Fatale Bilanz ROBERT SCHLESINGER DPA/LBN (M) Vorabdruck: Fast zehn Jahre lang regierten SPD und PDS/Die Linke Berlin. Das Ergebnis waren Personalabbau im öffentlichen Dienst und Privatisierung. Das könnte sich nach dem 18. September wiederholen. Von Lucy Redler SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · MITTWOCH, 7. SEPTEMBER 2016 · NR. 209 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Umverteilungsmaschine Steuerkriminelle Hassverbrechen Handelsdefizit 2 3 7 9 Bundeshaushalt 2017: Mehr fürs Militär, nichts für soziale Sicherheit. Interview mit Gesine Lötzsch Apple ist kein Einzelfall. EU-Staaten rollen Konzernen den roten Teppich aus. Von Simon Zeise London: Warschau schickt Regierungs Kanada: CETA wird die Wirtschaftsprodelegation nach rassistischem bleme des Landes verschärfen. Mord an polnischem Arbeiter Von Raoul Rigault REUTERS Lettland: Ab 2017 NATO-Stationierung Riga. Das für Lettland vorgesehene, von Kanada angeführte NATOBataillon soll im Frühjahr 2017 in dem baltischen Staat stationiert werden. Die Truppen würden eintreffen, sobald der Schnee geschmolzen sei, sagte der lettische Botschafter in Kanada, Karlis Eihenbaums, der Nachrichtenagentur Leta. Außer Kanada hätten dem Diplomaten zufolge viele weitere Mitgliedsländer des westlichen Kriegsbündnisses ihre Bereitschaft signalisiert, Truppen in das Land zu schicken. Die NATO hatte bei ihrem Gipfel Anfang Juli die Entsendung von je etwa 1.000 Soldaten nach Polen, Lettland, Estland und Litauen beschlossen. Begründet wird dies mit einer angeblichen Bedrohung der Länder durch Russland. (dpa/jW) Verteidigungsministerium investiert 58 Millionen Euro in der Türkei. Bundeswehr richtet sich auf längere Präsenz in Incirlik ein. Von Sevim Dagdelen D ie Bundesregierung schafft auf dem Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik Fakten und führt einmal mehr den Bundestag vor: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will 58 Millionen Euro investieren, um die Basis für die Bundeswehr auszubauen – ungeachtet des von Ankara verfügten Verbots für Abgeordnete, die dort stationierten deutschen Soldaten zu besuchen. Für rund 26 Millionen Euro sollen ein Flugfeld für die »Tornado«Kampfflugzeuge der Bundeswehr und Unterkünfte für die Soldaten gebaut werden. Die Mittel hierfür sind bereits freigegeben, der Deal muss nur noch unterzeichnet werden. Darüber hinaus will die Wehrchefin für weitere 30 Millionen Euro einen mobilen Gefechtsstand anschaffen. Damit diese neue deutsche Kriegsplanungszentrale auch fest und eben auf türkischem Boden steht, muss ein Fundament gegossen werden. Kostenpunkt: weitere zwei Millionen Euro. Die über den Spiegel am Dienstag verbreitete Nachricht hat es in sich: Der Ausbau in Incirlik demonstriert nachdrücklich, die Bundeswehr-Einheiten sind ganz offensichtlich dorthin geschickt worden, um zu bleiben – die Verfolgung von Andersdenkenden, die Massenverhaftungen und Massenentlassungen durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie dessen Krieg gegen die Kurden nimmt man in Berlin billigend in Kauf. Doch nicht nur eine Verlängerung der Bundeswehr-Stationierung in dem autoritären Unterdrückungsstaat über das Auslaufen des Mandats Ende des Jahres hinaus ist geplant. Im Herbst will die Bundesregierung die deutsche Truppenpräsenz sogar noch ausweiten. Ab Ende Oktober oder Anfang November sollten AWACS-Radarflugzeuge der NATO von der Türkei aus den syrischen Luftraum kontrollieren. Offiziell soll damit der US-geführte Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) unterstützt werden. Faktisch erhält das NATO-Mitglied Türkei wertvolle Aufklärungsdaten, die im Kampf gegen die Kurden im syrischen Grenzgebiet Verwendung finden können. Die Bundeswehr stellt ein Drittel der AWACS-Mannschaften. Bereits mit den durch die »Tornado«Einsätze gewonnenen Daten unterstützt die Bundeswehr die türkische Armee aktiv im Vorgehen gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten, eine zentrale Kraft im Kampf gegen den IS. Erdogans Türkei hatte nach der Verabschiedung der Armenien-Resolution des Bundestags am 2. Juni Besuche von Parlamentariern bei der Bundeswehr in Incirlik untersagt. Statt Courage zu zeigen und die deutschen Soldaten umgehend abzuziehen, machte die Bundesregierung den Kotau. In einer beispiellosen Unterwerfungsgeste distanzierte sie sich von der Entschließung, die Vertreibung und Massaker an den Armeniern vor gut 100 Jahren durch das Osmanische Reich als Völkermord wertet. Um den Despoten am Bosporus gnädig zu stimmen, degradierten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Bundestag zur Quasselbude. Wie offensichtlich zuvor exakt ausgezirkelt, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am vergangenen Freitag gen Ankara, die Resolution sei lediglich eine Willenserklärung und nicht rechtlich bindend. Merkels Kabinett ist damit exakt auf Linie der regierenden AKP in der Türkei, wonach Gerichten die Entscheidung obliegt, was Völkermord ist – und nicht dem Parlament. Die Mittelfreigabe für den Ausbau in Incirlik wiederum erfolgt nun, noch bevor Erdogan grünes Licht für die Reise von Bundestagsabgeordneten gegeben hätte. So hat die Bundesregierung auch in der laufenden Haushaltswoche bekundet, was sie von den Volksvertretern hält. Über Frust bei den Wählern im Land braucht sich da am Ende keiner zu wundern. Gewerkschaften starten Rentenkampagne Deutlich höhere Altersbezüge tun not, so der DGB. Nur wieviel mehr es sein soll, weiß er nicht A m Dienstag hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin eine Kampagne gestartet, um das Rentenniveau anzuheben. Nötig sei ein »Kurswechsel in der Rentenpolitik«, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Zunächst ginge es darum, das gesetzliche Rentenniveau zu stabilisieren. Langfristig müsse es aber deutlich höher werden. Momentan liegt das Rentenniveau – es bezeichnet das Verhältnis zwischen der Durchschnittsrente und dem Durchschnittslohn – bei knapp 48 Prozent. Bis 2030 soll es jedoch auf 43 Prozent absinken. Die Senkung beschädige »die bisher beste, stabilste und vertrauenswürdigste Altersvorsorge, die wir haben – die gesetzliche Rentenversicherung«, sagte Hoffmann. Werde nun nicht gegengesteuert, »werden 2040 oder 2050 Millionen der heute noch jungen Menschen von sozialem Abstieg oder gar Altersarmut betroffen sein«. Der DGB schlug vor, alle versicherungsfremden Leistungen voll aus Steuermitteln zu erstatten. Würde so mit der Mütterrente verfahren, spare die Rentenversicherung jährlich sieben Milliarden Euro ein. Zudem solle der Beitrags- satz »maßvoll, in kleinen Schritten« auf 22 Prozent angehoben werden. Mit den zusätzlichen Mitteln könne das Rentenniveau gesichert werden. Wie stark aber die »deutliche Erhöhung« des Rentenniveaus ausfallen soll, die der DGB »langfristig« erreichen will, erklärte Hoffmann nicht. Der Gewerkschaftsbund sagte auf Nachfrage von jW, dass man noch keine entsprechende Zahl habe. Bevor sich der DGB hier festlege, wolle er zunächst auf neue Daten zur Rentenentwicklung warten, die im Laufe des Herbsts veröffentlicht werden. Zuletzt hatte sich auch der So- zialverband Deutschland zum Thema geäußert und eine möglichst rasche Erhöhung des Rentenniveaus auf mindestens 50 Prozent verlangt (siehe jW vom 24. August). Unterstützung erhielt der Deutsche Gewerkschaftsbund am Dienstag von der Linkspartei. Deren Vorsitzender, Bernd Riexinger, erklärte in einer Mitteilung, das Rentenniveau müsse auf 53 Prozent angehoben werden. Wichtig sei eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro »als universales soziales Netz für alle Seniorinnen und Senioren«. (AFP/jW) Immer mehr Haushalte sind verschuldet PETER STEFFEN/DPA-BILDFUNK Erpressung lohnt sich BUNDESWEHR/OLIVER PIEPER Bundeswehr-Tornado in Incirlik (Foto vom April 2016) Berlin. Die Zahl der überschuldeten Haushalte in Deutschland hat einem Medienbericht zufolge in den vergangenen Jahren zugenommen. 2015 waren demnach bundesweit 1,97 Millionen Privathaushalte überschuldet. Das geht aus Zahlen des Bundesarbeitsministeriums hervor, die der Nordwest-Zeitung (Dienstagausgabe) vorliegen und im neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung veröffentlicht werden sollen. 2006 gab es demnach erst 1,64 Millionen Haushalte mit einer »hohen Überschuldungsintensität«. Dabei geht es um Personen oder Familien, die über einen längeren Zeitraum ihre Schulden bei mehreren Gläubigern nicht zurückzahlen können. (dpa/jW) wird herausgegeben von 1.867 Genossinnen und Genossen (Stand 12.8.2016) n www.jungewelt.de/lpg 2 POLITIK Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Haushaltsentwurf 2017 sieht mehr Ausgaben für Bundeswehr vor. In soziale Sicherheit will die Bundesregierung nicht investieren. Gespräch mit Gesine Lötzsch A DIE LINKE m Dienstag wurde der gen, die gibt es nur durch Verzicht Haushalt 2017 in den auf Kriegsbeteiligungen und WafBundestag eingebracht. fenexporte. Was sind Ihre Kritikpunkte? Aber wie schafft man mehr soDer Haushalt ist nicht gerecht. Die ziale Sicherheit? Regierung spaltet unsere Gesell- Die Menschen haben reale Ängste, schaft weiter, statt die Spaltung auf- die man ihnen nicht mit militärizuheben. Die Vermögenden werden schen Mitteln nehmen kann. Sie weiter verschont. Die Erbschafts- haben Angst vor Altersarmut. Sie steuer ist ein Witz. In jedem Jahr haben Angst vor steigenden Mieten. werden bis zu 200 MilSie haben Angst vor liarden Euro vererbt, dem Verlust ihres Arvon denen nur ein läbeitsplatzes. Sie haben cherlicher Betrag verAngst vor steigenden steuert wird. Gesundheitskosten. Auch auf KapitalerDiese Angst will Die träge werden weiterLinke den Menschen hin weniger Steuern nehmen, indem wir in bezahlt als auf geleiSolidarität investieren. stete Arbeit. Und die In eine solidarische FinanztransaktionsRente, in ein solidaristeuer, die uns die Gesine Lötzsch (Die Linke) sches GesundheitssyBundesregierung nach ist Vorsitzende des Haus- stem und in einen soder Finanzkrise 2008 haltsausschusses des lidarischen Wohnungsversprochen hat, ist bis Bundestages bau. heute noch nicht eingeFreuen Sie sich nicht führt. CDU und CSU haben schon über die »schwarze Null«? den Steuersenkungswahlkampf be- Die Bundesregierung hat einen gonnen. Sie wollen angeblich kleine »Nach-mir-die-Sintflut-Haushalt« und mittlere Einkommen entlasten. vorgelegt. Seit drei Jahren lässt sich Einverstanden, doch wo ist die Ge- der Finanzminister für die schwarze genfinanzierung? Unser Vorschlag Null feiern. Er erinnert mich an das lautet: Die Vermögenden belasten, Märchen »Hans im Glück«. Hans um die kleineren und mittleren Ein- hält einen Goldklumpen in den Hänkommen zu entlasten. den und weiß damit nichts anzufanWer ist vermögend? Ist das gen. Dem Finanzminister fliegt das beispielsweise nicht schon der Geld von selbst zu. Er muss gar Ingenieur bei VW? nichts tun: Niedrige Zinsen, niedNein. Ich spreche von dem einen riger Wechselkurs und billiges Öl Prozent der Bevölkerung in unse- sind großartige Voraussetzungen rem Land, das über ein Drittel des für einen Finanzminister, eine Gegesamten Eigentums verfügt. Und rechtigkeitsoffensive zu starten. Seit es hat die Macht, Steuererhöhungen 2008 haben wir wegen sinkender zu verhindern. Da können sich die Zinsen rund 100 Milliarden Euro Vermögenden auf CDU und CSU eingespart. Ich frage mich, warum verlassen. Wenn nur noch dieses ei- der Finanzminister aus diesen guten ne Prozent sie wählt, dann haben sie Rahmenbedingungen nichts Vervielleicht verstanden, dass sie etwas nünftiges gemacht hat. Mit Herrn falsch gemacht haben. Schäuble verbindet sich kein ZuDie Bundeswehr soll mehr kunftsprogramm, keine gerechte Geld bekommen, schafft das Reform des Steuersystems, sondern mehr Sicherheit? nur eine schwarze Null. Das ist ein Wir müssen uns doch die Frage mageres Ergebnis. stellen, ob die Bundeswehr in den Wir hingegen sagen, wir brauvergangenen Jahren einen Beitrag chen ein starkes Programm für besgeleistet hat, diese Welt sicherer sere Arbeit und bessere Infrastrukzu machen. Die militärische Betei- tur. Wir brauchen mehr Erzieher, ligung Deutschlands am Afghani- Lehrer, Polizisten und Pflegekräfte. stan-Krieg hat weder in dem Land Wir müssen unsere Brücken sanienoch in Deutschland die Sicherheit ren und bezahlbare Wohnungen erhöht. Der Kampf gegen den Terror bauen. Und wenn die Länder mit hat den Terror auch nach Deutsch- ihren eigenen Aufgaben überfordert land geholt. Der Bundeswehr jetzt sind, dann müssen wir die Steunoch mehr Geld zu geben, schafft ern zwischen Bund und Ländern mehr Sicherheit für die Besitzer von gerechter verteilen. Aktien der Rüstungskonzerne, aber Also wollen Sie mehr Schulden weniger Sicherheit für Deutsche, machen? Afghanen, Syrer und Millionen Wenn wir den Reichtum gerecht Menschen, die vor Kriegen fliehen. verteilen, brauchen wir keine SchulDie Bundesregierung hat bewie- den zu machen. Wir könnten sogar sen, dass sie nicht in der Lage ist, welche abbauen. den Menschen in unserem Land mehr Sicherheit zu bieten. Wir sa Interview: Markus Bernhardt EDDIE KEOGH/REUTERS »Finanzminister fliegt das Geld von selbst zu« Kämpfe verknüpft. Mitglieder des britischen Ablegers der Bewegung »Black Lives Matter« haben am Dienstag morgen die Landebahn des Flughafens London City besetzt. Durch die Aktion kam es zu erheblichen Verzögerungen im Betrieb. Auf Transparenten machten die Aktivisten auf die Umweltverschmutzung durch den massenhaften Flugverkehr aufmerksam. »Die Klimakrise ist eine rassistische Krise«, war dort zu lesen. In einem über Twitter veröffentlichten Video beklagten sie, dass die in erster Linie von westlichen Staaten verantwortete Klimakrise vor allem afrikanische Länder bedrohe. (jW) Neue Putschpläne Venezuelas Opposition kündigt weitere Aktionen gegen Präsident Maduro an I n Venezuela warnen die Sicherheitskräfte für den heutigen Mittwoch erneut vor gewaltsamen Zwischenfällen. Der Direktor des mit Polizeibefugnissen ausgestatteten Inlandsgeheimdienstes Sebin, Gustavo González López, wies am Montag (Ortszeit) in Caracas darauf hin, dass für den 7. September neue Protestaktionen angesetzt worden seien. Man müsse damit rechnen, dass Teile der rechten Opposition diese Kundgebungen nutzen wollten, um ihren Misserfolg vom vergangenen Donnerstag wettzumachen. Am 1. September hatte die Opposition zwar Zehntausende Anhänger zu einer Großdemonstration in den Mittelschichtsvierteln im Osten der Hauptstadt mobilisieren können, das gesetzte Ziel einer »Besetzung« oder »Einnahme« von Caracas jedoch nicht erreichen können. Allerdings hätten die Führer des rechten Lagers die Losung ausgegeben, bis zu einem Sturz von Präsident Nicolás Maduro »die Straße nicht zu verlassen«, warnte der Sebin-Chef. Der Geschäftsführer des Opposi tionsbündnisses MUD (Tisch der demokratischen Einheit), Jesús Torrealba, hatte bei der Kundgebung am 1. September für den heutigen Mittwoch sechsstündige Aktionen vor den Einrichtungen des Nationalen Wahlrates (CNE) angekündigt. Die Regierungsgegner werfen der Wahlbehörde vor, die Einberufung eines Amtsenthebungsreferendums gegen Maduro zu verschleppen. »Wir haben Informationen, dass die Pläne, die am 1. September nicht durchgeführt werden konnten, nun am 7. September umgesetzt werden sollen«, erklärte González López. Diesmal sei es die Absicht der Regierungsgegner, bestimmte Gebiete des Landes zu »besetzen«. Konkrete Pläne dafür gebe es etwa im Bundesstaat Zulia im Westen, wo es mehrere Treffen von politischen Aktivisten und Geldgebern gegeben habe, um die Rebellion zu planen. »Die Putschpläne bestehen weiter, und die Putschisten werden versuchen, ihre Vorhaben in den kommenden Tagen oder Wochen den Gegebenheiten anzupassen. Deshalb ist es notwendig, die Präventionsmaßnahmen auszuweiten und die kriminellen Aktivitäten zum Scheitern zu bringen«, so der SebinChef. Dabei gehe es nicht um eine Unterdrückung der Proteste, sondern um von der Verfassung gedeckte Vorkehrungen, damit der Frieden gesichert bliebe. Dazu gehöre jedoch auch die Festnahme von Aktivisten, deren Beteiligung an illegalen Aktionen nachgewiesen werden konnte. Modaira Rubio, Caracas NACHRICHTEN Griechenland: Franzose soll Fonds leiten Athen. Ein ehemaliger enger Mitarbeiter von IWF-Chefin Christine Lagarde wird einem Pressebericht zufolge den griechischen Fonds zur Privatisierung staatlicher Unternehmen leiten. Die Regierung in Athen habe sich mit den internationalen Gläubigern auf den Franzosen Jacques Le Pape geeinigt, berichtete die griechische Zeitung Kathimerini am Dienstag. Privatisierungen sind Teil der Auflagen, die an das im August 2015 vereinbarte sogenannte Rettungspaket für Griechenland geknüpft sind. (Reuters/jW) Iran: Westen muss Atomabkommen umsetzen Teheran. Irans Präsident Hassan Rohani hat vom Westen eine vollständige Umsetzung des Atomabkommens von 2015 gefordert. »Wir haben alle unsere Verpflichtungen erfüllt, nun muss die Gegenseite handeln«, erklärte er am Dienstag. Teheran fordert von den Europäern, die US-Regierung dazu zu bewe- gen, westlichen Banken zu garantieren, dass ihnen bei einer Kooperation mit dem Iran keine Strafen mehr drohen. Mit der vollständigen Umsetzung des Atomabkommens wäre nicht nur das verlorengegangene Vertrauen wiederhergestellt, sondern gebe es auch ein Weg für den Ausbau der Zusammenarbeit, sagte Rohani. Dies sei besonders im Kampf gegen die Terrormiliz »Islamischer Staat« erforderlich. (dpa/jW) Untersuchungsausschuss: Viele geschwärzte Akten Berlin. