Drosophila 8 mas o h T ecke n Mei view Inter NABY BERDJAS ● ERICA NATALE ● LENNART WINKLER ● NEO KHALA ● NADINE BARABAS ● ANNIKA THIES ● GENEVIEVE MAY & DANIEL REBBE ● STEFANIE DOMINGUEZ ● ANASTASJA SCHMIDT ● MARCEL BARKEY ● HULLIAMS KAMLEM ● LENA VOLLMER ● VALFY V. ● SEBASTIAN BARTLING ● SINA NEUEDER ● ANNA LENZ Editorial Die Metamorphose ist vorbei, liebe Leserinnen und Leser, dazu bedarf es keiner Entomologie. Hiermit erscheint die 18. Ausgabe der Drosophila mit neuer Flugrichtung! Jeder kennt sie und obwohl sie als Modellorganismus in der Genetik bereits einen Nobelpreis errungen hat, wird die Drosophila im Alltag von jeder Obstschale verjagt. „Drosophila“ heißt eigentlich tauliebende Fruchtfiege, hier ist das aber etwas anders gemeint: Drosophila ist die kreativliterarische Studierendenzeitschrift der Universität Bielefeld. Seit 1996 erscheint sie und will Studierende aller Fachrichtungen befügeln, ihre ersten eigenen Texte zu schreiben und dem Publikum an der Universität zu präsentieren. Man konnte die Drosophila bereits auf Visitenkarten, Bannern, Plakaten sowie im Fernsehen, im Radio und auf Facebook beworben sehen. Für diese Ausgabe sind mehr als 150 Texte von Studierenden eingegangen – das ist eine beachtliche Resonanz, für die wir uns sehr herzlich bedanken! Ihr fndet hier eine Auswahl der Texte in allen feingliedrigen Facetten. Um nur einige zu nennen: Anastasja Schmidts Kurzgeschichte Papierschiff erzählt von den Schwierigkeiten einer Mutter und ihres gehandicapten Sohnes, Lena Vollmers Gedicht Euch nicht sehen können lotet das Verhältnis vom Ich zur Masse aus und Sina Neueders Essay Me against the world setzt sich mit Naturwissenschaft und Literatur auseinander. Die Zeitschrift entstand in ehrenamtlichem Engagement und ist kostenlos erhältlich. Wir freuen uns und wünschen Euch viel Vergnügen mit dieser Ausgabe! Die Drosophila-Redaktion 3 Contents Drosophila 18 Naby Berdjas :: Superjeiler Schlick :: 7 Naby Berdjas :: Lichtspiel :: 37 Erica Natale :: Tulpen :: Mythen des Alltags :: 8 Hulliams Kamlem :: Glasnächte :: 38 Lennart Winkler :: Frohe Weihnachten :: 10 Lena Vollmer :: Euch nicht sehen können :: 39 Neo Khala :: Baum Baum Baum :: 15 Valfy V. :: Polemetrodach :: 40 Nadine Barabas :: Alte Dame :: 19 Sebastian Bartling :: Endspiel :: 41 Annika Thies :: #Aufschrei :: 20 Genevieve May & Daniel Rebbe :: Spaces Which We´ve Made Our Own :: 23 Stefanie Dominguez :: Richtung Himmel :: 25 Anastasja Schmidt :: Papierschiff :: 27 ghtzuziui Sina Neueder :: Me Against the World :: 43 ghtzuziui Marcel Barkey :: Ein Gespräch unter vier gesunden Augen :: 32 Anna Lenz :: Der große Eistaucher :: 49 ghtzuziui Pop, Politik und Literatur :: Ein Interview mit Thomas Meinecke :: 54 4 5 Imagination I uiguzgioh Naby Berdjas Superjeiler Schlick Die scheinbare Sichtweite zwischen den Rheinufern. Mein Blick – wie Klischees über den Schienentrassen. Wie schön, wie still die betonierten Horizonte verwaschen um den Stadtgarten tanzen. Also Pause machen und atmen. Sie atmen und heben und senken das Quietschen, das rachitische Rütteln über den einbetonierten Schienenkanälen. Wie Adern aus Kupferfarbe und Straßenköter. Venen, die meine Stadt zur Stadt verleiten. So kann ich so tun, so tun als ob. Als sei da etwas, also etwas mehr als der Eselskarren der vergangenen Scheißestraßen. Nach Pest kommt Beton. Damit das Reliquiendorf seinen bauchigen, derben Voodoo ablegt. Ein Ableger Gottes funkelt bunt durchs Richterfenster. Und gestern war, was gestern halt war. Jetzt schmeißen wir an, was sich dreht und wendet, was sich dreht und die Hände zuckert. Grauer Schlamm, der seine Körnung formt. Flüssiger Feinstaub, gerührt, nicht geschaukelt. Und so mixen wir, verkosten: Mausgrauer Nektar. Als der Mensch die Schöpfkelle in die schlammige Hand nahm und sah, was da vor sich hintrocknet, konnte er nicht anders. Geist – seiner – wurde formbares Leben. Heilig ohne Heiland, fel ich auf die maßgeschneiderten Knie. – Und ich sah, dass es Form war. Denn Beton, das schreibt sich wie Golem. Nur ohne Talmud. vhgffh 6 7 Erica Natale du doch wissen. Und immer würzt du zu viel und fragst hundert Mal, ob es mir Tulpen schmeckt. Unsere Liebe wird uns zum Mythos, die Legende des Anfangs, weißt du noch, damals, als wir sorglos im Olymp schwebten und unser göttliches Lachen Tulpen in der Vase, sie wachsen und wachsen, die Stiele werden immer länger, bis sie erschallte. Doch jetzt driften unsere Sphären auseinander, ich habe meine beginnen, am Boden zu kriechen, die Blüten küssen den Grund, tasten die Fliesen mit Badewanne, aus der ich wie neugeboren steige, und du musst Hausarbeit machen. ihren Lippen ab. Die Blütenblätter lernen Fortbewegung und schließlich machen sich dsgfg die Pfanzen selbständig, biegen sich über die Balustrade, strecken die Tentakel über die Stadt, riesige Kelche stülpen sich über die farblosen Hochhäuser, verschlucken jeden einzelnen Wolkenkratzer, der unter den roten Glocken verschwindet. Eine schöne und doch beängstigende Krake legt sich über die Stadt, die Diktatur der Blüten herrscht von nun an, das Grau hat ausgedient. Die Zeit der erdrückenden Liebe beginnt. Mythen des Alltags Immer, wenn ich aus dem Badezimmer komme, passt du den Augenblick ab, siehst mich an, als sei ich Venus, die Schaumgeborene. Und du, Mars, der alte Krieger, warst in der Küche, wo du mit den Töpfen kämpftest. Du möchtest mich verführen, doch ich, ich kämme mein Haar über den Hüften, gehe in mein Zimmer, betrachte meine Muscheln, die ich im leeren Einmachglas deiner Mutter bewahre. Die Göttin ist sich selbst genug. Du buhlst weiter um mich, möchtest mich mit Essen verwöhnen, mit Meeresfrüchten aus dem Supermarkt, und ich sage dir, wann begreifst du, dass ich eigentlich nur Nektar und Ambrosia mag, oder höchstens Götterspeise, das müsstest F gf 8 9 Lennart Winkler ganze Menge Katzenvideos. Schade, er hatte Sabelinchen gemocht, aber sich schon Frohe Weihnachten immer gefragt, ob Gott eigentlich wirklich wusste, was diese ganzen neuen 'TechnikHeiligen' so trieben. „Wie ich Weihnachten hasse!“ Der Weihnachtsmann stand im Badezimmer und Seit Gott die Drogen legalisiert hatte, gab es immer mehr abhängige Heilige. versuchte den unechten, weißen Rauschebart zu richten. „Jedes Jahr dasselbe. Warum Selbst der Osterhase soll die Pfoten nicht davon lassen können. Doch bei den bunten muss ich das immer machen? Hätte Gott nicht einen anderen erwählen können? Der Eiern, die er verstecken muss, wäre er auf Dauer so oder so um den Verstand Osterhase hätte doch Zeit, warum nicht der Osterhase? Oder, irgendein zweitrangiger gekommen. Der Weihnachtsmann kannte das. Lauter bunt verpackte Geschenke Heiliger, oder meinetwegen Gevatter Tod? Aber Gott würde sagen, der Tod sei zu sollte er verteilen. Früher war das besser. Alle Geschenke waren in braunes Packpapier morbide, der passe nicht ins Profl! Pah – Profl! Wen interessiert das? Also mich gehüllt. Heute gab es sogar Glitzerpapier für die Geschenke. nicht. Diese ganzen armseligen Sterblichen sind mir sowas von egal! Gott hat sie doch „Das ist doch gestört!“, schrie er sein eigenes Spiegelbild an. Wie sollte man in die Welt gesetzt. Erst lauter unsinnige Kreaturen erschaffen, dann auch noch stolz da nicht durchdrehen. So vieles hatte sich zum Schlechten verändert seit er den Job drauf sein und sich jetzt um nichts kümmern, typisch für ihn. Blöder Nichtsnutz!“ machen musste. Zum Beispiel waren die Menschen früher noch nicht so verfressen Sein Blick schweifte zum Medikamentenschrank. Warum nicht? Eine von gewesen. Sie stopfen sich voll, mit Kuchen, Keksen, Süßigkeiten und Braten, den hübschen, bunten Pillen und er wäre wieder einmal glücklich und könnte in aller scheinbar nur weil Weihnachten ist. Früher konnte zumindest ein Teil der Geschenke Seelenruhe die Geschenke verteilen. Aber er wollte doch von den Drogen loskommen. aus Süßigkeiten bestehen. Heute ist die Zuckerstange als Geschenk nichts mehr wert. Er hatte schon oft die Sterblichen beobachtet und gesehen, wie sie sich mit lauter Die Ansprüche waren gestiegen und wenn er sie nicht erfüllte, schimpfte Gott. Drogen erst um den Verstand und dann ums Leben brachten. Um sein Leben hatte er Lauter unsinniges Technikzeug wollen sie haben. Das war allerdings gut für keine Angst, er war unsterblich. Doch der Verstand machte ihm Sorgen, seit er die ihn, denn seltsamerweise wurden diese Sachen mit der Zeit immer kleiner. „Nicht so heilige Sabeline in der Apotheke „Zur Himmelspforte“ gesehen hatte. Sabeline, eine viel zu schleppen“, dachte er sich. Aber blöd nur, dass die Verpackungen der unbekannteren, neumodischen Heiligen, war wirklich tief gesunken. Im halb antiproportional größer dazu wurden und die Bedienungsanleitungen wogen gefühlte offenen Bademantel, mit zerzaustem Haar und verwischter Schminke auf dem Tonnen und er hatte den Verdacht, dass die sowieso niemand lesen würde. aufgequollenen Gesicht, war sie in der Apotheke aufgetaucht und hatte nach Pillen Technisch gesehen waren die Menschen sogar weiter als ihr Schöpfer. Gott verlangt. Es gingen auch Gerüchte um, dass sie ihre Aufgaben als Heilige der hielt seine Digitaluhr immer noch für den neuesten Schrei und seine Email-Adresse Internetkommunikation vernachlässige. Seit Längerem kamen von ihr nur noch lautet omnipotenter_schö[email protected]. AOL?! War das sein Ernst?! Aber das alles fand der Weihnachtsmann nicht schlimm. „Wenn die eigene Nachrichten mit komischen ‚Gesichtchen‘, die zu deuten echt schwer waren, und eine fggf 10 11 Existenz unendlich ist und einen Sinn hat, braucht man so einen Technik-Unsinn Dann hatte kein Bedarf mehr für Engel bestanden. Alle Versuche, eine neue nicht.“ Doch warum die Menschen die wenige Zeit, die sie hatten, auch noch mit Stelle zu fnden, waren gescheitert, selbst als er sich bei Mohammed und Buddha unsinnigen Apps totschlagen mussten, war ihm schleierhaft. „Es interessiert mich beworben hatte – nur Absagen. Er war Langzeitarbeitsloser geworden – etwa tausend eigentlich auch gar nicht.