SYMPOSIUM SPÄTFOLGEN BEI THERAPIEN VON KOPF-HALS-TUMOREN ABSTRACTS Charité Virchow Klinikum – Mittelallee 10 1 Selbsthilfeverein der Kehlkopfoperier ten Berlin und Umland, Landesverband-Berlin e.V. Redaktion: Charité Comprehensive Cancer Center, Komm. Direktor: Prof. Dr. U. Keilholz Koordination: Cornelia Große Produktion: Michael Ley, Vorsitzender des Selbsthilfevereins der Kehlkopfoperierten Berlin und Umland, Landesverband-Berlin e.V. Mit freundlicher Unterstützung der Techniker Krankenkasse Berlin-Brandenburg 2 GRUSSWORT Liebe Mitglieder des Selbsthilfevereins der Kehlkopfoperierten, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, heute treffen wir uns für eine besonders wichtige Diskussion. Es geht dieses Mal nicht um neue Therapieverfahren für Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen, sondern darum, was die unterschiedlichen Behandlungen für mittelfristige und langfristige Folgen haben. Dies ist ein zentrales Thema sowohl für alle Patienten mit Kopf-Hals-Karzinom als auch für die betreuenden Ärzte, die Behandlungsformen entwickeln. Und es ist ein interdisziplinäres Thema, da die Diagnostik und Behandlung der Spätfolgen durch ein ganzes Team aufgenommen werden muss. Daher haben wir in dem Programm Beiträge aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten zusammengeführt. Wir freuen uns auf interessante Vorträge und eine spannende Diskussion mit dem Ziel, die Lebensqualität von Kopf-Hals-Karzinom-Patienten langfristig zu verbessern. Prof. Dr. Ulrich Keilholz Komm. Direktor CCCC 3 Liebe Teilnehmerinnen, lieber Teilnehmer, ein wichtiger Teil unseres Vereinskonzeptes ist einerseits die Aufklärung und Information von Patienten und deren Angehörigen, andererseits aber auch die Vermittlung relevanten Fachwissens an medizinische Fachkräfte. Ich bin überzeugt, dass die aktive Mitwirkung von Patienten einen großen Einfluss auf den Erfolg der Therapie haben kann und damit die Chance auf Heilung wesentlich erhöht wird. Der wissende, mündige Patient ist für mich keine Fiktion, sondern ein großes Ziel unseres Selbsthilfevereins. Wir freuen uns, Sie hier begrüßen zu dürfen und wünschen Ihnen und uns interessante Vorträge und Diskussionen. Michael Ley Selbsthilfeverein der Kehlkopfoperierten Berlin und Umland, Landesverband-Berlin e.V. VORSITZENDE UND REFERENTEN Elke Berger Ambulante Sozialberatung Charité Comprehensive Cancer Center Viktoria Müller Psychoonkologie Charité Comprehensive Cancer Center Klinik und Poliklinik Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde CCM PD Dr. Dr. Jan Dirk Raguse Komm. Leiter der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie CVK, CBF Sebastian Exner Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie CVK Martina Schäuble Psychoonkologie Charité Comprehensive Cancer Center PD Dr. Önder Göktas HNO Zentrum am Kudamm Berlin-Charlottenburg PD Dr. Rainer Seidl Klinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) Prof. Dr. Ulrich Keilholz Komm. Direktor Charité Comprehensive Cancer Center Dr. Katharina Stölzel Klinik und Poliklinik Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde CCM Dr. Steffen Dommerich 4 PROGRAMM TEIL 1 - VORSITZ: TEIL 2 - VORSITZ: Prof. Keilholz, PD Dr. Dr. Raguse M. Schäuble, Dr. Dommerich 9:00 Einlass 9:45 Begrüßung Prof. U. Keilholz (CCCC), M. Ley (SHV) 12:10 Auswirkungen der medikamentösen Therapie Prof. Dr. U. Keilholz 12:25 Diskussion 10:00 Auswirkungen der Strahlentherapie S. Exner 10:15 Diskussion 12:35 Psychische Belastungen und Wege der Krankheitsverarbeitung V. Müller 12:50 Diskussion 10:25 Kopf-Hals-Tumore – Auswirkungen auf Nase und Ohr PD Dr. Ö. Göktas 10:40 Diskussion 13:00 Soziale Unterstützungsmöglichkeiten E. Berger 13:20 Diskussion 10:50 Nahrungsaufnahme und Schlucken PD Dr. R. Seidl 11:05 Diskussion 13:40 Auswertung und Abschluss, danach Imbiss 11:15 Auswirkungen der Spätfolgen rund um das Tracheostoma Dr. K. Stölzel 11:30 