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Abgasaffäre hat viele angeforderte Akten nur geschwärzt oder mit Geheimhaltungsstufe erhalten. Von 800 aus Ministerien und Behörden eingegangenen Akten seien 400 als vertraulich deklariert worden, sagte der Vorsitzende Herbert Behrens (Die Linke) am Mittwoch in Berlin. In offenen Akten seien teils längere Passagen unleserlich gemacht worden. Behrens kündigte an, die Abgeordneten würden hier nachhaken. Notfalls könnte geklagt werden: Am Donnerstag sollen erste Sachverständige öffentlich angehört werden. (dpa/jW) DGB-Institut: Schuldenbremse wirkungslos Düsseldorf. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse hat nach einer Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung keinen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts in den vergangenen Jahren geleistet. Ausschlaggebend dafür waren vielmehr die niedrigen Kreditzinsen, der anhaltende moderate Aufschwung, die steigende Beschäftigung und wachsende Arbeitnehmereinkommen, wie die am Dienstag veröffentlichte Untersuchung ergab. Die Forscher stellten fest, dass ohne diese Faktoren die Schuldenbremse sogar zu einem negativen Effekt geführt hätte. Die Schuldenquote des Bundes würde im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt heute 8,5 Prozent höher liegen. (AFP/jW) SCHWERPUNKT Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Staatsmonopolistische EU Dokumentiert Offener Brief Der Apple-Vorstandsvorsitzende Timothy Donald Cook schrieb am 30. August 2016 eine Nachricht an die Apple Community in Europa: Vor 36 Jahren, lange vor dem iPhone, dem iPod und selbst dem Mac, eröffnete Steve Jobs die erste Geschäftsstelle von Apple in Europa. Zu dieser Zeit war dem Unternehmen bewusst, dass es, um die Kunden in Europa zu bedienen, vor Ort eine Basis benötigt. Also eröffnete Apple im Oktober 1980 eine Fabrik mit 60 Angestellten im irischen Cork. (…) Mit dem Wachstum unseres Geschäfts sind wir zum größten Steuerzahler in Irland, zum größten Steuerzahler in den USA und zum weltweit größten Steuerzahler geworden. (…) In Irland wie auch in jedem anderen Land, in dem wir operieren, folgt Apple den Gesetzen und bezahlt sämtliche fällige Steuern. Die Europäische Kommission hat einen Versuch gestartet, die Geschichte von Apple in Europa umzuschreiben, die irischen Steuergesetze zu ignorieren und dadurch das internationale Steuersystem zu kippen. (…) Wir befinden uns jetzt in der außergewöhnlichen Situation, aufgefordert zu sein, nachträglich zusätzliche Steuern an eine Regierung zu zahlen, die sagt, dass wir ihnen nicht mehr schulden, als wir bereits gezahlt haben. Der Schritt der Kommission ist beispiellos und hat ernsthafte, weitreichende Auswirkungen. Im Grunde empfiehlt er, die irischen Steuergesetze dahingehend zu ersetzen, wie das Gesetz nach Ansicht der Kommission hätte sein sollen. Dies hätte verheerende Folgen für die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten in eigenen Steuersachen und das Prinzip der Rechtssicherheit in Europa. Konzerne suchen gezielt nach Steuerschlupflöchern. Regierungen rollen ihnen den roten Teppich aus. Von Simon Zeise ROBERT GALBRAITH/REUTERS I m Kapitalismus werden Kirchen zu Warenhäusern. Heute abend (Ortszeit) stellt der Computergigant Apple in San Francisco ein neues Handy vor. Wenn das iphone 7 am 16. September zum Verkauf freigegeben wird, werden viele Menschen bereits seit Tagen vor den »Apple Stores« campen, um als erste eines der Smartphones zu erwerben. Um ihre beliebten Produkte herstellen zu können, bedienen sich Großkonzerne wie Apple eines wichtigen Vorteils. Sie zahlen kaum Steuern. Am 30. August trat die Wettbewerbskommissarin der Europäischen Union Margrethe Vestager in Brüssel vor die Presse und forderte die irische Regierung auf, von Apple Steuerrückzahlungen für den Zeitraum 2003 bis 2014 in Höhe von 13 Milliarden Euro zu verlangen. Die Gewinne am Firmensitz im irischen Cork seien viel zu niedrig besteuert worden. »Wenn mein Steuersatz auf 0,005 Prozent sinken würde, hätte ich das Gefühl, dass ich einen zweiten Blick auf meine Steuerrechnung werfen sollte«, sagte Vestager. Der Konzern sah sich ungerecht behandelt. Der Vorstandsvorsitzende Timothy Donald Cook attackierte die EUKommission. Die Anschuldigungen aus Brüssel seien »totaler politischer Mist«, sagte er dem Irish Independent. Er werde mit der Regierung in Dublin eng zusammenarbeiten, um sich dagegen zu wehren. Dublin kündigte am 2. September an, gegen die Entscheidung der EU-Kommission zu klagen. Die Regierung habe »einstimmig« beschlossen, in Berufung zu gehen, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Und Cook beschwor: »Niemand hat etwas falsch gemacht, und wir müssen zusammenstehen.« Irland werde schikaniert. »Ich glaube, dass der Antiamerikanismus einer der Gründe sein könnte, warum wir zur Zielschei- Gewinne zu besteuern grenzt für den Chef von Apple an »Antiamerikanismus« be wurden«, sagte er. Cook warf der EU-Kommission darüber hinaus vor, an Steuereinnahmen kommen zu wollen, die eigentlich dem amerikanischen Fiskus zustünden. Im Sender RTE kündigte er an, im Ausland erzielte Gewinne in Milliardenhöhe in die USA zu bringen. Dies werde voraussichtlich im kommenden Jahr geschehen. Apple steht auch in seiner Heimat wegen des Umgangs mit diesem Geld in der Kritik. Einer 2015 veröffentlichten Studie zufolge bunkert der iPhone-Hersteller im Ausland über 181 Milliarden Dollar an Gewinnen und damit mehr als jede andere US-Firma. Irland ist dabei kein Einzelfall. Die belgische Regierung wurde von Vestager im Januar aufgerufen, von 35 Unternehmen insgesamt 700 Millionen Euro an Steuernachlässen zurückzufordern. In Belgien konnten Konzerne tatsächlich erzielte Gewinne mit einem geschätzten Durchschnittsgewinn vergleichen. Die Differenz aus den beiden Werten konnte als Gewinnüberschuss abgesetzt werden und so die Körperschaftssteuer um 50 bis 90 Prozent reduziert werden. Unter den Konzernen waren British American Tobacco und Inbev. Belgiens Finanzminister Johan Van Overtveldt hatte in Erwartung des EU-Urteils bereits im Februar 2015 diese Praxis ausgesetzt, als die Kommission ihre Ermittlungen aufgenommen hatte. Auch Luxemburg gewährt Konzernen Steuervorteile. Laut Angaben der FAZ vom November 2014 schlummerte in dem Fürstentum im Jahr 2014 ein 3 Fondsvolumen von drei Billionen Euro. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften entwarfen Steuerschlupflochmodelle für Konzerne. Zwei ehemalige Mitarbeiter von Pricewaterhousecoopers veröffentlichten solche »Steuervorbescheide«, was als »Lux Leaks« bekannt wurde. Luxemburg reagierte auf die Vorwürfe mit dem Hinweis auf die Legalität der meisten Vorgänge und auf gleichartige Praktiken anderer EU-Staaten wie Großbritannien und Deutschland. Unter den Unternehmen befinden sich Google, Apple, Amazon, Fed-Ex, Ikea, Pepsi-Co, Heinz, Procter & Gamble, Deutsche Bank, E.on und Fresenius Medical Care. Bei Starbucks und Fiat prüft die EU-Kommission noch, ob illegale Beihilfen geleistet wurden. »Die Regeln der EU müssen gebrochen werden« Viele Staaten in der Wirtschaftsunion praktizieren Steuerdumping als Geschäftsmodell. Gespräch mit Fabio De Masi menssteuern nicht mehr ßen Fische. Washington zeitgemäß seien. kritisiert, dass die EUWenn alle UnternehKommission sich nur auf men Steuern vorentUS-Firmen konzentriere. halten, warum wird Ist die Kommission dann nur bei Apple den großen Konzernen eine Nachzahlung verschutzlos ausgeliefert? langt? Die Kommission hat für Die EU hat wegen der diesen Bereich nur 15 bis EU-Verträge keine Kom25 Beamte zur Verfügung. petenz für Unterneh- Fabio De Masi (Die Linke) Wir müssten zu einem Symenssteuern. Sie kann ist Abgeordneter im EU- stem übergehen, bei dem nur über das Wettbe- Parlament und dort stell- es egal ist, wohin Konzerwerbsrecht gehen. Ab- vertretender Vorsitzender ne ihr Geld in der EU versurd aber wahr: Wenn et- des »Panama Papers«- schieben und die Gewinne wa Apple 0,005 Prozent Untersuchungsausschuss etwa gemäß Umsatz oder Steuern zahlt und Google Beschäftigten aufgeteilt ein Prozent, dann wäre dies im Wett- werden. Ein Land mit Briefkastenfirbewerbsrecht eine Diskriminierung men geht dann leer aus. Wir brauchen von Google. Die Kommission muss zudem Mindeststeuern. Das geht aber nachweisen, dass Irland Apple eine nicht mit den EU-Verträgen. Im übrigen illegale staatliche Subvention gewährt musste Apple ja keine Strafe zahlen, hat. Da geht es um die internen Prei- sondern nur einen unlauteren Steuerse, mit denen Konzerne ihre fiktiven vorteil zurückzahlen. Übrigens geht Patente oder Kredite abrechnen. Das das Geld genau an die Staaten, die das Verfahren über das Beihilferecht ist Dumpingmodell angeboten haben. Die äußerst komplex. Deswegen konzen- irische Regierung will dagegen klagen, triert sich die Kommission auf die gro- dass sie das Geld zurückbekommt. DIG/TRIALON/DIE LINKE W ie funktioniert das Steuerdumpingmodell in der Europäischen Union? Multinationale Konzerne verschieben Gewinne in Niedrigsteuerländer. Sehr häufig machen sie das über fiktive Kredite oder Lizenzgebühren für Patente. Etwa indem sich Apple selber eine Lizenzgebühr an eine Tochterfirma in Irland zahlt. Apple bezahlte 2014 einen Steuersatz von 0,005 Prozent auf seine Gewinne in der EU. Macht das nur Apple oder gibt es noch mehr Konzerne, die Steuerdumping betreiben? Das machen im Kern alle großen internationalen Unternehmen. Von Amazon über Ikea bis Starbucks und McDonald’s. Die US-Konzerne müssen ihre Auslandsgewinne erst versteuern, wenn sie diese in die USA zurückbringen. In der EU sagen sie uns, fasst uns nicht an, denn wir werden ja irgendwann in den USA besteuert. Das machen sie aber nie, sondern sagen der US-Regierung, wir bringen das Geld nur zurück, wenn ihr uns den Steuersatz senkt. In den USA haben mir Konzernvertreter gesagt, dass Unterneh- Wieso will Dublin auf 13 Milliarden Euro verzichten? Weil Irland dieses Geschäftsmodell weiter betreiben möchte. Am Ende verlieren alle bei dem Steuerwettbewerb nach unten, und die Konzerne sind die lachenden Dritten. Steuerpolitik ist das falsche Mittel, um Entwicklungsnachteile auszugleichen. Luxemburg etwa begründet sein Steuermodell damit, dass sie in den 70er Jahren eine Stahlkrise hatten. Dafür braucht man aber Industriepolitik, doch eine solche untersagt das EU-Wettbewerbsrecht. Das seien alles illegale Staatsbeihilfen. Ist Irland die wichtigste Steueroase in der EU? Irland und Luxemburg sind große Player. Es gibt Gerüchte, dass sich Dublin neu positioniert und Luxemburg Konzerne abspenstig machen will. Es sind aber die größeren Volkswirtschaften, die viel mehr Schaden anrichten. Die Niederlande, Deutschland im Bereich der Geldwäsche, und Großbritannien mit seinen Überseegebieten. Würden Konzerne nicht schlagartig Länder verlassen, wenn diese höhere Steuern von ihnen verlangten? Nein, denn der europäische Markt ist viel zu wichtig für diese Unternehmen. Apple wird ja nicht plötzlich aufhören, Handys in Europa zu verkaufen, weil es ordentlich besteuert wird. Es gab Zeiten, zu denen Konzerne viel stärker zur Kasse gebeten wurden und Firmen auch mehr Investitionen tätigten. Insofern besteht hier kein Zusammenhang. Wenn allein die Steuerpolitik ausschlaggebend wäre, müsste in Somalia ein Boom herrschen. Auf welcher Basis soll Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Steuerhinterzieher verfolgen? Juncker ist der Pate des Steuerkartells und ein Mann des »Big Business«. Er hat Luxemburg zur Steueroase gemacht. Wir brauchen auch Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen. Dafür müssen die Regeln der EU gebrochen werden. Denn der Europäische Gerichtshof sieht darin eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit. Interview: Simon Zeise POLITIK Zitat des Tages Frau Bundeskanzlerin und Herr Kollege Kauder, das muss so jetzt nicht sein und wenn, dann muss es jedenfalls nicht vorne sein. Ja? Okay. Zurechtweisung von Bundestagspräsident Norbert Lammert an die Adresse von Kanzlerin Angela Merkel und ihres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (alle drei CDU). Beide hatten am Dienstag durch ein lautes Privatgespräch eine Rede der Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch gestört. Lehrer schlecht auf Migration vorbereitet Berlin. Lehrer werden einer Studie zufolge in den meisten Bundesländern nur unzureichend auf die Herausforderungen der Einwanderung vorbereitet. Obwohl etwa jedes dritte Schulkind einen Migrationshintergrund habe, gebe es in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte kaum Angebote zu Sprachförderung und kultureller Vielfalt, ergab die am Mittwoch vom Mercator-Institut der Universität Köln in Berlin veröffentlichte Analyse. So seien etwa im Lehramtsstudium nur in fünf Bundesländern Kurse zum Umgang mit sprachlicher Vielfalt per Gesetz verpflichtend. Als Konsequenz fordern die Studienmacher eine Grundausbildung in Sprachförderung und interkultureller Pädagogik für alle Lehrer und bundesweit. (AFP/jW) Islamist Lau steht jetzt vor Gericht Düsseldorf. Der bundesweit bekannte Islamist Sven Lau muss sich vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verantworten. Die Verhandlung gegen ihn begann am Dienstag. Die Bundesanwaltschaft hat den 35jährigen wegen Unterstützung der islamistischen Terrormiliz Jamwa angeklagt. Das Gericht hat bereits bekanntgegeben, dass Lau sogar selbst als Terrorist verurteilt werden könnte. Ihm droht eine Gesamtstrafe von bis zu 15 Jahren Haft. Laut Anklage hat Lau zwei Salafisten aus Deutschland mit Hilfe eines Schleusers in die Reihen Jamwas gelotst. Außerdem soll er der Terrormiliz Nachtsichtgeräte und Geld verschafft haben. (dpa/jW) sucht Unterstützer in Frankfurt am Main für die Zeitungsverteilung auf der Demonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA am 17.9.2016 Bitte meldet euch beim jW-Aktionsbüro: (0 30) 53 63 55-50, [email protected] Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Jagd auf Gülen-Anhänger Bundesregierung befürchtet Übergriffe von Anhängern des türkischen Präsidenten auf oppositionelle Gemeinde in Deutschland. Von Ulla Jelpke D ie Bundesregierung prognostiziert, dass Einrichtungen der sogenannten Gülen-Bewegung in Deutschland verstärkt zum Ziel gewalttätiger Aktionen von Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan werden könnten. Das wird deutlich in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zur »Sicherheitslage für Erdogan-kritische Türken in Deutschland«. Die türkische Regierung sieht in dem im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen, der bis zum Zerwürfnis vor drei Jahren der engste Verbündete Erdogans bei der Verfolgung säkularer Gegner war, den Drahtzieher des gescheiterten Militärputsches am 15. Juli in der Türkei. Zehntausende mutmaßliche Gülen-Anhänger, aber auch zahlreiche säkulare und linke Oppositionelle wurden seitdem in der Türkei aus dem öffentlichen Dienst entlassen, festgenommen oder verhaftet. Die politischen Auseinandersetzungen in der Türkei haben nach Ansicht der Bundesregierung auch in Deutschland zu einer »verstärkten Emotionalisierung« gegnerischer politischer Lager geführt. Lag der Schwerpunkt solcher Auseinandersetzungen lange zwischen einem protürkischen und einem prokurdischen Lager, so gerieten nach Verabschiedung der Bundestagsresolution zum Genozid an den Armeniern im Juni 2016 verstärkt hier lebende türkische Oppositionelle ins Fadenkreuz der Erdogan-Anhänger und nach dem Putschversuch insbesondere die Gülenisten. Innerhalb von sechs Wochen nach dem Putschversuch wurden Polizeibehörden mehr als 70 Straftaten von Erdogan-Anhängern gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner des türkischen Präsidenten in Deutschland gemeldet. Diese Straftaten, unter denen sich 22 Fälle von Körperverletzung, Bedrohung oder Nötigung gegen Personen sowie 22 Sachbeschädigungen finden, richteten sich in mehr als 50 Fällen überwiegend gegen Gülen-Anhänger oder Gülen-nahe Einrichtungen. Bei den Gewaltdelikten N eun Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 2017 dreht sich auch bei uns in der Linken die Diskussion um den richtigen politischen Weg, der in den Landtag führen kann. Von »Augen zu und durch« bis zu revisionistischen Positionen reicht die Palette. Und immer wieder kommt der Versuch zum Vorschein, die NRW-Linke auf einen Koalitionskurs zu trimmen. Protagonisten sind in erster Linie Leute, die den Regierungslinken politisch verbunden sind. Manchmal hat es den Anschein, als wolle man den Landesverband ins Unglück treiben. Der übergroßen Mehrheit der Genossinnen und Genossen ist aber klar, dass der »Griff nach den Sternen« auch ein Griff in ein schwarzes Loch sein kann. Wenn Umfragen darauf hinweisen, dass in Nordrhein-Westfalen nur eine große Koalition eine parlamentarische Mehrheit hätte, dann sind weitere Koalitionsgedankenspiele obsolet. Seitens der Presse, aber auch von diesen Genossen wird die Diskussion immer wieder angefacht, doch ich bin mir sicher, dass die Koalitionsfrage für die vom zunehmenden Elend betroffenen Menschen in unserem Bundesland eine untergeordnete Rolle spielt. Die Menschen erwarten THILO SCHMUELGEN/REUTERS 4 Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung: Erdogan-Anhänger gehen gegen Gegner des türkischen Präsidenten vor (Demonstration in Köln am 31. Juli) handelt es sich nach Ansicht der Bundesregierung »bislang um Einzelfälle«. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes werden Türkeistämmige in Deutschland in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, vermeintliche Unterstützer terroristischer Organisationen sowie Einrichtungen, Anhänger und Spendensammler der Gülen-Bewegung den Kontaktstellen des türkischen Präsidialamtes und der Cyberabwehr-Abteilung der Generalsicherheitsdirektion zu melden. In Deutschland werden der schattenhaften und intransparenten Gülen-Bewegung unter anderem 24 Privatgymnasien, 150 Nachhilfeeinrichtungen, ein Unternehmerverband, das Medienunternehmen World Media AG in Offenbach mit der Europaausgabe der in der Türkei inzwischen geschlossenen Tageszeitung Zaman sowie eine Reihe von sogenannten Dialogvereinen für Lobbyarbeit zugerechnet. Die Stiftung Dialog und Bildung, die als offizielles Sprachrohr der sich Hizmet-Bewegung (Dienst-Bewegung) nennenden Gülen-Gemeinde firmiert, geht von bis zu 150.000 Anhängern des Predigers in Deutschland aus. Dass Erdogans Intimfeind Gülen »kein Lämmchen ist«, erkannte am vergangenen Wochenende selbst Bild. Aussteiger berichteten über sektenhaften Strukturen in den Lichthäusern – den als Kaderschmieden dienenden Wohnheimen der Bewegung für Schüler und Studenten. Auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die noch vor vier Jahren Gülen in einem ganzseitigen Exklusivinterview als »Erneuerer des Islam« präsentierte, kamen kürzlich Aussteiger zu Wort. Sie berichteten vom konspirativem Verhalten der unter Codenamen auftretenden Führungsleute und einer strikten Hierarchie, in der die Abis Nicht kirre machen lassen! Landtagswahl in NRW: Plädoyer für einen linken Populismus. Gastkommentar von Ralf Michalowsky Lösungen für ihre Probleme und nicht Lösungen für die Probleme von Politikern. Bleibt die Frage, wie sich die nord rhein-westfälische Linke angesichts der sich verändernden Parteienlandschaft aufstellt. Die – innerhalb der Partei mehrheitsfähige – politische Programmatik wurde über einen langen Zeitraum diskutiert und wird breit getragen. Unser Landesverband steht an der Seite der Flüchtlinge und wendet sich gegen Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten. Gleichzeitig macht die Linke darauf aufmerksam, dass die unbestreitbar vorhandenen sozialen Probleme nichts mit der Flüchtlingsfrage gemein haben. Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, zunehmende ökonomische Spaltung der Gesellschaft, Zeitarbeit, Leiharbeit, schlechte Löhne, keine Chancengleichheit im Bildungswesen und zig andere Probleme gab es schon seit Jahren, werden aber – auch von Politikern – gern angeführt, um Flüchtlinge als Verursacher auszumachen. Das ist so und das muss zur Kenntnis genommen werden. Die ständige Wiederholung dieser Zusammenhänge erreicht leider nicht diejenigen, deren Synapsen schon anders programmiert sind – jedenfalls nicht mit den üblichen Methoden. Wie also weiter? Braucht es eine neue Idee, oder braucht es neue Leute, die die Menschen erreichen? Um mal mit letzterem anzufangen: Selbst jemand, der die Popularität von Gregor Gysi, den Populismus von Oskar Lafontaine und das Erscheinungsbild (nicht nur das Äußerliche) von Sahra Wagenknecht auf sich vereinigen würde, könnte die Stimmung in der Gesellschaft nicht stoppen und in andere Bahnen lenken. Unsere Ideen sind gut, sie benötigen allenfalls fortlaufenden Feinschliff. Was uns fehlt, sind eine linke Aufbruchstimmung, mehr Aggressivität und und Ablas (große Brüder und Schwestern) das Sagen hatten. Transparente und demokratische Vereinsstrukturen gebe es in der Gülen-Bewegung nicht. Einzelne Gemeindemitglieder seien angewiesen worden, bei CDU, SPD oder Grünen Mitglied zu werden. Der Gülen-Vertraute Abdullah Aymaz sei der »oberste Imam für Europa«. Gegen den Aufsichtsratschef der World Media AG Aymaz hatte die türkische Justiz laut einem Bericht von tagesschau.de bereits 2015 einen Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in der Führungsriege der »Fethullah-Terrororganisation« (Fetö) erlassen. Dass Aymaz ausgeliefert werden könnte, erscheint indessen unwahrscheinlich. Denn die Bundesregierung betonte mehrfach, dass sie die Gülen-Bewegung nicht für terroristisch halte und diese auch kein Objekt der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei. die Einsicht, dass Populismus an sich nichts Verwerfliches, sondern eine Methode ist. Und solange die Darstellung einfacher Lösungen ehrlich bleibt, muss die Linke auf mehr Populismus setzen. Die sozialen Schieflagen sind offensichtlich, und die Probleme liegen auf der Straße. Sie werden bei uns aber oft erst zum Thema, wenn mehrfach gegengecheckt wurde, ob ein Lösungsvorschlag auch zu einhundert Prozent mit den diversen Parteiprogrammen im Bund und in den Ländern kompatibel ist und ob es vielleicht irgendeinen, und wenn auch fünf Jahre alten Parteitagsbeschluss dazu gibt, der in eine andere Richtung weist. So machen Technokraten Politik, denen jegliches politische Bauchgefühl abhanden gekommen ist. Lösungsvorschläge müssen verständlich sein und deshalb einfach. Wer sich auf das Bürokratenkauderwelsch, auf juristische Spitzfindigkeiten, auf hinderliche Bestimmungen und Verordnungen einläßt, der hat schon verloren. Auch der vorauseilende Gehorsam und Subalternität sind nicht zielführend. Wir müssen erst die inneren Fesseln sprengen! Ralf Michalowsky ist Landesprecher der Partei Die Linke in NordrheinWestfalen POLITIK Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Lieber Arbeit statt Trinkwasser Der Konzern K+S versalzt die Werra. Beschäftigte und Gewerkschaft wollen, dass das so bleibt. Nur dadurch ließen sich Stellen erhalten. Umweltschützer protestieren. Von Susan Bonath W Dieser Einsatz freut das Management von K+S. Der Konzernvorstand unterstütze die Aktion und habe seine Teilnahme angekündigt, meldet der Betriebsratschef. Auf der von Döll veröffentlichten Rednerliste steht unter anderem der K+S-Vorstandsvorsitzende Norbert Steiner. Zudem hätten sich andere Unternehmen solidarisch gezeigt, darunter die Firma B. Braun, die Kalisalze zu Pharmaprodukten weiterverarbeitet. Erwartet würden auch Berg-, Hütten- und Knappenvereine, das DRK, freiwillige und Betriebsfeuerwehren sowie Vertreter von ver.di und der IG Metall. Teilnehmen wollten ferner Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), Stefan Mörzel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sowie Thorsten Schäfer-Gümpel, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, lobt Betriebs- ratschef Harald Döll. Die Thüringer Allgemeine meldete am Montag einen Unterstützungsaufruf des CDU-Bundestagsabgeordneten Christian Hirte. »Wir dürfen in unserem Land nicht mit überzogenen Umweltstandards die Grundlagen für unseren Wohlstand ruinieren«, zitierte ihn die Onlineausgabe der Tageszeitung. Der Verein WWA bezeichnete den Aufruf der IG BCE in einer Mitteilung vom Dienstag als »kurzsichtig und schädlich«. »Mit veralteten Verfahren kann man keine Arbeitsplätze erhalten«, so dessen Vorsitzender Walter Hölzel. Dafür Erlaubnisse zu verlangen, verschlimmere die Naturschäden. Eine im Bau befindliche Entsorgungsanlage beseitige das Umweltproblem nicht, meinte Hölzel und warnte vor einer weiteren Versalzung des Grund- und Trinkwassers. Die IG BCE dulde das Vernichten von Lebensgrundlagen, rügte er weiter. Das sei »verlogen, zynisch und beschämend«. Die Missachtung von Gesetzen mache Kaliproduzenten nicht zukunftsfähig. Im Gegenteil, so Hölzel, »dann haben die Funktionäre der IG BCE am Arbeitsplatzabbau nach unserer Meinung einen schuldhaften Anteil«. Im Werratal wird seit mehr als 100 Jahren Kalisalz abgebaut. Durch Abwässer sind die Flüsse stark belastet. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) beklagt seit langem den hohen Salzgehalt von Werra und Weser. Sein Gutachten habe ergeben, dass Tierarten und Fischbestände zurückgingen; inzwischen seien auch Böden und Grundwasser betroffen. Die WWA mahnt an, K+S ignoriere seit 16 Jahren bekannte EU-Vorgaben. Einfach rein mit dem Dreck: Einleitungsrohr für Salzabwasser am Ufer der Werra beim K+S-Verbundwerk in Philippsthal Bayer erhöht Offerte für Monsanto Leverkusener Konzern stockt Angebot für Übernahme des US-Saatgut- und Agrarchemiemultis auf B ayer lässt nicht locker. Der Leverkusener Konzern hat sein Übernahmeangebot für Monsanto, US-Saatgutmulti und größter Verkäufer des Unkrautvernichters Glyphosat, erhöht. Statt 125 US-Dollar will das Dax-Unternehmen nun 127,50 USDollar pro Anteilsschein zahlen. Das teilte das Management in der Nacht zum Dienstag mit. Sollte es zur Fusion kommen, würde der deutsche Chemie- und Pharmakonzern zum Weltmarktführer bei Pestiziden und Saatgut aufsteigen. Es wäre zudem die bislang größte Übernahme durch einen deutschen Konzern im Ausland überhaupt. Bayer wäre nach eigenen Angaben nur »unter der Voraussetzung einer einvernehmlichen Übernahme bereit«, den erhöhten Aktienpreis zu zahlen. Ein Vertragsabschluss der beiden Parteien, die in »fortgeschrittenen Verhandlungen« stünden, sei bislang nicht gewährleistet. Die Konditionen seien im Detail noch nicht festgezurrt. »Die genauen Bedingungen einer endgültigen Transaktionsvereinbarung müssen vom BRD ist Spitzenreiter beim Exportüberschuss Berlin. Deutschland löst nach einer Prognose der Wirtschaftsforscher des Münchner Ifo-Instituts in diesem Jahr China als Land mit dem weltweit größten Exportüberschuss ab. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss summiere sich 2016 voraussichtlich auf 310 Milliarden Dollar, sagte Ifo-Experte Christian Grimme am Dienstag in Berlin der Nachrichtenagentur Reuters. Das wären 25 Milliarden Dollar mehr als 2015. China dürfte in diesem Jahr einen Überschuss von etwa 260 Milliarden Dollar aufweisen. Auf Rang drei folgt demnach Japan mit rund 170 Milliarden Dollar. Der deutsche Überschuss soll im laufenden Jahr auf 8,9 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. (Reuters/jW) Exvorstand von Siemens muss erneut vor Gericht Karlsruhe. Im milliardenschweren Schmiergeldskandal bei Siemens muss sich der freigesprochene Exvorstand Uriel Sharef erneut vor dem Landgericht München verantworten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil am Dienstag in Teilen auf. Im Raum steht damit erneut der Verdacht der Untreue durch Unterlassen. Die Karlsruher Richter hielten die Feststellung nicht für tragfähig, dass Sharef durch eine konzerninterne Umstrukturierung die Kenntnis von einer schwarzen Kasse verloren habe, die er einst selbst verwaltet hatte. Der Ende 2006 aufgeflogene Skandal hatte Siemens erschüttert und vielen Managern den Job gekostet. Über Jahre sollen 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geflossen sein, um lukrative Aufträge zu ergattern. (dpa/jW) UWE ZUCCHI/DPA as ist wichtiger: Auflagen für trinkbares Wasser oder Arbeitsplätze für lohnabhängige Bergleute? Im thüringischhessischen Kalirevier führt diese Frage zu Differenzen zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und dem Verein WerraWeser-Anrainerkonferenz (WWA). Die IG BCE ruft Beschäftigte und Angehörige dazu auf, am Donnerstag nachmittag mit einer 13 Kilometer langen Menschenkette von Unterbreizbach (Thüringen) bis Philippsthal (Hessen) zu demonstrieren. Ihr Ziel ist es, gefährdete Arbeitsplätze zu erhalten. Der Preis dafür wären weitreichende Genehmigungen für den Konzern K+S (Kali und Salz) für die Ableitung und Versenkung von Abwässern und Rückständen in die Werra und in den Boden. In Entsorgungspraktiken investieren, die geforderten Umweltstandards entsprechen, will das Unternehmen nicht. Das wäre aber nötig, um einer weiteren Versalzung der Flüsse Werra und Weser, in den erstere in Niedersachsen mündet, zu stoppen. Seit Monaten lässt der Konzern Hunderte Mitarbeiter immer wieder in Kurzarbeit arbeiten. Von seiten der Gewerkschaft bleibt unerwähnt, dass durch Investitionen in Naturschutzmaßnahmen ebenfalls Arbeitsplätze erhalten, möglicherweise gar neue geschaffen werden könnten. Lediglich »wegen ausstehender Genehmigungen und sehr stark begrenzter Entsorgungsmöglichkeiten« habe sich die Situation weiter zugespitzt, betont der K+S-Betriebsratsvorsitzende Harald Döll in seinem Aufruf. Um die Stellen zu sichern, »müssen Behörden und Politik ihren Ermessensspielraum endlich wieder nutzen«, so Döll. Darüber hinaus sorgt er sich nicht nur um die 4.400 Arbeitsplätze im Revier. Insgesamt seien 16.000 Stellen in Gefahr, die vom Kalibergbau abhingen. »Wenn die Werra wackelt, wackelt das gesamte Unternehmen mit rund 10.000 Mitarbeitern.