Dem Magerwahn Grenzen setzen…

Dem Magerwahn Grenzen
setzen…
Frankreichs Maßnahmen für ein
gesundes Schönheitsbild!
Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild!| Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung................................................................................................................................................. 3
Interview mit Catherine Coutelle (PS) ..................................................................................................... 4
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Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild!| Einleitung
Einleitung
Im Folgenden finden Sie eine Transkription des Videos „Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild!“. Das Video wurde von Abt. IV / 1 Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, Birgit Eigelsreiter erstellt und beinhaltete ein synchronisiertes Skype-Interview mit der Abgeordneten Catherine Coutelle (PS) / Präsidentin des Frauenausschusses und Unterzeichnende der Gesetzesnovellen.
Durchführung, Untertitelung und Synchronisierung: Mag.a Birgit Eigelsreiter, MA, MA
Synchronstimmen: Mag.a Birgit Eigelsreiter, MA, MA und Mag.a Magdalena Bruckmüller-Schindler
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Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild! | Interview mit Catherine Coutelle
Interview mit Catherine Coutelle (PS)
Catherine Coutelle ist sozialistische Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende der parlamentarischen
Delegation für Frauenrechte und Chancengleichheit der Assemblée Nationale in Frankreich. Sie hat die
Gesetzesentwürfe gegen Magermodels und zur Kennzeichnung retuschierter Fotos unterstützt. Im
Rahmen der zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe „Legistische Maßnahmen gegen Magermodels“ hat sie
mit der Abteilung IV / 1, Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, gesprochen.
Skype-Interview / Transkript
Interviewerin: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, wir freuen uns sehr, dass Sie Zeit für ein Interview zu
diesem Thema gefunden haben. Beginnen wir gleich mit der ersten Frage: Welche gesetzlichen Maßnahmen im Kampf gegen Magermodels hat Frankreich gesetzt?
Catherine Coutelle: Es geht hier um mehrere Gesetzesnovellen, welches bereits angenommen und in
Kraft getreten sind. Sie haben zwei Zielgruppen. Zum einen wollen wir aufzeigen, was Untergewicht,
was Magerkeit und Dürrheit bedeuten. Denn diese Models können Mädchen zur Magersucht anstiften. Zum anderen wollen wir die Models schützen. Wie Sie vielleicht wissen, sind ein brasilianisches
Model, aber auch bereits französische Models, gestorben. Todesursache war, dass sie verhungert
sind. Sie haben nicht genug gegessen. Das ging einher mit Herz-, Kreislaufproblemen. Die Zwänge,
welchen diese Models unterliegen, sind sehr groß. Ich verweise hier auf ein Model, das ausgesagt
hat, dass es zu Beginn seiner Karriere einen Brustumfang von 80-85 hatte. Das gerade noch ein normaler Brustumfang. Dennoch wurde sie von den Agenturen als zu dick bezeichnet. Am Ende wog das
Mädchen bei einer Größe von 1 Meter 85 nur noch 45 Kilo. Hier sprechen wir gemessen am BMI von
sehr starkem Untergewicht, von Unterernährung. Unser Ziel ist es, die Models zu schützen, indem
wir es den Agenturen untersagen, zur Magerkeit anzustiften.
Interviewerin: Wie ist es zu dieser Idee gekommen. Es handelt sich schließlich um ein Gesetz und es
ist bekannter-maßen nicht so einfach, Gesetze auf den Weg zu bringen. Gab es auch einen Plan B für
den Fall, dass ein Gesetz nicht durchgehen würde?
Catherine Coutelle: Es handelt sich um Gesetzeszusätze. Das Thema wurde schon mehrmals in der
Assemblée Nationale behandelt. Frankreich zählt 40,000 Magersüchtige – also kranke Personen. 90%
davon sind Frauen und junge Mädchen. Vorarbeiten, um Gesetze auf den Weg zu bringen, gab es bereits. Vor allem in Bezug auf soziale Medien und soziale Netzwerke. Es aber sehr schwierig, diese zu
regulieren, denn die Besitzer der Webseiten haben ihren Sitz teilweise im Ausland und da kann man
nicht intervenieren.
