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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Schwarze Löcher und das Erzittern der
Raumzeit
Was Gravitationswellen über den Kosmos verraten
Von Dirk Lorenzen
Sendung: Mittwoch, 14. September 2016, 08.30 Uhr
Redaktion: Sonja Striegl
Regie: Autorenproduktion
Produktion: SWR 2016
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MANUSKRIPT
Atmo: [langsam sich steigernde, abstrakte Geräusche]
Autor 1:
Genau jetzt vor einem Jahr, am 14. September 2015 morgens um halb neun,
erreichten mysteriöse Wellen den Rand unseres Sonnensystems. Sie kreuzten die
Bahnen der Planeten Neptun und Uranus. Auf der Erde war davon noch nichts zu
spüren – doch zwei Messstationen lauerten auf das feine Zittern aus den Tiefen des
Kosmos.
O-Ton 1 - Bruce Allen:
„When we first saw the signal, my first thought was, this can't be real.“
Übersetzung 1:
„Als wir das Signal zum ersten Mal gesehen haben, dachte ich, das kann nicht echt
sein.“
Autor 2:
Die Wellen, die schon seit mehr als einer Milliarde Jahren im Universum unterwegs
waren, rasten weiter mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum – und kamen der
Erde immer näher.
O-Ton 2 - Bruce Allen:
„This is a test, it's fake.”
Übersetzung 2:
„Das muss ein Test sein, da legt uns einer rein.“
Autor 3:
Um 11 Uhr 50 Minuten und 45 Sekunden Mitteleuropäischer Sommerzeit rauschten
die Wellen über die Erde hinweg und ließen für einen Sekundenbruchteil alles
minimal vibrieren – aufgezeichnet erst von der Messstation im US-Bundesstaat
Louisiana, sieben Millisekunden später von der im Staat Washington.
Atmo: [Sound des Verschmelzens – „wiiitsch“, 2x wiederholen]
O-Ton 3 - David Reitze:
„Ladies and Gentlemen, we have detected gravitational waves, we did it!“ [Applaus]
Übersetzung 3:
„Meine Damen und Herren, wir … haben … Gravitationswellen entdeckt. Wir haben
es geschafft!“
Ansage:
„Schwarze Löcher und das Erzittern der Raumzeit: Was Gravitationswellen
über den Kosmos verraten“. Eine Sendung von Dirk Lorenzen.
2
Autor 4:
Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis sich die Forscher sicher waren, dass sie
tatsächlich etwas Historisches beobachtet hatten. Es war eben nicht ein Fehler in
den Instrumenten, sondern das Signal von einem Ereignis, das jede Vorstellungskraft
sprengt, erläutert der Direktor der beiden Messanlagen in den USA, David Reitze:
O-Ton 4 - David Reitze:
„These gravitational waves were produced by two colliding black holes, that came
together and merged to form a single black hole about 1.3 billion years ago...
Übersetzung 4:
„Diese Gravitationswellen sind entstanden, als vor 1,3 Milliarden Jahren zwei
Schwarze Löcher miteinander verschmolzen sind. Wir haben die Wellen mit LIGO
entdeckt, dem Laser Interferometer Gravitationswellen-Observatorium. Das ist das
genaueste Messinstrument, das je gebaut wurde. Am 14. September 2015 haben die
beiden LIGO-Stationen fast simultan ein Signal gemessen, das genauso aussieht,
wie wir es nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie erwarten, wenn zwei
kompakte Objekte sich umkreisen und verschmelzen.“
...two massive objects like black holes inspiraling and merging together.“
Autor 5:
Die Beobachtung heute vor einem Jahr war buchstäblich ein Jahrhundertereignis.
Denn Gravitationswellen, diese schwer vorstellbaren Erschütterungen von Raum und
Zeit, gehen auf Einsteins legendäre Theorie zurück, die er genau hundert Jahre
zuvor, im Herbst 1915, formuliert hatte. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist eine
Beschreibung der Schwerkraft, der Gravitation, erklärt Karsten Danzmann, Direktor
am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover.