Diskussion Änderungen von Programm und Referen- 11:40 Kaffeepause 5 ten sind vorbehalten. S. EXNER Auswirkungen der Strahlentherapie Patienten mit inoperablen lokal fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen können kurativ nur mit einer kombinierten Radiochemotherapie behandelt werden. Bedingt durch die Anatomie, Funktionalität und Sichtbarkeit dieser sensiblen Körperregion (Schlucken, Speichelproduktion, Sprechen, Atmung, Hautverhärtung, etc.) sind tumor- und therapiebedingte Veränderungen besonders beeinträchtigend für den Patienten. Es ist bekannt, dass die Rehabilitation nach einer Therapie bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren bis zu einem Jahr und länger dauern kann. Vor allem Schluckbeschwerden, Mundtrockenheit mit zäher Schleimbildung und Lymphödem sind in den ersten Monaten häufig vorhanden. Spätfolgen können verzögert in den ersten Jahren auftreten. Die modernen Strahlentherapietechniken (Volumetric Arc Therapy (VMAT), Intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT), Stereotaxie, Cyberknife, PET-Planungs-CT), wie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin an den Campi Virchow-Klinikum und Benjamin Franklin, gewährleisten eine hochpräzise Bestrahlung mit dem Ziel einer hoher Tumorwirksamkeit und optimalen Schonung der empfindlichen Körperregionen, wie der großen Ohrspeicheldrüsen, Kehlkopf, Rachenhinterwand und anderen für die Funktion kritischen Strukturen. Die moderne Strahlentherapie entwickelt sich zu einer personalisierten, individualisierten und risikoadaptierten Bestrahlung. Gerade bei Patienten mit Kopf-HalsTumoren hat sich im letzten Jahrzehnt neben einer besseren Tumorkontrolle, der Fokus der fortschrittlichen Strahlentherapie auf die Verbesserung der Lebensqualität erweitert. Besonders zu erwähnen ist die geringere Rate an permanenter Mundtrockenheit durch die „speicheldrüsenschonende“ Bestrahlung mittels IMRT/VMAT. Dadurch können auch weitere Nebenwirkungen minimiert werden, wie Karies, Geschmacksstörungen und bleibende Schluckbeschwerden, die häufig Folgen von Speichelmangel sind. Physiotherapeutische und logopädische Betreuung vor, unter und nach der Therapie sind entscheidend für eine rasche Wiederherstellung der ursprünglichen Funktionalität. Die Mitarbeit des Patienten steht weiterhin an erster Stelle zur Erreichung des bestmöglichen Behandlungserfolges. 6 NOTIZEN 7 PD DR. Ö. GÖKTAS Kopf-Hals-Tumore – Auswirkungen auf Nase und Ohr Bösartige Tumoren des Kopf-HalsBereichs gehören zu den häufigsten Malignomerkrankungen. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität der erkrankten Patienten generell und auch mit unterschiedlicher Auswirkung auf Nase und Ohr. Es sind daher eine frühe Tumordiagnostik und ein entsprechendes multimodales Therapiekonzept entscheidend für die weitere Lebensqualität und Prognose. Insbesondere die Einschränkungen der Patienten in Bezug auf das Riech- und Schmeckvermögen wurden bislang eher unterschätzt. Vorrangig wurden vor allem die Probleme im Bereich der Schmerz-, Schluck- und Sprechtherapie behandelt. In den bisherigen Studien wurden auch kaum standardisierte Verfahren zur Riech- und Schmecktestung herangezogen. Die Einschränkungen des Riech- und Schmeckvermögens nach Laryngektomie sind zwar bekannt, sollten aber besser mit den betroffenen Patienten besprochen werden. Interessant scheint in diesem Zusammenhang auch die Überlegung, veränderte Applikationsmethoden topischer Kortikosteroide in der Behandlung dieser funktionell-anatomisch bedingten Riechstörung nach Laryngektomie einzusetzen. Entsprechende Voruntersuchungen an nicht laryngektomierten Patienten existieren bereits und haben hier signifikant verbesserte Ergebnisse des sog. SDI Score (SchwelleDiskrimination-Identifikation) gezeigt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass weitere technisch-apparative Verbesserungen erforderlich sind, damit insgesamt ein effektiverer Beitrag zur Rehabilitation des Riechvermögens nach Kopf-Hals-Tumoren geleistet werden kann und eine Atrophie des Bulbus olfactorius, des sog. Riechkolbens verhindert wird. Die zeitnahe Rehabilitation der Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren bezüglich des Riech- und Schmeckvermögens ist ein wichtiger Faktor und kann die Lebensqualität der betroffenen Patienten verbessern. 