“ Er wurde den Gedanken nicht los, eine Horde Trottel mit Jahre. Dann hieß es, er müsse jede ihm angebotene Stelle akzeptieren, sonst würden idiotischen Sachen zu beschenken. seine Zuschüsse gekürzt. So war er zu diesem unsäglichen Job gekommen. „Ich bin es so leid!“ Die ganze Sache war die Schuld von diesem Sein Vorname war Sigmar. Er wusste, dass es auf der Erde einen Menschen verdammten Christkind. Gott hatte gesagt: „Die Weltbevölkerung wächst. Das mit demselben Namen gibt – ein Rockstar oder so was. Sigmar Gabriel – ein Christkind schafft seine Arbeit nicht mehr alleine. Du musst ihm helfen.“ scheinbar wichtiger Mann – wenn auch nur ein Mensch. „Er sieht mir sogar ähnlich“, „Der kann mich mal!“, hatte der designierte Weihnachtsmann damals dachte der Weihnachtsmann. „Hatte Gott sich da einen Scherz erlaubt? Ich könnte gedacht. Sollte Gott doch die Bevölkerung etwas dezimieren. „Mehr als ab und zu Tod ausrichten, er solle den Rockstar mal fragen, wenn er ihn holt. Nachher geht es ja eine Katastrophe ist nicht drin. Sie könnten den Glauben an mich verlieren.“ „Ach nicht mehr, denn was nach dem Tod mit den Menschen passiert, weiß noch nicht mal komm schon, die folgen dir doch wie blinde Lämmer, ganz egal was du tust.“ Aber der Tod selbst, geschweige denn Gott.“ Gott war schon gegangen. ER war insgesamt ein ziemlich unfreundlicher Typ, fast so schlimm wie seine Kreaturen. Diese dachten, dank Gott, er wäre eine Werbegestalt – der Coca-Cola „Tja Gott, was kann ich schon tun“, dachte der Weihnachtsmann. Er griff in die Dose mit den bunten Pillen, hielt einen Moment inne und dachte: „Was kann mir schon passieren? Schlimmer kann es ja nicht werden.“ Weihnachtsmann. „Ein neuer Heiliger muss bekannt werden. Die Menschen müssen Er sah sich im Spiegel, wie er die Dose komplett leerte. Alle Pillen schluckte. an den Weihnachtsmann glauben, sonst geht das nicht.“ Das hatte der Er sah auch wie sich seine Pupillen erst weiteten und rasch wieder schrumpften. Dann Weihnachtsmann nicht verstanden. Doch Gott redete einfach weiter: „Das einzige, sah er nichts mehr. Er dachte nur noch: „Gott hat auch mich belogen. Dieser miese was die Menschen glauben ohne drüber nachzudenken, ist heutzutage die Werbung.“ Hund!“ Und starb. „Wieder etwas, was sie als Idioten entlarvt“, dachte der Weihnachtsmann, „erst glauben sie SEINE Lügen und jetzt ihre eigenen.“ „Wie ich Weihnachten hasse!“ Er stand im Badezimmer und versuchte den Sie kannten noch nicht einmal seinen richtigen Namen. Selbstverständlich unechten, weißen Rauschebart zu richten. „Jedes Jahr dasselbe. Aber ich wollte ja hieß er nicht wirklich Weihnachtsmann – das wäre absurd. Zumindest kannten sie unbedingt einen Nebenjob. Hab' bei Gott quasi darum gebettelt. Ich brauche seinen Nachnamen – er hieß Gabriel – Gabriel, der Erzengel. Das waren noch Zeiten Abwechslung. Das Geleiten von Seelen ins Jenseits ist auf Dauer deprimierend. – gewesen. Er war einst wichtig. dg Aber das hier ist noch viel schlimmer.“ Er sah in den Spiegel. Der rote Mantel, die jjjjjj 12 13 Pudelmütze und der Bart, das alles sah an einem Skelett irgendwie unpassend aus. Neo Khala Die Sachen hatten schon dem Weihnachtsmann nicht gestanden. Aber ihm … ? Er Baum, Baum, Baum fragte sich, ob er wohl die Sense mitnehmen dürfte. „Was ist der Unterschied zwischen einer Bahn und einem Zug?“ „Wie bitte?“ „Der Unterschied. Was ist der Unterschied?“ „Wieso...?“ Unser Reisender ist empört über die Störung seiner Ruhe. Zum Ausdruck bringt er seine Gefühle nicht. Der Fragende grinst erwartungsvoll. Die richtige Antwort will er nicht hören. Er wartet auf das Scheitern des Reisenden, damit er selbst erklären kann. Der unglückliche Versuch: „Der Zug ist das, was vorne zieht und die Bahn ist der Teil, in dem die Passagiere sitzen.“ „Nein, falsch. Schon mal was von einer Schlittschuhbahn gehört? Oder einer Kegelbahn? Die Bahn ist die Strecke, und der Zug fährt darauf.“ „Die Bahn ist aber auch ein Unternehmen.“ „Ja, aber so ist das nicht gemeint.“ „Hm.“ Gelangweilt entfernt sich der Fragende. Das Gespräch mit dem ungebetenen Gast fndet sein Ende. Unser Reisender kann dadurch wieder der vorbeiziehenden Landschaft seine volle Aufmerksamkeit schenken. Für heute hat er sich vorgenommen, dieses Glück auf Papier festzuhalten. Schon lange hatte er sich auf diese Fahrt gefreut. Nicht aufgrund des Zieles, einer notwendigen Formalität in einer entfernten Großstadt. So eine weltliche Angelegenheit schafft es lediglich seinen Körper in Bewegung zu versetzen. Sein Geist hingegen wird von der Reise selbst bewegt. Der Zug fährt durch das Weserbergland, an einem milden Junitag. Mit dem Bahnreisen 14 15 Bahnreisen kommen die wertvollen Gedanken. Das Eigentliche kann erfahren Dame hat ihren Laptop eingeschaltet und das Hintergrundbild bannt seine werden. Vor vielen Jahren hat unser Reisender schon einmal auf einer Fahrt eine Aufmerksamkeit. Es zeigt japanische Vasen aus Ton. Diese genügsame Kunst! sehr bedeutsame Stimmung erreicht. Im Rheinland hatte er den Rausch des Schweigsame Schönheiten, dem Eigentlichen so nahe. So will er auch schreiben, Karnevals erlebt. Anschließend bestand der Kontakt zu einer jungen Frau aus einem wenn es gilt, die vorbeiziehende Landschaft in Versform zu bannen. Keine benachbarten europäischen Staat. Nur wenige Tage später besuchte er sie, hunderte Herleitungen aus der Vergangenheit. Keine Anweisungen an die Zukunft. Nur der Kilometer Entfernung spielten keine Rolle. Die Rückfahrt war geprägt von einer pure Augenblick, das ewige Jetzt. tiefen Ausgeglichenheit. Einem Verbundensein mit der Welt, wie sie ist. Aus dem Aber wird er auch heute bereit sein? Diese Bahnfahrt sollte sich gut dafür eignen. Er Fenster blickend sah er einen Baum, sich schon früh am Boden verzweigend. Er hat sich einen Platz am Fenster ergattert. Früher hätte ihm das nötige erkannte die Verbindung des Einen mit dem Vielen. Dann sah er eine Wasserfäche, Selbstverständnis hierfür gefehlt. Schüchtern und voller Angst vor Menschen, hatte zwei Enten parallel darauf treibend. Er fühlte, wie das Abgetrenntsein der Seelen er sich einst im vollen Zug auf die Stufen einer Eingangstür gesetzt. Die Schaffnerin voneinander nur eine füchtige Illusion ist, den strebsamen Menschen in seinen kam. Untergeben wollte er zum Vorzeigen seines Fahrscheines aufstehen. Aber sie geschäftlichen Tätigkeiten fördernd. hielt ihn davon ab, sie kniete sich voller Liebe zu ihm nieder. „Ich komme zu dir, bleib Doch die Gegenwart holt unseren Reisenden zurück. Eine junge Dame mit einem wie du bist. Alles wird gut, ich verstehe dich in deiner Einzigartigkeit“, schien sie ihm großen Koffer steht neben ihm. Sie schaut kurz auf ihn, auf ihren Koffer, wieder auf mitzuteilen. Auf einer späteren Zugfahrt sah er dann jedoch einen anderen nervösen ihn, und auf die obere Gepäckablage. Ihrem Blick hält er stand. Hilfe bietet er keine Jüngling, ein dickes Buch lesend, auf dem gleichen Platz sitzend. an. Mit so einer bevormundenden Tat wird er nicht ihre Emanzipation in Frage Wann kommt hier denn die Fahrkartenkontrolle? Danach sind keine Interaktionen stellen. Sein Entschluss hält jedoch nicht lange an: mehr zu erwarten und man wird vollständig der Landschaft überlassen. Erst dann „Haha. Also ich dachte, ich will nicht so stereotyp daherkommen. Soll ich helfen?“ kann das wirkliche Sinnieren über das Wahrgenommene beginnen. „Nein. Schon gut.“ „Die Fahrkarten bitte.“ – Endlich. „Komm, ich mach das.“ Er zeigt vor: einen Studierendenausweis in Kombination mit einem selbst „Ne wirklich ich kann das schon alleine.“ ausgedruckten „Ja sorry, tut mir leid, wie gesagt, ich wollte nicht an dir als starker Frau zweifeln.“ Legitimieren „Danke dafür.“ Einzelfahrschein für die eine Station, welche nicht von dem Studierendenausweis in Wahres Glück fndet man sowieso nur in der Kontemplation des Eigentlichen. Unser Kombination mit dem durch den Personalausweis legitimierten selbst ausgedruckten Reisender kann sich wieder dem Ausblick zuwenden. Aber was ist das? Die junge Nordrhein-Westfalen-Ticket gedeckt ist, und seine Bahncard, welche ihm den DAm Einzelfh 16 Nordrhein-Westfalen-Ticket, des selbst ausgedruckten einen Personalausweis, zum Nordrhein-Westfalen-Tickets, einen 17 Einzelfahrschein vergünstigte. Nadine Barabas „Haha, sorry, ist alles ein bisschen umständlich bei mir.“ Alte Dame Und jetzt gibt es nur noch die vorbeiziehende Landschaft und ihn. Die armen Menschen der Vergangenheit, welche nie eine Bahnreise erleben durften. Ihr einziges „Einen Ouzo für den Zahn. Der ist nämlich entzündet.“ Die Bedienung lächelt ihr Glück im Leben war es, ein weiteres Jahr vor dem langsamen Tod im Winter höfiches Lächeln. Das für die Gäste. Der Gast, die alte Dame, ist ganz klein und zart. verschont zu werden. Aber voller Geschwindigkeit durch den Sommer gleiten? Dies Ihre Erscheinung beißt sich fast mit der ihres Rollators, ein so großes kabeliges Gerät, war ihnen nie vergönnt. Uns hingegen steht ein höheres Dasein offen. Die Bahn dass es an allen Stühlen in der Bar anstößt. Die Tische neben ihr bleiben frei. Ihr ermöglicht der Welt tiefe Resonanz in unseren Seelen. Eine Ahnung dessen will unser Körpergeruch ist nicht unangenehm, aber wahrnehmbar. Also doch unangenehm? Reisender auch seinen Mitmenschen vermitteln. Die pure Gegenwart, in klaren Der Ouzo kommt, in ihm schwimmen Eiskristalle. Jeden Abend trinkt die alte Dame Worten. Wird er es schaffen, das direkt von dem Bewusstsein Erlebte auf Papier zu ihre hochprozentige Besänftigung in der Bar. Sie redet viel, mal mit sich selbst, mal bannen? Er schreibt: mit der Bedienung. An wen sie ihre Worte richtet, weiß sie selbst nicht mehr. Der Tag staut ihre Worte auf, der Ouzo lässt sie raus. „Der Zahn! So entzündet. Ich „Baum, Baum, Baum. Wiese – Baum. muss mal wieder zum Herrn Doktor. Mein liebes Kind, wann kommt eigentlich der Stadt, Baum, Baum; Berg, Wiese. Bus? Ich darf ihn nicht verpassen, sonst stehe ich wieder in der Kälte an der Baum, Baum, Baum.“ Haltestelle. Am Mittwoch kam der einfach fünf Minuten früher, da hab ich ihn natürlich verpasst.