O-Ton 5 - Karsten Danzmann:
„Einstein hat uns ein anderes Bild der Schwerkraft gegeben. Bei Einstein ist die
Schwerkraft keine Kraft, die zwischen Körpern wirkt, sondern eine Eigenschaft des
Raumes. Das ist eigentlich eine sehr einfache Vorstellung, wenn man gewillt ist, sich
vorzustellen, dass der Raum krumm sein kann.“
Autor 6:
Sich dies vorstellen zu können, ist allerdings wohl nicht nur eine Willensfrage. In vier
Dimensionen wird es kaum jemandem gelingen, vermutlich auch nicht in dreien. Aber
bei einer zweidimensionalen Fläche lässt sich die Raumkrümmung in einem groben
Bild veranschaulichen. Man stelle sich eine elastische Gummimatte vor, auf die man
ein Gewicht legt. Dann entsteht eine Delle. Legt man nun eine Kugel irgendwo auf
diese Matte, so wird sie sich entlang gekrümmter Bahnen bewegen und schließlich in
die Delle fallen. Das ist die Schwerkraft, wie Albert Einstein sie beschreibt.
O-Ton 6 - Karsten Danzmann:
„Wenn sich Dinge bewegen, entstehen Dellen, die sich im Raum ausbreiten. Das
sind Gravitationswellen. Wenn die uns hier erreichen, dann quetschen und dehnen
sie den Raum. Und das ist die Art und Weise, wie man Gravitationswellen detektiert:
Man muss messen, wie der Raum gequetscht und gedehnt wird, man muss Längen
3
messen. Das Problem ist nur, dass diese Längenänderung sehr klein ist. Darum hat
es 100 Jahre gedauert.“
Atmo: [akustischer Trenner]
Autor 7:
Werden Massen beschleunigt, so geben sie Gravitationswellen ab. Diese Wellen
laufen mit Lichtgeschwindigkeit durch Raum und Zeit und bewegen sich völlig
ungehindert durch Körper hindurch, durch die Erde ebenso wie durch Menschen.
Das Erzittern ist minimal, für uns nicht zu spüren und hinterlässt keinen Schaden. Die
große Entdeckung vor einem Jahr gelang bei Objekten, die kaum exotischer sein
könnten, erläutert Bruce Allen. Der US-Amerikaner arbeitet vor allem an der
Auswertung der Messdaten und ist ebenfalls einer der Direktoren des Max-PlanckInstituts für Gravitationsphysik in Hannover:
O-Ton 7 - Bruce Allen:
„The thing I like the most is the amount of energy that was radiated by that system.
We started off with 29 and 36 solar masses...
Übersetzung 5:
„Am meisten fasziniert mich, wie viel Energie das System abgestrahlt hat. Zunächst
haben sich zwei Objekte mit 29 und 36 Sonnenmassen umkreist. Als sie noch
getrennt waren, hatten die beiden Schwarzen Löcher zusammen 65 Sonnenmassen.
Nach dem Verschmelzen blieb ein Schwarzes Loch mit nur 62 Sonnenmassen
zurück. Innerhalb einiger zehn Millisekunden sind also 3 Sonnenmassen in pure
Energie umgewandelt und ausschließlich als Gravitationswellen abgestrahlt worden.
Das ist unfassbar viel. Dieses Verschmelzen hat mehr als eine Milliarde Lichtjahre
entfernt stattgefunden. Trotzdem hat uns in Form der Gravitationswellen so viel
Energie erreicht, wie sie der Strahlung eines Handys bei ausgestrecktem Arm
entspricht.“
...was about the same when your cell phone is transmitting and you hold it at arms
length.“
Autor 8:
Alle Körper, die beschleunigt werden, geben Gravitationswellen ab. Wer vom Tisch
aufsteht, verliert minimal Energie durch Gravitationswellen, wie jeder Vogel, der sich
in die Lüfte schwingt oder wie der Mond beim Lauf um die Erde. Doch bei allen
diesen Ereignissen sind die Wellen viel zu schwach, um einen messbaren Effekt zu
haben. Albert Einstein hatte daher einer Entdeckung von Gravitationswellen kaum
Chancen eingeräumt.
