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projektmanagement & philosophie
Nahe Feinde
Bernhard M. Scheurer · Wednesday, September 14th, 2016
Du schreibst ein Buch. Es ist dein drittes. Während du an dem Manuskript arbeitest,
wirst du immer wieder auf dein Projekt angesprochen. Was macht dein Buch? Wann
wird es erscheinen?
Das Buch erscheint. Und dieselben Leute, die vorher Interesse und Anteilnahme
demonstriert haben, stellen plötzlich ganz andere Fragen. Wieviel tausend Stück sind
denn schon verkauft? Auf welcher Bestsellerliste finde ich dein Buch? Und, was noch
schlimmer ist: dröhnendes Schweigen.
Du hast dreieinhalb Jahre an dem Buch gearbeitet, und sie haben keine dreieinhalb
Minuten Zeit übrig, um sich mit deinem Text auseinanderzusetzen. Aber sie haben
eine Meinung. Sie fällen ein Urteil.
Ein neues Buch ist für die Autorin oder den Autor wie ein Baby. Man stelle sich vor,
eine Frau bekommt ihr drittes Kind. Das kleine Mädchen lernt gerade zu krabbeln,
und die „Freundinnen“ der Mutter – die meisten sind kinderlos – erwähnen mit keinem
Wort die wachen Augen der Kleinen. Oder die lustigen Laute, die sie von sich gibt. Sie
haben das Kind – so wie seine beiden älteren Geschwister – überhaupt noch nicht
gesehen. Aber sie stellen Fragen. Kann es schon laufen? An welchem Gymnasium wird
es Abitur machen?
Jack Kornfield erklärt uns, womit wir es hier zu tun haben. Er nennt es „nahe
Feinde“*):
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Der nahe Feind des Gleichmuts ist Indifferenz oder Gefühllosigkeit.
Der nahe Feind des Mitgefühls ist das Mitleid.
Nahe Feinde der Mitfreude sind Eifersucht und Konkurrenzverhalten.
Ein Buch ist wie ein Baby. Und es ist ein Freundschafts-Lackmustest. Plötzlich
erkennst du, wer auf deiner Seite ist. Wer sich für deine Projekte interessiert. Wer es
gut mit dir meint, auch wenn er mit dir nicht immer einer Meinung ist.
*) Jack Kornfield: Erleuchtung finden in einer lauten Welt. Buddhas Botschaft für den
Westen; Arkana, 2013
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