Die Modeindustrie freut sich selbstverständlich nicht über gesetzliche Maßnahmen. Als sie die Gesetze kommen sahen, haben sie eine Charta verabschiede. Mit dieser hat sich die Modeindustrie selbst
dazu verpflichtet hat, keine zu dürren Models zu engagieren. Das hat aber nicht viel gebracht.
Schließlich hat ein Abgeordneter, nicht ich als Vorsitzende des Frauenausschusses, sondern ein Abgeordneter, diese Gesetzesvorschläge verfasst. Verfasst wurden diese Gesetzesartikel somit von einem Experten, der auf dem Gebiet fachkundig ist. Ich selbst habe diese Gesetzesvorschläge unterschrieben.
Interviewerin: Wurde die Charta kürzlich eingeführt?
Catherine Coutelle: Die Charta wurde 2011 vom Verband der Modeindustrie, in dem die Modelagenturen versammelt sind, verfasst und unterschrieben. Damit haben sich die Agenturen dazu verpflichtet, anormale bzw. gefährliche Praktiken zu unterbinden.
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Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild! | Interview mit Catherine Coutelle
Im Endeffekt hatte das aber keine Auswirkungen. Ich verweise erneut auf ein Model, das mit Olivier
Véran – dem Gesetzesnovellenverfasser – gesprochen hat. Ihr öffentlicher Auftritt und Aufruf war
maßgeblich hier. Ihr zufolge hat jedes Kilo, das sie verloren hat, ihr mehr Lob und Ruhm eingebracht.
Man hat ihr sozusagen zur Magersucht gratuliert. Wir sprechen somit von einem komplett falschen
Schönheitsbild, das damit transportiert wird, einem anormalen Schönheitsbild. Das ist ein sehr
schlechtes Vorbild für Frauen und Mädchen.
Wichtig ist es auch, auf soziale Netzwerke zu verweisen. Mädchen, die an dieser Krankheit leiden oder dort langsam hineinrutschen, halten dort richtige Challenges ab und spornen sich zu Hungerkuren oder dem Weglassen bestimmter Lebensmittel an. Manchmal helfen sich diese Mädchen auch
mittels dieser Netzwerke, um aus der Krankheit rauszukommen. Aber nicht immer. Und diese Tipps
können tödlich sein.
Interviewerin: Sie sprechen hier unter anderem von Pro-Ana-Webseiten, nicht wahr?
Catherine Coutelle: Ganz genau.
Interviewerin: Dieses Gesetz bzw. diese Gesetze schreiben bekanntlich Gesundheitsatteste vor. Basieren diese auf dem BMI oder werden auch andere Kriterien angewandt?
Catherine Coutelle: Nein. Wir wollten eine Diskriminierung vermeiden. Darum kann, so hat es die
Regierung beschlossen, der BMI nicht das einzige Kriterium sein. Dieser Body-Mass-Index kann sich ja
auch ändern. So könnten Models zunehmen, um im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen das
Attest zu bekommen und danach wieder eine Hungerkur machen bzw. von den Agenturen dazu anstiften lassen. Darum haben wir den Erstentwurf etwas verändert. Es geht letztendlich um den Gesamtgesundheitszustand der Models; abhängig vom BMI aber auch von anderen Faktoren. Diese Atteste sind vom Médecin de Travail auszustellen; das Verhältnis Größe und Gewicht spielt dabei sehr
wohl eine Rolle. Im Endeffekt ist das ein gesamtheitlicherer Ansatz, den wir letzten Endes vorgenommen haben.
Interviewerin: Wurde auch Kritik formuliert, beispielsweise im Sinne von Wettbewerbshemmnissen
für ausländische Models?