Rezitator 1 - Albert Einstein:
„Selbst bei einem Doppelsternsystem tragen die Gravitationswellen nur so wenig
Energie davon, dass es absolut unwahrscheinlich ist, dass man jemals diesen Effekt
wird messen können. Gravitationswellen sind einfach viel zu schwach.”
Autor 9:
Gravitationswellen sind in der Tat schwach, sehr schwach – aber eben nicht zu
schwach. Zumindest dann, wenn es um sehr kompakte Körper mit großer Masse
4
geht, etwa Schwarze Löcher, deren Existenz Albert Einstein ebenfalls nicht für
möglich hielt.
O-Ton 8 - Bruce Allen:
„Einstein was just a sceptic about black holes. Regarding gravitational waves, he
wrote, they were of no importance, of no significance. In this case he would be
delighted to be wrong.“
Autor 10:
Bei Schwarzen Löchern war er skeptisch und die Wellen hielt er für unbedeutend –
aber er wäre nun sicher froh, hier falsch gelegen zu haben, meint Bruce Allen.
Atmo: [akustischer Trenner]
Gravitationswellen und Schwarze Löcher nachzuweisen, erforderte von Einsteins
Erben viel Geduld. Manche Experten haben fast ihr gesamtes Berufsleben dem
Zittern des Raumes gewidmet.
O-Ton 9 - Karsten Danzmann:
„Es war tatsächlich 1989 auf einer Laserspektroskopie-Konferenz in Bretton Woods.
Da habe ich einen Vortrag gehalten und danach kam Herbert Walther, Direktor am
Max-Planck-Institut für Quantenoptik, zu mir und sagte: Herr Danzmann, Sie
kommen nach München und machen Gravitationswellen.“
Autor 11:
Karsten Danzmann ist im Alter von 34 Jahren in diesen Zweig der Physik gekommen
und mittlerweile 61. Er und seine Kollegen wurden nun für ihren langen Atem
belohnt.
O-Ton 10 - Karsten Danzmann:
„Ich bin überzeugt, dass alles, was nicht durch Naturgesetze verboten ist, getan
wird.... Ich wusste, wir würden es irgendwann schaffen. Nur wie lange es dauern
würde, davon hatte ich keine Ahnung.“
Autor 12:
Entscheidend für den Nachweis der Gravitationswellen ist die Genauigkeit der
Längenmessungen. Weltweit führend ist hierbei die deutsch-britische
Forschergruppe, zu der das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover
und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Glasgow gehören.
Atmo: [vor dem Gebäude]
O-Ton 11 - Giles Hammond:
„We are just standing outside the physics and astronomy building, surprising for
Glasgow, we don't need rain coats on today. It is quiet a pleasant day.”
Autor 13:
Giles Hammond, Professor für experimentelle Gravitationsphysik, empfängt bei
erstaunlicherweise trockenem Wetter Besucher vor seinem Institut. Das Gebäude
und das umgebende Universitätsgelände wären eine exzellente Kulisse für einen
5
Harry-Potter-Film: eine imposante Mischung aus Trutzburg, Märchenschloss und
Palast. Die Magier im Labor sind Giles Hammond und sein Team:
O-Ton 12 - Giles Hammond:
„It is a totally new way of looking at the universe. …
Übersetzung 6:
„Dies ist eine ganz neue Art, in das Universum zu blicken. Wir lauschen jetzt den
außergewöhnlichsten kosmischen Ereignissen. Dazu müssen wir eine Strecke von
vier Kilometern Länge auf den tausendsten Teil eines Protondurchmessers genau
messen.“
...to measure down to a thousandth of the diameter of a proton, over 4 kilometres.”
Atmo: [Gang ins Gebäude, durch Flure, über Treppen, in den Laborraum, in dem
eine Vakuumpumpe rauscht]
Autor 14:
Über einige Flure und Treppen geht es in einen hohen, fensterlosen Raum, etwa von
den Ausmaßen eines Tennisfeldes. Es ist ein Hightech-Bastelkeller: Auf den
Arbeitstischen liegt Werkzeug herum, runde dicke Spiegel hängen in schweren
Metallkonstruktionen, eine Vakuumpumpe rauscht.
