Gastbeitrag für den „Kölner Stadt-Anzeiger“, erschienen am 15. September 2016, Seite 4 „Gebt TTIP eine Chance!“ Warum Deutschland und die EU ein großes Interesse daran haben müssen, das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten abzuschließen Von Prof. Dr. Heribert Hirte MdB Es ist paradox: Obwohl wir in Deutschland einen großen Teil unseres Wohlstands auf dem Weltmarkt erwirtschaften, gehen viele Deutsche auf die Barrikaden, weil wir den Handel mit einem unserer engsten internationalen Partner ausbauen wollen. Die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, kurz TTIP genannt, hat das Potential, die europäische Exportwirtschaft weiter voranzubringen. Das Problem ist nur: Wir stehen uns dabei selbst im Weg. Der Export ins Ausland ist für die deutsche Wirtschaft sehr wichtig. Gemeinsam mit der Europäischen Union sollten wir deshalb ein Interesse daran haben, die Spielregeln des weltweiten Handels mitzubestimmen. Und Freihandelsabkommen wie TTIP dienen dazu, diese Spielregeln festzulegen. Verhandlungen sind transparent Doch nach mehr als drei Verhandlungsjahren über eben diese Spielregeln wird die Ungeduld in Deutschland spürbar größer und der Protest lauter. So laut, dass selbst Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sich offenbar dazu gezwungen sah, TTIP für „de facto gescheitert“ zu erklären. Er agiert hier offensichtlich als Vorsitzender der SPD, einer Partei, die bei der Frage Ihrer Unterstützung von TTIP tief gespalten ist. Würde er als deutscher Wirtschaftsminister agieren, wäre auch er weiterhin dafür, die Verhandlungen fortzuführen. Laut der EU-Kommission und den USA gibt es momentan nämlich keinen Grund, TTIP vorzeitig vom Tisch zu wischen. Es stimmt, beide Seiten verhandeln hart miteinander! Aber jeder, der schon einmal einen Vertrag aushandeln musste, weiß, dass das absolut nicht ungewöhnlich ist. Je umfangreicher der Vertrag, desto mühsamer sind eben die Verhandlungen. Trotzdem herrscht tiefes Misstrauen – vor dem, was da angeblich ohne Bürgerbeteiligung ausgehandelt wird. Diesem Eindruck will ich klar entgegentreten: Alle EU-Mitgliedsstaaten, also auch die deutsche Regierung, haben der EU-Kommission den Auftrag gegeben, über TTIP zu verhandeln. Über die Bundesregierung, das Europäische Parlament und über den Bundestag haben demokratisch gewählte Volksvertreter – auch ich – die Möglichkeit auf Verhandlungen einzuwirken. Und dass bei den Verhandlungen mit den USA nicht von Beginn an alle Karten offen auf den Tisch gelegt werden, ist normal. Oder fangen Sie eine Runde Strippoker nackt an? – Um einen Vergleich eines Bundestagskollegen zu bemühen. Die Wahrheit ist, die Verhandlungen über TTIP sind die transparentesten, die es je bei einem internationalen EU-Abkommen gegeben hat. Wenn Sie interessiert sind, können Sie alle relevanten Dokumente der EU-Kommission einsehen. Doch bei vielen bleibt da ein Unbehagen: Gerade der Bereich der Lebensmittelsicherheit trifft offenbar einen besonders sensiblen Nerv bei uns Deutschen. Europäische Schutzniveaus würden aufgeweicht und amerikanische Produkte mit vermeintlich niedrigeren Standards könnten unseren Markt fluten, sagen TTIP-Gegner. Dabei geben sowohl die Europäische Kommission als auch die Ministerien hierzulande Entwarnung: TTIP werde keine Regelung enthalten, welche den hohen Lebensmittelschutz bei uns einschränke. Glauben Sie wirklich, dass ein europäischer Mitgliedstaat einer Absenkung der eigenen nationalen Standards zustimmen würde? Eine solche Entscheidung wäre bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag niemals mehrheitsfähig. Schon allein deshalb wird keine Verhandlungsseite das Risiko eines kompletten Scheiterns des Projektes eingehen wollen. Viele der lautstark geäußerten Befürchtungen halte ich deshalb für unbegründet. Gleichwohl: Demonstrationen gegen TTIP, wie sie auch am kommenden Wochenende wieder in Köln geplant sind, haben die Verhandlungen in der Vergangenheit entscheidend beeinflusst. Sie sind ein wichtiges Korrektiv gewesen und haben uns Parlamentariern, den Vertretern des Volkes, deutlich gemacht, welche roten Linien die Verhandlungsführer in keinem Fall überschreiten dürfen. Das ist gut so. Was das fertig ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) angeht bin ich, ebenso wie die Bundesregierung und übrigens auch Sigmar Gabriel der Überzeugung, dass es ein gutes Abkommen ist. CETA sichert unsere Standards und die Stärke der deutschen Wirtschaft auch für die Zukunft. Angst hilft nicht Warum also geben wir TTIP nicht wenigstens eine Chance, ebenfalls ein ausgereiftes Abkommen zu werden? Wir haben es in der Hand: Entweder wir gestalten die Regeln des Welthandels mit oder wir unterwerfen uns Vorgaben, die andere machen. In den aufstrebenden Wirtschaftsnationen warten Regierungen und Wirtschaft nur auf ihre Chance, eigene, niedrigere Standards durchzusetzen. Ich kann deshalb nur dazu raten, die konkreten Verhandlungsergebnisse abzuwarten, bevor wir TTIP endgültig ablehnen – oder – wie ich hoffe – zustimmen können. Gebt TTIP eine Chance! Angst hat bei der Erarbeitung solcher Großprojekte noch nie weitergeholfen.
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