“ Langsam schiebt sie den Rollator (oder schiebt er sie?) in Richtung Tür. Das höfiche Lächeln begleitet sie, ihre Einsamkeit bedauernd, bis sie die Bar verlässt. Das Gesicht der Kellnerin kehrt zur Neutralität zurück. Die alte Dame wird auch zu Hause weiter sprechen, obwohl niemand erscheint. 18 19 Annika Thies schon noch erfahren. Aber dann ist's schon wieder Schnee von gestern. Egal, jetzt #Aufschrei habe ich Wichtigeres zu tun: Mich ruft der Selbstfndungsauftrag, die Einsamkeit, die innere Ruhe. Sommer, Sonne, Sonnenschein. Am Sonnenstand lässt sich ablesen, dass die Nacht noch #faraway ist. Ich starre in die Wolken und versuche eine Verbindung zu mir selbst herzustellen. Handy, Netbook und E-book lasse ich in der hintersten Ecke des Hotelsafes liegen. Ihr armen Opfer, sitzt starr vor euren Smartphones und Screens, kommentiert und Ganz old-school Buch, Handtuch und Sonnenbrille einpacken und auf zum goldenen likt und hofft, kommentiert und gelikt zu werden, während ich – #frei wie ein Vogel Sandstrand. Mich von den Wellen berauschen lassen und die Gänsehaut genießen, die und völlig #losgelöst von gesellschaftlichen Zwängen und #Shitstorms – ganz in Ruhe die kühle Brise verursacht. Die Zeit einfach Zeit sein lassen. Mich nicht mit drehen, meditiere. wenn die Welt sich weiter dreht. Einfach den Moment genießen. #Mission: innere Mein Körper scheint nun mit mir in Verbindung treten zu wollen. Ich horche tief in Ruhe fnden. mich hinein. Ein Knurren ist deutlich vernehmbar geworden, es erzeugt ein starkes Echo. Lässt auf eine innere Leere schließen. Eines der menschlichen Ur-Bedürfnisse Noch kurz ein Zeichen nach draußen senden, dass ich bis auf Weiteres #notavailable also. So was erkennt man, wenn man zur Natur zurückgekehrt ist. bin. Im Urlaub: #backtotheroots! Zwanzig Likes in den ersten zwei Minuten, bevor ich Googelt ihr ruhig weiter eure Symptome und legt dem Doc euer selbstgebasteltes mich für die nächste Zeit abmelde. #SelfAssessment vor. Schluckt weiter lustige bunte Pillen, die euch vergessen lassen, dass Der Strand ist menschenleer. Das Meer rauscht vor sich hin. Eine kalte Brise lässt ihr eigentlich #completely #unhappy seid, während ich – ganz Herr meiner Sinne und mich erschauern und die Palmenwedel erzittern. Wolken und Minuten ziehen vorbei. ohne künstliche Hilfsmittel – einfach meinen natürlichen #Instinkten folge. Ich liege auf meinem Handtuch und nichts passiert, keine neuen #Updates zu Wohl oder übel wage ich mich ins Neuland vor, werde zum Jäger und Sammler. Mit vermelden. #phishing kenne ich mich nicht besonders aus, aber Angeln ist ja #supposedly eine Ich schlage den Roman auf. Habe ich mir von meinen Eltern geliehen. Soll ein echter beruhigende Sportart, wie ich gehört habe. #mustread sein. Aber irgendwie geht’s nicht vorwärts. Obwohl ich schon auf Seite 3 Irgendwann ist selbst meine Geduld am Ende. Frustriert gehe ich zurück zum Strand. bin. Und so ganz ohne Filter? 140 Zeichen sind doch völlig ausreichend, um das #Amazed bleibe ich vor einem kleinen Felsen stehen. Er ist mit grün-braunen Algen Wichtigste mitzuteilen! Mein rechter Arm wird schwer. Ich verspüre eine innere bedeckt, in denen ein mittelgroßer Fisch zappelt. Unruhe und lege das Buch beiseite. Während ihr euch hinterher mal wieder #empört, weil ihr möglicherweise Pferdefeisch Was wohl #backathome gerade alles abgeht? Durch meine Opfer-Abos werd' ich's gefressen habt, weiß ich ganz genau um die #origins und die Zubereitung meiner scholk rz Mahk ihogho 20 21 Mahlzeit: Sushi direkt aus dem Meer. Genevieve May & Daniel Rebbe Möwen kreischen. Das Rauschen des Meeres nimmt zu. Nicht leicht, sich dabei auf Spaces Which We've Made Our Own Meditation und Verdauung zu konzentrieren. Doch ich bin wie der Fels in der Brandung, lasse die Augen geschlossen und bleibe ruhig und besonnen liegen. I wake up slowly, small & bed-warm, blinking dreams amongst the covers & I hope for Komme was wolle. a good day this time. Coffee always makes me sick but I drink it anyway, every #Hektik ist was für #Loser, die ständig beschäftigt sind und immer Angst haben, was morning, velvet-eyed & half asleep. You make some for me; grinding beans – the Wichtiges zu verpassen. Mein Motto: In der Ruhe liegt die Kraft. rhythmic pace drowning out the awful radio songs. Today I'm the fower & you're the Meine Füße bekommen ein paar leichte Wasserspritzer ab. Refexartig greife ich nach vase. Some days I'm both. Yes, there are regularities & rituals: you wake up frst, meinem #Bodybag und durchsuche das vorderste Fach, werde aber nicht fündig. always, always, opening the room to rain-heavy skies & I undress into the cold, leaking Das Rauschen schwillt zu einem Tosen an und die Wellen brechen krachend über mir a puddle from the shower onto the foor. What if you grow a bit more? I hear you whisper zusammen. #Surprised laufe ich durch den beigen Sand. Meine nackten Füße wirbeln to the lemon tree as I'm hiding in the folds of my huge foaty skirt. I move, the sound Staub auf. Die #Clouds über mir haben sich zu einer grauen Masse of my bare feet loud in the spaces which we've made our own. You smell like the sea, like zusammengezogen. salt & shells in your mouth you say & the look on your face tells me all kinds of stories, #Hilfe! Die Welle ist mir dicht auf den Fersen. Wassermassen vernichten meine secrets. I think I know only the tiniest part of you, like your dewy eyelashes & the Fußspuren, spülen einfach Sand darüber. Diese #Hetzjagd nimmt kein Ende. sounds they make when you're dreaming. I imagine all the conversations we haven't Geradeaus, links oder rechts? Eine präzisere Beschreibung meiner Situation? had yet as I feel the hairdryer-heat on my head. You tickle me, laughing; a playful look Koordinaten? Wie ich mich fühle? Ob ich gut trainiert bin? Ein Pic??? Hätte, hätte in your eyes & I look at you & I say yours are the cutest curls I know. #Deutschlandkette. Den Strand habe ich hinter mir gelassen, rase keuchend auf ein Gebüsch zu. Mein Leise im Nebenraum bist du. Ich bin eingehüllt in ein Radiogespräch, lauter Akkustand: ca. 10%. Während ich darüber nachdenke, wie lange das wohl noch Melodien in Zwischenschnitten. Du in Decken gerollt. Du gähnst und ich kann nicht reicht, spüre ich, wie etwas an mir kleben bleibt. Dünne, fast durchsichtige, gewobene, anders. Ja, es gibt Rituale, die sind wie Routinen. Und manches träumst du nur seidene Fäden, die sich immer weiter zusammenziehen, je weiter ich laufe. einmal im Leben, aber vergisst es nie wieder. In kleinen Schlucken, sagtest du mir. Dann Das Netz wickelt sich um meinen Körper, es macht mich blind, bringt mich zum bleibt der Moment vielleicht, überdauert dich und mich, dachte ich. Aber wir leeren Stolpern und erstickt meinen letzten #Aufschrei. dsffdsgffd dgfh und füllen uns zugleich. Vielleicht. Mein Kopf fühlt sich wie etwas zwischen Styropor und Watte und ich glaube dann: Jetzt beginnt die Nacht. Einen Augenblick fällt die klk 22 23 Idee, bald ziehen wir mit, dorthin, wo alles durchgemischt wird, an einen Stefanie Dominguez vorgesehenen Platz zurückkehrt und dann, später, nach ein paar Stunden leiser Richtung Himmel Bewegung und vergessener Gleichmäßigkeit, wie neu glänzt oder auch nicht. Schlaf. Aber vorher, manchmal auch nur zwischendurch, setze ich zusammen, was mir in Hör auf. Hör einfach auf, zu atmen. Stücken, Fragmenten, wie bei einem Puzzle verrät, dass es abends ist, oder schon war. Doch es ging nicht. Jetzt formt dein Mund Melodien aus Geräuschen mit deiner Zahnbürste als „Was machst du da?“ Instrument und deinem Rachen als Verstärker, wie die Abspannmusik eines Augenblicklich nahm er den Strick von seinem Hals. Er hing im Baum wie ein bekannten Streifens. Ich weiß dann, oder errate manchmal, wann und wo, und will verräterisches Pendel, das die Zukunft vorhersagte. auch mal als erster im Bett sein. Du schläfst neben mir. Jemand hat mir gesagt, ich bin „Ich?“, fragte er. Vor ihm stand ein kleiner Junge. Sein Haar hatte die Farbe von besser leise, und ich denke irgendeine Weile darüber nach, ob ich mich bewegen nassem Sand. In seinem rechten Mundwinkel steckte ein Lutscher, dessen Stiel keck kann, bevor ich es tue und schlafe darüber ein. Du träumst, ich träumte von dir und zur Seite ragte. mir. Ich lachte im Schlaf wie am Tage, hast du mir gesagt. dgd „Ich mache gar nichts.“ Der Kleine krauste die Nase. „Und wofür brauchst du dann ein Seil?“ Berechtigte Frage. Ein Rabe ließ sich auf einem Baum ihm gegenüber nieder. Seine schwarzen Augen schienen die seinen einzufangen und er erwiderte den Blick. Schließlich fog der Vogel in Richtung Himmel, zurück blieb nur ein schwarzer Schatten. „Ich baue eine Schaukel.“ Die Worte purzelten aus seinem Mund wie Murmeln. „Das ist aber eine schlechte Schaukel“, meinte der Junge und nahm seinen Lutscher aus dem Mund. Der klebrige Zucker hatte seine Zunge rot gefärbt. Er drehte sich noch einmal zu seinem Strick um und griff sich an den Hals. Sein Atem ging schwer, als würde sich das raue Material noch immer um seine Kehle legen. „Vermutlich hast du Recht. Es war nicht meine beste Idee.“ „Das macht nichts. Ich kann dir helfen.“ 24 25 Langsam wanderten seine Augen wieder zu dem Kind. „Ja.“ Dann: „Ja, vielleicht Anastasja Schmidt kannst du das wirklich.“ Papierschiff Geschäftig hob der Junge die Hand und zählte mit den Fingern. „Wir brauchen auf jeden Fall einen Reifen. Und vielleicht noch ein Brett.“ Er hielt inne und hob die Flugzeuge falten gelingt mir nicht, aber Papierschiffe gehen mir leicht von der Hand. Augenbrauen, die beinahe unter seinem Haaransatz verschwanden. „Hast du „Iss dein Gemüse auf“, sagt Mama. „Dann kannst du in den Garten gehen.“ überhaupt einen Raumanzug?“ In einem Erdloch hat sich Wasser gesammelt. Das Gras ist noch feucht vom Regen. Er blinzelte. Getrocknete Tränen hingen an seinen Wimpern. „Brauche ich den Wenn ich in die Sonne blinzele, brennen meine Augen. Der Glanz auf der denn?“ Wasseroberfäche scheint dann nicht mehr so klar. Ich stelle mir vor, es ist das Meer, „Ja“, antwortete der Junge gedehnt. „Den muss man tragen, wenn man in den über das ich mein Papierschiff treiben lasse. Mit den Fingern erzeuge ich Wellen. Ich Himmel fiegt.