O-Ton 13 - Giles Hammond:
„We are in a lab in the physics department, this is the lab where we have done the
development for the suspensions for the advanced LIGO project...
Übersetzung 7:
„Hier in unserem Labor haben wir die Spiegel und ihre Aufhängungen für die beiden
LIGO-Detektoren in den USA entwickelt, aber auch Komponenten für den deutschbritischen Detektor GEO600 in der Nähe von Hannover. Da vorn sind unsere
Testaufhängungen für die 40 Kilogramm-Spiegel von LIGO.”
...got the 40 kg mock-up suspensions, for testing for advanced LIGO.”
Autor 15:
Die Entdeckungen der Gravitationswellen ist zwar in den USA gelungen. Doch in den
Messstationen in Livingston, Louisiana und Hanford, Washington steckt vor allem
Technologie „Made in Europe“: Laser aus Hannover oder eben Spiegel und
Aufhängungen aus Glasgow. Gravitationswellenforschung ist ein internationales
Geschäft. Alle arbeiten gemeinsam am großen Ziel und sind Kollegen, nicht
Konkurrenten.
O-Ton 14 - Giles Hammond:
„What these detectors looks like, they are essentially an L shape, length of the L is 4
kilometers...
Übersetzung 8:
„Diese beiden Detektoren in den USA bestehen jeweils aus zwei Messarmen, die vier
Kilometer lang sind. Diese Messarme stehen rechtwinklig zueinander und laufen an
6
den Enden zusammen, wie ein L, dessen beide Striche gleich lang sind. Die
Messarme sind Röhren mit 1 Meter 20 Durchmesser, in denen ein ultra-hohes
Vakuum herrscht. Durch die Röhren laufen Laserstrahlen und werden am Ende von
Spiegeln reflektiert. Wenn die Strahlen wieder im Zentrum zusammenkommen,
sehen wir sie uns sehr genau an.”
...and that tells is whether a gravitational wave has passed.”
Autor 16:
Läuft eine Gravitationswelle über die Detektoren hinweg, so werden die vier
Kilometer langen Messstrecken minimal gedehnt und gestaucht – was sich durch ein
verändertes Lasersignal verrät. Doch selbst verschmelzende Schwarze Löcher
führen nur zu einem aberwitzig schwachen Effekt. Die Forscher müssen daher ihre
Entdeckungen aus dem ewigen Rauschen vieler Störquellen mühsam herausfischen.
O-Ton 15 - Giles Hammond:
„Every source of noise matters, from movement of atoms, thermal noise, seismic
noise...
Übersetzung 9:
„Da gibt es die Bewegung der restlichen Atome in der Röhre. Auch Änderungen der
Temperatur und Erschütterungen im Boden stören die Messungen. Die Gezeiten
verbiegen zweimal am Tag die Messtunnel und auch minimale Schwankungen im
Laser selbst machen das Messen fast unmöglich. Man darf in der Nähe der
Messstrecke kein Auto fahren. Nicht nur die Erschütterungen würden stören: Die
Masse des Autos würde mit ihrer Anziehungskraft die Spiegel verdrehen und das
Signal verfälschen. Wir sind inzwischen so präzise, dass wir den Abstand zum
nächstgelegenen Stern, Proxima Centauri, auf die Breite eines menschlichen Haares
genau bestimmen könnten.“
...another way of thinking of it, is measuring the distance to the nearest star to about
the width of a human hair.”
Autor 17:
Eine Wissenschaft für sich sind die Aufhängungen der Spiegel, die die Laserstrahlen
in den Messtunneln reflektieren. Sollten diese Spiegel auch nur minimal schwingen,
würden sie Gravitationswellen vortäuschen, die gar nicht da sind. So wie in einem
optischen Observatorium rund um das Teleskop absolute Dunkelheit herrschen
muss, weil sonst das Kunstlicht das kosmische Leuchten überstrahlt, so müssen die
Messgeräte bei Gravitationswellen perfekt in Ruhe sein, um auch wirklich das
schwache Vibrieren aus den Tiefen des Weltalls zu erhaschen.
O-Ton 16 - Giles Hammond:
„We need to put some goggles on, these are areas with lasers.”
