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Perspektiven_Deutsches Romantik-Museum
Deutsche Bank_r e s u l t s
Der Ort der Sehnsucht
W
Fassadenansicht
des Deutschen RomantikMuseums mit Goethehaus (r.). Der Entwurf
stammt vom Frankfurter
Büro Christoph
Mäckler Architekten
as für eine Zeit! In Paris stürmt das Volk
die Gefängnisse und köpft den König.
In Königsberg feiert Immanuel Kant
Aufklärung und klares Denken. Wenig später über­
zieht Napoleon Europa mit seinen Kriegen, und
das deutsche Staatsgebilde wird innerhalb eines
halben Jahrhunderts dreimal neu aufgeteilt. Die
industrielle Revolution verdrängt viele Handwer­
ker. Und auch in Deutschland tuschelt man über
Aufstand und Veränderung, doch die Gesellschaft
fällt in den bürgerlichen Schlaf des Biedermeiers.
Erst zur sogenannten Märzrevolution Mitte des
19. Jahrhunderts steigt sie auf die Barrikaden. Und
was macht die Kunst? Sie will weg von Kant, weg
vom einseitigen Verstandesdenken. Sie sucht ein
neues Lebensgefühl, jenseits der Vernunft der
Aufklärung. Die Romantiker träumen von großen
Gefühlen, von Fantasie und Sehnsucht, Leiden­
schaft und dramatischem Naturerleben. Goethes
„Werther“ stirbt an der Liebe, Caspar David Fried­
rich schwelgt in dramatischen Landschaften,
Beethoven schreibt die „Mondscheinsonate“ und
die „Schicksalssinfonie“. Und auch die „deutsche
Seele“ wird zum Thema der späteren National­
romantik: Ritterromane erleben einen Boom.
Die Romantik veränderte europaweit das Den­
ken und Fühlen. Doch nirgends erlangte sie eine so
hohe Bedeutung wie in den deutschen Staaten. „In
der weltweiten Wahrnehmung ist Romantik gleich
Deutschland“, sagt die Frankfurter Literaturprofes­
sorin und Romantikexpertin Anne BohnenkampRenken, „Romantik ist integraler Teil des deutschen
Bildes in der Welt.“
Sammlung existiert seit fast 100 Jahren
Doch ausgerechnet dieser Epoche ungefähr zwi­
schen 1790 und 1850 widmet sich noch kein Mu­
seum als Ganzes. Dabei lagert seit fast 100 Jah­
ren die größte Sammlung zur Literatur jener Zeit
mitten in Frankfurt, in den Archiven des Trägers
von Goethes Geburtshaus, dem Freien Deutschen
Hochstift. Tief im Keller, in speziellen Klimakam­
mern verschlossen und bislang nur für Wissen­
schaftler zugänglich, lagert die international
umfangreichste und vielseitigste Sammlung zu
den Schlüsselfiguren der Epoche, von Novalis
ABBILDUNGEN: FREIES DEUTSCHES HOCHSTIFT/ FRANKFURTER GOETHE-MUSEUM; FOTO: DAVID HALL,
FASSADENANSICHT DES DEUTSCHEN ROMANTIK-MUSEUMS: CHRISTOPH MÄCKLER ARCHITEKTEN
Die deutsche Romantik gilt als Revolution des Denkens und Erlebens.