“ „In den Himmel?“ lasse sie gegen die Erdränder prallen. Ein schwacher Wind kommt auf und bringt das Der Junge verdrehte die Augen. „Deshalb schaukelt man doch“, erwiderte er langsam, Schiffchen ins Wanken. Es strauchelt, fängt sich wieder, dann kippt es, läuft voll und als spräche er mit einem unwissenden Kind. „Damit man mit den Füßen den Himmel ist beschädigt. Nichts ist mehr damit anzufangen. Ich drücke es tiefer in den Grund, berührt, wenn man hoch genug kommt.“ dort soll es zur Ruhe kommen. Als die Tränen wieder begannen, ihre Bahnen über seine Wangen zu ziehen, schob der Junge seine kleine Hand in die seine. „Keine Angst, das ist gar nicht so schwierig.“ Am Abend trinke ich Milch durch einen Strohhalm. Er zögerte. „Du bist dünn geworden“, sagt Mama. „Du musst auf deine Knochen achten.“ „Oder willst du gar nicht in den Himmel?“ Mit den Händen nimmt sie Maß an mir. Daumen und Zeigefnger schließt sie zu „Doch.“ Seine Stimme krächzte. „Furchtbar gern. Ich würde gern jemanden einem Kreis zusammen. besuchen.“ „Das ist dein Handgelenk“, sagt sie. Es macht mich ehrlich erschrocken. So dünn war Der Junge nickte. „Ich auch. Meinen Opa.“ es mir nie erschienen, nun sehe ich es durch ihre Augen. „Meine Tochter.“ Im Fernsehen schauen wir Nachrichten. Es passiert viel, das uns nicht betrifft, deshalb Noch immer Hand in Hand starrten sie auf den Strick, der im Wind wiegte wie eine bleiben wir unaufgeregt. Das Wetter interessiert mich besonders. Regen mag ich lieber beschworene Schlange. als Sonne, doch nicht an allen Tagen. „Für heute habe ich genug gebastelt. Was meinst du?“ Mama schmiert Brote, während sie die Lottozahlen erwartet. Sie hat kein Glück. Sie Der Junge zuckte die Achseln. „Mach dir nichts draus. Bei mir hat es auch sehr lange gedauert.“ 26 sagt: „Dann bleiben wir eben arm“ und lacht, aber wir haben uns lieb. Wir hetzen uns 27 uns, weil wir einander haben. Die Stimmen und den Motorlärm von draußen Mit zittrigen Fingern falte ich ein Schiffchen zusammen. Kante an Kante lege ich die schließen wir aus. Fremde Geräusche hat Mama nicht gerne. Selbst der Wind Seiten aneinander, öffne das Papier, knicke zwei Dreiecke um, das wird das Segel sein. erscheint ihr aufdringlich. Ich schweige und trinke meine Milch, bis der Bauch sich Ich klappe es wieder zusammen, stülpe die Finger in die Öffnung und ziehe es wölbt wie ein Ballon, und nehme mir vor, an Gewicht zuzulegen. auseinander. Die kleine Spitze dazwischen drängt nach außen und ich lecke daran. Vor dem Zubettgehen sehen wir alte Fotoalben durch. Das macht uns müde. Wir Im Garten ist das Erdloch trocken gelegt. Wattige Wolken auf einem blauen Himmel, schwelgen in Erinnerungen, erzählen uns Geschichten, holen zurück, was einst es ist kein Regen in Sicht. Das Mädchen hat die Wäsche in einem Korb verstaut. Jetzt verloren ging. Papas Gesicht bewahre ich auf Papier, mehr ist mir von ihm nicht dreht sie sich mir zu, hat mich am Fenster erspäht. Sie hebt den Arm zu einem Gruß geblieben, seit er ging. Ob er groß war, weiß ich nicht mehr zu sagen. Auf den und legt das Dunkle unter ihren Achseln frei. Früher habe ich Perlen darin gesucht. Fotografen kommt er mir wie ein Riese vor. Starrende Augen hat er gehabt und ein Ich winke, aber unbeeindruckt. Bald ist sie im Haus und ich bleibe leer zurück. Lächeln, das schief saß. „Herzen“, sagt Mama, „müssen gebrochen werden, damit sie auslaufen können. Wie Vor dem Spiegel im Bad versuche ich, mein Lächeln zu kippen, bis es dem seinen sonst lassen sie sich von Neuem befüllen?“ ähnlich wird. Ich leihe ihm dafür meinen Mund. Mama ist in der Tür. Sie weint und fürchtet, ich könnte mich in ihm verlieren, so ähnlich würde ich ihm werden, wenn Unten ist der Tisch für zwei gedeckt, die Vorhänge sind zugezogen. Eine Girlande ich die Stimme erhebe. Dabei stünde es ihm nicht zu, mich derart zu vereinnahmen. hängt über der Tür, darauf mein Name, nur der letzte Buchstabe baumelt träge. Das Es sei doch sie, der ich entnommen wurde. Ich schließe sie in die Arme. Dann wird sie Leuchten der Kerzen zeichnet dunkle Schatten in unsere Gesichter. Obwohl sie lacht, weich und zugänglich. wirkt Mama alt und traurig, als sie mich in die Arme schließt. Der Tag meiner Geburt ist nicht nur ein freudiges Ereignis. Sie schenkt uns Tee ein und lässt zwei Würfel „Triffst du das Mädchen noch?“, fragt sie und legt die Decke über mich. Ich werde Zucker in meine Tasse fallen. Ich mag den Tee lieber ungesüßt. Beim Umrühren verlegen. schlägt der Löffel gegen das Porzellan. Das Geräusch bleibt in der Stille stecken. Das Mädchen treffe ich nicht mehr. Das würde ich nicht wagen. Mama stimmt ein Lied an und klatscht in die Hände im Takt. Das Kuchenstück teile Vom Fenster aus aber sehe ich ihr gerne zu, wie sie sich am Morgen nach der Wäsche ich mit einer feischigen Fliege, die sich im Zuckerguss die Beine säubert. auf den Leinen streckt. Auf die Zehenspitzen muss sie sich stellen, so klein und An meinem Geburtstag möchte ich mich glücklich denken und wäre lieber zierlich ist sie von der Statur, sehnig und weich ist ihr Körper. Dicke Adern verlaufen andernorts. Auf dem Papierschiff würde ich zu dem Mädchen treiben und mit ihr die wie Kanäle durch ihre Arme. Alles an ihr pulsiert und ist mit Leben gefüllt. Sie hat Welt entdecken. Ich träume davon, wie sich die Meeresdecke im Rausch an ein rotes Gesicht, das mich an Kirschen denken lässt. grg Hindernissen schaumig schlägt. 28 29 Imagination II Mama erzählt dieselbe Geschichte seit fünfunddreißig Jahren, aber ihre Erinnerungen sind nicht meine. Ich war allein an Deck ihres Schiffes, als das Meer unter meinen Füßen zu toben begann. Wogen von Wellen schwappten über, um mich unter sich zu begraben. Durch die Decke über mir ging ein Riss. Gleißendes Licht fel auf mich herab. Die Luft war schwer und feucht. Der Druck lastete auf meinen Lidern. Um nicht ins Dunkle abzutreiben, war ein Tau an meinen Bauch gespannt. Ich tastete danach und wollte es zu fassen kriegen, doch es erwies sich als unbrauchbar und entglitt meinem Griff. Der Sturm war gewaltig. Im Tosen, im Aufbegehren ließ er mich gegen die weiche Fleischreling prallen. Mein Körper wurde herumgerissen. Das Tau wickelte sich um meinen Hals und drückte mir die Luft ab, bis ich blau und träge wurde. Erst fremde, kalte Hände mussten mich nach oben ziehen. Das Schiff verlor sich in der Tiefe. Manchmal wünschte ich mich dorthin zurück. Ich muss an das Papierschiff im Garten denken, das ich in den Erdgrund drückte. Es ist so eingefallen wie Mamas von Tränen durchweichtes Gesicht, als sie mich zum ersten Mal ungläubig im Arm hielt, da sie mich verloren geglaubt hatte. Seither hatte ich ihr versprochen, zu bleiben. Wir essen Kuchen und schweigen. Später stellen wir den Fernseher an. Die Stimmung ist nur noch mäßig getrübt. Die Jahre ziehen vorüber, eines ums andere, und wir sind beieinander. Da kommt nichts dazwischen. Mama weint und herzt mich. Sie nennt mich „Kapitän“. Einst habe ich der wilden See getrotzt und bin nicht in ihr ertrunken. dfgh 30 31 Marcel Barkey A: „Hören Sie auf, mich anzufassen.“ Ein Gespräch unter vier gesunden Augen B: „Das bin ich nicht.“ Beruhigend ruckelte der alte Aufzug dem ersten Stock entgegen, bis er plötzlich zum Stehen kam. A: „Scheiße!“ B: „Was ist?“ A: „Das Licht ist aus. Sind Sie blind?“ B: „Ja!“ A: „Tut mir leid.“ B: „Schon gut. Das ist nix, woran ich mich nicht inzwischen gewöhnt hätte. Haben Sie nicht gesehen, wie ich mit meinem Stock angekommen bin?“ A: „Nein, ich war mit der Zeitung beschäftigt, wie Sie jetzt NICHT sehen. Haben Sie sich gemerkt, wo der Alarmknopf ist?“ B: „Nein. Meine Schwester hat den Knopf für die Etage gedrückt.“ A: „Und wo ist Ihre Schwester?“ B: „Oben.“ A: „Da steht sie gut.“ B: „Haben Sie sich gemerkt, wo der Alarmknopf ist?“ A: „Würde ich Sie fragen, wenn es so wäre?“ Ein Räuspern ertönte. dsgfdg 32 C: „Ich bin das.“ A: „Wer sind Sie?“ C: „Der dritte Mann. Also der im Aufzug.“ A: „Und warum haben Sie mich betatscht?“ C: „Ich suchte den Alarmknopf.“ B: „Haben Sie ihn gefunden?“ C: „Nein. Haben Sie ein Handy?“ A: „Gute Idee. Scheiße, Akku leer. Sie?“ C: „Nein. Sie?“ B: „Ich habe kein Handy, ich bin blind.“ C: „Entschuldigung, habe ich vergessen.“ B: „Ich würde es auch gerne vergessen.“ C: „Warum haben Sie kein Handy, weil Sie blind sind?“ B: „Das ist ganz einfach: Ich …“ A: „Jetzt fasst mich wieder wer an.“ B: „Sorry, das ist der Hund. Aus!“ C: „Haben Sie Platzangst?“ 33 A: „Das ist Raumangst.“ B: „Schrecklich, nach Feierabend zu sterben.“ C: „Nein, ich meine Platzangst. Wenn man Angst vor engen Räumen hat.“ A: „Keiner stirbt hier. Wir sind höchstens seit fünf Minuten hier drin. Davon stirbt keiner.“ A: „D A S I S T R A U M A N G S T.“ C: „Sind Sie sicher?“ „Sehr geehrte Fahrgäste, es ist zu einem technischen Defekt gekommen. Wir versuchen, den Schaden so schnell wie möglich zu beheben. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ A: „Ja.“ A: „Sehen Sie, kein Grund zur Panik.“ C: „Und?“ A: „Was und?“ C: „Haben Sie welche?“ A: „Nein. Und Sie?“ C: „Nein. Was ist mit Ihnen?“ B: „Eigentlich schon. Aber nicht, wenn ich getrunken habe – so wie jetzt.“ C: „Gut, dass der Hund da ist.“ B: „Wieso?“ C: „Wir können ihn essen, wenn wir Gefahr laufen, zu verhungern.“ A: „Verdursten wir nicht eher?“ C: „Schon, aber es ist trotzdem eine gute Nachricht. Wir haben nicht einmal einen Eimer zum Pieseln hier. Da hätte die Aufzugsfrma ruhig mal dran denken können.“ B: „Oder an Notverpfegung.“ C: „Oder an einen blinkenden Alarmknopf.“ 34 dsgfdg 35 Imagination III Naby Berdjas Lichtspiel (weiß für weiß) Lehenslange Lassoschlangen die wie Bambusstangen die wie Bast im Grünlichwald den Tiger in den Karzer fangen. Mitgehang' „na dann häng doch“ muss das Waldhaupt durch den Kehlkopf riechen Ganz verschweißt ist seine Tinte auf der Filmhaut der Mowgliskin aus der Packpuderdose in Backpapierfarbe Und der Bambuskarzer knackt geh doch auf der Stelle im Kreis sagt Backpackmowgli und weiß: kein Tiger wird gegessen Nur Licht und Spiele und am Ende ein fickfackernd weißer Kinokreis. 