Satirisches Interview mit Mathilde im

Nr. 49 | KOSTENLOS | 15.08.16 – 14.11.16 | www.laufpass.com
LAUFPASS
Das Magazin für Bremerhaven, Cuxhaven & drumrum
AOK Service
Gesundheit
ab Seite 42
LAUFPASS 49
IM GESPRÄCH:
MATHILDE
AB SEITE 10
basta! Für
Familien
ab Seite 33
The Knechtsand
„Messias vom Hauptbahnhof“ – die Tour 2016
Freier Zugang zum Strand!
Aufstand gegen das Abkassieren
Psychoonkologie: Hilfe bei Krebs + Sportlich: die Kraken + Großes Kino: Passage + Brennt: Stadthalle Open AIR +
Einfach gut: TiF + Coole Mischung: Pferdestall + Entspannung pur: Saunaland + Berufswahl: Chaos! + Termine: viele!
Im Gespräch: Mathilde aus Bad Bederkesa. Ein satirisches
Interview mit einer ungewöhnlichen Gestalt. Sie ist eine Frau
mit vielen Gesichtern, wenn man es so sagen mag. Sie ist ein
Kunstwerk, eine Kunstfigur und ein Kunstgriff zugleich. Wir
Wer sind Sie eigentlich, Mathilde? Welche Erwartungen?
Ursprünglich eine Arbeit von Gerhard Olbrich,
dem Bremerhavener Künstler. Als „Einkaufende
Hausfrau“ bin ich Skulptur. Zugleich diente ich
als Vorlage für die Gästeführerin Mathilde. Eine
zauberhafte Frau aus Fleisch und Blut namens
Heike Windus. Sie führt die Menschen durch
Raum und Zeit von Bederkesa und bringt ihnen
diesen schönen Ort näher.
Vor der Fusion schien es, als sei Bürgernähe
ein substanzielles Anliegen des Bürgermeisters.
Deshalb sprachen viele mit ihm und er mit ihnen. So auch das BürgerTeam, das damals sehr
aktiv in Bad Bederkesa war. Nach der Amtsübernahme zeigte sich aber, dass „König” Krüger seine ganz eigenen Ideen zur Gestaltung seines Reiches hat. Und darin tauchen viele Bürgerinnen
und Bürger nicht mehr auf.
Sie sind aber zugleich eine furchtbar
renitente Person, was man so lesen darf...
Renitent? Nun eher satirisch, bissig, offen und
ehrlich als Sprachrohr der Bürger unserer Stadt.
Das ist sozusagen mein drittes Gesicht. Ich sage, was zu sagen ist, im Auftrag der Menschen,
die es gesagt sehen wollen.
Ein Sprachrohr in Satireform?
Ja, Satire darf übertreiben und trägt doch stets
einen wahren Kern in sich. Bad Bederkesa hat
viele Probleme, viele Chancen und eine gute
Zukunft, wenn man ordentlich mit dem Standort umgeht. Eine Ausblendung von Bürgeranliegen sehe ich in der Folge der Amtsübernahme
von König Krüger. Eine von der Stadt finanzierte
Postkarte für die Gästeführerin „Mathilde” wurde beispielsweise gleich nach Erscheinen komplett vom Markt genommen und vernichtet,
weil der Bürgermeister Krüger der Meinung war,
dass die Adressangabe zuerst die neue Fusionsstadt Geestland zeigen müsse und nicht den Ort
Bad Bederkesa, wo Mathilde ihre Gästeführungen durchführt. Auch seine Zusage, für Ersatz zu
schaffen, hielt er nicht ein.
„König” Krüger?
Der neue Bürgermeister der Stadt Geestland, die
aus Bad Bederkesa und Langen entstanden ist.
Dieses Fusionskonstrukt ist ein bürokratisches
Monster, das die Identitäten der Ortschaften
verschlingt. Und die Erwartungen an den neuen Herrscher über die Verwaltung wurden leider
enttäuscht.
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Und das rief Sie auf den Plan – als
satirische Version einer Hofnärrin?
Eine Närrin? Nein, aber nicht doch. Bei
aller Häme sind die Anliegen, die die
Bürger über mich als Vehikel in die
Welt tragen, doch sehr bedeutsam.
Es geht um die Zukunft Bad Bederkesas. Diese ist gefährdet. Da muss Frau sich
doch aufraffen und Stellung beziehen – oder?
Was gefährdet
Bad Bederkesa?
Der Verlust des Identitätskernes. Bad Bederkesa als zauberhaftes Städtchen am schönen
See, mit seinem Kanal, der
Burg, den alten Gebäuden,
seiner Geschichte. Ein Ort für
Touristen und Naherholungssuchende, ein Ort mit hoher Wohnqualität und einem ganz besonderen Ambiente ist gefährdet. Durch die
Banalisierung der Stadtkultur, die die Geschichte Bad Bederkesas vergisst, durch Mission Olympic – ein Coca Cola Konzept – durch Büschen Olympic – irgendwie kein Konzept. Es hat
eine oberflächliche, laute mediale Verblödelung
der Stadt begonnen. Hinzu kommt die Industrieansiedlungsstrategie, die mit Macht und Mächten vorangetrieben wird.
