Kinderfussball: wenn Papa zum Spielverderber wird Manchmal sind es Erwachsene, die Verbissenheit ins unbeschwerte Spiel der Kleinen bringen: Lauthals kommentieren Eltern jede Aktion auf dem Spielfeld, beschimpfen den Schiedsrichter, wenn ihnen Entscheidungen missfallen, und treiben den eigenen Sprössling durch ständige Zwischenrufe zu noch besseren Leistungen an. Dabei will der moderne Kinderfussball vor allem eines: Die Freude erhalten – im Spiel und im Training. Den Gedanken vom kindgerechten, mehr auf Spass denn auf Wettbewerb ausgerichteten Fussball versucht der Schweizerische Fussballverband mit Plakaten und Merkkarten an die Eltern heranzutragen. Die Organisation fordert im Namen der Kinder: «Das Wichtigste für uns ist das Spielen. Also lasst uns spielen. Schreit nicht ins Spiel, seid fair gegenüber dem Gegner und seinen Zuschauern. Reklamiert nicht nach jedem Fehler, denn es ist entmutigend und hilft nicht, es besser zu machen.» Mitfiebern und Daumen drücken Beni Bruggmann (68), Spezialist für Kinderfussball und Trainerausbilder im Schweizerischen Fussballverband, wünscht sich, dass die Botschaft bei den Eltern auf den Zuschauerrängen ankommt. Es gehe darum, den Kindern Entfaltungsspielraum zu lassen und sie nicht unnötig unter Druck zu setzen, sagt der frühere St.Galler Primarlehrer. Selbstverständlich seien Eltern willkommen, die mitfiebern, sich mit ihren Kindern freuen und sie bei Misserfolgen trösten. «Wir wollen keine klinische Atmosphäre. Zu diesem Spiel gehören Emotionen», sagt Beni Bruggmann. Eltern sollten allerdings in der Lage sein, fair mit Ausrutschern und Niederlagen umzugehen. «Viele Väter kommen mit dem falschen Anspruch, dass der Sohn keinen Fehler machen darf. Sie sind sehr streng mit ihrem Kind.» Manchmal spielt der starke Wunsch eine Rolle, das Kind möge eine Karriere als Profifussballer einschlagen. Manchmal wissen Erwachsene aber auch einfach nicht, was sie von einem Kind überhaupt an Leistungen erwarten können. Raum für Experimente «Viele Eltern diktieren dem Kind, was es noch nicht kann», stellt Klaus Käppeli (59) fest. Der Psychotherapeut aus Eggersriet (SG) engagiert sich als Fussballlehrer im Schweizerischen Fussballverband. «Ein Erwachsener kann vorausdenken und entsprechend handeln.» Doch beim Kind seien Nervenbahnen und Hirn noch nicht ausgereift für diese komplexen Vorgänge. «Kleine Dinge, wie dem Partner den Ball zuspielen, das geht schon.» Aber die Fähigkeit, auf einem Feld mit mehreren Mitspielern die Übersicht zu bewahren, sei noch sehr eingeschränkt. «Wir dürfen die Kinder nicht überfordern, sonst geht die Motivation verloren», stellt Klaus Käp-peli fest. Bruggmann und Käppeli sowie der Fussballlehrer Gottfried Künzle aus Zuckenriet (SG) haben dies schon vor gut 20 Jahren erkannt und sich für den Aufbau des kindgerechten Fussballs in der Schweiz eingesetzt. Das Ostschweizer Trio begründete ein modernes Training, das befreit ist von langwierigen Übungen und den Kindern Raum gibt, selbst zu entdecken, was sie mit dem Fuss am Ball alles anstellen können. Ideale Miniteams «Die Kinder kommen nur wegen des Spiels in einen Fussballclub», sagt Beni Bruggmann. Werden sie mit langwierigen Trainingseinheiten traktiert, seien sie enttäuscht. Deshalb steht beim modernen Kindertraining das Spiel im Vordergrund, oft im «kleinstmöglichen Team», also zwei gegen zwei. Dazwischen gibt es einen kurzen Übungsblock sowie zu Beginn des Trainings eine Einstimmung und zum Schluss einen Ausklang. Nicht immer geht es dabei