Jetzt entsteht in Frankfurt dazu das erste Museum – auch dank großer
privater Initiative und Spenden aus ganz Deutschland
Lesen erschafft
Welten: Ludwig Emil
Grimm zeichnete
die Schriftstellerin
Bettina Brentano
mit Buch um 1809
Perspektiven_Deutsches Romantik-Museum
Liebe überwindet Kartoffelbrei: Herman Grimm illustriert ein „Fressmärchen von Carl Anbiß“
Die Romantik
warf einen neuen
Blick auf die Welt
Deutsche Bank_r e s u l t s
und Friedrich Schlegel über die Geschwister
Brentano bis zu Joseph von Eichendorff. Allein
800 Briefe Goethes, das Urmanuskript von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und
unzählige weitere Handschriften liegen hier, dazu
hochkarätige Bilder und Gegenstände aus der Alltagskultur. Schon in den 1920er-Jahren war daher
die Idee entstanden, diese Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren, fast 100 Jahre sollte es dauern, bis daraus Wirklichkeit wurde. Und hätten sich
nicht engagierte Politiker, Bürger und Unternehmen dafür eingesetzt, dann würde diese weltweit
einmalige Sammlung wohl noch lange im Dunkeln
schlummern. Nun aber, nach jahrelangem Hin und
Her, ist es so weit: Im Juni erfolgte der erste Spatenstich direkt neben dem Goethehaus, am 28. August
2019, dem 270. Geburtstag des Dichterfürsten, sollen
die Türen aufgehen.
Goethe ist der historische Anfang
Die berühmteste Sammlung
deutscher Volkslieder
stammt aus der Romantik
Handtasche einer
Schriftstellerin: Bettina
von Arnim reiste nur mit
ihrer speziell angefertigten Schreibmappe
Zu sehen gibt es eine Gemälde- und Grafikgalerie
der Goethezeit, darunter auch Bilder etwa von
­Caspar David Friedrich oder Carl Gustav Carus. Darüber hinaus beheimatet das Museum Handschriften und Briefwechsel der wichtigsten Vertreter der
Romantik. Und auch der Dialog zwischen Goethe
und den Romantikern wird zum Thema. „Goethe“,
sagt Professorin Bohnenkamp-Renken, die schon
heute das Goethehaus leitet und nun auch das Romantik-Museum führt, „ist historisch der Anfang.“
Zum Goethehaus gehört ein eigenes Forschungsinstitut, aktuell entsteht gerade ein Online-Auftritt,
in dem sich anhand zahlreicher Manuskripte verfolgen lässt, wie Goethe am „Faust“ gefeilt und
gearbeitet hat – und das über 60 Jahre lang.
Es sind ohne Zweifel kostbare Stücke, doch
Urschriften oder Reisetaschen großer deutscher
Dichter und Denker auszustellen klingt in unserer
reizüberfluteten Immer-online-Welt erst mal nicht
nach großem Publikumserfolg. Die GoethehausDirektorin selbst spricht da von einer „Herausforderung“ und weiß, dass es mehr braucht als die
traditionellen Methoden musealer Vermittlung:
ABBILDUNGEN: FREIES DEUTSCHES HOCHSTIFT/ FRANKFURTER GOETHE-MUSEUM(4); FOTO(REISETASCHE BETTINE BRENTANO): INT ZUR MEGEDE
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Der Dichter Friedrich
Schlegel entwarf ein
Schema zur „progres­
siven Universal­
poesie“, das heute zur
Sammlung des
Museums gehört
Engagement
für Literatur
„Einfach eine Handschrift in die Vitrine zu legen“,
sagt Bohnenkamp-Renken, „wird nicht reichen.“ Die
Romantik warf einen neuen Blick auf die Welt, und
genau diese Veränderung des Blickwinkels soll dem
neuen Museum auch gelingen. Das Museum will
den Ansprüchen an zeitgemäße Kunstvermittlung
genügen und deshalb ein Zusammenspiel der unterschiedlichsten Medien präsentieren: Handschriften
und Bücher, Bilder, Musik, Geräusche bis hin zum
Film. Hinzu kommen spielerische Elemente und
sinnliche Erfahrungen innerhalb der Ausstellung.
Kurz: ein Erlebnismuseum. Mit neuen Formaten
hat das Haus Erfahrung, eine Ausstellung wie „Unboxing Goethe“ gab es schon im vergangenen Jahr.
Dabei geht es immer auch darum, die leisen alten
und die eher lauten neue Medien so zu gewichten,
dass das Neue das Alte nicht überdröhnt.