Atmo: [Gang in den abgetrennten Bereich]
Autor 18:
Für die Arbeit im Laserbereich der Laborhalle ist das Tragen einer Schutzbrille
vorgeschrieben. Hier stellen Giles Hammond und sein Team die Fäden her, an
7
denen die goldbeschichteten Spiegel hängen: Und zwar nicht aus Metall oder
Kunststoff, sondern aus Glas.
O-Ton 17 - Giles Hammond:
„We focus the laser beam in the fused silica … you can see the silica starting to
glow...
Übersetzung 10:
„Jetzt sieht man, wie das Glas zu glühen anfängt. Bei 2200 Grad Celsius ist es eine
zähe Flüssigkeit, klebrig wie Honig. Wenn man einen Löffel aus dem Honigglas zieht,
gibt es lange Fäden – und je schneller man zieht, desto dünner werden die. Genauso
stellen wir hier lange Glasfäden her. Glas ist viel stabiler als viele denken. Hier
drüben im Teststand hängt an einem 1,8 Millimeter dünnen Glasfaden ein 40Kilogramm-Gewicht. Das ist schon die Entwicklung für die nächste Verbesserung der
Gravitationswellenanlagen.“
...the next generation of gravitational wave suspensions.“
Autor 19:
Die Forscher sind besessen von ihrer Tätigkeit, im ganz positiven Sinne. Im Labor in
Glasgow tüfteln sie stets daran, die Anlagen noch empfindlicher zu machen, um so
das Zittern des Raumes noch besser zu spüren. Doch auch mit der aktuellen
Messgenauigkeit ist bereits klar, dass der Fund heute vor einem Jahr kein
einzigartiger Glücksfall gewesen ist, kein Sechser im Lotto, der sich nicht so schnell
wiederholen wird. Mitte Juni 2016 konnte Gabriela Gonzalez, die Sprecherin der
LIGO-Wissenschaftler, auf einer Astronomen-Tagung den nächsten Treffer
verkünden:
O-Ton 18 - Gabriela Gonzalez:
„On December 26th of last year, at 3:38 UTC, that was Christmas Eve in the US,
gravitational waves from black holes were detected again.“
Autor 20:
Am 26. Dezember des vergangenen Jahres, um 4 Uhr 38 Mitteleuropäischer Zeit, in
den USA feierte man noch den Weihnachtsabend, haben die Detektoren erneut
angeschlagen.
O-Ton 19 - Gabriela Gonzalez:
„These gravitational waves were also produced by the coalescence of black holes...
Übersetzung 11, weiblich:
„Diese Gravitationswellen stammen vom Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher in
einer Entfernung von 1,4 Milliarden Lichtjahren. Das eine hatte 14mal so viel Masse
wie unsere Sonne, das andere achtmal. Beim Verschmelzen wurde eine
Sonnenmasse in Energie umgewandelt und abgestrahlt.“
...in a final black hole of 21 solar masses, emitting 1 solar mass of energy.“
8
Autor 21:
Wieder einmal haben Gravitationswellen Raum und Zeit erschüttern lassen – und die
vier Kilometer langen Messstrecken der LIGO-Detektoren in den USA gestaucht und
gestreckt, für gerade mal eine Sekunde. Danach war alles wieder wie zuvor. In dieser
einen Sekunde sind die beiden Schwarzen Löcher noch fast dreißigmal immer
schneller umeinander gekreist, bis es zum Kontakt kam. Gravitationswellen kann
man nicht hören, aber das LIGO-Team veranschaulicht das Verschmelzen mit
akustischen Wellen:
Atmo: [einspiralende Schwarze Löcher] Ansteigender Ton mit abruptem Ende, 2x
wiederholen
O-Ton 20 - Gabriela Gonzalez:
„This is what we call gravity's music.“
Autor 22:
Für Gabriela Gonzalez ist dies die Musik der Schwerkraft. Dieses Ereignis war nicht
so stark wie das erste heute vor einem Jahr, denn die beteiligten Massen waren
geringer und die Entfernung größer. Doch die Analyseprogramme, die die Messdaten
mit Hilfe spezieller Filter ununterbrochen nach möglichen Ereignissen durchkämmen,
schlugen binnen einer Minute an. Die Bilanz ist erstaunlich: Während der ersten
Messphase liefen die beiden LIGO-Detektoren in Louisiana und Washington für
insgesamt sieben Wochen stabil – und in jener Zeit sind gleich zwei dicke Fische ins
Netz gegangen.