nur um die Arbeit am Ball. «Wendigkeit beispielsweise können Kinder auch beim Fangisspielen trainieren», sagt Käppeli. Auch im Turnierwesen für Kinder hat sich durch den Einsatz des Ostschweizer Trios einiges verändert. Es hat sich starkgemacht für das Spiel in kleinen Fünfer-Teams. Bei den Turnieren der Sechs- bis Siebenjährigen (F Jugend) treten heute jeweils ein Torwart und vier Spieler auf fast quadratischem Feld an. Es habe gut 20 Jahre gedauert, bis sich das System im Gesamtverband durchsetzte, sagt Käppeli. Er ist überzeugt, dass Kinder in den kleinen Mannschaften ideal ihre Fähigkeiten ausspielen können. Bei sieben Spielern auf dem Platz könnten sich einzelne Kinder zurückziehen und die Verantwortung anderen überlassen. Doch im Fünfer-Team sei jeder Spieler gefordert. Das übersichtliche Spielfeld komme zudem der Wahrnehmungsfähigkeit eines Kindes entgegen. Aggressiver Einsatz Kinderfussball berücksichtige auch, dass Kindern das abstrakte Denken noch fernliegt, wie es etwa beim Spiel auf Abseits benötigt wird. «Ein Siebenjähriger versteht das gar nicht», sagt Käppeli. Kindern fehle auch häufig noch die Fähigkeit zur feinkoordinierten Bewegung. «Kein Kind macht absichtlich Fehler, oft ist es Unbeholfenheit.» Während sich die Clubs auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern einstellen, drängen manche Eltern weiter aufs Leistungsprinzip. Möglicherweise, weil sie sich den Profifussball zum Vorbild nehmen, sagt der Psychoanalytiker und Familientherapeut Jürgen Grieser aus Zürich. Die im Kinderfussball erwünschte, entspannte Haltung sei vollkommen entgegengesetzt zu dem im Profifussball ständig Gezeigten: «Immer aggressiverer Einsatz, auf dem Platz und auf den Rängen.» Dabei könnte ein Kind im Club so viel mehr lernen als Körpereinsatz. Schule fürs Leben «Kinderfussball ist nicht nur Sport, sondern auch Erziehung», sagt Fussballlehrer Käppeli. Kinder lernen auf dem Platz, Niederlagen zu ertragen, den anderen zu respektieren, Druck auszuhalten – und das Zusammenspiel im Team. Käppeli arbeitete oft mit gemischten Mannschaften aus Mädchen und Jungen. Buben, die auf Mädchen herabschauten und ihnen den Ball absichtlich nicht zuspielten, mussten auf die Ersatzbank. Sie durften erst wieder aufs Feld, wenn sie wirklich bereit waren zum gemeinsamen Spiel. «Ein Kind, das nicht an die Weltspitze kommt, hat dennoch für sich gewonnen», sagt Bruggmann. Beispielsweise Selbstbewusstsein und Freunde. Doch viele Eltern können dies nicht sehen. Sie sind kaum zu bremsen in ihrem Ehrgeiz, aus ihren Kindern Weltstars zu machen. Dies lässt sich auch psychologisch erklären. Nöte aufgebürdet «Kinder werden zunächst mal als Erwei-terungen der eigenen Person erlebt und bekommen damit sowohl Wünsche und Hoffnungen als auch Sorgen und Nöte der Eltern aufgebürdet», sagt Psychoanalytiker Grieser. «Die ganze Kindheit und Jugend geht es darum, dass sich Kinder und Eltern voneinander lösen können und das Kind die Freiheit hat, seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Lebensweg zu finden.» Bei überehrgeizigen Vätern komme es zur mangelhaften Abgrenzung zwischen Vater und Sohn. Gerade beim Fussball, der darauf angelegt sei, Emotionen zu wecken, passiere dies häufiger. Wenn der Ball rollt, könne ein erwachsener Mann die Welt wieder als ein Spiel erleben und seine kindlichen Gefühle mobilisieren, stellt Grieser fest. Dies macht Abgrenzung offenbar besonders schwer. Auf anderen Feldern sei die Trennung von Vater und Sohn häufig schon durch die