EDITORIAL Gemeinwohlökonomie: Auf der Suche nach einer besseren Welt Bernd Engelhardt Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart Terror, Nationalismus, Flüchtlingsmigration, Klimaveränderung und Finanzkrisen machen vielen Menschen Angst. Sie suchen nach neuen Lösungen, nach einer besseren Welt -- und auf dem Feld der Wirtschaft nach einer neuen, ökologischeren und gerechteren Ökonomie, die dem Gemeinwohl dient, Einkommensunterschiede egalisiert, Wohlstand verteilt und jedem größtmögliches Glück verspricht. Christian Felber, Attac-Aktivist und Dozent aus Österreich , wirbt seit 2010 für seine Gemeinwohlökonomie, und schart immer mehr Anhänger für seine Ideen hinter sich, bis hin zu Europaparlamentariern in Brüssel. Sein Credo: statt Gewinn und Verlust werden in einer Gemeinwohl-Bilanz die Sinnhaftigkeit von Produkten und Dienstleistungen, die ökologische Ausrichtung und die Mitbestimmung durch Beschäftigte bewertet. Schon eine Reihe teils auch namhafter Betriebe hat eine solche Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Viele nutzen sie zum Produkt- oder Arbeitgebermarketing. Minuspunkte für Wettbewerb Die Gemeinwohl-Bilanz soll nur vorläufig die klassische Bilanz ergänzen. Sie ist Kern einer neuen Wirtschaftstheorie, in der Wettbewerb bestraft und Kooperation belohnt werden. Gewinnstreben und Konkurrenz werden als Grundübel unserer Welt angesehen. So gibt es für Patente Minuspunkte, weil sie Wissen für andere nicht zugänglich machen. Pluspunkte lassen sich unter anderem mit nachhaltiger Produktion erzielen und je mehr Punkte im Bewertungsschema der Gemeinwohl-Bilanz ein Betrieb erreicht, desto geringer soll seine Belastung durch Steuern, Zölle oder Zinsen sein. Eigentums- und Freiheitsrechte werden neu definiert. So sollen große Betriebe mit über 5000 Beschäftigten enteignet und der Belegschaft und der Allgemeinheit übertragen werden. Firmenkäufe oder -verkäufe sind verboten. Gewinne sollen an die Belegschaft ausgeschüttet oder in Produkte und Dienstleistungen mit sozialem und ökologischem Mehrwert investiert werden. Diesen Mehrwert definiert dann ein Wirtschaftskonvent. Gesellschafter oder Investoren, die nicht im Betrieb mitarbeiten, sollen keine Gewinne erhalten. Vererbt werden dürfen maximal 500 000 Euro. Darüber hinausgehende ErbMAGAZIN WIRTSCHAFT 08-09.16 masse wird sozialisiert. Es gibt eine 33-Stunden-Woche. Das Bankensystem in heutiger Form soll durch eine demokratische Bank ersetzt werden, die keine Gewinne machen darf. Vorgesehen ist zudem ein gesetzlicher Mindest- und Maximallohn. Der Unterschied soll höchstens das 20-fache betragen, bei Banken das Dreifache. Abkehr von der Marktwirtschaft Die Verfechter der Gemeinwohl-Ökonomie wollen eine radikale Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft. Nun weist diese in der Tat auch Schwachstellen auf. Nichts ist perfekt. Zugleich sind die marktwirtschaftlichen Wirtschaftssysteme der westlichen Welt unterschiedlich und stehen im Wettbewerb zu Ländern wie China mit hohem staatswirtschaftlichen Einfluss. Daher ist es legitim, über ökonomische Systeme zu diskutieren und sie zu verändern. Richtig ist aber auch: die Gemeinwohl-Ökonomie mit ihren heutigen Ansätzen würde Kosten und Bürokratie für die Wirtschaft erheblich steigern, Investitionen unattraktiv machen, die unternehmerische Freiheit massiv einschränken und viele Firmeninhaber und Aktionäre enteignen. Zugleich bleiben Rolle, Legitimation und Zusammensetzung eines gewählten Wirtschaftskonvents unklar. Es soll für viele Lebensbereiche Konvente geben, etwa für Bildung, Medien, Daseinsvorsorge usw. Sie bestimmen auf der Grundlage der Gemeinwohl-Ökonomie, was richtig und falsch ist. Wo bleiben Kommunal- und Landesparlamente, wo Bundesrat und Bundestag? Widerspruch zum Grundgesetz Erstaunlich ist, dass demokratische Parteien und etablierte Institutionen mit der Gemeinwohl-Ökonomie sympathisieren. Ihre Verfechter verweisen auf Artikel 14 des Grundgesetzes. In Absatz 2 steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zudem dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Absatz 1 stellt aber vorher klar fest: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet“. Dies steht im klaren Widerspruch zur Gemeinwohl-Ökonomie-Theorie des Christian Felber. Am allererstaunlichsten aber ist: selten haben diejenigen, die sich für die die GemeinwohlÖkönomie von Herrn Felber begeistern, seine Bücher auch wirklich gelesen. 3
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