O-Ton 21 - Gabriela Gonzalez:
„We are very proud of this being the beginning of gravitational wave astronomy. We
are now a real observatory.“
Autor 23:
Damit beginnt die Gravitationswellenastronomie – und LIGO ist endlich kein
Experiment mehr, sondern ein echtes Observatorium.
Atmo: [akustischer Trenner]
Im Moment liegt die Anlage planmäßig still. Einige Umbauten sollen die
Empfindlichkeit der Instrumente um gut 20 Prozent erhöhen. Ab Oktober laufen dann
wieder die Messungen und Anfang 2017 kommt mit VIRGO bei Pisa eine fast
identische Anlage hinzu. Drei Detektoren sind nötig, um etwas genauer den
Ursprungsort der Gravitationswellen am Himmel eingrenzen zu können. Karsten
Danzmann vom Max-Planck-Institut in Hannover hofft, nun viele weitere Objekte zu
erwischen, die Raum und Zeit erzittern lassen:
O-Ton 22 - Karsten Danzmann:
„Da gibt es die Paradequellen, mit denen jeder gerechnet hat. Die verschmelzenden
kompakten Objekte. Aber auch da haben wir bereits eine Überraschung erlebt. Wir
alle haben damit gerechnet, die erste Quelle, die wir detektieren würden, würde die
Verschmelzung von zwei Neutronensternen sein. Die große Überraschung war, das
war es gar nicht, sondern es waren zwei Schwarze Löcher, über die wissen wir sehr
viel weniger, insbesondere zwei sehr schwere Schwarze Löcher. Es ist bis heute
9
nicht klar, wie solche schweren Schwarzen Löcher entstanden sein konnten,
eigentlich hätte es die gar nicht geben dürfen.“
Autor 24:
Somit war schon die erste Beobachtung der Gravitationswellen ein Paukenschlag –
nicht etwa, weil nun der direkte Nachweis gelungen war, was womöglich schon in
drei Wochen mit dem Nobelpreis für Physik prämiert wird. Sondern weil die
Astronomen sofort staunend feststellen mussten, dass sich massereiche Sterne im
All offenbar anders entwickeln als bisher gedacht. Jetzt hoffen alle auf die
Gravitationswellen kollabierender Sterne, von Neutronensternen – und von völlig
unbekannten Objekten.
O-Ton 23 - Karsten Danzmann:
„Das war in der Astronomie bisher immer so: Wenn man ein neues
Wellenlängenfenster aufgetan hat, war das, was man detektiert hat, immer etwas
anderes als das, was man erwartet hatte. Hier ist das auch schon ein Hinweis darauf,
das bereits das erste Signal, das uns in die Fänge geht, eines ist, das keiner im Plan
hatte.“
Autor 25:
Die Entdeckung bestimmter Objekte mag kaum zu planen sein – da sorgt die Natur
stets für Überraschungen. Doch Karsten Danzmann hat sehr konkrete und
buchstäblich hochfliegende Pläne, wenn es darum geht, mit Gravitationswellen noch
ganz andere Himmelskörper zu untersuchen.
O-Ton 24 - Karsten Danzmann:
„Die großen schweren Objekte bewegen sich langsam, bei Frequenzen im MillihertzBereich. Um solche Signale zu detektieren, muss man in den Weltraum gehen, auf
der Erde ist bei diesen niedrigen Frequenzen nichts davon zu hören, weil sich alles
bewegt und das addiert sich zu einer undurchdringbaren Mauer aus
Schwerkraftrauschen. Im Weltall gibt es das nicht. Da ist es ruhig – und dazu
arbeiten wir an LISA, einem Laserinterferometer mit Millionen Kilometern Armlänge.“
Autor 26:
LISA soll aus drei kleinen Raumsonden bestehen. Sie spannen im Weltraum ein
Dreieck mit einer Million Kilometern Kantenlänge auf. Zwischen den Eckpunkten
laufen Laserstrahlen hin und her und messen, wie das Dreieck beim Durchlauf einer
Gravitationswelle minimal verbogen wird. Den Verantwortlichen von Europas
Weltraumorganisation ESA galt dieser Plan als so anspruchsvoll, dass sie das
Messprinzip zunächst erproben ließen – mit der LISA-Pathfinder-Mission.