8 NOTIZEN 9 PD DR. R. SEIDL Nahrungsaufnahme und Schlucken Neben einem tumorfreien Überleben des Lebens Luftröhrenschnitte muss der Erhalt oder die Wiederherangelegt und für die Nahrungsaufstellung der Lebensqualität Ziel einer nahme Sonden gelegt werden. Eine Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren solche Ausdehnung des Tumors sein. Die Lokalisation der Tumoren macht es schwer, im Rahmen einer im Kopf-Halsbereich bedeutet für die Tumorbehandlung die zerstörten Betroffenen dabei vor allem den ErFunktionen wieder herzustellen. halt oder die Wiederherstellung der Ist der Tumor auf den Kehlkopf oralen Nahrungsaufnahme mit einer beschränkt, gelingt die WiederAtmung über Mund und Nase. Bereits herstellung des Schluckens nicht in der Behandlung der Erkrankung selten durch eine Kehlkopfentfermüssen in vielen Fällen für den Erhalt nung. Für die Atmung ist dann aber des Lebens Ernährungssonden und ein Tracheostoma notwendig und Luftröhrenschnitte angelegt werden. das Erlernen eines neuen SpreDie Entfernung dieser Veränderungen chens. steht im weiteren Verlauf der Erkrankung für Patienten im Mittelpunkt. • Die durch die operative Behandlung entstehenden EinschränStudien zeigen leider, dass dies bei kungen einem Viertel der Patienten weiterhin nicht möglich ist. Ursachen dafür Auch an dieser Stelle gilt, dass die können sein: Ausdehnung des Tumors den Funktionsverlust nach einer Entfernung • Die zu Beginn der Behandlung mitbestimmt. Dabei müssen die bereits vorhandenen Einschrändurch den Operateur gewählten kungen Rekonstruktionsverfahren in der Nicht selten kommen Patienten Lage sein, die durch eine Entfererst spät in eine Behandlung, die nung zu erwartenden EinschränErkrankung ist bereits weit fortkungen auszugleichen. Darauf geschritten. Die Ernährung und muss bei dem Einsatz von RekonAtmung ist bereits stark eingestruktionsverfahren geachtet werschränkt oder aufgehoben. In solden. chen Fällen müssen für den Erhalt 10 Die Schluckabläufe müssen trainiert oder gelernt werden. Das Erlernen und Training der Schluckfunktionen muss möglichst frühzeitig beginnen, idealerweise bereits nach einer Operation, über den Verlauf und nach Abschluss einer Strahlentherapie. Dies muss vor allem der Patient leisten, angeleitet durch Therapeuten. Ein Therapeut kann nur 30-60 Minuten pro Woche Hinweise für die Therapie geben, in der übrigen Zeit muss der Patient selber schlucken. Dies muss dem Patienten bewusst gemacht werden, hier können ihn seine Familie oder Freunde unterstützen. Schluckstörungen in Folge einer Tumorerkrankung sind für die Lebensqualität von entscheidender Bedeutung. Dies umfasst nicht alleine die direkten Folgen der Behandlung, sondern bei verbesserter Überlebenszeit heute auch die Spätfolgen unserer Behandlung. Eine frühzeitige interdisziplinäre Diskussion der Behandlungsmaßnahmen und unterstützenSchlucken ist ein dynamischer Pro- der Einflüsse sollten heute Standard zess, der nur erhalten bleibt, wenn eines Behandlungsteams sein. Dabei man ihn beständig übt. Dies ist im sollten in einer Diskussion nicht algesunden Zustand kein Problem. Wir leine Überlebensaspekte eine Rolle schlucken ca. einmal pro Minute, wir spielen, sondern auch die Lebensquahaben ausreichend Potenzial, auch lität, die nicht selten im Kopf-Halsbemit Problemen gut umzugehen. Im reich am Schlucken bemessen wird. Rahmen einer Tumorerkrankung und ihrer Behandlung ändert sich dies. Dieser Grundsatz gilt auch für den Einsatz von Bestrahlungsverfahren. Durch moderne