« 5 Aufsichtsrat der Bayer AG genehmigt werden«, erklärte die Konzernführung. Vorstandschef Werner Baumann hatte unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Mai überraschend bekanntgegeben, Monsanto kaufen zu wollen. Zuletzt hatte er sein Angebot Mitte Juli auf 64 Milliarden Dollar (rund 57 Milliarden Euro) erhöht (siehe jW vom 18.7.). Die beiden bisherigen Offerten hatte das Monsanto-Management für »finanziell unzureichend« befunden. Das nun vorgelegte dritte Angebot dürfte sich – die Übernahme der Schulden von Monsanto eingerechnet – auf 66 Milliarden Dollar belaufen. Aus St. Louis hieß es dazu, man prüfe diesen, aber auch andere »Vorschläge« sowie »alternative Strategien«. Nach einem Bericht der Rheinischen Post (Dienstagausgabe) könnte Bayer sein Gebot noch weiter auf bis zu 130 Dollar je Aktie erhöhen. Um die Übernahme zügig und »freundlich« zu Ende zu bringen, sei möglicherweise auch dieser Preis nötig, schrieb die Zeitung unter Berufung auf Konzernkreise. Für einen solchen Schritt brauche der Vorstand grünes Licht vom Aufsichtsrat. Grundsätzlich sei dieser aber nicht abgeneigt. Das Kontrollgremium will dem Bericht zufolge am 14. September über den Stand der Verhandlungen und die weiteren Schritte beraten. US-Anleger setzen darauf, dass Bayer bis zu 135 Dollar bietet. Der Börsenspezialist Peter Spengler von der DZ Bank sieht diesen Wert als »Obergrenze« für eine einvernehmliche Fusion. Bayer zeigte sich bisher überzeugt, dass eine Fusion nicht an den Kartellbehörden scheitern werde, weil sich beide Unternehmen bei Produkten und geographischer Präsenz ergänzten. Ein Grund für die angestrebte Elefantenhochzeit dürften weitere Megafusionen in der Branche sein. So hatten zuletzt die US-Behörden die geplante Übernahme des Schweizer Agrarchemieriesen Syngenta durch das chinesische Staatsunternehmen ChemChina genehmigt. Die US-Regulierungsbehörde Committee on Foreign Investment (CFIUS) stimmte dem 43-MilliardenDollar-Deal Mitte August zu. Zuvor hat- te Monsanto vergeblich versucht, die Schweizer aufzukaufen. Im Dezember 2015 hatten auch die US-Unternehmen Dow Chemical und Dupont verkündet, über einen Zusammenschluss zu verhandeln. Nach der Fusion soll der neue Gigant in drei börsennotierte Unternehmen für Spezialchemikalien, Kunststoffe und Agrarchemikalien aufgespalten werden. Die Pläne von Bayer sehen nicht nur die eigenen Aktionäre mit Sorge ob der Risiken. Monsanto steht in Europa seit Jahren wegen des Handels mit gentechnisch verändertem Saatgut und wegen seiner aggressiven Geschäftspraktiken in der Kritik. Insbesondere in den USA, aber auch in Südamerika und Südost asien, werden Landwirten häufig Knebelverträge aufgenötigt, in denen sie sich langfristig verpflichten, neben dem Saatgut auch Pestizide des Konzerns zu kaufen. Gegen Bauern, auf deren Feldern sich genveränderte Pflanzen unkontrolliert ausbreiten, wurde wegen unberechtigten Verwendens solchen Saatguts prozessiert. (dpa/AFP/Reuters/jW) Fresenius übernimmt spanische Klinikkette Bad Homburg. Mit der größten Übernahme seiner Firmengeschichte wird der Medizinkonzern Fresenius nun auch in Spanien zum Klinikbetreiber. Für 5,76 Milliarden Euro kauft das Unternehmen aus Bad Homburg den spanischen Krankenhauskonzern Quirónsalud mit 43 Kliniken und 35.000 Mitarbeitern, wie Fresenius am späten Montag abend mitteilte. Quirónsalud ist die größte private Klinikkette in Europa außerhalb Deutschlands. (dpa/jW) Fast eine Milliarde Euro für schnelles Internet Berlin. Der Bund vergibt weitere 904 Millionen Euro als Förderung für den Ausbau des schnellen Internets in ganz Deutschland. Damit könnten 94.000 Kilometer Glasfaserkabel verlegt und mehr als 570.000 Haushalte und Unternehmen angeschlossen werden, sagte Infrastrukturminister Alexander Dobrindt (CDU) am Dienstag in Berlin. Das insgesamt vier Milliarden Euro umfassende Programm zur Unterstützung von Kommunen und Kreisen war 2015 gestartet worden. (dpa/jW) FR EIT AG , 5. 3 19 47 · 2 ie G EG R Ü N W D ET or 19 A tm 47 ng ·M h rif eld IT Se öre fe TW u vim n n auf ng O ic S C D W ar m la uf en Gro URE -A LL IA RA N KR AA TZ DO NN ER ST AG , US Ab 2 Th 3 üri 4 o m Ach O N 3 nge ba t r u La6u rd7i 5 fert ng, ig, l sch ere os! an 9 n L 9 gri iby ff e n GE GR ÜN DE T 19 47 · Oh Au ren fze a ich uf nu Ab g ra es in e tü Be : Vo rzt t vö lks Uk GE GR ÜN DE T The a ter Me ta p hy sik ar io ne tt e M Frankreichs Rechte sucht einen Präsidentschaftskandidaten. Nicht alle Bewerber können sich »unbescholten« nennen. Von Hansgeorg Hermann Gratis lesen!* / EP D Kostenlos! Unverbindlich! Endet automatisch! Muss nicht abbestellt werden! Einfach zum jW-Kennenlernen! Hier bestellen! Ja, ich will die Tageszeitung junge Welt drei Wochen kostenlos lesen. Das Abo endet automatisch. Belieferung in die Schweiz und Österreich zu gleichen Konditionen, aber für zwei Wochen. Niederländische Kommunist Albert Schwertman gestorben Name enn »man etwas erobert hat, dann muss man noch härter kämpfen, um es zu behalten«, war eine Lebensweisheit, die Albert Schwertman gerne unter die Leute brachte. Vor einer Woche starb der niederländische Kommunist im Alter von 90 Jahren in seinem Heimatdorf Finsterwolde bei Groningen, wie das Dagblad van het Noorden berichtet. Die kommunistische Bewegung in den Niederlanden verliert mit ihm einen großen Streiter für Gerechtigkeit. Schwertman saß seit 1966 viele Jahre für die Kommunistische Partei der Niederlande (CPN) im Gemeinderat von Finsterwolde, wo bis heute das Herz der kommunistischen Bewegung im Königreich schlägt. Hier können Kommunisten noch Wahlen gewinnen. Keine Gegend ist so rot wie das platte Land am Dollart. Auf den ersten Blick erstaunlich, denn die Region lebt seit Menschengedenken von Ackerbau und Viehzucht, Industrie gibt es kaum. Aber auf den Wiesen und Feldern schufteten schlechtbezahlte Landarbeiter, die im 19. Jahrhundert began- U tr as im sc hr if te r Un NDY CA te n Fe vo rn eW b irts us r ge cha sc ft v hä or » ft Säu ber ung STEPHANE MAHE/REUTERS « ng le ge n eru lis i po no isch Tür k I Mo D I LG HO ER Co n Ste ts b ere it Sch on da Ab ge leh nt RS TE TO R/ ES WEH ND BU 16 ßes W ie de rv or la ge Üb erra An sch ge end za sch pf nell t An ge gr iff en 20 4. AU GU ST NCE lk w z E eru irts rfo ng ch lg U sc aft sp h u gr roSp-aLrump nd AU e gua fen GU A ST u ift fntda 2 OT O/ LE O CO RR EA HO LLEM AN Sie können das Probeabo auch bestellen unter www.jungewelt.de/probeabo Abotelefon: 0 30/53 63 55-50 PH Coupon einsenden an: Vorname W AP Verlag 8. Mai GmbH, Torstr. 6, 10119 Berlin, oder faxen an die 0 30/53 63 55-48. K Datum/Unterschrift UN Die Belieferung beginnt ab dem nächstmöglichen Montag oder ab Montag, den 2016 DF E-Mail DP A-BIL Ja, ich bin damit einverstanden, dass Sie mich zwecks einer Leserbefragung zur Qualität der Zeitung, der Zustellung und zur Fortführung des Abonnements kontaktieren. Der Verlag garantiert, dass die Daten ausschließlich zur Kundenbetreuung genutzt werden. Das Einverständnis kann ich jederzeit widerrufen (per E-Mail: [email protected] oder per Post: Verlag 8. Mai GmbH, Aboservice, Torstraße 6, 10119 Berlin). Dies bestätige ich mit meiner Unterschrift. N/ Telefon RS PLZ/Ort UTE Straße/Nr. 7 W ill kü rre ch t A uf der Liste gewesener oder amtierender europäischer Staats- und Regierungschefs, die in den vergangenen Jahren mit der Justiz über Kreuz lagen oder noch liegen, steht der Name des ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy inzwischen ganz oben. Sarkozy ist einer der aussichtsreichsten Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der politischen Rechten jenseits des Rheins. Am kommenden Freitag wird voraussichtlich mehr als ein Dutzend Kandidaten – unter ihnen eine einzige Frau – den obligatorischen Antrag im Parteibüro der »Républicains« abgeben. Sarkozy, der den Parteivorsitz vorläufig an seinen Leutnant Laurent Wauquiez abgab, hat dabei nicht nur eine zweite Präsidentschaft im Blick. Seine Bewerbung reicht er ein, während die Justizbehörden in Paris und Bordeaux immer noch versuchen, ihm einige hässliche Delikte nachzuweisen. Er hat sich, so muss es derzeit gesehen werden, aus dem kriminellen Bereich der Politik nie wirklich lösen können. Die Affären, die ihm anhingen oder ihn immer noch verfolgen, sind den Franzosen unter verschiedenen Stichworten geläufig: »Karatschi« (Schmiergeldzahlungen an pakistanische Militärs im Rahmen eines U-Boot-Geschäfts), »Bygmalion« (illegale Finanzierung seines Präsidentschaftswahlkampfes im Jahr 2012) oder auch »Ghaddafi« (Finanzierung des Wahlkampfes 2007; der libysche Herrscher soll damals 50 Millionen nach Paris überwiesen haben). Nicht nur französische Medien mutmaßen, dass Sarkozy aus einem einzigen Grund wieder Präsident werden will, ja muss: Als Staatschef wäre ihm strafrechtliche Immunität sicher, es könnte ihm bis ins Jahr 2022 kein Prozess mehr gemacht werden. Seine größten innerparteilichen Konkurrenten sind inzwischen auch persönliche Gegner. An erster Stelle sein RE Herr DPA *Und hier das Kleingedruckte: EL Z/ CT AR O/ PI ro t H D ht ah ,3 ag a r .A de uf a W U le . In a G n U t g ST (D erv en ie ie kn 20 Lin w ec 16 ·N ke mit ht 20 ) R 16 .1 79 A ·N in T ng m R. ·1 v 18 w 016 f 1 » Inte hürin on P ,5 n 8 f 0 0 Fr . rvie gen oliz ·1 ied EU Zi Ein· NRo. r18d1 ach aff ,5 or Se w m : BöP eite 0 en le R e ge dn pte e h · EU it L seoA O s RO w et m guetz H libzseicfonaten Ha le eit er1,u50 EU (D Ko be äh en b w (D E) de sr ng RO (D spass i hdt? f er de ope eg h e l E t ,1 ), a Die ut ra un E), eice eVos nsU s eg d ,7 1,7 . V us wir sc tio g 1,70 0 o 0 n S d F p I h e i he K re t A EU EU EU n M vo em n d rot da RO nu is eaind woSllein eru r RO a n er bS es r R s t S (A OU B t p T) (Ark Be A un t M tavers etInSte n die ng die chla üb ( rsu , 2,2 or un iert T)us rl bg e m a t G d rv T r in WeAT) la von d ell tstreicir enti ele«g g 0 C bu wu , 2B e ih rela hü pe iß d ,2e0 n eHF nd sw ege auen s hteen on enh na rden re nign ring rei oach legt. b, u2,2 e ch d er Leye r (C e n nChH u h H) sgth oll alass in Lib eit fü Setl er PUS der d S Da chträ , g TDele N heim Es soll0 Cer Bun n hat ·P rm F( iefo iric a h o V » e g A s e i e t t e e y 19OM9MO li V n S r s n li r Üb ga en ST it dtCH ch rupe nsna e GIs ze onrs yr we sei . n D no at- u denHFR deswe das ne nic A11 ien )· GEDIAoC 6 lä as ch ue nd w a( hm MD erw nze e nodmeremicdhetagnschhab elsapmrä iahuaf Latz h t u H h 0 ze u PV braS t rte 19 ac :A 02 eltu CH en fü r vorge it VIKIM ldha tete Pra R, a achuB Aroubsm mne Iner rt uih lüesns iscchhe t Fjahfta–n ker ST uoch gem · EN W o mfa) uf g e n re t r l , 9 a u x t n ä e g H h n e e i g r z e a b e V ß rec is f Md i is rt ß . alt a d bg sch llstre en m der U up st d h T oA n Sn1O1 ia are A ere u ss· ePnV ine ha 9 e fbe Ooff yescfühn Sie rze riffe ga G »N ttarn an0 pEeLT än er cke it » S-A tt0o lg rme sprä hnet amw eitsgse detnnoen derEre nd zu dSe, i Z s f n s t g h d F ic e e s u r n f b B e K e a as r« un kt 2 öhr Hit ut in e bild enn e t a g htr en ein n b EZAisc im a T de che dam oMrdittwliendRe Kchsiue cehnets gstuata en ehn ler Ke es HhLe gs io · Eic en. llemA1 »me e Anh chism eine lers or D r B a Init en o e ch äm ndbe nw dtch sbivar Mi tes« e d der Die egie US-O Sc g h N M Re es ch T u an 10ß .V in u s, . c r e w ru nst h h ä w ne TtGG n Aid wte e li ff et n 0enp r Ve nge usth visio illig iel der on on tau id n EoL de ngso iziere Rio olymschaittlerwuenhMördilies vdeersr gcedsaasms Zh öffgeetnrcö hpefennhkaBnenzt, nrigagbeniet.de im zen a (IS) es zt uldig d R 2 oli e ra St Ze vo rA rig w Tth Mic se · E tik ntw r ebn eorie n m h eil z e M ft zu tlt e a r BE e rm rganis und m sin i d e r e N . 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September 2016, Nr. 209 Im kriminellen Bereich Ein Ehrenmann: Nicolas Sarkozy auf dem Sommerlager seiner Partei »Les Républicains« am 4. September in La Baule früherer Ministerpräsident François Fillon, der während eines Wahlkampfauftritts in der nordwestfranzösischen Provinz vor zwei Wochen lästerte: »Es bringt nichts, von Autorität zu quatschen, wenn man selbst nicht unangreifbar ist (…). Wer könnte sich auch nur einen Moment lang vorstellen, dass gegen den General de Gaulle (auf den sich Sarkozy oft bezieht; jW) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wäre?« Die Satirezeitung Le Canard enchainé ergänzte: »Wer könnte sich vorstellen, dass de Gaulle hohe Absätze getragen hätte?« Fillon, der fünf Jahre lang unter dem kleingewachsenen Sarkozy diente, gilt dem alten Chef inzwischen als »der schlimmste Verräter meiner Politikerlaufbahn«. Das könnte auch für seinen damaligen Außenminister Alain Juppé gel- nen, sich gegen die Bauern aufzulehnen. Es kam zu Hungerrevolten. 1929 streikten 5.000 Menschen fünf Monate lang gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen – es ist bis heute der größte Landarbeiterstreik in der niederländischen Geschichte, und vorneweg marschierte die Kommunistische Partei. Der Arbeitskampf war hart, der Staat erließ ein Versammlungsverbot, Streikende kamen ins Gefängnis, weil sie sich handfeste Auseinandersetzungen mit Streikbrechern lieferten. In Finsterwolde erschoss die Polizei damals einen Unbeteiligten. In den 1950ern wurde das Dorf unter staatliche Aufsicht gestellt, weil der von Kommunisten dominierte Gemeinderat einige Beschlüsse fasste, die nicht ganz im Einklang mit den niederländischen Gesetzen waren. Konkret ging es darum, dass die Gemeinde auf eigene Faust Geld an Streikende zahlen wollte. Ein Beamter, der sich weigerte, den Beschluss auszuführen, wurde entlassen. »In einem demokratischen Staat ist Finsterwolde ein totalitärer Ort, der herausgeschnitten ten, der allerdings selbst mit alten Geschichten zu kämpfen hat. Als zweiter Bürgermeister von Paris und Stellvertreter des späteren Staatschefs Jacques Chirac war Juppé, der in Umfragen bislang weit vor Sarkozy liegt, im Jahr 2003 zu 14 Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung und zu einem zweijährigen Verlust des passiven Wahlrechts verurteilt worden. Die Anklage: Veruntreuung öffentlicher Gelder, mit denen die Parteikasse der Pariser Rechten gefüllt werden sollte. Bis heute hält sich allerdings die Meinung, dass Juppé für seinen damaligen Chef Chirac den Kopf hinzuhalten hatte. Etwas, das ihm mit Sarkozy sicher nicht noch einmal passieren wird. Während sich Juppé um die vom amtierenden Staatschef François Hollande »enttäuschten Wähler« aus werden muss«, zitierte die Parteizeitung De Waarheid den damaligen Bürgermeister, einen Sozialdemokraten. Die Regierung in Den Haag setzte den Beamten kurzerhand wieder ein und erklärte Finsterwolde als unregierbar. Den Haag ernannte den Bürgermeister zum Regierungskommissar und enthob den Gemeinderat zwischen 1951 und 1953 seines Amts. Die rigide Maßnahme stand im Zusammenhang mit der weltweit aufziehenden Ost-West-Konfrontation, dem sogenannten Kalten Krieg und dem damit einhergehenden massiven Antikommunismus in den Niederlanden. Der streitbare Genosse Harm Haken (1919–1972), ein Weggefährte Schwertmans, löste im fernen Den Haag Angst und Schrecken aus, weil er im Eifer des Gefechts gesagt haben soll, dass er die Rote Armee in Finsterwolde mit offenen Armen empfangen würde. Aus Finsterwolde und den umliegenden Dörfern wurde 1990 die neue Gemeinde Reiderland, die seit 2010 Teil von Oldambt ist, und aus der CPN 1991 die Ökopartei GroenLinks. sozialdemokratisch-liberalem Umfeld kümmern will, vermeidet der in Meinungsbildern zuletzt aufgestiegene Sarkozy streng den Blick nach links. Für ihn gilt: dem Kurs des antiislamischen, mit rassistischen Parolen arbeitenden, immigrationsfeindlichen »Front National« der Marine Le Pen folgen und ihm Stimmen am äußersten rechten Rand abjagen. Am Montag musste der bei seinen Wahlkampfauftritten bisweilen – bildlich gesprochen – mit Schaum vor dem Mund gegen politische Gegner austeilende Sarkozy einen schweren Schlag hinnehmen: Die Pariser Untersuchungsrichter werden zumindest im Fall »Bygmalion« weiter gegen ihn ermitteln und wollen den Prozess. Seine Bewerbung für das höchste Staatsamt reicht er daher als »Verdächtigter« ein. Streiter für Gerechtigkeit Schwertman wollte die politische Richtungsänderung nicht mitmachen und gründete mit anderen die Neue Kommunistische Partei der Niederlande (NCPN), die bei den Gemeindewahlen weiterhin ausgezeichnete Ergebnisse erzielte. Doch dann gab es 1999 einen internen Streit über ein Naherholungsgebiet, und die Vereinigte Kommunistische Partei (VCP) spaltete sich schließlich ab. Die NCPN spielt heute praktisch keine Rolle mehr in Oldambt. Nach der Abspaltung verlor sie ihre Sitze im Gemeinderat an die VCP, die bei der letzten Kommunalwahl vor zwei Jahren satte 16 Prozent holte und hinter der Sozialistischen Partei (SP) zweitstärkste Kraft wurde. Schwertman blieb seiner alten Partei dennoch treu und kümmerte sich vor allem um Alltagsprobleme in der Gemeinde. 2004 zog er sich altersbedingt aus der aktiven Politik zurück, »als einer der letzten aus der Generation von Kommunisten, die ihre Ideale immer am Leben hielten«, schreibt das Dagblad van het Noorden. Gerrit Hoekman POLITIK Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Der Hass greift um sich Irak: Tote bei IS-Anschlag in Bagdad Nach rassistischem Mord: Polnische Regierungsdelegation besucht Großbritannien. Von Christian Bunke, Manchester I n der Nacht vom 27. zum 28. August wurde der polnische Fabrikarbeiter Arkadiusz Jozwik in der nahe London gelegenen Stadt Harlow von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen und ermordet. Die mutmaßlichen Täter, es handelt sich um fünf 15jährige und einen 16jährigen, befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Die örtliche Polizei bezeichnet den Mord noch nicht als »Hassverbrechen«, ermittelt aber auch in diese Richtung. Am vergangenen Samstag beteiligten sich Hunderte Menschen an einem Trauermarsch durch die Stadt. Am Ort des Verbrechens wurden Blumen und polnische Fahnen niedergelegt. Kurz nach dem Trauermarsch, an dem sich auch polnische Staatsbürger aus ganz Großbritannien beteiligten, kam es in Harlow wieder zu einen Angriff auf zwei polnische Männer. Die Regierung in Warschau nahm diese Gewalttaten zum Anlass, eine Delegation in die britische Hauptstadt zu schicken. Man mache sich große Sorgen über die Sicherheit von Polen in Großbritannien, heißt es in einer Stellungnahme, die unter anderem von der Rundfunkanstalt BBC am Montag aufgegriffen wurde. Und weiter: »In den letzten Wochen hat die polnische Gemeinschaft zahlreiche fremdenfeindliche Vorfälle erlebt. In 15 Fällen haben sich polnische Konsulate eingeschaltet. Bei den schlimmsten Fällen ging es um Brandstiftung, körperliche Angriffe, hasserfüllte Graffiti und Einschüchterung.« Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski, Justizminister Zbigniew Ziobro und Innenminister Mariusz Blaszczak wurden in London zu Gesprächen mit ihren britischen Amtskollegen Boris Johnson und Amber Rudd geladen. Wahrscheinlich ging es dabei auch um die zukünftigen Bleiberechte der 800.000 in Großbritannien lebenden polnischen Staatsbürger. In den ersten Wochen nach dem EUReferendum vermeldete die britische Polizei einen Anstieg sogenannter Hassverbrechen. In den Tagen zwischen dem 16. und 30. Juni wurden 3.219 Anzeigen registriert, 37 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres, heißt es in einem Bericht des Thinktanks »British Future« vom 1. September. Ob die Zahl seitdem ab- oder zugenommen hat ist noch nicht statistisch belegt. Ignoriert wird, dass Großbritannien schon viele Jahrzehnte ein Problem mit strukturellem Rassismus hat, für dessen Verschärfung auch die neoliberale Politik vergangener Jahrzehnte verantwortlich ist. So sind laut einer Studie des britischen Gewerkschaftsbundes vom 22. August Arbeiter mit einem sogenannten »Black, Asian and minority ethnic (BAME)«-Hintergrund bedeutend stärker von Unterbeschäftigung betroffen als ihre weißen Kollegen. 15,3 Prozent aller Lohnabhängigen mit BAME-Hintergrund arbeiten weniger Stunden als gewünscht im Vergleich zu 11,5 Prozent ihrer Kollegen mit weißer Hautfarbe. Demgegenüber waren britische Unternehmen mehr als glücklich, sich seit der Öffnung des Arbeitsmarktes kurz nach der Jahrtausendwende billiger ausländischer Arbeitskräfte bedienen zu können. EU-Richtlinien machten es möglich, dass Zeitarbeitsfirmen polnische Arbeitskräfte zwar zu höheren Löhnen als in Polen, aber deutlich niedrigeren Löhnen als in Großbritannien vermitteln konnten. Eine solche Zeitarbeitsfirma, Easypoland, hatte dazu einen Artikel des walisischen Portals Wales Online aus dem Jahr 2006 auf ihrer Webseite gepostet: »Polen übernehmen die Jobs, die die Eingeborenen nicht machen wollen«, steht dort zu lesen. 7 Dennoch sind laut »British Future« mehr als 70 Prozent aller »Brexit«Befürworter für einen Verbleib der Osteuropäer in Großbritannien. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich Potential für eine Bewegung gegen Rassismus. Diese müsse aber von klassenkämpferischen Initiativen begleitet werden, fordert Clive Heemskerk vom linken Wahlbündnis TUSC (Gewerkschaftliche und sozialistische Koalition), welches gemeinsam mit den Gewerkschaften RMT, ASLEF und BFAWU für den EU-Austritt gestritten hatte. »Gerade in Harlow haben in den letzten Jahren viele Fabriken geschlossen. Die örtlichen Jugendclubs fielen Einsparungen zum Opfer. Jetzt brauchen wir einen gemeinsamen Kampf aller hier lebenden Menschen gegen die Politik, die das verursacht hat.« Bagdad. Bei einem Bombenanschlag der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) in der irakischen Hauptstadt Bagdad sind in der Nacht zum Dienstag mindestens sieben Menschen getötet und 15 weitere verletzt worden. Wie die Polizei mitteilte, war kurz vor Mitternacht im zentralen Viertel Karrada ein mit Sprengstoff beladener Kleintransporter explodiert. Der IS bekannte sich zu dem Attentat und erklärte, es habe sich gegen schiitische Muslime gerichtet, die der IS als Abtrünnige betrachtet. Er kündigte weitere Anschläge an. (AFP/jW) Kabul: Angriff auf ilfsorganisation Kabul. Noch unbekannte Täter haben in der Nacht zum Dienstag in Kabul Einrichtungen der Hilfsorganisation Care International angegriffen. Nach elf Stunden beendeten afghanische Sicherheitskräfte den Angriff am Dienstag morgen. Der Sprecher des Innenministeriums erklärte, alle drei Angreifer seien getötet worden. Außerdem habe es sechs Verletzte gegeben. 42 Menschen, unter ihnen zehn Ausländer, seien gerettet worden. (AFP/dpa/jW) Philippinischer Präsident beschimpft Obama S Tschechien: Minister besucht Gedenkstätte EPA/SEAN DEMPSEY Unruhen im indischen Teil Kaschmirs: 71 Tote und Tausende Verletzte. Keine Lösung in Sicht Vientiane. Eine beleidigende Äußerung des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte über seinen US-Amtskollegen Barack Obama hat zu diplomatischen Spannungen zwischen beiden Ländern geführt. Obama sagte am Dienstag ein geplantes Treffen mit Duterte ab, nachdem dieser ihn als »Hurensohn« beschimpft hatte. Duterte bedauere, dass seine Bemerkung vor der Presse »große Unstimmigkeiten« ausgelöst habe, hieß es später in einer Erklärung der Regierung in Manila. Sein Kommentar sei die Reaktion auf einen Pressebericht gewesen, demzufolge Obama ihn über außergerichtliche Hinrichtungen habe belehren wollen. (Reuters/jW) Mitglieder der polnischen Gemeinde bei einem Schweigemarsch im Gedenken an den von Rassisten ermordeten Arkadiusz Jozwik in Harlow am 27. August In der Sackgasse eit zwei Monaten demonstrieren im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir Zehntausende für staatliche Unabhängigkeit oder die Vereinigung mit dem Nachbarland Pakistan. Auslöser war am 8. Juli die Erschießung eines populären Separatisten beim Versuch, ihn festzunehmen. Der 21jährige Burhan Wani, Kommandant einer bewaffneten Widerstandsorganisation, war nicht nur ein gutaussehender junger Mann, sondern hatte sich zudem durch seine regelmäßigen Kommentare und Fotos in sozialen Medien einen Namen gemacht. Seit Beginn der gegenwärtigen Protestwelle wurden bei Konfrontationen mit Polizei und Militär 71 Menschen getötet und bis zu 10.000 verletzt. Viele von ihnen haben Schrotkugeln direkt ins Gesicht bekommen. Die Folge sind schwere Augenverletzungen bis hin zur völligen Erblindung. Die indische Polizei prüft nun die Option, die Schrotmunition durch Patronen mit Pfefferspray aus Chilischoten zu ersetzen. Es geht um einen jahrzehntelangen Dauerkonflikt, dessen Ende nicht absehbar ist. Seit Beginn des Streits um Kaschmir vor 70 Jahren sind bei den Protesten nach allgemeinen Schätzungen mehrere zehntausend Menschen ums Leben gekommen. Indien und Pakistan haben vier Kriege gegeneinander geführt, für die Kaschmir nicht der einzige, aber doch ein zentraler Grund war. Als Großbritannien seine indische Kolonie, das Kronjuwel seines Empires, 1947 »in die Unabhängigkeit entließ«, musste in Dutzenden von Territorien darüber entschieden werden, welchem der beiden neu entstehenden Staaten, Indien oder Pakistan, man sich anschließen wollte. In manchen Gebieten existierten parlamentarische Körperschaften, in denen über diese Frage beraten und beschlossen wurde. Aber öfter lag die Entscheidung bei autoritär regierenden Fürsten und den um diese gescharten Eliten. Der Maharadscha von Jammu und Kaschmir hätte am liebsten die Unabhängigkeit seines Fürstentums gesichert. Er selbst war Hindu, während die Mehrheit seiner Untertanen Muslime waren. Schon vor der Unabhängigkeitserklärung der beiden Staaten von Großbritannien am 14. August 1947 wurden in vielen Teilen der britischen Kolonie heftige Konflikte zwischen ethnischen und religiösen Gruppen ausgetragen. Hunderttausende flüchteten vor der Gewalt. Pakistan strebte unter Berufung auf die demographischen Verhältnisse die Annektion des Fürstentums Jammu und Kaschmir an und begann im September 1947, verstärkt im Oktober desselben Jahres, mit der Entsendung von Tausenden freiwilligen Kämpfern. Der Maharadscha wandte sich daraufhin mit einem Ersuchen um bewaffneten Beistand an Indien. Am 26. Oktober 1947 unterzeichnete er seinen Beitritt zur Indischen Union. Am Ende des durch diese Ereignisse ausgelösten Krieges zwischen Indien und Pakistan war Jammu und Kaschmir zwischen beiden Staaten geteilt. Die UNO setzte schließlich einen Waffenstillstand durch, ordnete aber gleichzeitig an, dass über die Zukunft des gesamten Gebiets erst später durch eine Volksabstimmung entschieden werden sollte. Sie fand nie statt. Der indische Bundesstaat Jammu und Kaschmir hat seit Jahrzehnten ein eigenes Parlament und eine Regierung mit sehr beschränkter Autonomie. Bei den letzten Wahlen im November und Dezember 2014 gab es trotz des traditionellen Boykottaufrufs der Separatisten mit 65 Prozent die höchste Beteiligung, die dort jemals erreicht wurde. Der Bundesstaat wird seither von einer Koalition aus der gemäßigt autonomistischen Demokratischen Volkspartei (PDP) und der chauvinistischen HinduPartei Bharatija Janata (BJP) regiert, die zur Zeit auch den indischen Regierungschef stellt. Annähernd 70 Prozent der zwölf Millionen Einwohner sind Muslime, ungefähr 28,5 Prozent jedoch Hindus. Viele von deren Sprechern sind ausgesprochene Nationalisten und fordern ein noch härteres Vorgehen gegen die seit zwei Monaten andauernden Proteste. Knut Mellenthin Prag. Nach verharmlosenden Äußerungen über das ehemalige Konzentrationslager Lety in Südböhmen hat der tschechische Finanzminister Andrej Babis die dortige Gedenkstätte besucht. »Ich lehne die Grausamkeiten, die hier geschehen sind, entschieden ab«, sagte Babis. Er hatte dem Nachrichtenportal aktualne.cz zufolge in der vergangenen Woche die Existenz eines Konzentrationslagers in Lety geleugnet. »Es war ein Arbeitslager – wer nicht arbeitete, der war mit einem Schubs dort«, sagte er demnach. In Lety wurden Historikern zufolge während des Zweiten Weltkriegs 327 Roma ermordet; mehr als 500 wurden von dort nach Auschwitz verschleppt. (dpa/jW) ANSICHTEN Streik bei Charité-Servicetochter CFM Staatliches Lohndumping Von Daniel Behruzi A m heutigen Mittwoch ruft ver.di die rund 2.800 Beschäftigten der Charité Facility Management GmbH (CFM) zum Warnstreik auf. Damit startet die Gewerkschaft einen zweiten Anlauf, Tarifverträge bei der Dienstleistungstochter des Berliner Uniklinikums durchzusetzen. Bereits 2011 hatten die Kolleginnen und Kollegen monatelang gestreikt, doch damit lediglich einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde erreicht. Die CFM-Spitze hatte den Arbeitskampf seinerzeit mit harten Bandagen geführt. Streikende wurden drangsaliert, Beschäftigte eingeschüchtert und zum Streikbruch animiert. Daher ist Solidarität das Gebot der Stunde. Unterstützung erhalten die Streikenden natürlich von ihren Kollegen der Vivantes-Servicetochter VSG, die ebenfalls für Tarifbindung streiten. Die Pflegekräfte der Charité, die zuletzt eine wegweisende Vereinbarung für mehr Personal erkämpften, werden sich sicherlich ebenfalls an die Seite ihrer Kollegen in Reinigung, Logistik und Speisenversorgung stellen. Ebenso die Lehrkräfte und andere, die unter der Kürzungspolitik des Berliner Senats zu leiden haben. Für die Partei Die Linke bietet der Streik Gelegenheit, sich in der Hauptstadt als soziale Opposition zu profilieren. Allerdings müsste sie dafür mit ihrer eigenen Vergangenheit hart ins Gericht gehen. Denn beschlossen hat die Ausgliederung der CFM einst der SPD-PDS-Senat. Ob die aus der PDS hervorgegangene Linkspartei tatsächlich mit dieser schlechten alten Zeit gebrochen hat, wird sich wohl erst nach der Wahl herausstellen. Nötig wäre es allemal. Denn Ausgliederung und Tarifflucht in Servicebereichen der Krankenhäuser ist nichts als staatlich organisiertes Lohndumping. So muss ein Großteil der CFM-Beschäftigten trotz 40-Stunden-Woche und harter Arbeit ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen. Bruttolöhne von 1.500 bis 1.660 Euro für eine Vollzeitstelle sind der Standard – 30 bis 40 Prozent weniger als zu Tarifbedingungen des öffentlichen Dienstes. Das, was die Krankenkassen und das Land bei der Finanzierung der Kliniken einsparen – wenn sie überhaupt etwas sparen –, muss der Staat mit der anderen Hand wieder ausgeben. Spätestens dann, wenn die einst prekär Beschäftigten mit der Rente überhaupt nicht mehr über die Runden kommen. Für die privaten Firmen Vamed, Dussmann und Hellmann – die 49 Prozent der CFM-Anteile halten – rechnet sich die Sache dagegen offenbar. Die Existenz der CFM ist Teil der grassierenden Privatisierung im Gesundheitswesen. Konzerne wie Helios, Asklepios und Median verdienen sich eine goldene Nase – mit Methoden, die letztlich nicht nur auf Kosten der Beschäftigten, sondern auch der Patienten und der Allgemeinheit gehen. Der »Aufstand der Töchter« in Berlins Krankenhäusern ist daher mehr als ein bloßer Tarifkonflikt. Es geht darum, wohin sich die Gesundheitsversorgung in diesem Land entwickelt. Zeit also, klar Position zu beziehen. Bahnhofversteher des Tages F remdsprachenlernende kennen das Problem der »falschen Freunde«. Hört sich fast so an wie »zu Hause«, heißt aber was ganz anderes. Klassisches Beispiel ist die Frage eines deutschen Touristen im englischsprachigen Ausland: »May I become a beefsteak?« – »Kann ich ein Beefsteak werden?« In Polen ist jetzt im Geiste der konterrevolutionären Wachsamkeit ein neues erschreckendes Beispiel sprachlicher Heimtücke entdeckt worden. Durch Adam Kalita, einen Krakauer Lokalpolitiker der Regierungspartei PiS. Der Mann hat gefordert, gemäß dem »Entkommunisierungsgesetz« die Krakauer Bahnhofstraße (Ulica Dworcowa) umzubenennen. Sie heiße nämlich gar nicht, wie in 800 weiteren polnischen Gemeinden, nach dem Bahnhof (Dwor- OLIVER BERG/DPA-BILDFUNK Adam Kalita zec), sondern nach einem außerhalb der engeren Fachwelt unbekannten sowjetischen Schriftsteller namens Nikolai Dworzow (1917–1985). In einer Zeit, in der in Poznan die nach dem sowjetischen Dichter Wladimir Majakowski (1893–1930) benannte Straße nun nach einem Erzbischof namens Antoni Baraniak (Hammel) (1904–1977) heißt, also »ErzbischofHammel-Straße«, ist Polens Rechten kein Argument hammelig genug, eine Vergangenheitsdebatte anzuzetteln. Und das, obwohl der Meister Proper von Krakau selbst zugibt, dass er über den Schriftsteller Dworzow nichts weiß: »Aber man müsste seine Vergangenheit mal überprüfen«. Das erinnert an den guten alten Polizeigrundsatz: Erst mal verhaften, die Straftat findet sich dann schon. Paranoia ist nicht nur eine polnische Nationaleigenschaft. Bei der Gelegenheit stellen wir einen Antrag an die Sprachendienste der EU. Sie mögen in ihre endlosen und für Heerscharen von Übersetzern und Dolmetschern verbindlichen Terminologielisten die Vorschrift aufnehmen, die deutsche Redensart »Ich verstehe nur Bahnhof« auf polnisch künftig offiziell mit »Ich verstehe nur Kommunismus« wiederzugeben. (rl) Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 »Hunderttausende Menschen flüchten nach Rojava« Angriffe der türkischen Armee mit Toten und Verletzten passieren im nordsyrischen Grenzgebiet nahezu täglich. Gespräch mit Meike Nack I n der Grenzregion zur Türkei, im kurdischen Autonomiegebiet Rojava in Nordsyrien, häufen sich Angriffe durch türkisches Militär. Sie haben ein Jahr dort gelebt und Kontakte dorthin. Wie wirkt sich das auf die Bevölkerung aus? Am Dienstag haben mir Freundinnen berichtet: Angriffe der Militärs erfolgten in den vergangenen Wochen in Kobani sowie anderen Grenzstädten in Rojava, zum Beispiel in Kamischli bzw. kurdisch Qamislo, in Ras al-Ain oder Sere Kaniye, Amuda und Al-Darbasija bzw. Dirbesiye. Anlass ist das Vorhaben der Türkei, an der gesamten Grenze eine Mauer zu errichten. Dies hatte sie auf nordsyrischem Staatsgebiet versucht, was Widerstand der Bevölkerung hervorrief. In Kobani haben Menschen eine Mahnwache abgehalten. Sie konnten den Mauerbau zumindest auf türkisches Staatsgebiet zurückdrängen. Das Militär unter der türkischen AKP-Regierung hatte auf Protestierende geschossen, es gab Verletzte und zwei Tote. Am Montag wurden Jugendliche in Amuda beschossen, auf dem Weg zu einer Demo für die Anerkennung des kurdischen Autonomiegebiets: Einer wurde umgebracht, andere verletzt. In Sere Kaniye haben Grenzposten einen Erwachsenen und zwei Kinder beim versuchten Grenzübertritt in die Türkei getötet. Andere kamen in Gefangenschaft; die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG haben sie befreit. Derartige grenzüberschreitende Angriffe des türkischen Militärs sind nahezu alltäglich. Wie kann sich die Bevölkerung in der Stadt Kobani, die den IS