36 37 Hulliams Kamlem Lena Vollmer Glasnächte Euch nicht sehen können Stell dir den Mond vor mitten im Herzen des Nachmittags fragend nach den vielen Fledermäusen und deinem Schatten – gepolstert im Vergessen und trunken von der Abwesenheit jeglicher Geister Euch viele. jemand versucht das Bild der Wahrheit zu senken und kein Ozean stimmt ihm zu die Sonne kündigt sich an für den Abend sie wird rötlich an ihren fachen Wangen als der sanfte Wind ihr fammende Liebe verspricht Dafür Geld bezahlt. Des Gewissens beraubt, stell dir uns vor schlaf- und angstentzogen urlaubend in den Spiegeln und Metaphern – auf der Insel unseres Heimwehs bauen Stunden ein wolkiges Zimmer wir teilen das Bett und altern in die Kindheit. Tatenlos zuschauen, ist Geschehen, 38 Wie viele? Irrelevant die Zahl, Größe Kein Gewicht in der Physik – Masse Aus Schemen. Nein, Massen schämen sich Nicht. An der Garderobe abgegeben, ordentlich Verwahrt. Teilweise beim Eintritt Ans Über Über Ich verliehen. Einschnitt Pause des Selbst. In der Masse taub Keiner sieht. Nicht einer denkt. Mitsprechen, mithandeln, nicht einmal das – Wem habt ihr euer Selbst geschenkt? – Bewusstsein nicht ohne selbst – Keine Tat. Selbstfndung, trotz viele. Ich kann Euch nicht sehen. Euch viele. 39 Valfy V. Sebastian Bartling Polemetrodach Endspiel Gezeiten und Tektonik schritt Entlang der Atemfaser zerschneidest du den Wörtern ihre Fühler: Mit stampfenden Proflen Brach Küsten von der Welt Riss Flüsse in das Marsfeld Abdruck der Turmstadt blieb Metropole ubahnverschachtelt Lichtauge vom Eisenfels sieht An Schluchten Bewegung blinzeln Ausgestanzte Höhen Tiefen winken Panorama in den Betrachter Grenzgang für Augenschlag Fügt Weite in die Linse ein Sturzfug für Kamerafahrt Fügt Tränen in die Linse ein Hinab an Sonnenbrillenglas in das Tal Aufzeichnung landet mit Beben Ausweichend wandelt das Schweben Zwischen Menschenstromlinien Und anonymen Fahrwassern über Bereiften Lack stellt es scharf Es sei nichts mehr Welt, außer deinem halb geöffneten Mund. Es wird nichts mehr Welt, außer deinem geschlossenen Schleier. // Leben im Dunst, Vorwärtsschreiten im Dunst. Große fiegen, kleine laufen immer fort von dir. Sich errettend ins metaphysische Nass, doch kein Boot. // Kein Gedanke schafft mehr Grauabstufungen. Mit Rehaugen stehe ich im Lichtkegel. Schneidet Szenen in den Tag ssd 40 41 In Between Das nachfolgende Kapitel ist ein Auszug aus „Humans: a treatise – an in depth and futile research of the summit of creation“ “In order to understand the world, one has to turn away from it on occasion.” - Albert Camus 1.1 Me Against the World I will now return to the means of self-defnition. As mentioned before, a defnition of self is mostly connected to how we perceive ourselves in comparison with those around us. An individual human shifts its attention away from the herd that is humankind and perceives itself as something which is self-contained. This concept of insularity leaves the mortal strangely convinced that the motivation for any sense of life should stem from within the confnes of its unique being. Usually with the beginning of puberty the human starts to believe, that it has certain longings and necessities that are vastly different from other humans and thus need to be satisfed immediately. Although this happens all around the world, repetitively in every generation, it is always seen as a highly surprising and shocking phase – one for which the concerned animals were not prepared. After having experienced the beautiful and easy life of the fed and loved from inside the protective bubble of nest warmth – they are tossed into the real world, having to come to terms with the fact that what they want, need or wish for is not at all important to anyone but them. Traumas! Traumas everywhere! If only one could have foreseen what was bound to happen! However, scientists have found out that it is exactly this harsh and cruel phase that makes it possible for those amateur humans to fully develop into professional humans. Some do so more successfully than others. 42 43 After this episode of intense maturing, the human has learned that it should lower its the example of how unfortunate it is for a bird to be in possession of quite an expectations of the world and mistrust everything and everyone but itself. As a result abnormally long beak, in an area where prey can only be obtained via the short and the typical votary of human race starts to retreat into its shell¹ – it withdraws itself fligree beak of a mutated congener. Although being distinct as distinct a man can be, into a state from which it sees itself as cut off from the outer world and other humans. this phenomenon resembles exactly the disturbance in which a representative of This omphalotomy enables the human to differentiate itself from its surroundings; humanity fnds itself, if this special individuals’ appearance mainly – albeit surely not hence it sees where certain features overlap and where they come asunder. exclusively – be characterized by cozily bushy eyebrows; then, how successful this sole . soul will prove when it comes to fnding a mating partner², will be based upon which Following from this, there are two possibilities of how a human being reacts to these time this human lives in. There will be an additional chapter especially devoted to the self-observations. As a frst option, it might be encouraged to think that these topic of these kinds of time-dependent factors. differences mark it as unique – these types of humans translate their non-matching features into a justifcation for their existence. This depicts a very bold move that can only be executed by certain animals of the Homo sapiens. Most of their fellow humans usually comment on such a type with the words: “Look at that person! She/He’s crazy!”. The alternative to this option, practiced by the majority of humans, is to see its discrepant way of life as innately incorrect, thus altering its behavior, preferences and frst and foremost outer appearance in alignment with the standard ideal which is exemplifed by the preponderance of humans favored by generation-specifc trends. This behavior is welcomed by the dominating class – of course. In order to not show their approval directly and to speed up the process of transformation, these encouragements are to be concealed via catcalls, harsh insults and severe bullying. The respective concept of ideals and trends is time-dependent and can be compared to the biological niche of lower animals. Plunging into the disgustingly subordinate realm of menial vertebrates, has presented us with Again, it becomes apparent here, that the acceptance of the individual is based on its will to conform to the rank and fle. How accepted a single human feels, strongly correlates with the person’s impression of self-worth. The more adapted a lone human being is, the more it is tolerated by others. The more it is tolerated by others, the more it feels justifed in its existence and thus valued. Self-worth can thus be described as the product of other people’s rating of an individual’s self. It is quite fascinating to see, that the self-worth is hence something that is constructed outside of the self of which it attributes to. So why is this value so vital to the human on its search for a self-defnition? To answer this, we have to examine what is at the basis of this quest, namely to fnd the reason for our existence – much like a google backwards search – by means of understanding the nature of the product of this existence (= us). It is hypothesized that, as long as the human acquires a defnition that grants it certain signifcance, it is convinced that its life on earth did not come about coincidentally but for a specifc reason. 1 Editor’s note: Of course “shell” here should be transferred via higher cognitive abilities from the literal level of understanding to a kind of meta level, since our divine human race surely does not possess any shells. 44 2 Editor’s note: A funky new alternative to the copulation mentioned above, would constitute plain and safe sexual intercourse for the mere fun of it – a form of recreation that enjoys more and more popularity amongst all sexualities (hint: there is more than one) and genders (hint: there are more than two). 45 A critical response to this has been adduced via the example of a certain subtype of what a specifc human being, at a certain point in its lifespan, is, shall forever be in a the Homo sapiens. Namely those that can be recognized by their usually glaring, state of uncertainty – as it can change from within and without in only seconds. sportsy and outdoorsy clothing. They often have very complex fur markings that spell In this unclear and undefned state, the human is at a loss. After all this retreating, such abstract things such as “The North Face”, “Jack Wolfskin” or “Timberland”. thinking, comparing, evaluating, soul and defnition searching it has moved no step These representatives usually subscribe to a nomadic and adrenaline-packed lifestyle³ further – much like a dog that chases its tail (isn’t that cute though?!). The individual and strongly hold on to their globetrotter philosophy of life, where they would argue superordinate animal is so self-absorbed and aware now, that it ascribes all upcoming that a sense in life can only come about in confrontation with nature. The justifcation choices in its life to an unprecedented importance. Instead of naturally living day by for existence would not derive from what is already within us, but from what can be day, emotions by emotions, the human analyzes itself with an external view – judging set into motion by Mother Nature’s embrace. True value would thus be obtained via its own actions, behavior and appearance like a stranger. This stranger is, strangely active gathering of experience – it is not a reciprocal act of self-analysis, but a enough, not a physically existent thing (let alone person) but an abstract mental vigorously dynamic act that allows for a human to excel in the most heroic way. In this construct which pressures the individual into a certain way of life. This way of life is version of self-defnition, the value of said explanation is something which the human unrealistically perfect and grossly superfcial, but nonetheless supposedly the only one creates on its own, during the whole process of its existence. It remains to be seen, worth living. In order to be a part of this life, the human tries everything to raise its how successful this animal strategy will be. Some have argued that even those “own value” in the eyes of the other hominids. Trapped in the sea of hubris, we fnd creatures fnd most pleasure in reporting their deeds and adventures to a group of the individual – with stones in its pockets – struggling to fght the waves, desperately humans with subordinate status (non-adventurers), in order to further set themselves trying to save itself from drowning. It is an all year 24/7 show in which the egocentric apart and to boost their value in relation to other mammals. So regardless of how a Homo sapiens tries to impress people he does not necessarily know, like or care about, certain value is established, we see that there is a pattern of continuously setting a self in a way that says: “Hey, look how much I love myself for the things I do and have – in relation to other selves, whilst always maintaining a clear differentiation to those maybe you should consider loving me as well!?”