Manuskript downloaden

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
„Sehr brillant, angenehm in die Ohren“
Mozarts Klavierkonzerte (1)
Von Christian Schruff
Sendung:
Montag, 12. September 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD
von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst
in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2
2
„Musikstunde“ mit Christian Schruff
„Sehr brillant, angenehm in die Ohren“
Mozarts Klavierkonzerte (1)
SWR 2, 12. September – 16. September 2016, 9h05 – 10h00
Signet: SWR 2 Musikstunde
Mit Christian Schruff. Willkommen zu einer neuen Woche. Mozarts Klavierkonzerte
sind bis Freitag mein Thema.
„Sehr brillant, angenehm in die Ohren“
So hat Mozart einmal ein Konzert beschrieben. Passt eigentlich zu allen 27
Klavierkonzerten aus seiner Feder. Die frühesten Klavierkonzerte Mozarts, die
Annäherung an diese Gattung – darum geht’s in dieser Stunde.
Titelmusik
Wolfgang Amadeus Mozart ist siebzehn Jahre alt und steht als Konzertmeister in
Diensten des Fürst-Erzbischofs von Salzburg. Konzertmeister heißt: Mozart ist
Geiger.
17 Jahre, das ist die Lebensmitte Mozarts. Und genau hier, im Dezember 1773
komponiert Mozart sein erstes Klavierkonzert. Bis zum Januar seines Todesjahres
wird er insgesamt 23 Klavierkonzerte komponiert haben; fast alle für sich als
Solisten.
Niemand sonst hat so viele Klavierkonzerte komponiert. Kaum ein anderer hat
dieser Gattung so viele Impulse gegeben.
Musik 1
CD Track 3
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert D-Dur KV 175
3. Allegro
Arthur Schoonderwoerd, Cembalo
Cristofori
ACCENT, ACC 24289, EAN 4 015023 242890, LC06618
Absage
5:08
3
Der niederländische Pianist Arthur Schoonderwoerd ist einer der besten
Mozartkenner unserer Zeit. Sämtliche Klaviersonaten Mozarts hat er bereits
eingespielt, peu à peu folgen nun die Klavierkonzerte. Für das D-Dur-Konzert hat
er ein Cembalo gewählt. „Concerto per il Clavicembalo“ steht bei Mozart selbst
im Titel.
Mozart hat dieses Konzert immer wieder gerne aufgeführt. Zum Beispiel als er
acht Jahre später von Salzburg nach Wien umgezogen war: Da spielte er dieses
Konzert quasi zum Einstand - auf dem Klavier und mit neuem Finalsatz. Am Ende
dieser SWR2-Musikstunde werden Sie dieses neue Wiener Rondo-Finale zu Mozarts
1. Klavierkonzert hören. Wieder mit Arthur Schoonderwoerd – er hat beide
Fassungen auf einer CD zum Vergleich eingespielt – einmal auf dem Cembalo,
einmal auf dem Hammerflügel.
Mozarts 1. Klavierkonzert ist ein besonderes Werk. Nicht nur, weil es der Erstling ist.
Es ist das einzige für das Mozart später einen neuen 3. Satz komponiert hat. Das
Finale, das Sie gerade gehört haben, ist ein eher rückwärtsgewandter Satz.
Mozart hat ihn im „gelehrten“ Stil komponiert, mit einem Fugato. Fast barock
mutet das an.
Dazu passt das Klangbild: Neben den Streichern spielen 2 Oboen, 2 Hörner, 2
Trompeten und Pauken mit. Ein Klang wie wir ihn aus Mozarts Messen kennen.
Kein anderes Klavierkonzert wird später so eine Orchesterbesetzung haben. Für
das neue Wiener Finale hat Mozart auch eine Flötenstimme komponiert. Indizien
sprechen sogar dafür, dass er dem ganzen Konzert ein neues Klangbild geben
wollte.
Das D-Dur-Konzert ist das erste Klavierkonzert Mozarts, das erste jedenfalls, das er
von von bis hinten allein komponiert hat. Und es ist überhaupt das erste Konzert
aus Mozarts Feder. Als er es komponierte, mit 17 Jahren, da war er dem
Wunderkindalter entwachsen, war ein junger Berufsanfänger. Als Komponist
hatte er sich in allen wesentlichen Gattungen erprobte: Er hatte Sinfonien
komponiert, Kammermusik, Opern und Kirchenmusik.
Nie allerdings finden wir bei Mozart „Fingerübungen“, also Stücke, an denen er
erstmal lernt, ausprobiert, wie er sie gestaltet.
Beim Klavierkonzert ist das anders. Hier hat Mozart gleich zwei Probeläufe
unternommen. Der erste waren vier Konzerte, „gebastelt“ aus Sonatensätzen von
beliebten Zeitgenossen – sogenannte Pasticci – Pasteten...