zurückgedrängt hat, angesichts dessen noch versorgen? Die Versorgungslage in der zerstör- PRIVAT 8 Meike Nack ist Europareferentin der Stiftung der Freien Frauen in Rojava (Weqfa Jina Azad A Rojava, WJAR) ten Stadt ist schlecht, weil die Grenze nahezu dicht ist. Weder der Handel noch der Schmuggel von Hilfsgütern funktioniert, weil türkische Grenzposten sofort schießen. Rojava ist nach Norden durch die Türkei abgeschnitten und nach Süden durch die Terrormiliz Islamischer Staat. Am Montag gab es wieder einen Selbstmordanschlag in Al-Hasaka, kurdisch Hesice. Der Krieg hält an, viele Städte sind teilweise zerstört. Gibt es noch Regionen, die nicht betroffen sind? Kaum; am Dienstag hat mir die Gesundheitskommission berichtet, dass selbst dort, wo die Städte noch stehen, das Gesundheitswesen darnieder liegt. Es gibt kaum Medikamente, keine Röntgen-, Tomographie- oder Ultraschallapparate, Mangel an Verbandsmaterial. Das Embargo gegen Rojava ist ein Versuch, das demokratische politische Projekt, das international ein Sympathieträger ist, zum Scheitern zu bringen. Dafür verantwortlich ist zunächst die Türkei, aber auch deren Ver- bündete in Syrien oder die Nordirakische Demokratische Partei Kurdistans (KDP) unter dem Präsidenten Masud Barsani, der ebenso seine Grenze zu Nordsyrien geschlossen hat. Wie können fortschrittliche Projekte in Rojava, mit denen unter anderem die Gleichberechtigung der Frau gefördert werden soll, unter den Umständen funktionieren? Viele Menschen möchten unter allen Umständen in Rojava bleiben. Sie wollen lieber dort Aufbauarbeit leisten, als in anderen Ländern zum Flüchtling zu werden. Sie organisieren sich in Räten, besprechen miteinander, wie sie Lösungen schaffen können. Gegen Lebensmittelknappheit bauen sie Gemüse und Obst in Gärten an und sorgen für den Winter vor. Es gibt eine Zementfabrik, es wird Baumaterial gebrannt. Sie beginnen, Medikamente aus Kräutern gegen Nieren- oder Magen- und Darmleiden herzustellen, um die Abhängigkeit nach außen zu durchbrechen. Hunderttausende Menschen flüchten auch deshalb aus Städten wie Aleppo oder Idlib nach Rojava, genau wie Verletzte aus Dscharabulus bzw. Cerablus und Manbidsch oder Minbic. Sie gilt es mitzuversorgen. Wie ist Rojava zu unterstützen? Die deutsche Bevölkerung ist großteils begeistert für das demokratische Projekt Rojava, das die Emanzipation der Frau fördert, beispielsweise werden entscheidende Stellen jeweils mit einer Frau und einem Mann besetzt. Wichtig wäre, für die einzelnen Projekte zu spenden und die Regierung unter Druck zu setzen, die dem entgegengesetzt handelt und auf seiten der Türkei steht. Interview: Gitta Düperthal helpkobane.com/de Abgeschrieben Der Berliner Tagesspiegel veröffentlichte am Dienstag ein Interview mit der Linke-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Sahra Wagenknecht. Darin heißt es: Warum ist Die Linke nicht mehr erste Adresse für Proteststimmen? Weil es uns offensichtlich nicht ausreichend gelungen ist, uns von den anderen Parteien abzusetzen. Es ist ja interessant, dass Wahlanalysen besagen, dass ein Großteil der Wähler die AfD nicht gewählt hat, weil sie deren Programm so toll finden, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Insoweit ist das gute Abschneiden der AfD natürlich die Quittung dafür, dass in diesem Land seit Jahren in wechselnden Koalitionen Politik gegen die sozialen Interessen der Mehrheit gemacht wird. Wir allerdings müssen uns fragen, warum Die Linke in den Augen vieler offenbar Teil dieses unsozialen Parteienkartells geworden ist. (…) Vor der Wahl wurden Sie auch von eigenen Parteifreunden kritisiert. Der Vorwurf: Sie praktizierten so eine Art Umarmungsstrategie gegenüber der AfD, würden deren Stichworte aufgreifen. Können Sie das nachvollziehen? Das ist völlig absurd. Ich umarme nicht die AfD. Ich kritisiere Frau Merkels Politik, die zu sehr viel Unsicherheit und Ängsten geführt hat, weil sie konzeptionslos ist. Man kann nicht in großer Zahl Menschen nach Deutschland holen und dann die Kommunen und die ehrenamtlichen Helfer mit dem größten Teil der Probleme alleine lassen. Man muss die Rahmenbedingungen schaffen, dass Integration funktioniert. Das tut diese Regierung nicht, im Gegenteil. Am 9. November 2013 fand in Stralsund ein Linke-Kreisparteitag statt. Die damalige Kreisvorsitzende Marianne Linke, von 2002 bis 2006 Sozialministerin von MecklenburgVorpommern (MV) und bis 2011 Landtagsabgeordnete, nahm darin u. a. zum schlechten Abschneiden ihrer Partei bei der Bundestagswahl vom September 2013 Stellung: Vor allem seit 2003, dem Verkündungsjahr der »Agenda 2010«, steht der über Jahrzehnte hervorragend entwickelte und funktionierende Sozialstaat Deutschland auf der Abrisshalde. (…) Vor diesem Hintergrund wurden die Bundestagswahlen 2013 abgehalten. Viele Wähler haben in dieser Situation die sicheren, die Sicherheit versprechenden Aussagen gewählt. (…) Die Linke in MV hat massiv verloren. In unserem Kanzlerinnenwahlkreis 15 haben wir im Jahr 2013 gegenüber 2009 tatsächlich 10.000 Stimmen verloren (…) – 25 Prozent unserer damaligen Wählerinnen und Wähler haben uns 2013 nicht gewählt. (bei den Zweitstimmen kam die CDU auf 45,1 Prozent, Die Linke auf 20,6 Prozent. 2009 waren es für die CDU 37,3 Prozent, für Die Linke 28,6 Prozent, jW). Erstmals seit langem haben SPD und Linke zusammen weniger (Zweit)-Stimmen als die CDU allein. Spätestens diese Zahlen zeigen, dass wir aufhören sollten, das Märchen von den linken Mehrheiten in MV zu erzählen. Statt dessen müssen wir (…) die Wahlergebnisse von AfD und NPD in unserem Wahlkreis genauer analysieren. Fast im gesamten Wahlkreis 15 hat die AfD die Fünfprozenthürde deutlich überschritten, die NPD liegt bei zwei bis drei Prozent. In MV haben im Durchschnitt die AfD 5,6 Prozent und die NPD 2,7 Prozent erreicht. Es gibt eine ernstzunehmende deutschnationale Bewegung in MV, die Ausdruck der sozialen Situation und des latenten, aber auch des offen geschürten Rassismus ist. (…) KAPITAL & ARBEIT Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 9 Milliardenaufträge aus Vietnam für Airbus Kanadas Provinzialismus Hanoi. Airbus hat in Vietnam 40 Flugzeuge im Wert von 5,8 Milliarden Euro verkauft. Der europäische Hersteller unterzeichnete am Dienstag am Rande des Besuchs von Frankreichs Präsident François Hollande in dem südostasiatischen Land Verträge mit der Billigairline VietJet sowie mit Vietnam Airlines und Jetstar Pacific. VietJet bestellte demnach 20 Flugzeuge, die anderen beiden Gesellschaften jeweils zehn. VietJet hatte erst im Mai 100 Maschinen im Wert von elf Milliarden Dollar beim US-Konzern Boeing gekauft. Der nun unterzeichnete Vertrag mit Airbus ist 2,39 Milliarden Dollar schwer. (AFP/jW) TOPHER SEGUIN/REUTERS Lage schlechter als auf Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Handelsabkommen mit der EU droht heimische Strukturprobleme noch zu verschärfen. Von Raoul Rigault Aus dem jW-Shop Schwermaschinenauktion in Nisku, Alberta, Dezember 2015. Heimische Anbieter haben es bei Bergbaukonzernen aufgrund des Regulierungswahns der kanadischen Provinzregierungen schwer. Auch Ölförderer bevorzugen weniger aufwendige Importe aus Asien A m 17. September sind in sieben deutschen Großstädten Demonstrationen gegen die sogenannten Freihandelsabkommen CETA und TTIP geplant. Während TTIP, der Pakt zwischen der Europäischen Union und den USA, auch unter den Regierenden in der EU immer mehr an Rückhalt verliert, soll CETA, der Vertrag mit Kanada, im Oktober unterzeichnet werden. Die neue Regierung des von Gewerkschaftern als progressiver Hoffnungsträger gefeierten Liberalen Justin Trudeau hat sich dafür genauso ins Zeug gelegt wie die seines rechtskonservativen Amtsvorgängers Stephen Harper. Dabei droht dieser Deal die Probleme des nordamerikanischen Landes weiter zu verschärfen. Das zweite Quartal 2016 war wirtschaftlich das schlechteste seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009. In der Folge senkte die Bank of Canada ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf nur noch 1,3 Prozent. Eine spürbare Verbesserung erwartet Zentralbankgouverneur Stephen Poloz frühestens für Ende 2017. Und selbst diese Schätzung halten etliche Ökonomen für zu optimistisch. Denn das Handelsdefizit summierte sich im ersten Halbjahr 2016 bereits auf 17,1 Milliarden kanadische Dollar. Im gesamten vergangenen Jahr waren es »nur« 11,7 Milliarden. Zugleich verringerte sich die Zahl der Vollzeitarbeitsstellen um 71.400, während die der prekären Teilzeitjobs um 40.200 zunahm. Die Erwerbslosenquote stieg auf offiziell 6,9 Prozent. Das alles, obwohl sich der Erdölpreis im Berichtszeitraum leicht erholte und die im Volksmund »Loonie« genannte kanadische Währung im Vergleich zum US-Dollar abwertete – normalerweise eine Hilfe für Lieferungen an den wichtigsten Handelspartner. Von einer weiteren Senkung der Leitzinsen, die derzeit bei 0,5 beziehungsweise 0,75 Prozent liegen, raten Finanzmarktexperten einhellig ab, da sie die gefährliche Blase auf dem Immobilienmarkt insbesondere der Metropolen Vancouver und Toronto weiter anschwellen lassen würde. Statt mit noch mehr billigem Geld soll die Wirtschaft durch staatliche Investitionen ins Verkehrswesen stimuliert werden. Eine »Geldschwemme« für Arme wird es auf keinen Fall geben, obwohl sie bitter nötig wäre. In der Provinz Ontario zum Beispiel sind drei von zehn Beschäftigten Geringverdiener. Vor 15 Jahren waren es nur halb so viele. Dank der neoliberalen Reformen von Konservativen und Liberalen in den 1990er Jahren kommen zudem immer weniger Erwerbslose in den Genuss von Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Erhielten vor den entsprechenden Gesetzesänderungen 85 Prozent der Betroffenen Geld, so sind es jetzt nur noch 40 Prozent. Das 36-Millionen-Einwohner-Land ist, obwohl es zu den G-7-Staaten gehört, also zum Kreis der selbsternannten führenden Industrienationen, nach wie vor extrem von Rohstoffexporten abhängig. Erdöl, Erdgas, Gold, Kupfer, Nickel, Zink, Eisenerz und die bei der Handyproduktion unentbehrlichen seltenen Erden machen fast ein Viertel der Ausfuhren aus. Die Einnahmen daraus sind entsprechend stark von den Schwankungen der Weltmarktpreise abhängig. Mit erheblichem Abstand folgen Autos und insbesondere Bauteile für die US-Produktion mit 14,6 sowie Nahrungsmittel mit neun Prozent der Exporte. Umgekehrt bilden hochwertige Industrieprodukte wie Kraftfahrzeuge, Maschinen, Chemieerzeugnisse und Elektronik mit 46,5 Prozent den Löwenanteil der Importe. Von einem zügellosen Handel mit der EU hat Ottawa wenig zu erwarten, denn die EU-Staaten mit Deutschland an der Spitze erzielen bereits jetzt permanent hohe Überschüsse im Warenaustausch. Eine Stärkung der kanadischen Wirtschaftskraft könnte die Behebung der uralten Strukturprobleme bringen. Bislang verfügt das Land noch nicht einmal über einen funktionierenden Binnenmarkt. Eine wesentliche Ursache dafür: das »große provinzielle Hindernisrennen«, wie es der Economist kürzlich nannte. Das britische Wirtschaftsmagazin zitierte den Logistikexperten Don Dean, der erläuterte, warum zum Beispiel Öl- und Bergbaufirmen in der Provinz Alberta schweres Gerät lieber aus Asien einführen, als es bei Anbietern in Ontario zu kaufen. Schwertransporter benötigen in Kanada entlang der Strecke Genehmigungen von jeder Provinzregierung, Kommunalbehörde und von jedem Versorgungsbetrieb. Eine Fahrt von Ontario nach Alberta könne daher schon mal 27 Wochen dauern. Aus Asien via USA importiert, bedarf es hingegen nur einer Lizenz. Die Kosten derartiger Standortnachteile und Produktivitätseinbußen wurden vom Senat in Ottawa auf 130 Milliarden Loonies (99 Milliarden US-Dollar) jährlich geschätzt. Immerhin sprach im April ein Gericht in New Brunswick einen Mann frei, der im benachbarten Quebec günstiges Bier und Spirituosen für den Eigenbedarf gekauft hatte und vom Neubraunschweiger Zoll erwischt wurde. Die Provinzregierung legte gegen das Urteil allerdings Berufung beim Obersten Gerichtshof ein. Nach Einschätzung von Thomas Marshall, einem früheren Regierungschef von Neufundland und Labrador, würde CETA kanadische Betriebe gegenüber europäischen Firmen auf dem heimischen Markt benachteiligen. Das Vorantreiben des Abkommens ist offenbar auch ein – riskanter – Versuch, die im Inland bestehenden Handelshemmnisse endlich zu beseitigen. So beschlossen die Handelsminister der Provinzen am 8. Juli, die bisherige »Positivliste« deregulierter Sektoren durch eine »Negativliste« zu ersetzen, mit der nur noch eine begrenzte Zahl von Branchen vom »Freihandel« ausgenommen bleiben soll. Indiens Aufholjagd im Nachbarstaat R-mediabase Armut in Deutschland Fotografien vom »Rande der Gesellschaft« Katalog zur aktuellen Ausstellung in der junge Welt-Ladengalerie (bis 30.9.2016). Mit Beiträgen von Christoph Butterwegge, Jochen Vogler und Hans-Dieter Hey (21 cm x 21 cm, 48 Seiten, broschiert, 19 Farb- und neun Schwarzweißfotos auf 170-gBilderdruckpapier) Verlag Wiljo Heinen, 14,50 € Yusuf Beyazit Wessen Straße ist die Straße? Katalog zur Ausstellung in der junge Welt-Ladengalerie Yusuf Beyazit ist ein »Photographer in solidarity«. Seine Bilder zeigen die Menschen, die immer wieder die Frage stellen »Wessen Straße ist die Straße? – Wessen Welt ist die Welt«. Verlag Wiljo Heinen, 64 Seiten, 12,00 € Ja, ich bestelle: Armut … 14,50 € Ex. Wessen Straße … 12,00 € Ex. + Versandkosten in Höhe von 3,90 € (Bei Bestellwert über 70,– € versandkostenfrei. Bei Auslandsbestellungen volle Portokostenberechnung) Gesamtpreis: Myanmars Präsident in Neu-Delhi: Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit beschlossen I ndien will nicht noch weiter ins Hintertreffen geraten, wenn es um die Aufteilung neuer Märkte in seiner unmittelbaren Nachbarschaft geht. Vergangene Woche unterzeichneten Premierminister Narendra Modi und Htin Kyaw, Präsident von Myanmar (ehemals Burma), in Neu-Delhi Rahmenabkommen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Energieproduktion sowie im Bankensektor. Zudem sagte Indien zu, sich beim Bau von 69 Brücken entlang der wichtigsten beide Länder verbindenden Straße zu engagieren. Vier Tage lang hatte Htin Kyaw vergangene Woche Name/Vorname das westliche Nachbarland bereist. Indien hat lange und intensive Beziehungen zu Myanmar. Doch was bilateralen Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit angeht, rangiert der Subkontinent im Vergleich mit anderen Staaten der Region nur im hinteren Mittelfeld. China, Japan, Südkorea, die führenden Wirtschaftsmächte des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN oder westliche Staaten – alle waren beim Wettlauf um Anteile an Myanmars Märkten nach dem Ende der Militärdiktatur 2011 schneller. So dominiert Japan längst die Autobranche in dem 51-Millionen-EinwohnerLand. Und China investiert seit Jah- ren neben vielen anderen Sektoren in Myanmars Infrastruktur. Die jetzt vereinbarten Brückenbauten mit indischer Hilfe nehmen sich dagegen eher bescheiden aus. Gegenüber der anderen asiatischen Großmacht darf sich Indien in Myanmar bestenfalls als Drittligist fühlen. So machte das bilaterale Handelsvolumen Myanmars mit China zuletzt 10,9 Milliarden USDollar aus. Mit Indien kommt man hingegen gerade einmal auf 1,17 Milliarden Dollar. Auch die indischen Direktinvestitionen sind noch zu vernachlässigen. Sie umfassten im Finanzjahr 2015/2016 gerade mal 224 Millionen Dollar. Myanmar, das durch die jahrzehntelange Isolation enormen Nachhol- und Erneuerungsbedarf auf nahezu allen Gebieten hat, ist vor allem an Technologietransfer interessiert. So hat Indien zwei Regionalkrankenhäusern im Nachbarland zu moderner Ausstattung verholfen. An einer engeren Kooperation zeigte sich Htin Kyaw bei seinem Staatsbesuch auch im Bildungssektor interessiert: Indien soll dem Nachbarn beim Aufbau einer modernen Hochschullandschaft helfen. Gerade Indiens renommierte Technikinstitute gelten als Vorbild und wichtige Partner. Thomas Berger Straße/Nr. Postleitzahl/Ort Telefon Ich zahle per Rechnung Datum/Unterschrift Bestellcoupon einsenden an: Verlag 8. Mai GmbH, Torstr. 