Planungs- und Bestrahlungsverfahren ist man heute in der Lage, auch kleine Strukturen (z.B. Kaumuskeln, Speicheldrüsen), die nicht im Bereich des Tumors liegen zu schonen. Dies führt inzwischen zu einer deutlichen Verringerung der Folgen einer Bestrahlung. Voraussetzung für einen solchen Erfolg ist eine intensive Kommunikation zwischen allen Behandlern. Diese Kommunikation sollte nicht erst nach Ende einer Bestrahlung erfolgen, sondern bereits vor Beginn der Tumorbehandlung z.B. in Tumorkonferenzen erfolgen. Dabei sollten die Chancen und Folgen einer Behandlung und mögliche supportive Verfahren (z.B. Verlagerung von Speicheldrüsen, Lösen von Kaumuskulatur) immer kritisch mit Blick auf den Patienten diskutiert werden. 11 DR. K. STÖLZEL Auswirkungen der Spätfolgen rund um das Tracheostoma Viele Patienten mit Kopf-HalsTumoren benötigen lebenslang oder vorübergehend für die Zeit der Therapie ein Tracheostoma (Luftröhrenschnitt). Das kann durch die Trennung von Luft- und Speiseweg bei der Kehlkopfentfernung nötig werden oder aber durch eine bestrahlungsbedingte Enge oberhalb der Luftröhre. Aber auch das Verschlucken nach Operationen im oberen Anteil des Kehlkopfs kann zur Notwendigkeit des Luftröhrenschnitts führen. Aufgrund der Schrumpfungstendenz der meisten Tracheostomata ist eine Kanüle oder ein Platzhalter vonnöten. Das Loch kann ohne Platzhalter innerhalb von Stunden schrumpfen und Luftnot die Folge sein. Es gibt verschiedene Kanülen und Platzhalter, die je nach Aufgabe verschiedene Formen haben, mehrteilig oder einteilig sind oder aber auch in ihren Materialien variieren. Bei erhaltenen Stimmlippen muss die Kanüle die Stimmbildung ermöglichen und ist deshalb gesiebt oder besonders geformt. Bei Verschlucken und der Gefahr der folgenden Lungenentzündung ist eine Kanüle mit Blockung unabdingbar. Ein kurzer Platzhalter ist bei trockenen und reizlosen Tracheostomata nach Kehlkopfentfernung komfortabel und bei manchen stabilen Tracheostomata nicht einmal nötig. Trotzdem ist für die richtige Temperatur und Luftfeuchtig- keit in Luftröhre und Lunge immer eine HME (Heat and Moisture Exchanger) Kassette zu empfehlen, um Borkenbildung in der Luftröhre mit konsekutiver Luftnot zu verhindern. Alle Fremdmaterialien können zu Entzündungen und Druckstellen führen, die auch Jahre nach Anlage des Luftröhrenschnitts erst auftreten können. Hier sind die tägliche Pflege und eine Anpassung der Kanülen/Platzhalter anzuraten. Aber auch die Bildung von Wucherungen am Tracheostoma wird häufig beobachtet. Diese können meist mit Silbernitratstiften geätzt oder mit dem Skapell abgetragen werden. Viele kehlkopflose Patienten tragen zusätzlich eine Stimmprothese zwischen Luftröhre und Speiseröhre. Dafür wurde während oder nach der Kehlkopfentfernung eine Verbindung zwischen beiden Strukturen geschaffen. Die Stimmprothese selbst erfordert tägliche Pflege und macht durch zentrale Leckagen (Versagen der semipermeablen Membran) den regelmäßigen Wechsel erforderlich. Die Frequenz kann von 1 Mal pro Jahr bis alle 3 Wochen reichen. Gerade Entzündungen (Pilzinfektionen) oder veränderte Umgebungsbedingungen können nach jahrelangem problemlosem Stimmprothesengebrauch plötzlich auftreten und die Frequenz des notwendigen Wechsels erhöhen oder 12 13 NOTIZEN gar zu peripheren Leckagen führen. Periphere Leckagen, die auf eine Vergrößerung der künstlichen Verbindung zwischen Luftröhre und Speiseröhre zurückzuführen sind, sind bei Arzt und Patient gefürchtet. Damit kann der Patient keine Nahrung mehr aufnehmen, ohne dass es zu einem Übertritt in die Luftröhre kommt. Die Behandlung kann langwierig sein und meist muss mittels Operation versucht werden, die künstliche Verbindung zu verkleinern oder zu verschließen. Gerade bei vorbestrahltem Gewebe ist der Erfolg meist verzögert und erfordert mehrere Eingriffe. PROF. DR. U. KEILHOLZ Auswirkungen der medikamentösen Therapie Früher bestand die