4
Musik 2
CD
Track 5
7:39
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert B-Dur KV 39
2. Andante staccato (nach Johann Schobert, Sonate op. 17, Nr.2)
Robert Levin, Cembalo
Academy of Ancient Music
Christopher Hoggwood
L’OISEAU-LYRE, 466 131-2, EAN 02894661312, LC00254
Absage
Vier Pasticci, vier Konzerte also, für die Mozart Klavier-Sonatensätze umgebaut
hat. Sein Vater hat ihn dabei angeleitet. In den Manuskripten kann man klar die
Handschriften von Leopold und Wolfgang Amadeus unterscheiden.
Die Mozarts waren gerade von ihrer großen Europareise nach Salzburg
zurückgekehrt. Drei Jahre hatte Leopold seine Wunderkinder vorgeführt:
Niederlande, Frankreich, England. Wolfgang Amadeus, ein Junge im
Grundschulalter, sorgte überall für Staunen.
Die Reise brachte den Mozarts viel Anerkennung und Geld ein. Gesundheitlich
muss sie jedoch eine Tortur gewesen sein. Die musikalischen Eindrücke von dieser
Reise prägen Mozarts. Er lernte die führenden Musiker der Zeit kennen. Und
genau deren Werke hat Leopold Mozart nach der Reise ausgewählt für die
Gehversuche auf dem Feld Klavierkonzert.
Es sind Sonaten von deutschen Komponisten, die in Paris lebten: Johann
Schobert, Leontzi Honauer, Johann Gottfried Eckard und Herrmann Friedrich
Raupach. Heute sind ihre Werke kaum mehr bekannt.
Über Johann Schobert – von dem die Vorlage zum eben gehörten Satz stammte
- schrieb der englische Musikgelehrte Charles Burney: „Das Neue und Vorzügliche
an Schoberts Kompositionen [scheint] in der Übertragung des sinfonischen [...]
Ouvertürenstils auf das Cembalo zu bestehen, sowie darin, dass er mit Licht und
Schatten, abwechselnder Erregung und Stille, die Effekte eines Orchesters
nachahmt.“
Wie haben nun Vater und Sohn Mozart aus Klavier-Sonatensätzen Konzertsätze
gemacht? Mozart Junior hat Neues komponiert: Orchestereinleitungen,
Übergänge, Schlüsse. Das Material, die Themen dafür nahm er aus den Vorlagen.
Mozart senior fügte dann abschnittweise diese zerlegten Vorlagen dazwischen –
als Soloteile.
5
Hier eine der Vorlagen: Carl Philipp Emanuel Bachs Charakterstück „La Böhmer“.
Musik 3
CD
Track 15
Carl Philipp Emanuel Bach
Aus: „Musicalisches Mancherley“
26. La Böhmer (Wq. 177, 26)
Miklós Spányi, Clavichord
BIS-CD-1087, EAN 7318590010877, LC
4:19
Absage
Und nun der Konzertsatz, den die Mozarts daraus gebaut haben. Im
Orchestertutti werden Sie neue Töne hören – in den Bläsern und Pauken. In den
Streicherläufen können Sie das erste Thema von Bach wieder erkennen.
Wolfgang Amadeus Mozart hat Bach – heute würden wir sagen – „gesampelt“.
Der Solopart ist weitgehend identisch mit dem Originalstück vom Bach, neu ist
aber dessen Begleitung.
Musik 4
CD
Track 9
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert D-Dur KV 40
3. Presto (nach CPE Bach „La Böhmer“ Wq. 117)
Robert Levin, Cembalo
Academy of Ancient Music
Christopher Hoggwood
L’OISEAU-LYRE, 466 131-2, EAN 02894661312, LC00254
4:29
Absage
Sie hören die SWR2-Musikstunde – heute mit Folge eins einer Reihe über Mozarts
Klavierkonzerte.
Auf jener langen Europa-Reise lernte Mozart in London den jüngsten Bach-Sohn
kennen: Johann Christian Bach. Der war ein einflussreicher Mann im Musikleben
der Stadt. Er veranstaltete Konzerte, für die er immer wieder neue Werke
komponierte: Sinfonien und auch Klavierkonzerte.
Der 8jährige Wolfgang Amadeus kopierte Bachs Sinfonie-Stil in seiner ersten
Sinfonien, die in London gleich aufgeführt wurden. Und sicherlich lernte er auch
Klavierkonzerte von Johann Christian Bach kennen. Dessen Vater – Johann
6
Sebastian Bach – wird ja gerne als „Erfinder“ des Klavierkonzerts bezeichnet. Mit
dessen barocken Concerti haben aber die 20 Klavierkonzerte von Johann
Christian aber nichts mehr gemein.
Der Tonfall im Orchester ist sinfonisch. Dann entfaltet sich ein lebhafter Dialog
zwischen Solo-Klavier und Orchester.