6, 10119 Berlin, oder faxen an die 0 30/53 63 55-44 Bestellungen auch unter: ww.jungewelt-shop.de € 10 FEUILLETON Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Mächtig gewaltig Eine unvergleichliche Verbrüderung F Zu Urteilen des Verstehens kommen. Am kommenden Montag präsentiert Erich Hackl seine vielstimmige Anthologie zum Spanischen Krieg in der jW-Ladengalerie. Von Günther Drommer www.stellwerk.olsenbande. com You’ve got injection B rasilianische Wissenschaftler wollen Kokainsucht mit einem Impfstoff bekämpfen. »Wir haben ein Molekül entwickelt, welches das Immunsystem stimuliert, um Antikörper gegen Kokain zu produzieren«, sagte Angelo de Fatima, Professor am Lehrstuhl für organische Chemie der Bundesuniversität von Minas Gerais, am Montag (Ortszeit) der Nachrichtenagentur AFP. »Diese Antikörper werden das Kokain blockieren und daran hindern, ins Gehirn zu gelangen«, beschrieb Fatima die Wirkungsweise. Dadurch werde die euphorisierende Wirkung der Droge gemindert. Fatima ist einer von zwei Leitern des Forschungsprojekts, das seit zweieinhalb Jahren läuft. Nach UN-Angaben liegt der durchschnittliche Kokainkonsum in Brasilien viermal so hoch wie im Rest der Welt. (dpa/jW) D as vergangene Jahrhundert war gekennzeichnet von den Grausamkeiten zweier Weltkriege und einer Unmenge kriegerischer Auseinandersetzungen. Dennoch gab und gibt es immer wieder historische Momente, die als Zeichen der Hoffnung in Erinnerung bleiben. So mündete der Morgen des 18. März 1871, an dem das Volk von Paris damit begann, die einmarschierenden Truppen der Regierung Thiers zu entwaffnen, und die Soldaten überliefen, in ein Fest. Die Gründung der Commune wurde zum Tag der Freude. Jahrzehnte später kam es in Schützengräben der östlichen Winterfront des Ersten Weltkrieges zur Verbrüderung deutscher und russischer Soldaten, denen klargeworden war, dass kein Sinn darin liegt, wenn Gleiche auf Gleiche schießen. Und vielleicht barg sogar jener Tag, der die sonst eher schweigsame deutsche Kanzlerin zu ihrem »Wir schaffen das« veranlasste, im Ansatz eine solche Verbrüderung. Deutsche Bürgerinnen und Bürger versuchten, indem sie die Flüchtlinge warmherzig begrüßten, ein wenig von der unleugbaren Schuld unseres Volkes abzutragen, während andere Landsleute auf diesen Zusammenhang bis heute keinen Gedanken verwenden. Im Februar 1936 fand in der Spanischen Republik, die damals seit fünf Jahren existierte, eine Parlamentswahl statt, bei der volksnahe Parteien 56,7 Prozent der Stimmen erhielten. Nichtbürgerliche Kräfte übernahmen die Macht und begannen in dieser jungen Republik, deren überwiegend ländliche Gegenden zu den rückständigsten Gebieten im westlichen Europa gehörten, mit demokratischen Reformen. Die noch beinahe unbegrenzte Macht von Adel und Kirche wurde eingeschränkt, die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Eine Gruppe spanischer Generäle unter Führung Francisco Francos inszenierte am 18. Juli den allbekannten blutigen Putsch. Der Spanische Krieg begann, Europa und die Welt zu spalten. Rotes Madrid Während die Sowjetunion als einziger Staat die rechtmäßige Spanische Republik auch militärisch unterstützte, griffen Deutschland und Italien auf seiten Francos in den Kampf ein. Hitler und ANZEIGE LESE- UND GESPRÄCHSREISE Luciana Castellina Die Entdeckung der Welt Die persönlichen Erinnerungen von Luciana Castellina, Mitgründerin der Zeitung il manifesto und Grande Dame der italienischen Linken. Luciana Castellina auf Lese- und Gesprächsreise im September 2016: 8.9. 9.9. Berlin, Taz-Café Berlin, Ehemaliges Jüdisches Waisenhaus 14.9. Ludwigshafen, Ernst-Bloch-Zentrum 15.9. Frankfurt, Saalbau Gutleut 16.9. Hamburg, Kino Metropolis und Polittbüro Luciana Castellina DIE ENTDECKUNG DER WELT 216 Seiten / € 21 / ISBN 978-3-944233-64-2 Mehr Informationen unter: http://www.laika-verlag.de/termine-aktuell Erhältlich unter shop.laika-verlag.de, www.jungewelt-shop.de oder im lokalen Buchhandel WWW.LAIKA-VERLAG.DE CEDOBI ans der Olsenbande haben am Wochenende das Stellwerk »Det Gule Palæ« (das gelbe Palais) aus dem Film »Die Olsenbande stellt die Weichen« (1975) von Kopenhagen ins Eisenbahnmuseum Gedser überführt. Die dänische Staatsbahn hatte den Komplex 2014 abreißen wollen, ihn nach Protesten aber unter der Bedingung an die Fans übertragen, dass sie den Umzug organisieren. Gut 300.000 Euro wurden aufgetrieben. Am Wochenende wurde der 30 Tonnen schwere Turm mit einem Tieflader in den Südhafen von Kopenhagen gebracht. Der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen verfolgte die Verladung vor Ort und soll bei der Gelegenheit Egon Olsen zitiert haben: »elendige Sozialdemokraten«. Nach der Verschiffung wurde das Stellwerk in der Nähe des Fähranlegers Rostock-Gedser aufgesetzt. Dort soll es nach der Sanierung im kommenden Sommer feierlich übergeben werden. (jW) Angehörige des 12.-Februar-Bataillons im Frühjahr 1938 bei Batea (2.v.r.: Hans Landauer) das deutsche Militär ließen Luftwaffe und Panzer für das bevorstehende große Gemetzel üben. Die anderen europäischen Mächte, insbesondere England und Frankreich, isolierten Spanien durch prinzipielle, immer mal wieder ein wenig gelockerte »Nichteinmischung«. Aus dem Kampf für das spanische Volk, seinen Siegen und Niederlagen erwuchs eine unvergleichliche Verbrüderung. Als die »Internationalen« in Madrid einmarschierten, um die Faschisten zu stoppen, und sowjetische Flugzeuge, im lokalen Jargon liebevoll »Stupsnasen« genannt, dem Wüten der deutschen »Legion Condor« am Himmel über der bis dahin wehrlosen Hauptstadt Einhalt geboten, jubelten die Menschen. In den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Erinnerung an dieses Menschheitsverbrechen vor allem unter europäischen und nordamerikanischen Arbeitern und Intellektuellen wach geblieben. »Die Waffen nieder« hieß die alte Losung, die jetzt im Kampf durchgesetzt werden sollte. Junge Arbeiter, Bauern, Handwerker und Arbeitslose, ehemalige Soldaten und Offiziere, Ärzte und Krankenschwestern, politisch erfahrene Funktionäre, Lehrerinnen und Lehrer, Künstler, Journalisten, aber vor allem Schriftstellerinnen und Schriftsteller kamen von überall her, um zu kämpfen und auf verschiedensten Gebieten praktisch zu helfen, zu informieren, aber auch zu studieren und später etwas mit nach Hause zu nehmen – wie es gelänge, die Welt endlich zum Besseren zu verändern. Selbstverständlich waren die Reaktionen jedes anständigen Menschen auf die Verbrechen der Putschisten und ihrer Helfer von Trauer und Wut geprägt. Aber die Verbrüderungen des spanischen Volkes mit seiner Armee und den Helferinnen, Helfern und Sympathisanten aus vielen Ländern haben auch Stolz und Zuversicht hinterlassen. »Kind von Gernika« Der Österreicher Erich Hackl, Hispanist, Germanist, Hochschullehrer in Madrid und Wien, bedeutender Schriftsteller und Freund des im Juli 2014 verstorbenen letzten großen Spanienkämpfers seines Landes, Hans Landauer, kennt die historischen Vorgänge um die Spanische Republik genau. In seiner neuen Anthologie »So weit uns Spaniens Hoffnung trug« hat Hackl 46 zum Teil unveröffentlichte oder völlig unbekannte Erzählungen, Berichte und markante Textstellen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren zusammengestellt und um bio- sowie bibliographische Angaben ergänzt: Der Stabschef der Elften Internationalen Brigade, Ludwig Renn, erzählt, warum und wie er von der Schweiz aus über Portbou nach Barcelona fuhr. »Michel« Michaelis schildert das Leben in der anarchistischen Centuria »Erich Mühsam«. Maria Osten und Ruth Rewald beschreiben die Folgen der faschistischen Luftangriffe auf Madrid und wie die spanischen Frauen damals an Selbstbewusstsein gewannen. Karl Otten teilt mit, was zu jener Zeit auf Mallorca geschah (wovon 99 Prozent aller heutigen Inselbesucher garantiert nicht die geringste Ahnung haben). Nicht vergessen werden darf Hermann Kestens »Kind von Gernika«, für mich eine der anrührendsten Geschichten der Weltliteratur. Berühmte Namen kann man kennen: Gustav Regler, Erich Arendt, Willi Bredel, Alfred Kantorowicz, Theodor Balk, Rudolf Leonhard, F. C. Weiskopf, Anna Seghers, Erich Weinert, Joseph Roth, Ernst Toller. Von anderen hat man noch nie gehört. Lesen, lesen, lesen und so mit dem gelungenen literarischen Versuch einer Annäherung an die umfassende Wahrheit des Leids, des Kampfes, der oft schwierigen Verständigung, des gemeinsamen Handelns, des heroischen Scheiterns und der unbesiegbaren Hoffnungen der Spanischen Republik immer neu vertraut werden. Nicht müde werden Damals waren die Ideale der Russischen Revolution noch lebendige Wirklichkeit – die »Große Säuberung« durch Stalin und seine Anhänger begann ja gerade erst. Heute wissen wir, worin die aus dem Kampf gegen die brutalen Franco-Söldner und deren Helfer erwachsende Hoffnung des Spanischen Krieges bestand. Immer wieder haben wir unterschiedliche Standpunkte zu diesem überraschend großen Ereignis ausgetauscht, ruhig oder erregt. Jetzt käme es darauf an, aus dem zeitlichen Abstand heraus zu versöhnlichen Urteilen des Verstehens, der Ablehnung und Zustimmung zu kommen. Alles, was geschehen ist, muss auf den Tisch der Geschichte und von allen Seiten diskutiert werden, damit die Entwicklung uns weiter tragen kann, als Spaniens Hoffnung es vermochte. Dabei hilft uns eine gewaltige Zahl von Augenzeugenberichten und literarischen Werken. Alles, was ernsthaft und ohne bösartige Hintergedanken vorgetragen wird, ist einer jeweiligen Wahrheit verpflichtet, aus der allmählich eine größere gemeinsame historische Wahrheit erwächst. Damit wir bei unseren Gesprächen nicht müde werden, haben wir ja die Lieder des spanischen Volkes, die von Ernst Busch, die Romane von Ernest Hemingway und Eduard Claudius, die Gedichte von Federico García Lorca, Miguel Hernández, Erich Arendt und vielen anderen. Dieser Tage erhielten wir von unserer einst in der DDR ausgebildeten spanischen Freundin Olga, die heute in Madrid als Ärztin praktiziert, eine E-Mail: »Gestern war ich in Valladolid bei den Ausgrabungen von den Massengräbern, sehr schmerzhaft. Ich habe Fotos gemacht. So was muss die Welt sehen. Diese Mörder.« Jetzt, wo die Enkel der Toten deren anonyme Gräber aus der Zeit der schrecklichen faschistischen Rache öffnen, um die Schande ans Licht zurückzuholen, ist wieder Gelegenheit, laut über die faschistischen Verbrecher von damals und ihre Taten nachzudenken. Damit die Wiederholung ähnlicher Ereignisse verhindert werden kann, in Europa und überall. Erich Hackls klug zusammengestellte Anthologie ist gut dafür geeignet. Erich Hackl (Hg.): Soweit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Rotpunktverlag, 400 S., 25 Euro Bei der Berliner Buchpremiere am kommenden Montag spricht Günther Drommer mit dem Herausgeber Erich Hackl, der gemeinsam mit Anja Panse (Schauspielerin und Regisseurin) Auszüge vortragen wird, Beginn ist 19 Uhr in der jW-Ladengalerie, Torstr. 6, Berlin-Mitte 2016 PARAMOUNT PICTURES AND METRO-GOLDWYN-MAYER PICTURES INC. ALL RIGHTS RESERVED. H eute kann man sich das kaum noch vorstellen, aber Ben Hur muss noch Jahrzehnte nach seinem erstmaligen Erscheinen anno 1880 eine ebenso verbreitete popkulturelle Figur wie Tarzan oder Harry Potter gewesen sein, nur eben ohne Fortsetzungen. Der Text von Lew Wallace war neben »Onkel Toms Hütte« wohl der meistgelesene US-amerikanische Roman des 19. Jahrhunderts. Obwohl als Genremixtur aus Historienschinken, »Sentimental novel« und Melodrama fest in bestimmten literarischen Traditionen stehend, war er gewissermaßen selbstbegründend: ein Novum, der ultimative Bestseller, der Roman der Romane, noch vor dem Schund in den Groschenheften eine Literatur für Leute, die außer diesem Roman und der Bibel kaum etwas gelesen haben. Eine absonderliche Situation einer eben noch sehr jungen Massengesellschaft. Sie ist der heutigen gar nicht mal so unähnlich. Zwar ist die Bibel inzwischen allenfalls noch ein Text, von dem sogenannte Ethiklehrer raunen mögen, dass es ihn gäbe (neutestamentarisch gesagt: ein Buch mit sieben Siegeln, obwohl frei für alle »im Internet« zu haben; dasselbe gilt für »Ben Hur«), in den Buchhandlungen aber besteht die Weltliteratur aus »Harry Potter« und dem »Herrn der Ringe«. Einer sehr populären Bühnenadaption von »Ben Hur« folgten einige Verfilmungen, darunter zwei wegweisende Großproduktionen, zunächst der Stummfilm von 1925 mit Ramón Novarro in der Titelrolle, Regie: Fred Niblo, und dann der elffache Oscargewinner von 1959, Regie William Wyler. Römer, Muskelmänner und edle Gefühle. Von da an stand fest: »Ben Hur«, das ist die Geschichte mit Charlton Heston und dem Wagenrennen. Mehr muss man nicht wissen. Und so geht auch die Neuverfilmung von Timur Bekmambetow vor. Ein Mann fürs Grobe, Wesentliche, garantiert unempfindlich für historische Nuancen. Bekmambetows russische Vampir-Action-Filme »Wächter der Nacht« (2004), »Wächter des Tages« (2006) waren noch angemessen wirr, manieriert und großspurig; seine Hollywoodkarriere hingegen führte mit Zeug wie »Abraham Lincoln: Vampirjäger« (2012) zielsicher ins Desaster. Für das große Wagenrennen und die totale Pleite also genau der richtige Mann. Die »Ben Hur«-Filme von 1925 und 1959 waren für das Studio MetroGoldwyn-Mayer (MGM) Wegmarken. Der Standard war also gesetzt. Es muss geklotzt, darf nicht gekleckert werden. Nun ist der brüllende MGM-Löwe aber längst nicht viel mehr als ein nostalgisches Zitat im Vorspann. Das bombastische Erbe darf verschleudert werden. Anlass für Zeit- und Geldverschwendung, Potlatsch also – eine gute Sache: Jack Huston als Judah Ben-Hur Genau der richtige Mann Vollkommen zeitgemäß: »Ben Hur«, das nächste sinnlose Remake. Von Peer Schmitt Lasst uns mit einem weiteren sinnlosen Remake für noch besinnungslosere Generationen einen Haufen Geld verlieren, scheint das neue Motto von dem zu sein, was bald einmal eine Filmindustrie gewesen sein wird. Filme werden anscheinend nicht mehr dafür gemacht, dass jemand sie sieht, sie sind zum Anlass für Zeit- und Geldverschwendung geworden. Potlatsch. Eine gute Sache also. Mit der notwendigen Albernheit gesehen, ist Bekmambetows »Ben Hur« vollkommen zeitgemäß und gar nicht mal so schlecht. Die Story wurde noch mal sorgfältig entkernt. Der ganze amerikanisch-pietistische Predigtballast ist mehr oder minder beseitigt worden. Das Buch heißt ja im Untertitel nicht umsonst »A Tale of Christ«. Ursprünglich war es als Parallele zum Passionsweg Christi gedacht. Im Film taucht nun beiläufig hin und wieder ein recht hippiemäßiger Jesus (Rodrigo Santoro) auf, der mit Tischlerarbeiten beschäftigt ist Lukaszewicz, Lukaszewicz, Schönfeld, Beauvais D er Pole Jerzy Lukaszewicz war immer sehr vielseitig. Er arbeitete nicht nur als Kameramann (die Fernsehserie »Der Hengst Karino« von 1977 mit Claudia Rieschel war ein Publikumserfolg mit Langzeitwirkung), sondern führte bei einem Dutzend Filmen auch Regie (der Zweiteiler »Begegnung mit dem lustigen Teufel« von 1987/89 fand auch in der DDR amüsierte Zuschauer). Inzwischen ist Lukaszewicz Filmproduzent. Heute wird er 70 und kann seinem bekannten Bruder Olgierd zum 70. gratulieren, denn die beiden sind Zwillinge. Olgierd Lukaszewicz entwickelte sich seit den späten 60er Jahren zu einem der auch international am meisten gefragten Schauspieler seines Heimat- landes. Hauptrollen in Filmerfolgen von Kutz, Wajda, Borowczyk, Kieslowski und Machulski stehen dafür. In der DDR stand er in Filmen von Bernhard Stephan zweimal vor der Kamera, darunter 1982 in der Ruth-Werner-Adaption »Sonjas Rapport«. Verglichen mit heutiger Durchschnittsware, ist dieser damals als allzu nüchtern angesehene Film wahrscheinlich ein Meisterwerk. Auch nach dem Mauerfall übernahm Lukaszewicz Rollen in Filmen deutscher Regisseure. So spielte er 2013 in Pepe Danquarts antifaschistischem Werk »Lauf, Junge, lauf«, der im selben Jahr in Cottbus den Publikumspreis gewann. Zuletzt war Lukaszewicz in einer neuen Fernsehserie zu sehen, seine Kollegin Swetlana Schönfeld wird ab 11 FEUILLETON Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 und einen von Liebe und gewaltlosem Widerstand erzählt. Die Aufmerksamen unter den römischen Besatzern im Jerusalem um das Jahr 20 herum ahnen, dass da irgendwas im Busch ist. Dabei ist zunächst weder Jesus noch Judah Ben-Hur (Jack Huston) ihr Feind, letzterer ist ohnehin Abkömmling der lokalen Eliten, die ihr Schäfchen im Trockenen haben. Der Feind, das ist die örtliche Befreiungsguerilla – die Zeloten, mit denen weder Ben Hur noch Jesus oder die Eliten etwas zu tun haben wollen. Wie ihr Name schon sagt, sind das religiöse Eiferer, Fundamentalisten, wenn man so will, die vor terroristischen Aktionen nicht zurückschrecken, in deren Folge Ben Hur unter