. others. After having evaluated, then, how much its individual self is worth – in accordance with the given differences and commonalities – the non-primitive primate thinks that it now has an impression of who it might be and can thus initiate certain changes if it fnds the answer to that question unsatisfying. Sadly, what follows from this, is that what 3 Editor’s note: If you ever see one of their representatives on a Saturday afternoon in a pedestrian area, sipping skillfully on their chai tea latte, you should make sure to cherish their benevolence of desisting from their mountain-hopping to linger for a while in the dishonorable idleness of the everyday human. 46 By putting itself at the center of its world, this eager animal often forgets that it is – and will always be – dependent of those other humans around it, which strike the angsty individual as so alien. By all the lines it draws between itself and the others, while still being dependent on external approval, it is bound to get swallowed up and lose itself in an in-between state of neither fully here nor fully there. – Sina Neueder 47 Reality I Der große Eistaucher Rezension zu Arthur Conan Doyles ‚Heute dreimal ins Polarmeer gefallen – Tagebuch einer arktischen Reise’ Anna Lenz Acht Jahre bevor er Sherlock Holmes die literarische Bühne betreten lässt, heuert der damals 20-jährige Medizinstudent Arthur Conan Doyle auf einem Walfänger an. Die Anstellung als Schiffsarzt auf der Hope verspricht dem höchst mittelmäßigen Studenten aus Edinburgh eine willkommene Abwechslung von den Öden des Schreibtisches. Zudem winkt ein guter Lohn. Es ist kaum mehr als Zufall, dass er auf Fahrt geht: Weder ist Conan Doyle ein erfahrener Harpunier, noch tut er sich durch besondere Medizinkenntnisse hervor – es ist eher eine gehörige Portion Abenteuerlust, die ihn antreibt. 130 Jahre lang war das Logbuch verschwunden, das Conan Doyle auf der Hope führte. Es erschien auf dem amerikanischen Buchmarkt 2012 unter dem Titel Dangerous Works – Diary of an Arctic Adventure und liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor. An Bord ist Conan Doyle dann tatsächlich Mediziner. Seine Aufgaben liegen neben der Versorgung der Crew auch in dem Führen des vorliegenden Logbuchs. Doch das ist dem Draufgänger nicht genug. Er, der in der Heimat aus sämtlichen Kneipenschlägereien als glorreicher Sieger hervorgegangen ist, soll nun am Boot bleiben, während die ‚echten Kerle’ sich über Eisschollen in die Schlacht begeben? Conan Doyle will es sich auf keinen Fall nehmen lassen, mit nach Walen und Robben zu jagen. Doch als die Jagdsaison am 3. April beginnt, verbietet es der Kapitän: Zu gro 48 49 groß ist das Risiko, dass der unerfahrene Student im Eismeer ertrinkt. Schmollend nur allzu brutal und auch Conan Doyle lässt die blutige Jagd nicht etwa völlig kalt. Als sitzt Conan Doyle daraufhin auf der Reling und plumpst ganz unmutig auch noch ins der Kapitän ihm nach der Heimkehr anbietet, im nächsten Jahr als Harpunier Wasser. Als der Kapitän das bemerkt, beschließt er, den jungen Mann doch mit auf mitzufahren, zieht Conan Doyle der blutigen Jagd nach Heulern das friedliche die Jagd gehen zu lassen, denn vor der Gefahr des Ertrinkens im Polarmeer scheint Schottland vor und schließt sein Studium ab. Nur wenige Jahre später wird er einer ihn auch das Schiff nicht zu beschützen. Einige Male mehr wird Doyle dann noch die der bekanntesten Kriminalautoren der Welt sein. nasse Kleidung im Maschinenraum trocknen müssen. Mit schelmischem Stolz und auch ein bisschen Selbstironie schreibt er seiner Mutter, er habe den Beinamen Das Vorwort und ein editorischer Essay der Herausgeber Jon Lellenberg und Daniel „großer Eistaucher“ erhalten. Stashower helfen den Einstieg in Conan Doyles Aufzeichnungen zu fnden. Besonders interessant für Enthusiasten des weltberühmten Detektivs aus der Baker Street ist Auch wenn er sich auf dem Eis mehr schlecht als recht auf den Beinen hält, ist Conan wohl die Erzählung ‚Der Schwarze Peter’, in der ein Kapitän von einer Harpune Doyle ein durchaus erfolgreicher Jäger. Die Jagd, das Zählen der getöteten Tiere und durchbohrt vorgefunden wird und Conan Doyle Teile seiner Erfahrungen als das Warten auf die Sichtung neuer Robbenkolonien, Narwale oder Seeelefanten Walfänger verarbeitet. Die Übersetzung von Alexander Pechmann ist dabei durchaus dominieren seine Logbucheinträge. Und dennoch: Das Logbuch ist dabei nicht nur gelungen. Es lohnt sich auch in den mitabgedruckten Faksimiles zu stöbern: Man ein offzielles Dokument. Der Autor begnügt sich gerade nicht damit Längen- und kann dabei neben Conan Doyles sauberer Handschrift auch die liebevoll gestalteten Breitengrade oder die Beute niederzuschreiben, sondern nutzt die Gelegenheit, und detaillierten, wenn auch etwas unbeholfenen Skizzen des Autors bewundern. Es persönliche Erfahrungen zu Papier zu bringen und schafft ein arktisches Tagebuch. Er ist ein Buch, das besessen und verschenkt werden will, keineswegs sollte man sich mit wird außerdem fürchterlich wütend, als ein Kamerad das Logbuch liest und bei Tisch der E-Book-Version zufrieden geben. Herausgeber und Verlag haben hier ein wirklich vor der Mannschaft rezitiert. Conan Doyle widmet ihm den nächsten Eintrag mit der wunderschönes Buch geschaffen. deutlichen Warnung, zukünftig die Finger von seinen persönlichen Gedanken zu lassen. Im August 1880 kann die Hope ein vorzeigbares Ausmaß an Beute im Heimathafen präsentieren: Hunderte von Robben, mehrere Wale, Vögel, Seeelefanten, sogar Eisbären. Man wundert sich, dass das Wasser bei dem zusätzlichen Gewicht nicht über die Reling schwappt. Dem heutigen Leser erscheinen Robbenjagd und Walfang n 50 „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen“ – Tagebuch einer arktischen Reise Arthur Conan Doyle John Lellenberg und Daniel Stashower (Hg.) 2015, mareverlag Hamburg ISBN 978-3-86648-209-8 334 Seiten 28 Euro 51 Reality II 52 53 „Pop-Literatur“ Pop, Politik, Literatur Ein Interview mit Thomas Meinecke geführt von Stefanie Scholz und Julian Gärtner Drosophila: „Thomas Meinecke pfegt ein enges Verhältnis zur traditionellen Pop-Kultur Ausdrucksformen. Daraus bzw. eine zu populären Verwandtschaft künstlerischen mit der zeitgenössischen, modischen Pop-Literatur abzuleiten wäre sicher Thomas Meinecke (geb. am 25. August 1955 in Hamburg) ist ein deutscher Autor, Musiker und DJ, dessen große Affnität zur Pop-Kultur sein Werk entscheidend prägt. Seit den 1980er-Jahren ist er für den Zündfunk als Radio-DJ tätig. Meinecke ist außerdem Gründungsmitglied der Avantgarde-Band F. S. K., die 1980 aus der Redaktion der Zeitschrift Mode & Verzweifung hervorging. Seine literarischen Werke zeichnen sich mitunter durch aus der Musik abgeleitete Schreibtechniken aus. Beispiele hierfür sind die Romane The Church of John F. Kennedy (1996), Tomboy (1998) und Lookalikes (2011), die im Suhrkamp-Verlag erschienen sind. Neben seiner Leidenschaft für Musik und Literatur ist Meinecke bekennender Feminist und interessiert sich für philosophische Fragestellungen. voreilig. […] Die Differenz liegt im literarischen Grundverständnis.