Atmo: [Start der Vega-Rakete in Französisch-Guyana] „...quatre, trois, deux, un, top.
Allumage et décollage de VV-06. There she goes. We are off. And LISA Pathfinder
has started her journey...”
Autor 27:
Am 2. Dezember des vergangenen Jahres ist der Pfadfinder von Kourou in
Französisch-Guyana aus ins All gestartet. Er besteht nicht aus drei, sondern nur aus
einem Satelliten. An Bord befinden sich – wie später bei LISA – zwei frei fliegende
Goldklötze, deren Abstand mit einem Laserinterferometer gemessen wird.
10
Inzwischen haben die Tests gezeigt, dass der Pathfinder alle Anforderungen an so
eine Mission spielend erfüllt. Die Forscher könnten sofort anfangen, LISA zu bauen.
Doch erst in gut 15 Jahren wird das Satellitendreieck die
Gravitationswellenastronomie buchstäblich erweitern und viele Milliarden Lichtjahre
weit hinaus bis an den Rand des Weltalls spüren.
O-Ton 25 - Karsten Danzmann:
„Die Weltrauminterferometer werden auf Objekte mit Millionen und Milliarden
Sonnenmassen empfindlich sein. Da sind unsere Paradequellen die Schwarzen
Löcher, die im Zentrum jeder ordentlichen Galaxie stehen. Selbst unsere eigene
Galaxie hat ein Schwarzes Loch mit 4 Millionen Sonnenmassen. Evidenz aus
anderen Beobachtungen legt uns nahe, dass eigentlich jede normale Galaxie ein
solches Schwarzes Loch in sich birgt. Auch Andromeda, die nächste Milchstraße –
die hat sogar eines mit einer Milliarde Sonnenmassen. Das Faszinierende an diesen
Weltrauminterferometern ist: Sie sind so unglaublich empfindlich, dass man jedes
Schwarze Loch irgendwo im gesamten Universum detektiert, wenn es denn da ist.“
Atmo: [akustischer Trenner]
Autor 28:
Karsten Danzmann wird längst im Ruhestand sein, wenn LISA etwa im Jahr 2034
starten soll – und damit diese traditionsreiche Disziplin fort führt. Zwar ist es erst jetzt
möglich, Gravitationswellen zu messen. Doch die Physiker haben sich seit mehr als
einem halben Jahrhundert abgequält, dem Zittern des Raumes auf die Spur zu
kommen. Die ersten Experimente noch mit Schwingungen großer Metallzylinder gab
es in den 60er Jahren, als der US-Physiker Jo Weber meinte, Gravitationswellen
entdeckt zu haben. Dies war eine Fehleinschätzung, erklärt Karsten Danzmann:
O-Ton 26 - Karsten Danzmann:
„Es war die Max-Planck-Gruppe um Heinz Billing, die Ende der 60er und Anfang der
70er Jahre anfing, die Zylinderexperimente zu wiederholen und mit größerer
Empfindlichkeit. Und die haben schließlich eindeutig zeigen können, das ging nicht.
Weber musste sich geirrt haben. Dann kam die Idee auf, dass Laserinterferometer
eigentlich viel besser sein würden, um Gravitationswellen nachzuweisen.“
Autor 29:
Im Jahr 1972 hat der Physiker Ray Weiss am renommierten Massachusetts Institute
of Technology durchgerechnet, wie eine Laseranlage aussehen müsste, um das
schwache Zittern zu beobachten. Der Plan war gut, wurde jedoch in den USA nicht
umgesetzt.