Mathilde aus Beers
nähern uns dem Phänomen Mathilde im Gespräch.
Nach dem Vorbild der Bronzeskulptur „Einkaufende Hausfrau“ des Bremerhavener Künstlers Gerhard Olbrich entwarf der Designer Michael Heinze im Jahr 2002 eine neue farbige SchattenrissFigur „Mathilde“ und entwickelte sie darüber hinaus zu einer marktreifen Kulturfigur. Das neue
Konzept von „Mathilde“ geht über die historisierende Absicht des Originals und seiner Abbilder
als Strichgrafik hinaus. Die Schattenriss-Figur entwickelte sich zum Sprachrohr der Bürger. Sie
will eine positive Aufbruchsstimmung in und um Bederkesa erzeugen, zugleich aber auch als kritische Begleiterin der Umstände agieren.
Industrieansiedelung? Was meinen Sie damit?
Vierzehn Kraftwerke sollen hier gebaut werden. Jedes einzelne 200 Meter hoch.
Kraftwerke, was für Kraftwerke?
Windkraftwerke. 200 Meter hoch. 14 Stück. Das sind
keine niedlichen Windmühlen für ein bisschen erneuerbare Energie. Das sind 14 gigantische industrielle
Anlagen, die das Antlitz Bad Bederkesas für immer
zerstören werden für einen Haufen Schotter. 14 Riesen in einer wunderschönen Landschaft am Ortseingang, gebaut zur Bereicherung weniger zu
Lasten tausender Bürgerinnen und Bürger
der Region.
Was sind Ihre Befürchtungen?
Der von Landkreis und Wirtschaft geplante Windpark wird auf drei Ebenen
eine katastrophale Belastung für Bad Bederkesa sein. Als Eingriff in die Integrität
der Naturlandschaft wird er die Attraktivität des
Standortes ruinieren, denn die 14 Giganten werden
alles überragen und aus Bad Bederkesa einen Industriestandort machen. Als Eingriff in den Tierschutz
werden heimische Uhus, Seeadler und andere mehr
existenziell bedroht. Sie sind Teil des Reichtums unserer Gegend und haben sich angesiedelt, weil die
Natur ihnen Lebensraum bietet.
Und der dritte Punkt? Ja, ja, das ist mindestens ebenso wichtig. Wir sprechen vom Landschaftsschutz, vom Tierschutz und
nun auch vom Menschenschutz. Die Anlagen sollen
nur 500-800 Meter von bewohnten Zonen aufgestellt
werden. Sie werden aber auch alle Bürgerinnen und
Bürger bereits durch ihre Präsenz massiv belasten.
Das wird unaushaltbar sein.
Sind diejenigen, für die
Sie sprechen Windkraftgegner?
Nicht einer von ihnen. Alles sind Windenergiefans.
Aber die Errichtung industrieller Großanlagen sollte nicht in unmittelbarer Nähe von bewohnten Gebieten erfolgen. Wir haben im Landkreis genug Flä-
chen, die besser geeignet sind, und ohnehin besteht
schon jetzt eine Überproduktion an Windenergie, die
nicht zu nutzen ist. Aber wenn Politik und Wirtschaft,
wenn Macht und Geld sich zusammentun, geschehen die sonderbarsten Dinge auf Erden. Schauen Sie
sich mal die geplanten Flächen an und fragen Sie
sich, wem diese Flächen gehören...
Ist die Bevölkerung gegen das Projekt?
Natürlich. In einer Befragung haben sich schon im
Jahr 2010 73% der Menschen dagegen ausgesprochen. Aber das schert die da oben nicht. Die
machen ihr eigenes Ding. Also müssen
wir auch juristisch gegen die Industrialisierung vorgehen, wenn der Wille des
Bürgers als Souverän des demokratischen Staates nichts mehr zählt.
Und der Bürgermeister?
Fragen Sie ihn selbst. Wir sehen, dass er die
Chance verspielt, das Richtige für Bad Bederkesa zu tun. Seine Gründe kennen wir nicht. Großen
Einfluss wird er auf die Entscheidungen des Landkreises ohnehin nicht haben. Dass er sich trotzdem
im gleichen Boot mit den Landkreis-Kaisern befindet, ist aber schon kurios. Wir erleben ihn jedenfalls
nicht als gütigen Stadtvater, der das Beste für sein
Volk will. Eher kommt er wie ein Stratege bei uns an,
der sich bürgernah gibt, aber dennoch sein eigenes
Ding macht.
Wie funktioniert das mit Mathilde?
Ziemlich einfach. Der Designer Michael Heinze ist
mein Redakteur. Er nimmt die Dinge auf, die ihm zugetragen werden und formuliert sie für mich so, dass
ich es auch verstehe. Mit seinem Revolutionsmedium Nordsee-Galeere hat er ein Forum geschaffen,
in dem ich mich und damit die Bürgerinnen und Bürger artikulieren kann. Die Nordsee-Galeere geht übrigens bald online als Blog. Das wird sicher auch sehr
anregend.
www.laufpass.com/Mathilde_drop
Wir bleiben gespannt.
Danke für das Gespräch.
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