“ – So beschreibt es Beat Mazenauer 2005 im KLG. Inwiefern trifft dies noch auf Dein jetziges literarisches Grundverständnis der Pop-Literatur zu? Thomas Meinecke: Die Pop-Literatur, auf die Mazenauer sich da bezieht, ist wahrscheinlich so etwas wie Stuckrad-Barre, Kracht und so weiter. Das fnde ich schwierig, denn sehr oft wird das, was ich mache und auch das, was Andreas Neumeister und Rainald Goetz machen – gerade wir drei, die wir bei Suhrkamp veröffentlichen – gegen die anderen aufgefahren. Wir sollen immer gegeneinander ausgespielt werden. Der Impuls bei mir ist dann eher der geworden, mich hinter die zu stellen, weil ich das nicht einsehe. Es gibt schon „guten Pop“ und „schlechten Pop“, aber das hat nichts mit dem bildungstechnischen Level oder der Differenziertheit des Referenzsystems zu tun. Das sind eher Geschmacksfragen, ähnlich wie in der Mode. Meinerzhagen, Sauerland. Ein Waldhüttenkomplex mit Sanatoriums-Flair und Blick auf das Tal. Bei Hopfentee und Nieselregen trifft Drosophila hier Thomas Meinecke zum Interview. Der Autor spricht mit uns über Musik, Kybernetik und Judith Butler. Es geht nicht um Schulabschlüsse oder Verlagsnamen. Und zum Teil kenne ich die auch, Eckhart Nickel und Christian Kracht sind Freunde von mir. Deswegen bin ich immer besonders dazu geneigt, die zu verteidigen. Ich mag nichts gegen die sagen und fnde auch vieles sehr gut. Natürlich ist es teilweise eine ganz andere Technik, die da verfolgt wird, aber man kann vielleicht trotzdem beides Pop-Literatur nennen. Oder konnte, das tut ja heute kaum noch einer. Ich habe immer noch kein wirkliches P 54 55 Problem damit, denn ich mag die Konnotation „Pop“ und auch die Silbe „Pop“, aber Autoren in Richtung Uni zieht – sei es für ein Studium, für Referenzen irgendwie ist es auch fast wie eine Tautologie oder eine überfüssige Bezeichnung. oder für Poetik-Dozenturen. Man könnte ja meinen, dass dabei die Literatur kann einfach auch nach Popmaßstäben ablaufen, wie jede Kunst, Pop- eigene street credibility draufgeht. Wie passt Uni mit Pop zusammen? Musik, Pop-Art. Ich habe den Eindruck, dass es in der Literatur ein bisschen aufgehört hat, dass das so genannt wird. TM: Ich bin ja gar nicht an einer street credibility interessiert. Für mich ist das viel in Zusammenhängen zu fnden, die akademisch sind, also zum Beispiel im Art School. Drosophila: Wer da gegen wen ausgespielt wird, ist ein Mechanismus, Bands wie The Kinks, Roxy Music oder später auch Blur sind an Kunsthochschulen den man von außen gar nicht sieht. gegründet worden und die ganze Arbeitsweise ist ganz stark geprägt von Appropriationstechniken aus der bildenden Kunst, Anverwandlung, Zitieren. Das ist TM: Das Feuilleton wollte das natürlich. Die wollten „Hoch-Pop“ und „niedrigen sowieso im gewissen Sinne leicht akademisch. Für mich ist das kein Schimpfwort. Und Pop“, aber das stimmt ja alles gar nicht. Trotzdem hat es dazu geführt, dass sich Leute ich habe auf jeden Fall mehr Resonanz aus Uni-Kreisen. Die Leute, die gerade wie Christian Kracht von dem Begriff „Pop-Literatur“ distanzieren. Der wollte nicht promovieren, machen wahrscheinlich den höchsten Anteil derer, die meine Bücher dabei sein, als Eckhard Schumacher diesen Reader Pop seit 1964 gemacht hat, weil er kaufen, aus. Wenn ich jemanden kennenlerne, dann ist das eine 32-jährige nicht mit dem Begriff in Zusammenhang gebracht werden will. Andere wie Rainald Promovierende – mit Krise allerdings (lacht). Das liegt wohl mit daran, dass mich auch Goetz meinen dagegen immer noch, dass das ein Begriff ist, mit dem sie sich interessiert, worüber die schreiben. Ich bin ja auch nicht im freien Orbit. Mich identifzieren können. So geht es mir eigentlich auch. interessiert auch immer das, worüber alle gerade reden. Jetzt sind das Affekte oder Aber sehr häufg ist Pop-Literatur doch ein bisschen journalistisch oder hat Pop zum Anthropozentrismus. Gegenstand. Andere Pop-Literatur funktioniert selber wie Pop, fnde ich. Bei mir sind die Schreibtechniken aus Musikformen entlehnt. Das kann Jazz sein, Bebop oder Ich lese jetzt die ganze Zeit Jean-Luc Nancy. Dann kommt man auf Kandidaten wie Techno, DJ Culture, Art School Pop – Zitatpop eben. Ich schreibe so, wie das ist. Und Blanchot, das sind schwierige Texte, die mir aber ganz oft empfohlen wurden von das tun viele von den Pop-Autoren nicht. Die schreiben einfach über Pop, so wie Nick Leuten, die an Unis studieren oder eine eigene Laufbahn beginnen. Das ist für mich Hornby. Aber ich fnde, das ist deswegen nicht unbedingt wirklich Pop. ein reizvoller Rahmen. Und ich werde da oft herumgereicht, denn die Topics in meinen Büchern sind eben oft akademische. Dann interessieren sich die Leute, die „Die Uni ist für mich ein reizvoller Rahmen“ darüber forschen, dafür, wieso sich jetzt ein Belletrist freiwillig in dieselben schwierigen Katarakte stürzt. Und deshalb werde ich immer eingeladen zu solchen Drosophila: Uns ist aufgefallen, dass es viele von den prominenten Tag Autoren 56 57 Tagungen – Post-Colonial-Sachen, Gender, Feminismus, Popkultur, andere seltsame Jazzgeschichte durch Dekonstruktion von schon Vorhandengewesenem. Das ist Autoren, die mich auch interessieren. Dann sitze ich plötzlich auf einer D.-H.- generell Lawrence-Tagung. Das ist total spannend und sehr bereichernd für mich. rekontextualisieren und dann wird etwas anderes daraus. Das läuft manchmal ganz toll in der Popmusik, dass Leute Sachen resignifzieren, tatsächlich über den Sound. Die Bass Drum muss 1995 so klingen und 2001 so. Das Drosophila: Was interessiert Dich an diesen theoretischen Ansätzen? Ist das eher eine ästhetische Erfahrung des Sounds oder sind diese Theorien für Dich inhaltlich interessant? TM: Es geht mir dabei um große Faszination und um ein Ausprobieren an der eigenen Arbeitsweise. Der Sound ist natürlich auch interessant. Ich habe neulich zum ersten Mal Jean-Luc Nancy reden hören und ich war auch mal mit Rainald Goetz in München an der Uni, als Luhmann redete. Das ist in etwa so, wie zu einem Gig zu sind auch Diskurse. Wie muss die Bass Drum klingen und darf da überhaupt eine Snare Drum sein? Bei mir ist es schon so, dass das, was ich interessant fnde – zum Beispiel an Lacan – mein Verständnis wirklich herausfordert. Als Autor, der seine eigene Position als eine eher unsouveräne versteht, reizt es mich aber, den Moment in Texten zur Darstellung zu bringen, in dem einen das eigene Verstehen schon verlässt. Wie weit kann ich hinter diesen Moment des Nicht-mehr-Verstehens noch vordringen mit meiner Sprache? Und wo wird es dann entweder Musik oder geht nicht mehr? Musik ist ja irgendwie auch da hinten, das ist ja das Tolle. gehen, beispielsweise zu einem Jazz-Konzert. Sound ist nicht unwichtig. Und ich habe ja auch ganz viele Vorträge von Leuten nacherzählt in meinen Büchern, wie zum Drosophila: Das ist also ganz wichtig, dass es sehr viel um Verstehen Beispiel von Žižek oder Butler. Wie die dann so reden, das ist schon sehr spannend. geht, nicht nur um Wohlgefallen. Aber natürlich würde mich der Sound nicht interessieren, wenn mich gleichzeitig nicht interessiert, was das Gehirn da gerade denkt und vorhat. Den „Sound of TM: Absolut. Reiner Wohlgefallen wäre, glaube ich, bei mir auch gar nicht leicht zu Sloterdijk“ zum Beispiel brauche ich nicht, obwohl der nun wirklich einen hat. Aber der erzeugen, wenn ich nicht gleichzeitig mit Referenzen arbeiten könnte. Bei mir ist es reizt mich nicht. die Neugierde, die mich antreibt, sich mit den Hintergründen zu beschäftigen. Dieses Flatternde und Unbeständige ist das, was ich eigentlich versuche darzustellen. Ich Drosophila: Du hast einmal sinngemäß gesagt „Lacan lesen ist wie Jazz fnde diese dynamische Suchbewegung viel interessanter als das Resultat, an die hören“. Resultate glaube ich nie so ganz. TM: Ja, aber Jazz ist ja auch nicht nur Sound, sondern Jazz hat total komplexe Strukturen und ist oft eben auch Dekonstruktion – Vorwärtsbewegung in der Jazzgesch 58 59 Lob der Kybernetik bestimmten Festschreibungen zu entziehen, die die Generation vor uns, die HippieGeneration, internalisiert hatte. Wir waren dann plötzlich die windigen, Drosophila: Ein sehr berühmtes Zitat von Dir ist: „Heute Disco, morgen hakenschlagenden Typen, die man nicht verstanden hat. In diesem Kontext ist dieser Umsturz, übermorgen Landpartie“. Was ist damit gemeint? Spruch zu verorten. Aber jetzt hängt der auch als türgroßes Plakat, das wir früher immer auf Gigs verkauft haben, hinter Glas gerahmt im Gang des Feuilletons der TM: Das ist einfach nur eine Kapitelüberschrift aus einem längeren Manifest, das ich Süddeutschen Zeitung. 1981 geschrieben habe, damals in unserer Zeitschrift Mode & Verzweifung. Das hatte eigentlich gar nicht direkt mit FSK zu tun, aber die Band kommt eben auch aus dieser Drosophila: Und bei unserer Dozentin an der Tür. Im Grunde ist das ja Redaktion. Es war eine Idee und in Wirklichkeit heißt es dann auch noch „dies im weitesten Sinne ein Motto. Disco, Umsturz, Landpartie – wie ist das nennen wir Freiwillige Selbstkontrolle“. Dabei geht es um etwas Prozesshaftes und politisch zu verstehen? Performatives, aber damals stand uns die Terminologie noch nicht zur Verfügung, die man später aus der Dekonstruktion abgeleitet hat. TM: Ich glaube, wir wollten so etwas wie Ventile haben, die sich auf- und abbewegen und dann ist mal das eine, mal das andere offen. Einer von Mode & Verzweifung nannte Um 1980 herum hatten wir nur eine gewisse Vorstellung von Kybernetik und das das „mobile Anpassung“. Es war ein Spiel mit der Affrmation, wo dann die Revolte kybernetische Verhaltensprinzip ist dann: „Heute Disco, morgen Umsturz, denselben Stellenwert einnahm wie an einem anderen Wochentag der Discobesuch übermorgen Landpartie“. Es wird mit Messwerten verglichen, wo wir stehen und oder die Landpartie. Wir hatten ein Lied, Moderne Welt. Da waren die Leute 1980 dann wird nachgeregelt. Insofern wollte ich in diesem einen Satz etwas möglichst wirklich wütend, wenn wir das spielten. Die haben uns den Strom abgedreht, weil sie Heterogenes unterbringen, wo man dann kurz stutzt. Aber eigentlich war das eher ein meinten, das dürfte nicht sein. Es war einfach noch die sich selbst infrage stellende, kybernetisches Regelprinzip. Es gab auch einen Song von uns, der hieß Lob der sozialdemokratische, bundesrepublikanische Gesellschaft. Für die waren wir ein Dorn Kybernetik, da hieß es im Refrain: „Nimm dir einen Regelkreis und tu dich mitten rein, im Auge. Das war natürlich auch so gemeint, dass man für eine gewisse Zeit in der schnell erhältst du den Beweis: besser kann die Welt nicht sein“. Das war natürlich Affrmation den einzig möglichen Weg zur Dissidenz gefunden hat. selbstironisch. Später haben wir dann ein Lied gemacht, Jazz im Dritten Reich, da hieß der Refrain: „Ich nahm mir einen Regelkreis und tat mich mitten rein, schnell erhielt In dem Kontext stehen solche Slogans, wir hatten einige in der Art. „Theater zu ich den Beweis: die Welt war hundsgemein“. Es war aber generell dieses ständige Parkhäusern“ war noch so eine Losung. Auch extra „Neger“ zu sagen war ja eine Nachregeln und Hakenschlagen, auch dandyesk bis partisanisch, sich einfach Zeitlang strategisch gegen eine bestimmte Art von nicht mehr richtig funktionierender hakenschlagen lei 60 61 emanzipatorischer, politischer Rhetorik. Es gibt ganz viele Leute, die aus der Zeit in ja einem Anti-PC-Ding eingefroren sind. Und das waren wir dann spätestens mit der Theoretikerinnen. Was interessiert Dich daran? auch immer auf Judith Butler oder andere feministische Wiedervereinigung oder