O-Ton 27 - Karsten Danzmann:
„Es war dann wieder die Gruppe um Heinz Billing in München, die gesagt haben: Na,
das probieren wir doch mal. Mitte der 70er Jahre stand der erste echte Prototyp
eines laserinterferometrischen Gravitationswellendetektors in München, mit
aufgehängten Spiegeln, Vibrationsisolation, also allen wesentlichen Teilen, die
enthalten sein müssen. Nur noch nicht sehr empfindlich. Aber die Gruppe hat immer
weiter gemacht, alle Empfindlichkeitsrekorde gehalten, später insbesondere mit
einem 30-Meter-Interferometer. Die Ergebnisse, die da gewonnen wurden, bildeten
später die Basis für alle Vorschläge, große Laserinterferometer zu bauen, sowohl für
11
LIGO, was dann auch gebaut wurde, also auch für GEO, unser eigenes Projekt in
Deutschland, was auch 3 Kilometer lange Arme haben sollte, dann aber nicht gebaut
wurde.“
Autor 30:
1992 hat die Nationale Wissenschaftsstiftung in den USA den Bau der beiden LIGODetektoren genehmigt. Das Bundesforschungsministerium unter dem damaligen
Minister Heinz Riesenhuber hat sich dagegen nicht zu einer entsprechenden
Förderung der Gravitationswellenforschung hierzulande durchringen können – so
dass die deutsch-britische GEO600-Anlage bei Hannover nur 600 Meter lange
Messarme hat und damit die kollidierenden Schwarzen Löcher nicht erfassen kann.
Daher wird in Deutschland und England zwar die Spitzentechnologie entwickelt –
doch zur Anwendung kommt sie vor allem in den Detektoren in den USA.
O-Ton 28 - Karsten Danzmann:
„Als ich Heinz Billings Job übernommen habe, ich bin ja sein Nachfolger in der MaxPlanck-Gesellschaft, da hat er vor vielen Jahren zu mir gesagt: Herr Danzmann, ich
bleibe so lange am Leben, bis Sie diese Wellen gefunden haben. Herr Billing ist jetzt
102. Wir haben versucht, es ihm zu sagen, aber es ist nicht ganz leicht. Er kann sehr
schwer hören, fast nichts mehr sehen und ist auch teilweise dement. Die Kollegen in
München haben einen lichten Moment abgepasst und haben es ihm vor einigen
Wochen gesagt. Darauf hat er entgegnet: Ja, ja, die Gravitationswellen, ich habe ja
so viel vergessen.”
Autor 31:
Ganz im Sinne des Pioniers Heinz Billing führen die Wissenschaftler heute die
Gravitationswellenforschung in eine neue Ära. Es geht nicht mehr um eines der
letzten Rätsel Albert Einsteins, um eine weitere Bestätigung der Allgemeinen
Relativitätstheorie. Jetzt liefert das Zittern des Raumes den Astronomen ganz neue
Informationen über die Vorgänge im Kosmos. Vieles im All ist nicht zu sehen, aber
manches davon nun zumindest zu spüren. Gravitationswellenastronomie ist nichts
Utopisches mehr. Messungen von Schwarzen Löchern, Neutronensternen,
Supernova-Explosionen, kollidierenden Galaxien und so weiter gehören bald zum
All-Tag...
O-Ton 29 - Karsten Danzmann:
„Na, wir sind schon dabei, sie zur Routine zu machen. Es hat sich ja schon jeder
daran gewöhnt, ach ja, habt Ihr wieder ein Schwarzes Loch gesehen. Wenn wir im
Oktober wieder Daten aufnehmen, wird das keine Seltenheit bleiben, sondern wir
werden uns daran gewöhnen, vielleicht anfangs alle paar Wochen, später jede
Woche und in ein paar Jahren jeden Tag so ein Ereignis drin zu haben. Dann
kommen ja noch andere Detektoren dazu. Also; Gravitationswellenastronomie wird
nicht nur zur Routine werden, sondern sie wird mindestens genauso reichhaltig und
interessant werden wie die elektromagnetische Astronomie. Aber es wird noch ein
paar Jahre dauern.“
Atmo: [einspiralende Schwarze Löcher] Ansteigender Ton mit abruptem Ende, 2x
wiederholen
12