Rahmenbedingungen vorgegeben: «Der Vater kann nicht in der Schule bei den Prüfungen als Zuschauer dabei sein oder beim Violinvorspiel lauthals mitsingen. In den Einzelsportarten herrscht oft eine gewisse Etikette, die mehr Abstand vom Spielfeld oder mehr Ruhe verlangt.» Freude am Tun selbst Über die Folgen des Übereifers bei Eltern sind sich Trainer und Fachleute der Psychologie einig: Er verdirbt den Kindern den Spass am Ball. Eltern demotivieren Kinder häufig, sagt Sportpsychologe Patric Eisele aus Davos. «Kindern geht es um die Freude am Tun selbst», stellt der Vertreter der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie fest. Diese «intrinsische Motivation» könne sich entfalten, wenn Kinder Kompetenz, Autonomie und soziale Verbundenheit erleben. Doch ein Kind könne sich nicht als kompetent wahrnehmen, wenn ein Vater ihm ständig Anweisungen gebe. Dabei werde auch das Gefühl von Autonomie unterdrückt. «Im schlimmsten Falle wird das Kind auch noch von anderen Kindern im Team gehänselt, weil der Vater ständig interveniert.» Grieser beschreibt die Folgen von übergrossem Druck ähnlich: «Alle Juniorentrainer wissen ein Lied davon zu singen, dass in der Adoleszenz oft auch die talentiertesten Spieler den Vereinen verloren gehen.» Wird «die Last des Ehrgeizes und der Erwartungen» durch den Vater zu gross, suche der Sohn in der Regel den Ausstieg aus dem Sport. «Manchmal bieten sich dafür auch Verletzungen an. Sie bieten die Möglichkeit, den Konflikt mit dem Vater zu umgehen und die Enttäuschung beider auf ein scheinbar unbeeinflussbares Drittes zu verlagern: Das Schicksal.» Mut machen durch Lob Sportpsychologe Eisele hält es für wichtig, Eltern über solche Wirkweisen aufzuklären. Trainer könnten auch im persönlichen Gespräch mitteilen, welche Verhaltensweisen die Erfolgschancen sinken lassen. Eisele plädiert dafür, Kindern Freiheiten und Entfaltungsspielräume zu lassen. Eltern sollten Lob und Komplimente aussprechen und dabei nicht steuernd eingreifen, indem sie die erbrachte Leistung zwar positiv herausstellen, aber gleich die Steigerung beim nächsten Mal einfordern. «Besser wäre es zu sagen: Es ist schön, wie du dich entwickelst.» Der Sportpsychologe ermutigt Eltern, der Entwicklungsfähigkeit des Kindes in einer Trainingsgemeinschaft stärker zu vertrauen. Der Psychoanalytiker Grieser verfolgt noch einen anderen Ansatz. Er fordert dazu auf, kritisch zu betrachten, wie viel Zeit Väter ansonsten mit ihren Söhnen verbringen. «Oft nämlich herzlich wenig. Der Auftritt des Vaters am Fussballmatch ist dann eine alibihafte Inszenierung, die davon ablenkt, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn die Woche durch kaum stattfindet. Könnte man die Qualität solcher Vater-Sohn-Beziehungen verbessern, wären die Matchbesuche beziehungsweise das Thema Fussball nur ein Element in einer reichhaltigeren gemeinsamen Welt.» Der Schweizerische Fussballverband würde sich jedenfalls eine gewisse Gelassenheit unter den Eltern wünschen, wie sie offenbar der 25-jährige Fussballer Hamit Altintop, Spielerstar beim FC-Bayern München, erlebt hat. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung stellte er fest: «Ich, Hamit, bin stark, wenn ich spiele, und ich bin auch stark, wenn ich nicht spiele.» Auf die Frage, warum er glaube, den Aufstieg zum Profi geschafft zu haben, sagte er: «Vielleicht, weil bei mir zum Glück niemand Druck ausgeübt hat, wie all die Eltern, die an der Aussenlinie stehen.»
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