Sabine Schlotz

Gespräch mit Sabine Schlotz
In Vorbereitung auf unsere Tagung „Schwangerschaftskonflikt und Bindung“ am 21.September 2016 in Wien
sprachen wir mit Sabine Schlotz. Die Psychologin,
Bindungsanalytikerin und Autorin von „Bauchgeflüster“ wird
auf unserer Tagung über „Bindung und Konflikte“ referieren.
In welchem Zusammenhang stehen ein Konflikt in der
Schwangerschaft und eigene vorgeburtliche Erfahrungen?
Sabine Schlotz: „Ich möchte die Frage gerne offener formulieren
und lieber von "kann mit den eigenen vorgeburtlichen
Erfahrungen in Zusammenhang stehen" sprechen. Elternwerden
ist ein langer Prozess, der bereits im Mutterleib beginnt. Nicht
jede werdende Mutter war selbst als Kind geplant und erwünscht.
Eine Schwangerschaft reaktiviert das eigene frühe Erleben. Es
findet quasi eine physiologische Regression statt, was dazu führt,
dass einerseits eigene vorgeburtliche Erlebnisse wiederbelebt
werden, diese aber andererseits den Zugang zur vorgeburtlichen
Welt des eigenen Babys im Bauch eröffnen können. Ein Konflikt
entsteht dort, wo die enge, frühe Verbindung zwischen der
werdenden Mutter und ihrer eigenen Mutter keine ausreichende
Differenzierung erfahren hat und die Identifikation mit den
mütterlichen Empfindungen unbewusst weiterwirkt. Ebenfalls
Konfliktpotenzial birgt der Verlust eines vorgeburtlichen
Zwillings. Viele Schwangerschaften sind als
Zwillingsschwangerschaften angelegt, gehen aber früh in eine
Einlingsschwangerschaft über und bleiben so unerkannt. Auch
diese Erfahrung kann prägenden Charakter haben und das aktuelle
Interview anlässlich der Tagung „Schwangerschaftskonflikt und Bindung“ der aktion leben
österreich am 21. September 2016 in Wien
Schwangerschaftsgeschehen zu einem Szenario um Leben und
Tod werden lassen.“
Wie kann eine schwangere Frau unterstützt werden, eine
Bindung zu ihrem ungeborenen Kind aufzubauen?
Sabine Schlotz: „Die eigenen vorgeburtlichen
Beziehungserfahrungen mit der Mutter bilden den Grundstein für
viele weitere Interaktionserfahrungen im Verlauf der Kindheit und
der Jungendzeit. Die Gesamtheit dieser Erfahrungen kristallisieren
sich zu Verhaltens- und Denkmustern, die die Mutter-FötusBeziehung beeinflussen und diese gestalten.
Jenö Raffai, einer der Gründer der Bindungsanalyse, formuliert es
so: Es sei nicht die werdende Mutter selbst, die den Mama-BabyKontakt konstelliert, sondern der Mutterrepräsentant der
Schwangeren, den sie auf ihrem bisherigen Lebensweg über die
Interaktion mit der eigenen Mutter verinnerlicht habe. Die
Unterstützung muss daher darin bestehen, diesen Zusammenhang
zwischen den eigenen frühen Bindungserfahrungen und der
jetztigen Rollenanforderung herzustellen und der werdenden
Mutter zu ermöglichen, eventuell unbefriedigt gebliebene
Bindungsbedürfnisse aus der eigenen frühen Lebenszeit zu
erkennen und nachzunähren. Hierfür gibt es inzwischen gute
Interventionsansätze wie die vorgeburtliche Bindungsförderung
nach Hidas und Raffai oder das Emotional-Bindungsorientierte
Reframen (EBR), das speziell für die Bearbeitung von
vorgeburtlichen Bindungsthemen entwickelt wurde.“
Interview anlässlich der Tagung „Schwangerschaftskonflikt und Bindung“ der aktion leben
österreich am 21. September 2016 in Wien
Eine Frau fühlt sich durch ihre Schwangerschaft bedroht.
Welche Ursachen kann dieses oft sehr starke Gefühl haben?
Wie kann der Konflikt gelöst werden?
Das Auftreten stark ausgeprägter Gefühle deutet immer auf ein
weit in der Vergangenheit zurückliegendes, belastendes Ereignis.
Fehlten zu diesem Zeitpunkt Schutz und Geborgenheit, konnten
die überwältigenden Empfindungen keine Entlastung finden und
wurden im Körper gespeichert. Die emotionale Wucht, die sich in
dann in einer aktuellen Reaktion zeigt, wird aus dieser frühen
Erfahrungsquelle gespeist, jedoch ohne bewusst zu sein. Die
Quelle der Belastung zu finden, ist ein hilfreicher Teil. Weil
Schwangerschaftskonflikte aber meist vielschichtig sind, bietet es
sich an, neben der Suche nach dem frühen traumatischen Ereignis,
zusätzlich zu schauen, aus welchen Facetten sich das starke
Bedrohungsgefühl zusammensetzt. Dann kann gezielt für jeden
einzelnen Aspekt individuell nach einem Lösungsweg gesucht
werden.
Interview anlässlich der Tagung „Schwangerschaftskonflikt und Bindung“ der aktion leben
österreich am 21. September 2016 in Wien