Hoyerswerda nicht mehr. Da war dann nicht mal mehr das leiseste Spiel, die leiseste Koketterie mit einer Affrmation nationaler Identität. Das TM: Am Anfang waren das wirklich die Feministinnen – ganz stark Butler, aber auch war nur so lange funktional, als man damit ganz schlimme Leute ärgern konnte. davor schon Silvia Bovenschen und natürlich Simone de Beauvoir. Sie war für mich die erste, die von diesem Begriff des Anderen sprach, von dem interessanterweise Drosophila: Würdest Du also sagen, dass sich die Sprech- und inzwischen auch feministische Autorinnen sagen, dass Nietzsche den schon Redeweisen auch immer anderen anpassen müssen? aufgebracht hat. Man fndet dann plötzlich sehr viele Feministen: Plötzlich ist in den Augen von Hélène Cixous, die über weibliches Schreiben forscht, D. H. Lawrence der TM: Ja, das würde ich sowieso sagen. Es wird ständig nachkorrigiert. Das ist aber Autor, der den ersten weiblichen Orgasmus beschrieben hat. Sie sagt, weiblich auch etwas Nettes, das für political correctness spricht, weil es die ganze Zeit eine schreiben können auch Männer. Das ist etwas, was ich auch für mich reklamieren Nachkorrektur von eingeschlafenen Formulierungen bedeutet. Vielleicht ist es würde. Auf jeden Fall kommt die Initialzündung bei mir von Butler und Bovenschen. anstrengend, political correctness kontinuierlich selbst einzulösen, aber ich glaube, es ist Das hat mich so geprägt, wie Das Kapital Marxisten geprägt hat. Mit meinem eigenen auch lustvoll. Es wird immer so getan, als wäre das lustfeindlich oder protestantisch. Weiterlesen ging es dann irgendwann mit den Queer Studies und den Lesbian Gay Ich fnde, das kann auch katholisch gehen. Diejenigen, die dagegen plädieren und Studies weiter. behaupten, dass das Spaß macht, sind sehr nah an der ganz schlimmen Rhetorik „man wird doch wohl noch sagen dürfen“. Und ich fnde, überall, wo man das sagen Schwierigkeiten habe ich teilweise mit der sogenannten Kritischen Männerforschung. kann, darf man’s auf keinen Fall sagen. Wenn das passt, dann ist es schon passiert. Da kommen Sachen wie die Väterbewegung rein, wo es schon wieder übel wird. Aber ich habe das Gefühl, dass ich das ohne irgendwelche puritanischen Dann denke ich doch: Ich bin nicht bei den Männern, ich bin eher bei den Frauen Auswirkungen mache. mit meiner Argumentation. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir Männer auch mal mehr weinen wollen. Tue ich ja eh (lacht). Generell fnde ich nach wie vor: Warum sollte Feminismus und Ich als Text man das denn nicht feministisch nennen? Es gibt immer noch einen wahnsinnigen Backlash gegen Frauen und Feminismus. Und es sind oft Frauen selber, die sagen: Drosophila: Du wirst immer sehr stark als Feminist gehandelt. Warum „wieso denn Feminismus? Wir haben doch jetzt alles.“ Und das ist ja nicht wahr. Die bezeichnet man Dich nicht als gendertheorieaffnen Autor? Du verweist Sprache ist immer noch kontaminiert, es ist immer noch eine Männersprache. …. ;MMMM 62 63 Frauen verdienen immer noch ein Viertel weniger. „Alle Menschen werden Drosophila: Ist dieses Projekt entstanden, um der Frage auszuweichen, Schwestern“ klingt immer noch komisch, würde man denken. Und „alle Menschen warum gerade Du als Mann Feminist bist? werden Brüder“ klingt immer noch normaler. Solange das so ist, kann ich doch einfach sagen, ich Feminist bin, weil ich in der Kategorie des Geschlechts diese TM: Ja, das hat genau damit zu tun. Das ist mal etwas Persönliches. Man kann ja Diskriminierung ausmachen kann, die man früher als Marxist in der Klasse leicht sagen, dass Butler intelligent und revolutionär gewesen ist – auch für mich. ausmachen konnte. Und da konnte ich ja auch ohne Arbeiter zu sein Kommunist Da ist ein neues Denken aufgekommen, deswegen war ich auch dafür, dass sie den sein. Ich muss keine Frau sein um Feminist zu sein. Da es sowieso nicht um Sein geht, sondern um eine Performance, habe ich damit kein Problem. Adorno-Preis erhält. Ich habe mich damals auch in einer öffentlichen Erklärung dazu geäußert, weil ich den Israel-Standpunkt überhaupt nicht teilen kann und den Websites von Suhrkamp (Logbuch) und Fischer auch mit ihr darüber geredet habe. Der Gedanke war schon, nicht nur zu sagen, (Hundertvierzehn) eine Diskussion. Antje Rávic Strubel, eine Schriftstellerin bei dass das großartig geschriebener Kram ist, bei dem man sozusagen dafür sein Fischer, und ich haben beide jeweils einen Essay geschrieben, in dem wir beschreiben, muss, sondern auch zu überlegen: man schreibt das ja von einem eigenen Körper warum wir Feministen sind. Meiner heißt Wie ich Feminist wurde. Es geht in beiden aus, auch wenn der nur über Sprache defniert ist. Da gibt es zunehmend sehr Fällen auch um eine persönliche Geschichte, nicht nur darum, was wir alles Tolles intelligente Bücher, die klarmachen, wieso wir eigentlich über sogenannte primäre gelesen haben, sondern um den eigenen Werdegang. Wir haben das beide erstmal Sexualorgane sprechen und nicht über die Ohrläppchen. Das ist auch interessant, geschrieben, es uns dann gegenseitig geschickt und im Anschluss ein Gespräch aber trotzdem haben wir uns jetzt gefragt, wie man zu dem wird, was man ist – sie darüber geführt. Es existiert als Audio-Datei auf den Websites und wir reden darüber, als Mädchen, ich als Junge sozusagen. Das hätte ich früher vielleicht gar nicht inwiefern wir Feministen sind. Das geht jetzt so weiter, es gibt einen Chatraum und gelten lassen, das an der eigenen Biographie festzumachen. Aber jetzt fnde ich, noch andere Essays. Aber die beiden anfänglichen Essays sind von Antje und mir. Da das kann man schon als relativ selbstverständliche Geschichte mit einer Art ist auch schon interessant, dass sie „als Frau“ ein viel größeres Problem damit hat, so Biographie darstellen, auch vor dem Hintergrund, dass man dauernd gefragt etwas wie weibliches Schreiben für sich zu reklamieren als ich, weil sie natürlich damit wird: „wie, als Mann?“ Es gibt gerade auf die Repressionsrhetorik benutzen muss. „Du bist eine Frau und hast weiblich zu schreiben.“ Wenn ich das mache, hat das etwas Emanzipatives. Wir sprechen auch Drosophila: Bei Dir war in Ich als Text eines sehr prägnant: Was passiert über Transgender-Sachen, die sich dann aus der jeweiligen Perspektive ganz anders eigentlich mit dem Ich, wenn es in den Text geht? darstellen. Bei ihr ist es eine lesbisch kodierte weibliche Nummer und bei mir eine hetero-männliche, aber auch eher unmännliche Männlichkeitssache. 64 und 65 TM: Das versuche ich praktisch durch das Tun herauszufnden. Ich möchte nämlich Drosophila: Und wie authentisch ist das dann? nicht wirklich über mich schreiben, ich möchte aber ein Ich drin haben bzw. das, was teilweise mit mir zu tun hat. Deswegen bin ich in dem Roman Lookalikes schon drin TM: Ich glaube, dass die sogenannte Authentizität immer nur ein Abfallprodukt, ein und bei Ich als Text, und jetzt in meinem neuesten Roman gibt es auch diesen Thomas Effekt der Sprache ist. Ob ich das sozusagen for real nehme – da sind wir wieder bei Meinecke. Das probiere ich im Grunde genommen aus. Ich will nach wie vor nicht zu Disco –, das ist dann gar nicht mehr der Punkt. Ich fnde, das sind einfach Effekte des diesem Subjektbegriff zurückkehren, den ich abgelegt habe und auch verneinen Authentischen in dem Sinne und das reicht mir dann auch. Das ist ja eben das würde. Dieses autonome Erzählersubjekt will ich gar nicht sein. Das funktioniert, Schöne daran, dass ich nicht wirklich wissenschaftlich arbeite, aber auch nicht indem man das sogenannte Eigene ins Spiel bringt, auch in der dritten Person – ich wirklich klassisch literarisch. Ich kann mir in diesem Zwischenbereich etwas habe ja bisher in der dritten Person geschrieben, das ist dann Thomas Meinecke. Das erschreiben. Aber ich weiß nie vorher, ob es klappt. Man hat eine gewisse Vorstellung, ist eigentlich mein ganzes Schreiben, Ausprobieren, was die Sprache tut oder was ich was vielleicht sein könnte und da schreibe ich mich dann so hin. Das ist auch der mit Sprache erreichen kann. Das ist der ganze Reiz für mich, dass ich die Antwort Grund, weshalb ich so gerne schreibe. Es ist dann selber ein kleines Abenteuer, zu selbst rausfnde durch Machen. sehen, wo man wohl landen wird mit dieser Idee. Was passiert jetzt mit diesem zur Theologie gewechselten Theaterwissenschaftler? Was ist in dem Fall mit seiner Ich habe das jetzt schon öfter gemacht, zum Beispiel, dass ein Theaterwissenschaftler Sexualität? In meinem Roman Jungfrau ist das ein Thema. Dafür habe ich ganz viel plötzlich Theologie studiert. Was passiert dann mit dem? Oder ein nichtschwuler Theologie gelesen. In der Reibung zwischen dem, was ich dort lese und dem, was ich Flugbegleiter, was ist das dann eigentlich? Und das wird beim Schreiben erzähle, entsteht etwas. Es ist ein Effekt. herausgefunden, denn die Sprache hat das ja irgendwie auch in diese Schräglage gebracht und dafür gesorgt, dass das ein Thema ist. Ich schaue dann mal, was beim Schreiben passiert. Auf diese Weise habe ich zum Beispiel den nichtschwulen Flugbegleiter geschaffen, nicht, weil ich das unbedingt wollte, sondern als Abfallprodukt des Schreibprozesses. So wird hier die Homosexualität praktisch mittig und die Heterosexualität das Andere. Schöne 66 67 Special Thanks – Danksagung – Für die fnanzielle Unterstützung bedanken wir uns bei: Studierendenparlament (StuPa) Universität Bielefeld, Zentrum für Ästhetik Wir bedanken uns außerdem herzlich bei: Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) Universität Bielefeld, Jan Andres, Wolfgang Braungart, Campus-TV, Charis Goer, Lutz Graner, Katharina Guth, Hertz 87.9, Paul John, mareverlag, Thomas Meinecke, Markus Paulußen, skript.um, Universität Bielefeld, Dennis Töpler Text: Drosophila 68 Foto: Anne Braun 69 Drosophila 18 – Impressum – Herausgeber Fachschaft Literaturwissenschaft Julian Gärtner Redaktion Sabrina Deppermann, Julian Gärtner, Andrea Hermes, Sebastian Knappe, Aylin Kuhls, Ilja Schirkowskij, Stefanie Scholz, Kim Walla Konzept u. 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