Umsonst ist all das nicht zu haben. Viele Jahre ist in Frankfurt um den Bau eines Romantik-­
Museums gerungen worden. Die für Bau und Einrichtung benötigten 16 Millionen Euro werden jetzt
von öffentlicher Hand und privaten Geldgebern
bereitgestellt. Ohne die Hilfe vieler Unternehmen,
Stiftungen und privater Spender wäre aus dem Projekt nichts geworden. Die weitgefächerten Spenden zeigen, welch breites Interesse viele Bürger der
Goethestadt und weit darüber hinaus an diesem
Museum haben. Gespendet hat auch die Deutsche
Bank, die sich seit Jahrzehnten dem Goethehaus
als Unternehmensbürger verbunden fühlt. Mehr
als sechs Millionen Euro konnte das Hochstift ein-
werben. Die Grundfinanzierung ist damit gesichert,
doch noch immer ist jede Hilfe willkommen. Lohnt
das alles? Hat die Romantik uns Menschen des
frühen 21. Jahrhunderts überhaupt noch was zu
sagen? „Auf alle Fälle“, sagt Bohnenkamp-Renken.
Denn wir sind „von der Romantik mehr geprägt,
als uns bewusst ist“. Ihre Ideen sind weit über die
zeitlichen Grenzen hinaus wirksam geblieben.
Im romantischen Aufbruch wurzelt das moderne
westlich-europäische Menschenbild und dessen
Verwirklichung im demokratischen Staat. Es ist
eine Zeit, in der Dampfschiffe, Fabriken und Eisenbahnen aufkommen, viele Menschen erleben eine
nie zuvor gekannte Beschleunigung. Im „Faust“ thematisiert Goethe die neue stolpernde Übereilung
und beklagt in Briefen das „veloziferische“ Zeit­
alter, eine Wortschöpfung aus dem lateinischen
velocitas (Eile) und Luzifer. Für sich selbst schafft
er immer wieder kreative Inseln, auf die er sich vom
Ereignisstrom zurückzieht. Zeitungslektüre etwa
ist für ihn in dieser Zeit tabu. Heute wäre er wahrscheinlich einfach mal zwei Wochen offline.
S T E PH A N S C H L O T E
WEITERE INFORMATIONEN
Das Museum sucht noch Spender und bietet
Patenschaften und Fördermitgliedschaften an:
www.deutsches-romantik-museum.de
Forschungen zu Goethes „Faust“:
beta.faustedition.net
Denkt man an die
Möglichkeiten, wie sich
eine Bank sozial und
kulturell engagieren könnte, dann
gehört die Unterstützung eines
Romantik-Museums zunächst eher
nicht dazu. Tatsächlich aber ist
die Deutsche Bank schon seit Jahr­
zehnten im Trägerverein des
Goethehauses engagiert. Nun wird
diese Gedenkstätte um ein Literatur­
museum der Romantik erweitert.
Zwei Großspender haben jeweils
1,5 Millionen Euro beigetragen, einer
von ihnen ist die Deutsche Bank.
Für die international aufgestellte
Bank macht die Verbindung zur
Geistesgeschichte unseres Landes
durchaus Sinn. So liegt das
Goethehaus ganz in der Nähe der
Frankfurter Zentrale. Die
Gedenkstätte selbst ist unverwech­
selbar ein Stück Deutschland,
­jährlich rund 110 000 Besucher kommen aus aller Welt. Zudem wird
das Museum alle elektronischen
Präsentationsmöglichkeiten
nutzen. „Mit modernsten museums­
didaktischen Methoden wird
es gelingen, insbesondere junge
Menschen für das Romantik-­
Museum zu begeistern“, sagt Michael
Münch, im Bereich Kunst, Kultur &
Sport der Bank verantwortlich für
das kulturelle Engagement. Und
das wiederum passt ziemlich genau
zur aktuellen Digitalisierungs­
strategie der Deutschen Bank.