medikamentöse Therapie bei Kopf-Hals-Tumoren rein aus Chemotherapie. Heute haben wir Chemotherapeutika, regulative Substanzen, die den IGF RezeptorSignalweg blockieren und moderne Immuntherapeutika, insofern also drei Behandlungsmodalitäten. Alle drei Behandlungsmodalitäten haben komplett unterschiedliche Wirkungsmechanismen und daher auch ganz unterschiedliche Spektren an unerwünschten Wirkungen. Unter den Zytostatika, die bei Kopf-Hals-Karzinomen wirken, gibt es ganz vielfältige akute Nebenwirkungen. Wenn diese aber vorüber sind, ist die Frage, welche der Nebenwirkungen bleiben können und wie mittel- und langfristige Erholungsprozesse ablaufen. Die wesentliche Rolle spielen hier Substanzen, die neurotoxisch sind, also negative Auswirkungen auf das Nervensystem haben. Dies sind vor allem Platinsalze (Cisplatin, Carboplatin, Oxaliplatin), Taxane (Paclitaxel und Docetaxel) und Vincaalkaloide (Vincristin, Vinorelbin). Die Besonderheit dieser Substanzen ist, dass sie unterschiedliche Nerven des Körpers angreifen können und diese Schäden nur sehr langsam oder gar nicht repariert werden. Gut bekannt sind die sensiblen Störungen, die sich frühzeitig als Taubheit in den Finger- und Zehenspit- zen bemerkbar machen, aber durchaus auch weitere Körperregionen betreffen können. Diese bilden sich nur über ein bis mehrere Jahre zurück, bleiben häufig jedoch längerfristig persistent. Es können jedoch auch andere Nervensysteme befallen werden, hier sind besonders die Nerven des Magen-Darm-Traktes zu nennen. Es können unerklärliche motorische Störungen auftreten und für längere Zeit persistieren, die nur ein erfahrener Arzt auf die Neurotoxizität zurückführen kann. Die zusätzlich häufig beobachtete Entwicklung einer Schwerhörigkeit kann sowohl durch Schädigung der Sinnesorgane selbst als auch der Nerven bedingt sein. Andere Nebenwirkungen finden sich kaum. Die IFG-Rezeptor-Blockade (derzeit einziges zugelassenes Medikament ist Cetuximab) führt dazu, dass eine Wundheilung verzögert eintritt, also werden sich Verletzungen (z. B. Schnittwunden) nur langsam schließen, Haut- und Schleimhautrisse können schlecht heilen und Verletzungen der Hornhaut des Auges heilen ebenfalls schlecht. Langfristige Auswirkungen nach Absetzen dieser Behandlung sind jedoch nicht zu erwarten. Immuntherapeutika können eine Reihe akuter Nebenwirkungen haben und können prinzipiell auch längerfristige Autoimmun-Erkrankungen ganz 14 unterschiedlicher Art auslösen. Diese sind jedoch sehr selten und treten vor allem bei Patienten auf, bei denen bereits ein langfristiges Ansprechen auf diese Medikamente zu verzeichnen war. Die Immunreaktionen in den meisten Organen können durch kurzfristige Immunsuppression ohne Beeinträchtigung der Tumorwirkung behoben werden. Lediglich Immunreaktionen gegen endokrine Drüsen (Schilddrüse, Hirnanhangsdrüse) können dauerhafte Hormonausfälle zur Folge haben, was eine Hormonsubstitution notwendig macht. Längerfristige, klinisch bedeutsame Störungen sind jedoch bislang nicht berichtet worden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eigentlich die langfristigen Auswirkungen der medikamentösen Therapie begrenzt sind. Ein ungelöstes Problem stellt jedoch die häufige Störung des Nervensystems durch bestimmte Zytostatika dar. NOTIZEN 15 V. MÜLLER Psychische Belastungen und Wege der Krankheitsverarbeitung Betroffene von Kopf-Hals Tumoren, und damit auch Kehlkopfoperierte, gehören zu den am stärksten belasteten Patientengruppen (Lydiatt et al., 2009). Zwischen 15% und 50% berichten von Niedergeschlagenheit und Interessensverlust während der Behandlungsphase mit der stärksten Ausprägung zwei bis drei Monate nach der Diagnose. Auch noch fünf Jahre nach der Behandlung zeigen 15% depressive Symptome, die im Gegensatz zu den körperlichen Belastungen weitgehend unverändert über die Jahre bestehen bleiben (Frampton, 2001). Die Angst vor einem erneuten Auftreten (Rezidivangst) und vor dem Voranschreiten der Erkrankung (Progressangst) wird ebenso verstärkt bei Betroffenen mit Kopf-Hals-Tumoren beschrieben, was mit der Präsenz der krankheits- und behandlungsbedingten Symptome im Alltag in Verbindung gebracht wird (Henry et al., 2014). Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken, mögliche Geschmacksveränderungen und Narben beeinträchtigen nicht nur das emotionale Wohlbefinden, sondern auch das eigene Selbstbild und die soziale Interaktion. Dass der subjektive Belastungsgrad dabei nicht nur mit dem Tumorstadium und der Behandlungsart zusammenhängt, sondern auch mit der erlebten sozialen Unterstützung, dem eigenen Optimismus und den eingesetzten Bewältigungsstrategien, macht die Möglichkeit der eigenen Einflussnahme auf das psychische Befinden in der Krankheitssituation deutlich (Henry et al., 2014). Im Vortrag werden dementsprechend verschiedene Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) vorgestellt, die den Umgang mit krankheitsbezogenen Belastungen erleichtern. Psychoonkologische Beratung kann orientiert an der persönlichen Situation des Einzelnen helfen, eine individuelle Auswahl zu treffen und so den Weg der Krankheitsverarbeitung unterstützen. Frampton, M. (2001) Psychological distress in patients with head and neck cancer: review. British Journal of Oral and Maxillofacial Surgery, 39, 67-70. Henry, M. et al. (2014) Head and neck cancer patients want us to support them psychologically in the posttreamtment period: Survey results. Palliative and Supportive Care, 12, 481-493. Lydiatt, W.M, Moran, J. & Burke, W.J. (2009) A Review of Depression in the Head and Neck Cancer Patient. Clinical Advances in Hematology & Oncology, 7(6), 397-403. 16 NOTIZEN 17 E. BERGER Soziale Unterstützungsmöglichkeiten Die Diagnose einer Krebserkrankung und deren Behandlung bringt eine Vielzahl an psychosozialen Belastungen und damit verbundenen Fragen nach sozialen Unterstützungsmöglichkeiten mit sich. Dazu gehören finanzielle Sorgen, Einschränkungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und im Beruf oder auch Hilfebedarf im Bereich der häuslichen Versorgung. Insbesondere im Bereich der KopfHals-Tumoren und den Spätfolgen der Behandlung kommen die Belastungsfaktoren und Einschränkungen der Lebensqualität auch noch Jahre nach deren Abschluss zum Tragen, sodass der sozialen Unterstützung hier eine besondere Bedeutung zukommt. Der Vortrag soll einen Überblick zu den sozialen Unterstützungsmöglichkeiten geben und dabei insbesondere auf Fragen der finanziellen Sicherung sowie der medizinischen und beruflichen Rehabilitation eingehen. Dazu gehört eine Übersicht der Entgeltersatzleistungen, wie Krankengeld, Arbeitslosengeld im Krankheitsfall und den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Zudem werden die vielfältigen Rehabilitationsmöglichkeiten dargestellt, zu denen neben der Anschlussheilbehandlung auch Leistungen der onkologischen Rehabilitation, Rehabilitationssport oder die berufliche Wiedereingliederung als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zählen. Daneben erfolgt ein Überblick über die im Leistungsumfang der Sozialversicherungsträger enthaltenen Möglichkeiten der häuslichen Versorgung sowie der Hilfsmittelversorgung, aber auch niedrigschwellige Hilfsangebote werden dargestellt. Zuletzt sollen hilfreiche Ansprechpartner und Informationsquellen für niedergelassene Behandler und Patienten, Angehörige und Interessierte gegeben werden. 18 NOTIZEN 19 Kontakte: Charité Campus Mitte Selbsthilfeverein der Kehlkopfoperierten Berlin und Umland, Landesverband-Berlin e.V. Invalidenstraße 80 Michael Ley 10115 Berlin Wikingerufer 6, 10555 Berlin Tel. +49 (0)30 450 564 222 Tel. 030 250 49 219 Fax: +49 (0)30 450 564 960 [email protected] Charité Comprehensive Cancer Center E-Mail: [email protected] Internet: http://cccc.charite.de/ 20
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