Musik 5
CD
Track 10
Johann Christian Bach
Klavierkonzert Es-Dur op. 7, 5
1. Allegro di molto
Sebastian Knauer, Klavier
Zürcher Kammerorchester
Sir Roger Norrington
BERLIN CLASSICS, EAN 885470002705, LC
6:35 (4:29)
Absage
Wolfgang Amadeus Mozart hatte ein enormes musikalisches Gedächtnis. Die
Londoner Eindrücke von Johann Christian Bach und seiner Musik kann man
vielfach wiederfinden in Mozarts Musik. Ganz sicher hat er auch schon in diesen
jungen Jahren genau erfasst, welche Möglichkeiten Klavierkonzerte einem
komponierenden Virtuosen bieten.
Ein paar Jahre später fand dann der zweite Probelauf statt auf dem Feld
Klavierkonzert . Und jetzt – Mozart war inzwischen Teenager – jetzt kam das
Vorbild Johann Christian Bach zum Zuge. Aus drei von dessen Sonaten op. 5
machte er Klavierkonzerte. Die Sonaten waren 1766 im Druck erschienen. Gut
möglich, dass der Komponist sie Mozart bei dessen Londonbesuch im Jahr davor
schon vorgespielt hatte.
Hier das Menuett aus der zweiten Sonate. Als Mittelteil hat es ein Trio in Moll und
ist von Bach fein ausgeziert.
Musik 6
CD Track 5
3:48 (2:59)
Johann Christian Bach
Klaviersonate D-Dur op. 5, Nr. 2
3. Minuetto
Bart van Oort, Hammerflügel
BRILLIANT CLASSICS, 94634, EAN 5028421946344, LC09421
Absage
7
Mozart hat diese und zwei weitere Bach-Sonaten zu Klavierkonzerten
umgearbeitet. Das Verfahren war dasselbe wie bei den früheren vier PasticcioKonzerten. Aber hier hat Mozart ganze Sonaten umgewandelt, nicht aus
Einzelsätzen zusammen gebaut.
Offenbar war das eine übliche Methode, das Komponieren von Konzerten zu
erlernen. Der Mannheimer Theoretiker und Komponist Georg Joseph Vogler
schrieb wenig später: „Wer ein Concert sezen will, thut wohl, wenn er sich zuerst
an eine gewöhnliche Sonate macht.“
Wie ist Mozart nun mit dem Menuett von Johann Christian Bach verfahren? Er hat
den 1. Teil ausgedehnt. Das Orchester spielt zusätzliche, neue Takte. Das Moll-Trio
hat er dagegen unverändert gelassen und nur eine Orchesterbegleitung zum
Klaviersatz hinzukomponiert.
Das Orchester ist übrigens nur ein Streichquartett in der sogenannten Salzburger
Besetzung – zwei Geigen, Cello und Kontrabass. Diese Konzerte haben die
Mozarts auch zu Hause gespielt.
Hier das gerade gehörte Bach-Menuett als Konzertfinale von Mozart. Es spielen
Wolfgang Brunner, Hammerflügel, und die Salzburger Hofmusik.
Musik 7
9925269
Track 9
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert D-Dur KV 107, 1
3. Tempo di Minuetto
Wolfgang Brunner, Hammerflügel
Salzburger Hofmusik
HÄNSSLER PROFIL, PH06033, EAN88148860332, LC13287
3:52
Absage
Vier Pasticcio-Konzerte, drei Bach-Bearbeitungen – das war Mozarts Vorbereitung
auf die Komposition von Konzerten. Kurz danach schrieb er sein eigenes erstes
Konzert in D-Dur KV 175. Der niederländische Musikforscher Marius Flothuis hat
über dessen Einzigartigkeit geschrieben: „Mit dem Konzert in D-Dur, KV 175, ist die
Struktur des „modernen“ Klavierkonzerts grundsätzlich etabliert.“
Diese Struktur wird Mozart beibehalten – natürlich auch gelegentlich von ihr
abweichen oder mit ihr spielen, sie neu interpretieren. Das D-Dur-Konzert hat
8
Mozart immer wieder aufgeführt. Aus Mannheim hat er im Februar 1778 von einer
„Accademie beym Cannabich“ berichtet, dort „habe ich mein altes Concert ex
D gespiellt, weil es hier recht wohl gefällt“.
Und als Mozart sich 1782 in Wien niederließ, stellte er sich dem dortigen Publikum
auch mit seinem ersten Klavierkonzert vor. Für diese Gelegenheit ersetzte er aber
den „gelehrten“ Finalsatz durch ein Rondo à la Mode. In Wien komponierte
Mozart die meisten Klavierkonzerte. Von denen wird ab übermorgen die Rede
sein – in der SWR2 Musikstunde.
Musik 8
9934999
Track 10
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert D-Dur KV 175
3. Rondo. Allegretto grazioso KV 382
Arthur Schoonderwoerd, Fortepiano
Cristofori
9:56
Absage
„Sehr brillant, angenehm in die Ohren“. Mozarts Klavierkonzerte.
Das war Teil 1 der SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff.
Morgen geht es um die Salzburger Klavierkonzerte – u.a. das „JeunhommeKonzert“.
Bis dahin Ihnen einen schönen Tag.