Catherine Coutelle: Klar, gab es die, das will ich auch gar nicht beschönigen. Natürlich gab es hier
Aufschreie von Seiten der Industrie. Dem ist entgegenzuhalten, dass vor allem von den Models selbst
sehr viel Zuspruch kam. Die Mode-Agenturen waren natürlich gegen gesetzliche Maßnahmen. Aber
ist das nicht immer so mit Gesetzen zum Schutz bzw. zur Gleichstellung von Frauen?! In der Theorie
sind sie gut; aber in der Praxis reagiert man wehleidig, wenn es ans Eingemachte geht. Da verweist
man auch gerne auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Was wir uns wünschen würden, wäre eine europäische Regelung, vielleicht auch irgendwann eine internationale Regelung. Aber auch ohne eine europäische Regelung kann es immer auch einzelne
Länder geben, die vorpreschen – die hier Vorreiter oder Vorreiterrinnen sind. Daran kann man sich
orientieren. Nicht, dass wir uns hier unbedingt ein „role model“ sein wollen. Aber wir wollten eben
junge Frauen, Mädchen und Models schützen.
Interviewerin: Die Sanktionen sind bekanntlich sehr streng gesetzt. Sind diese verhältnismäßig oder
liegt es an den Gerichten, dies zu entscheiden?
Catherine Coutelle: Gesetzliche Sanktionen stellen immer ein Maximum dar. Man kann nicht weiter
gehen als das Gesetz es vorsieht. Im Endeffekt ist es am Richter oder an der Richterin zu entscheiden,
wie die Strafe ausfallen soll. Es muss nicht immer die Maximalstrafe verhängt werden. Natürlich ist
das eine subjektive Einschätzung. Die Einschätzung hängt auch vom Grad des Verstoßes ab.
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Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild! | Interview mit Catherine Coutelle
Interviewerin: Die Wirkung ist ohne Sanktionen nicht so groß, nicht wahr?
Catherine Coutelle: Ja! Wenn es beispielsweise um gleiche Löhne geht, so konnte dieses Ziel erst erfolgreich verfolgt werden, als wir den Gesetzesinhalt mit Sanktionen hinterlegt haben. Das Gesetz allein hat ohne Sanktionen nicht viel bewirkt. Ich kenne die Situation in Österreich nicht genau. Aber
bei uns ist es so, dass es sehr wohl die Wirkung der Bestrafung und den Richter bzw. die Richterin im
Hintergrund braucht.
Interviewerin: Kommen wir nun zur zweiten Maßnahme. Die Pflicht zur Kennzeichnung retuschierter
Fotos. In Frankreich müssen bearbeitete Bilder künftige als „retuschiert“ gekennzeichnet werden.
Könnten Sie kurz erklären, um was es genau geht? Sind digitale Medien auch von den Bestimmungen
erfasst?
Catherine Coutelle: Diese Gesetzesnovelle wurde von einer Kollegin von mir vorgeschlagen. Ich
möchte betonen, dass es sich nicht um ein Gesetz, sondern um einen Zusatz zu bestehenden Gesetzen handelt. Der von ihr vorgeschlagene Artikel sieht vor, dass kommerziell verwendete Fotos zu
kennzeichnen sind, sofern sie retuschiert wurden – sofern also die Silhouette digital bearbeitet wurde.
Wie Sie ja wissen wird die Silhouette oft verschlankt, damit die Fotografen und Fotografinnen unserem Schönheitsbild gerecht werden können. Manchmal werden die Models aber auch dicker gemacht, damit man ihre Knochen nicht durchscheinen sieht. Damit dieser Artikel volle Wirkung entfaltet braucht es eine Verordnung, die meines Wissens nach noch nicht erlassen wurde.
Wie gesagt geht es um kommerziell verwendete Bilder, um Modefotos. Das gesamte Internet bzw.
der gesamte Cyber-Space können davon gar nicht umfasst sein.
Interviewerin: Kommen wir nun zur nächsten Frage. Sie haben bereits eine Charta angesprochen.
Dabei handelt es sich um eine weiche Maßnahme. Es muss ja nicht immer gesetzliche Regelungen
geben. Setzt Frankreich neben Gesetzen auch auf weiche Maßnahmen? Was halten Sie von letzteren? Oder braucht es zwingend verbindliche Regelungen?
