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blick
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Nummer 13, 16. September 2016
Eine Medizin,
Im Zweiten Weltkrieg arbeitet eine Frau als Ärztin in
Pettenbach. Eine Frau, die
damals schon ahnt, dass die
Nationalsozialisten behinderte Menschen ermorden. Und
die dagegen etwas tut. Berühmt geworden ist Alice
Gräfin Platen-Hallermund
aber erst fünfzig Jahre
danach.
Ein einziges Mal ist er später in
Pettenbach mit dem Auto durchgefahren. Anhalten wollte er
nicht. Georg ist knapp zwei Jahre alt, als ihn seine Mutter hier
her bringt aufs Land – „damit
Georgie in gesunder Luft aufwachsen kann“. Sie arbeitet als
Ärztin im Dorf – von März 1943
bis in den Herbst 1945.
Alice von Platen-Hallermund im Jahr 1939.
Oben: Ernst Homann-Wedeking –
Alice von Platens
große Liebe – mit
dem gemeinsamen
Sohn Georg in Pettenbach. Während
dem Krieg, da gabs
noch Troadmandl
in Pettenbach –
Georg Graf von
Platen Hallermund
im Sommer 1944,
im Alter von gut
drei Jahren (links).
Alice von Platen stammt aus altem hannoveranischem Adel. Die
besten Schulen hat sie besucht,
die besten Universitätslehrer
hören dürfen. Und sie ist sich ihrer Privilegien bewusst: „Ich bin
in meinem jetzigen Leben wirklich ausgefüllt und empfinde es
als Einheit. Alles hat beigetragen, es reich und schön zu machen und es liegt nun an mir, es
richtig zu leben“. So schreibt sie
in ihrem Tagebuch – ein paar
Tage vor dem Dienstantritt im
Almtal.
Ärztin am Land
und im Krieg
Zu tun gibt es genug in Pettenbach: Der Gemeindearzt Medizinalrat Dr. Max Pogner ist am 1.
Juni 1941 verstorben. Durch den
Ärztemangel im Krieg kommt
lange kein Ersatz.
Am Vormittag arbeitet Alice in
der Ordination – näht Wunden
und renkt Knochen ein. Kümmert sich um kaputte Knie und
schmerzende Bandscheiben. Am
Nachmittag macht sie Hausbesuche. Mit den Flüchtlingen aus
dem Osten kommen auch die
Kinderkrankheiten – Masern,
Scharlach, Windpocken und die
Anno
dazumal
Franz X. Wimmer
können für die geschwächten
Menschen lebensbedrohlich sein.
Doch Alice hat das anscheinend
recht gut gemeistert: „Ich habe in
meiner Praxis aus den Lagern
kein einziges Kind verloren“,
steht in ihrem Tagebuch. Am
Ende des Krieges sind an die
dreihundert Kinder von Flüchtlingen im Dorf.
Und ein Pettenbacher Bauer,
Geburtsjahrgang 1926, kann sich
noch gut erinnern an die Ärztin:
„Ich war auf Urlaub vom Krieg
daheim und hab ein wehes Knie
ghabt. Die war patent, die hat
was können.“
Bei ihrer Arbeit als Klinikärztin
in Deutschland hat Alice von
Platen Hallermund mitbekommen, dass geistig behinderte Patienten zwangsweise sterilisiert
wurden. Jetzt hört sie, dass behinderte Menschen aus Pflegeanstalten abgeholt und wohl getötet
werden: Angehörige sagen das
und auch der Pettenbacher Kaplan.
Raus aus
dem Heim
Alice rät den Angehörigen, ihre
Verwandten aus den Pflegeheimen zu sich nach Hause zu bringen. Und sie schreibt selbst Bittbriefe an die Heime. Einigen
Menschen hat sie damit wohl das
Leben gerettet, für andere war es
schon zu spät.
Welches Risiko sie eingegangen ist, war ihr selbst kaum bewusst. Dass etliche der fanatischsten Pettenbacher Nationalsozialisten ihre Nachbarn waren, das stellt sich erst nach dem
Krieg heraus.
Da zieht Alice von Platen-Hallermund mit ihrem Sohn weiter nach Deutschland.