Am Limit - Sparopfer Polizei

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Am Limit
Sparopfer Polizei: Veraltete Ausrüstung und Personalnot gefährden die Sicherheit
Jan Timke
Nach den Anschlägen von Ansbach, Würzburg und München mehren sich die Stimmen von
Politikern, die den Einsatz der Bundeswehr im Inland bei Terrorlagen fordern. Im Februar
nächsten Jahres sollen Bundeswehr und Polizei erstmals für einen gemeinsamen Anti-TerrorEinsatz in Deutschland üben. Darauf haben sich die Bundesregierung und die maßgeblichen
Landesinnenminister verständigt. So sinnvoll die Zusammenarbeit zwischen Militär und
Polizei auf den ersten Blick scheinen mag, so sehr manifestiert dieser Vorstoß das Versagen
der politisch Verantwortlichen auf dem Feld der Inneren Sicherheit. Denn diese zur
gewährleisten, ist originär Aufgabe der Polizei und nicht des Militärs. Doch die Polizei ist
personell und technisch immer weniger in der Lage, dieser Herausforderung gerecht zu
werden.
Schon seit Jahrzehnten ist Deutschlands Polizei das bevorzugte Objekt von Kürzungen, um
die maroden öffentlichen Haushalte zu sanieren. Neben Nullrunden bei den Gehältern hat die
Polizei vor allem unter massiven Personaleinsparungen zu leiden. Seit Mitte der neunziger
Jahre sind bundesweit 16.000 Stellen abgebaut worden. Das entspricht der Mannstärke der
Berliner Polizei. Die Folgen: Weniger Präsenz von Ordnungshütern in der Fläche, eine
geringere Kontrolldichte und eingeschränkte Öffnungszeiten von Polizeirevieren auch in den
Städten.
Wegen der Stellenkürzungen in den vergangenen Jahren vergreist der Personalkörper. Das
Durchschnittsalter der Beamten liegt mittlerweile bei 45 Jahren. Zugenommen hat auch die
Arbeitsverdichtung. Deutschlands Polizisten haben 20 Millionen Überstunden angehäuft.
Tendenz steigend. Kein Wunder, daß sich in vielen Kommissariaten die unbearbeiteten
Strafanzeigen stapeln. Die in der Öffentlichkeit immer wieder geforderte zügige Bearbeitung
von Ermittlungsverfahren bleibt so nicht mehr als ein frommer Wunsch. Tatsächlich wird die
Kriminalität hierzulande oftmals nur noch verwaltet anstatt bekämpft!
Der Frust bei vielen Polizeibeamten wird durch die lasche Rechtsprechung noch verstärkt.
Gelingt es, Straftäter nach zum Teil langwierigen Ermittlungen festzunehmen, kommen diese
nicht selten mit milden Strafen davon, wenn sie denn überhaupt verurteilt werden. Beispiel
Wohnungseinbrüche, die 2015 mit 167.000 Fällen längst zu einem Massenproblem geworden
sind: Deutschlandweit werden nur 15,2 Prozent der Taten aufgeklärt. Noch erheblich geringer
ist die Verurteilungsquote, die bei gerade einmal 2,6 Prozent aller Fälle liegt. Eine Haftstrafe
muß nur ein Prozent der Einbrecher absitzen. Das geringe Entdeckungs- und
Bestrafungsrisiko ermutigt kriminelle Banden insbesondere aus Ost- und Südosteuropa
geradezu, im reichen Deutschland auf Beutezug zu gehen.
Die Polizei sieht sich aber nicht nur mit massiven Personalproblemen konfrontiert, sondern
hat auch mit ihrer veralteten Ausrüstung zu kämpfen. Die Besatzungen von Streifenwagen
verfügen beispielsweise nicht über die erforderlichen Schutzwesten, um sich vor Angriffen
mit militärischen Waffen zu schützen – Waffen also, die bevorzugt von Terroristen und
Attentätern eingesetzt werden. Vielerorts veraltet sind auch Dienstwaffen, Fahrzeuge und
EDV-Ausstattung der Polizei.
Dem steht eine Kriminalitätslage gegenüber, die sich bereits seit Jahren dynamisch entwickelt
und Deutschlands Polizei an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht hat: Bundesweit
sprießen immer neue Rockerbanden wie Pilze aus dem Boden und liefern sich blutige Fehden
im Kampf um Einflußzonen im kriminellen Milieu. Ethnische Clans gehen abgeschottet in
Parallelgesellschaften großer Städte wie Berlin, Hamburg, Bremen und Essen ihren illegalen
Geschäften nach. Gleichzeitig steigt die Alltagskriminalität, auch infolge der offenen Grenzen
und des unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen. Häufig ist es nur dem hohen persönlichen
Einsatz der Beamten vor Ort zu verdanken, daß die öffentliche Ordnung aufrechterhalten
werden kann.
Die deutsche Polizei ist also schon jetzt kaum noch in der Lage, ihren Aufgaben gerecht zu
werden. Wie soll sie da auch noch der Gefahr von terroristischen Anschlägen begegnen? Vor
diesem Hintergrund liegt es nahe, bei Terrorlagen die Bundeswehr als Unterstützung
heranzuziehen. Nach geltender Verfassungslage können die deutschen Streitkräfte in drei
Fällen eingesetzt werden: im Spannungs- und Verteidigungsfall, bei einem inneren Notstand
(bürgerkriegsähnliche Zustände) und im Katastrophennotstand. Ein präventiver Einsatz der
Armee beispielsweise beim Objektschutz oder für Personenkontrollen an Straßensperren wäre
dagegen unzulässig und würde die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit stark
verwässern.
Der Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Bekämpfung des Terrorismus kann sinnvoll und
notwendig sein, wenn es gilt, die zivilen Sicherheitskräfte mit Fähigkeiten zu unterstützen, die
nicht zum Standardrepertoire der Polizei gehören, etwa die Dekontamination nach Angriffen
mit ABC-Waffen oder die Luftraumüberwachung durch Kampfflugzeuge. Die Bundeswehr
darf von der Politik aber nicht als Lückenbüßer mißbraucht werden, um die Folgen ihrer
Sparorgien bei der Polizei und die damit verbundene Erosion des staatlichen Gewaltmonopols
zu kaschieren. Davon profitieren am Ende nur die Kriminellen!
Jan Timke ist seit 2008 für die Bürger in Wut (BIW) Abgeordneter in Bremen. Zuvor
arbeitete er als Polizeibeamter im BKA und bei der Bundespolizei.