ist. Empathisches Helfen muss ja nicht immer gut sein. Um
Windeln zu besorgen und Shampoo zu
verteilen ist das vielleicht nicht unbedingt nötig. Und für professionelle Helfer kann ein Zuviel an Empathie sogar
ungesund sein.
Frage: Was sind denn andere Hilfsmotive?
Antwort: Das kann die persönliche Weiterentwicklung sein, Kompetenz-Zugewinn, Kontakt und Anerkennung. Es
gibt auch Kosten, wenn man nicht hilft:
Beim Unfall vielleicht sogar eine
Anzeige, ansonsten ein Schuldgefühl
oder soziale Ächtung. Es zeigt sich aber,
dass die Hilfe je nach Motiv unterschiedlich ausfällt. Beim empathischen
Helfen gegenüber Fremdgruppen stehen
die tatsächlichen Bedürfnisse der anderen Person vermutlich deutlicher im
Mittelpunkt.
Frage: Wie könnte die Unterstützung für
Flüchtlinge profitieren?
Antwort: Die Unterschiede zwischen
„denen“ und „uns“ können aufgehoben
werden. Offenbar haben wir gegenüber
Fremdgruppen ebenfalls empathische
Gefühle. Dafür müssen aber Hindernisse beseitigt werden. Vielversprechend ist es, einem potenziellen Helfer
Informationen über Eigenschaften der
hilfsbedürftigen Person zukommen zu
lassen. Hilfsbereitschaft ist ein Prozess,
den wir beeinflussen können.
Frage: Ist das eine neue Erkenntnis?
Antwort: Natürlich nicht. Wenn Hilfsor-
ganisationen mit Bildern von großäugigen Kindern werben, wissen sie schon,
was sie tun. Aber wir arbeiten daran,
genauer zu verstehen, wie die Prozesse
ablaufen.
Wörter:
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Bild 1:
Menschen helfen auch Fremden. Der Bild 2:
syrische Flüchtling Obayda Daoud mit Katharina Lotz-Schmitt
seiner Flüchtlingspatin Friedegard
Enders.
Foto: Christoph Schmidt/dpa
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