Catherine Coutelle: Wenn ein Gesetz ausreichen würde, wäre das allzuschön. Dem ist leider nicht
immer so. Das, was Sie beschreiben, das sind drei Stadien. Zuerst wird ein Thema aktuell, es gewinnt
an Brisanz. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Bei uns gab es Verstöße im Bereich der Reinigungskräfte. Im
Reinigungssektor sind oft Frauen angestellt. Und oftmals haben diese sehr fragmentierte Arbeitszeiten. Sie arbeiten zwei Stunden am Nachmittag, zwei Stunden am Morgen, usw. Wir Abgeordnete haben uns überlegt, ob es hier nicht Gesetze und gesetzliche Regulierungen bräuchte. Was in der Regel
dann passiert ist, dass sich die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sagen: „Hui, da kommt was. Wir
müssen zeigen, dass wir vorbildlich agieren“. Und dann folgt normalerweise eine Charta. Das war im
Bereich der gesetzlichen Regelungen gegen Magermodels so, das war im Bereich der Löhne so, usw.
Die Charta ist somit meistens der erste Schritt. Es ist der Schritt, den die Betroffenen setzen, um ein
Gesetz noch abzuwenden. Und wenn die Charta funktioniert, braucht es auch keine Gesetze. Wenn
sie nicht funktioniert, dann braucht es Gesetze. Und damit diese funktionieren, braucht es Sanktionen. Ich weiß nicht, wie es anderswo abläuft, aber das ist in der Regel der Prozess, den wir in Frankreich beobachten.
Interviewerin: Könnte es nicht auch eine Art Strategie sein, es zuerst mit weichen Maßnahmen zu
versuchen und dann eventuell Sanktionen zu setzen, Gesetze oder Verordnungen zu erlassen.
Catherine Coutelle: Weiche Maßnahmen werden in der Regel von jenen gesetzt, die sich von geplanten gesetzlichen Maßnahmen betroffen fühlen. Die sagen: „Hui, da könnte nun ein Gesetz kommen.
Zeigen wir, dass es nicht notwendig ist, dass wir ohnehin vorbildlich agieren“.
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Dem Magerwahn Grenzen setzen… Frankreichs Maßnahmen für ein gesundes Schönheitsbild! | Interview mit Catherine Coutelle
Ich gebe Ihnen den MEDEF als Beispiel – der Arbeitgeberinnen- und Arbeitgeberverband Frankreichs.
Wir haben uns überlegt, gegen prekäre Arbeits- und Lohngestaltungsmodelle vorzugehen. Daraufhin
hat der MEDEF eine Charta verfasst und unterschrieben. Freiwillige Verpflichtungen kommen also
nicht von unserer Seite, sondern von Seite der Betroffenen, um zu zeigen, dass sich etwas tut, dass
sie etwas verändern wollen. Oftmals funktionieren derartige freiwillige Verpflichtungen aber nicht.
Darum braucht es Gesetze, denn diese sind dann verbindlich einzuhalten.
Interviewerin: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, vielen Dank für das Gespräch! Gibt es irgendwelche
Empfehlungen, die Sie anderen Ländern, welche ebenfalls versuchen, Maßnahmen in diesem Bereich
zu setzen, mit auf den Weg geben möchten? Also insbesondere im Bereich der Regulierung zu dünner Models.
Catherine Coutelle: Wir haben jetzt nichts Neues im Kopf. Im Gegenteil: Wir müssen uns erstmal ansehen, ob die gesetzlichen Maßnahmen, die wir gesetzt haben, auch funktionieren werden. Und das
ist eine Stärke im französischen System. Denn zwei Jahre nach Annahme eines Gesetzes können sich
die Abgeordneten dieses Gesetz ansehen und evaluieren, ob die Zielsetzungen auch erreicht wurden.
Es ist wichtig, dass Regierung, Verwaltung und Politik sich dieser Aufgabe ernsthaft annehmen. Derzeit tun wir das beispielsweise im Bereich der sexuellen Belästigung. Vor zwei Jahren haben wir ein
Gesetz in diesem Bereich eingeführt und das war ein maßgeblicher Schritt Frankreichs. Oftmals sind
Frauen von sexueller Belästigung betroffen und das ist sicher auch ein Thema in der Modeindustrie.
Und derzeit evaluieren wir dieses Gesetz. Es ist also wichtig, dass wir Gesetze nicht nur erlassen,
sondern dass wir auch überprüfen, ob sie funktionieren.
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