falscher Anschuldigung zum Dienst auf der Galeere verurteilt wird. Die Nebengeschichte, in der er dort von einem römischen Aristokraten aufgegabelt und später adoptiert wird, lässt man sicherheitshalber weg. Dieser »Ben Hur« erzählt vornehmlich von Besatzern und Besetzern. Auf irgendeine historische Schlüssigkeit oder auch nur eine Spur des Versuchs von Herstellung einer authentischen Ausstattung wird – glücklicherweise! – keinerlei Wert gelegt. So steigt etwa Ben Hurs spätere Ehefrau Esther (Nazanin Boniadi) in einer weißen Hose aufs Pferd wie beim Strandurlaub in einem Modekatalog jüngerer Vergangenheit. Das ist fraglos ziemlich lustig und sieht auch noch gut aus. Leicht irritierend ist die Unterdrückung der örtlichen jüdischen Kultur durch eine offenbar barbarische imperialistische römische. Dabei sprechen die Protagonisten wie die US-Amerikaner von heute ganz offen von »religiösen und kulturellen Differenzen« (als ob einen klassischen Römer Religion groß gekümmert hätte). Aber auch im hier und jetzt sprechen ja viele Idioten allerlei Couleur wieder vom »Kulturkampf« (direkt aus dem ideologischen Kramladen des 19. Jahrhunderts). Ben Hurs Jugendfreund und Rivale beim Wagenrennen, Messala, ist plötzlich sein römischer Adoptivbruder mit religiösen Differenzen (möglicherweise um die homoerotischen Andeutungen des Films von 1959 von Beginn an zu unterbinden). Das Wagenrennen ist hübsch brutal und lang und unspannend. Morgan Freeman schaut kurz als arabischer Rennstallbesitzer mit Dreadlocks vorbei. Bescheid wissen ohnehin alle, römische Chefs wie jüdische Untertanen: So oder so gewinnt am Ende das Prinzip »Brot und Spiele« (römische Kultur). Was auch sonst? Römer wie wir. »Ben Hur«, Regie: Timur Bekmambetow, USA 2016, 150 min, bereits angelaufen Jubel der Woche. Von Jegor Jublimov Januar in der BR-Serie »Das Institut« überzeugen, auch bei ihr darf man gediegene Schauspielkunst erwarten. Übermorgen wird die Schauspielerin 65. Ab 1973 konnte sie ihr Können 20 Jahre lang am Berliner Maxim Gorki Theater unter Beweis stellen. Gleichzeitig begann sie für Film und Fernsehen zu arbeiten. In Sibirien bei Magadan aufgewachsen, war ihr erster Film ein estnischer, eine sowjetische Produktion, die teilweise in der DDR gedreht wurde. »Der Rote Geiger« (1974) erzählt die Geschichte des Violinisten Eduard Soermus, der nach der Revolution von 1905 aus dem zaristischen Russland nach Westeuropa floh und ab 1921 vor allem in Deutschland in Lunatscharskis Auftrag Solidaritätskonzerte für russische Kinder gab. Eine ähnlich anspruchsvolle Produktion wünscht man Schönfeld zum Geburtstag. Anspruchsvolle Filme, vor allem fürs BRD-Fernsehen, drehte Regisseur Peter Beauvais, der übermorgen vor 100 Jahren geboren wurde, und mit 70 starb. Der Sohn eines jüdischen Fabrikanten aus dem Fichtelgebirge emigrierte mit 20 in die USA, wo er u. a. am Broadway auftrat. Nach seiner Rückkehr 1946 war er Vernehmer bei den Nürnberger Prozessen und alliierter Theateroffizier in Stuttgart. Ab 1958 machte sich Beauvais vor allem mit Literaturadaptionen nach Werken von Tschechow, Schnitzler, Hauptmann, Siegfried Lenz und Martin Walser verdient, und selbst CourthsMahler hat er amüsant und intelligent umgesetzt. Dumme Tiere, kluge Katzen Von Wiglaf Droste Wenn wilde Nasenbären – als ob sie Menschen wären –, in ihren Nasen bohren, dann gibt’s was auf die Ohren. Wenn olle Brillenschlangen das Schielen noch anfangen und sogar Fratzen schneiden kann keiner sie mehr leiden. Wenn Affen und Giraffen so würdefrei erschlaffen dass sie Touristen freuen dann sollen sie’s bereuen Wenn alberne Flamingos in schweinchenrosa Twingos sich aufspielen als Nabel der Welt, gibt’s auf den Schnabel Wenn Tiger bei den Ziegen friedlich und dösig liegen anstatt sie aufzufressen werden sie schnell vergessen Wenn aber schöne Katzen mit mit zarten rosa Tatzen die Diener bemiauen – dann sind wir bei den Schlauen. Amor eterno B is zu 750.000 Menschen sind nach Angaben des mexikanischen Kulturministeriums im Palast der Schönen Künste in Mexiko-Stadt am Montag und Dienstag an der Urne mit der Asche des Sänger und Komponisten Juan Gabriel vorbeigezogen. Der »Göttlichen von Juárez« war in der vergangenen Woche im Alter von 66 Jahren in den USA an einem Herzinfarkt gestorben. In Armut als Halbwaise aufgewachsen, wurde er zu einem der beliebtesten Künstler Lateinamerikas. Er komponierte etwa 600 Lieder, von Boleros bis zur Mariachi-Musik, und verkaufte rund 45 Millionen Alben. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen »Amor eterno« (»Ewige Liebe«), »Hasta que te conocí« (»Bis ich Dich kennenlernte«) oder »Se me olvidó otra vez« (»Ich habe es wieder vergessen«). (dpa/jW) Der Faust 2016 D er Regisseur und Publizist Hans Neuenfels wird mit dem Theaterpreis »Der Faust 2016« für sein Lebenswerk bedacht, wie die Organisatoren am Dienstag mitteilten. Weitere acht Auszeichnungen werden bei einer Gala am 5. November in Freiburg verliehen. Nominiert ist auch Frank Castorf in der Kategorie Regie Schauspiel. Vergeben werden die Faust-Preise von der Kulturstiftung der Länder, der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, dem Deutschen Bühnenverein und einem jährlich wechselnden Bundesland.(dpa/jW) Lesen Sie auf www.jungewelt.de Das dreckige Dutzend Von »Breaking Bad« bis »Sopranos«. Die besten Serien seit 2000 n www.jungewelt.de/ Dreckiges-Dutzend Serie 12 THEMA Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 In diesen Tagen erscheint im Papyrossa Verlag der von Thies Gleiss, Inge Höger, Lucy Redler und Sascha Stanicic herausgegebene Sammelband »Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden. Die Linke und das Regieren«. Wir veröffentlichen daraus im folgenden, leicht gekürzt, den Beitrag »›Normale kapitalistische Entwicklung‹. Zehn Jahre Rot-Rot in Berlin« von Lucy Redler. (jW) »Schmerzhafte Einschnitte werden unvermeidlich sein«, hieß es 2001 im Wahlprogramm der PDS. Als Wirtschaftsminister der rot-roten Koalition war der heutige verkehrs- und energiepolitische Sprecher der Berliner Linken, Harald Wolf (hier links im Bild mit dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit von der SPD), für zahlreiche »Einschnitte« mitverantwortlich D Neoliberale Rotstiftpolitik Unter Rot-Rot wurden Filz und Korruption eingedämmt, die Zeche für die »normale kapitalistische Entwicklung« und neoliberale Politik, an der sich die PDS nun eifrig beteiligte, zahlten jedoch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Erwerbslose und Mieter. Die damalige PDS verschrieb sich der Logik der Haushaltskonsolidierung: »Angesichts der dramatischen Haushaltslage war klar, dass an einer Politik der Haushaltskonsolidierung kein Weg vorbeiführt.«3 Klaus Wowereit sagte damals über die PDS in Berlin: »(...) Hier macht die PDS eine praktische Politik. Sie arbeitet mit an der Umsetzung von Hartz IV, entgegen dem, was ihre Bundespartei fordert. Da ist die PDS durchaus schizophren.«4 Oskar Lafontaine, damals noch SPD, lehnte Überlegungen der SPD-Bundeszentrale für eine Ampelkoali tion in Berlin ab und brachte auf den Punkt, worum es aus SPD-Sicht bei der Einbeziehung der PDS ging: »Ein Senat, der der Bevölkerung Opfer abverlangt, darf nicht eine enttäuschte CDU und eine sozialpopulistisch agierende PDS zum Gegner haben. Wer sparen will, ist gut beraten, die PDS mit ins Boot zu holen.«5 Die PDS Berlin beteiligte sich nicht nur am Sparen, sie verzichtete auch darauf, gewisse Maßnahmen zur Einnahmesteigerung wie die Anhebung der Gewerbesteuer zu ergreifen. Harald Wolf bekannte sich »zum Vorsatz«. Die Berliner Morgenpost kommentierte Wolfs Haltung 2004: »Strukturreformen wie der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, die Neuordnung der Hochschulmedizin, das neue Schulgesetz, die Opernstiftung, die neue Struktur der Wirtschaftsförderung oder die Hochschulverträge mit abgesenkten Zuschüssen seien unabhängig von der Haushaltslage notwendig und sinnvoll. ›Wir haben zu oft auf mildernde Umstände plädiert, statt uns zum Vorsatz zu bekennen‹, sagt Wolf.«6 Mit der Einbeziehung der PDS in die rot-rote Koalition gelang das, was durch eine Fortsetzung der großen Koalition nicht möglich gewesen wäre. Die PDS wurde als vorige Opposition in die Koalition integriert und schwächte mit ihrem Kurs den außerparlamentarischen Widerstand – ein ähnliches Phänomen wurde bei der Fatale Bilanz ROBERT SCHLESINGER DPA/LBN (M) er Staat ist kein Fahrrad, auf das man sich einfach setzen und in beliebiger Richtung losradeln kann«, meinte die ehemalige Grüne Verena Krieger im Jahr 1991. Er ist »Produkt und Ausdruck der kapitalistischen Vergesellschaftungsform und der mit ihr verbundenen materiellen Reproduktions- und Klassenverhältnisse«. Harald Wolf, ehemaliger Wirtschaftssenator der PDS in der ersten rotroten Koalition und 2006 Spitzenkandidat der Linkspartei.PDS zitiert gern Verena Krieger und widmete der Idee im Mai 2014 einen ganzen Artikel.1 Doch statt das Fahrrad auszutauschen, radelte die PDS/Die Linke Berlin (2005 nannte sich die »Partei des demokratischen Sozialismus« in »Die Linkspartei.PDS« um. 2007 erfolgte der Zusammenschluss mit der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« zur »Linkspartei«, kurz: »Die Linke«, jW) in ihrer Regierungszeit 2002–2011 mit der SPD auf einem Tandem komplett in die falsche Richtung und fuhr die Interessen von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Mietern und Erwerbslosen gegen die Wand. (...) Die PDS Berlin trat in die Regierung ein auf dem Höhepunkt von Filz, Korruption, Vetternwirtschaft und des Berliner Bankenskandals unter der vorigen großen Koalition. Offen beschreibt Harald Wolf in seiner 2016 erschienenen Bilanz ›Rot-Rot in Berlin‹: »Rot-Rot vollzog eine Transformation von einem parasitärklientelistischen Modell zu einem Modell ›normaler‹ kapitalistischer Entwicklung. Damit ist noch kein Ausbruch aus dem Neoliberalismus verbunden.«2 Vorabdruck Zehn Jahre lang regierte die PDS/Die Linke in Berlin zusammen mit der SPD. Das Ergebnis: Personalabbau und Privatisierung. Mit einer rot-rotgrünen Koalition, wie sie sich als Ergebnis der Berliner Wahlen am 18. September abzeichnet, könnte sich das wiederholen. Von Lucy Redler Einführung der Agenda 2010 durch die rot-grüne Bundesregierung deutlich: Schröder setzte durch, was Kohl nicht gewagt hätte. Langes Sündenregister Im Wahlprogramm der Linken Berlin für die Abgeordnetenhauswahlen 2016 heißt es: »Rot-Rot hat von 2002 bis 2011 den Landeshaushalt saniert. Diese Sanierungspolitik war hart und ging zuweilen über das Vertretbare hinaus. Sie sorgte jedoch dafür, dass politische Handlungsspielräume zurückgewonnen wurden.«7 Im Programm wird die Politik unter Rot-Rot gerechtfertigt und verklärt – mit dem Ziel, 2016 erneut in eine Regierung mit SPD und nun auch den Grünen einzutreten. Man fragt sich, wessen Handlungsspielräume hier gemeint sind. Für Mieter, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Lehrer und arme Menschen wurden unter Rot-Rot keine »Handlungsspielräume gewonnen«, sondern ihre Lage hat sich verschlechtert. Was passiert ist: – Privatisierung von über 100.000 Wohnungen, die Mietsteigerungen und Verdrängung zur Folge hatte: Die Wohnungsbaugesellschaft GSW mit über 65.000 Wohnungen wurde 2004 an ein Konsortium der Finanzinvestoren Goldman Sachs und Cerberus verkauft. Außerdem veräußerten die landeseigenen Gesellschaften 2005 über 30.000 Wohnungen; 5.000 Wohnungen der landeseigenen BVG wurden ebenfalls verkauft. Den enormen Mietsteigerungen der landeseigenen Unternehmen wurde nicht Einhalt geboten. – Stellenabbau von 35.000 Stellen im öffentlichen Dienst: Seit Amtsantritt von Rot-Rot bis Ende 2010 wurde der öffentliche Dienst von 151.165 auf 115.885 Stellen verkleinert. Laut Harald Wolf waren es am Ende von Rot-Rot noch 105.000 Beschäftigte (berechnet nach Vollzeitäquivalenten). Die Linke Berlin setzte sich noch im Wahlkampf 2011 für eine Mindeststellenzahl von 100.000 ein und hätte damit noch weiteren Stellenabbau hingenommen. Der Abbau traf vor allem die Bezirke: Hier wurde die Zahl der Stellen laut Senatsverwaltung für Finanzen von 48.587 auf 24.117 halbiert. Das Ergebnis ist, dass man in manchen Bezirksämtern heute ein halbes Jahr auf einen Termin wartet oder dass das Wohngeld mehrere Monate verspätet ausgezahlt wird. – Ausstieg aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband und Absenkung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst: Dem Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband folgte der sogenannte Anwendungstarifvertrag im Jahr 2003, in dessen Folge Löhne und Gehälter um acht bis zwölf Prozent gesenkt und von der bundesweiten Lohnsteigerung abgekoppelt wurden. Gleichzeitig wurden die Arbeitszeiten verkürzt. Das führte für viele Menschen zur Arbeitsverdichtung, da sie nun ein ähnlich hohes Arbeitsvolumen bei kürzerer Arbeitszeit leisten mussten. Die Angleichung an das bundesweite Lohnniveau erfolgt 2017. Im Osten Berlins wurden die Löhne und Gehälter zudem um 1,41 Prozent VBL-Beitrag (Zusatzversorgungsleistung der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst) gekürzt. Den Beamten wurde u. a. das Urlaubsgeld gestrichen. – Lohn- und Gehaltskürzungen und Ausgründungen in öffentlichen Betrieben: Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) setzte der rot-rote Senat 2004 Gehaltskürzungen von zehn Prozent durch. Den Kollegen des öffentlichen Krankenhauskonzerns Vivantes wurde im Zuge eines ›Notlagentarifvertrags‹ das Urlaubs- und Weihnachtsgeld für mehrere Jahre gestrichen, und Personal wurde abgebaut. Die Argumentation: In beiden Fällen sei das Kostenniveau zu hoch, und nur Kürzungen könnten eine Privatisierung verhindern. Harald Wolf meinte gar, dass öffentliche Unternehmen, für die die Linkspartei.PDS die Verantwortung habe, so gut wirtschaften müssten wie private Unternehmen.8 Den Beschäftigten der Charité wurde angedroht, Hunderten Kollegen betriebsbedingt zu kündigen, wenn sie nicht ebenfalls Lohnkürzungen hinnehmen würden. Außerdem erlaubte der Aufsichtsrat der Charité unter dem damaligen PDS-Senator Thomas Flierl die Ausgründung der Charité Facility Management (CFM). Die Kollegen in der CFM haben bis heute keinen Tarifvertrag. – Aushöhlung des Ladenschlussgesetzes: Das Berliner Ladenschlussgesetz wurde unter Rot-Rot zu einem der schlechtesten Ladenschlussgesetze bundesweit. Eine weitere Verschlechterung wurde durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt. – Reduzierung der Personalausstattung an Schulen und Abschaffung der Lernmittelfreiheit: Die Reduzierung der Personalausstattung auf 100 Prozent führt bei Krankheit, Schwangerschaft, Fortbildung oder Personalratstätigkeit zu sofortigem Unterrichtsausfall und hat unfreiwillige Stellenverlagerungen zur Folge. Die GEW Berlin fordert eine Personalausstattung von 110 Prozent. Außerdem wurde die Arbeitszeit für verbeamtete Lehrer um zwei Jahre erhöht. Die Lernmittelfreiheit wurde unter Rot-Rot abgeschafft. – Ausbau von Überwachung: Rot-Rot erleichterte die Möglichkeit, in allen U-Bahnhöfen und Zügen die Bevölkerung per Video zu überwachen oder bei Verkehrskontrollen zu filmen. Das ging mit der Zustimmung von Rot-Rot zum Abbau von Aufsichtspersonal auf den S-Bahnsteigen und U-Bahnhöfen durch BVG und S-Bahn einher. – Wasserbetriebe: Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes: Die Berliner Wasserbetriebe wurden unter der großen Koalition vor Rot-Rot teilprivatisiert. Den damaligen privaten Investoren Veolia und RWE wurden skandalös hohe Renditen von acht Prozent garantiert. Unter Rot-Rot wurde 2003 – trotz voriger Kritik der PDS an diesen Gewinngarantien – das Gesetz zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe novelliert, und damit wurden die Gewinngarantien für RWE und Veolia erneut festgeschrieben. Die Linke Berlin trägt dadurch Mitverantwortung für die Geheimhaltung der Verträge zur Absicherung der Profitinteressen. Die Führung der Linke Berlin fiel dann der außerparlamentarischen Initiative des Wasservolksentscheids zur Offenlegung der Verträge in den Rücken und rief (nach eigenen Angaben aus juristischen Gründen) dazu auf, beim Volksentscheid nicht mit Ja zu stimmen, sondern sich zu enthalten – obwohl es einen anderslautenden Beschluss des Landesparteitags gab. Einige haben THEMA Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 führung der individuellen Kennzeichnungspflicht beschlossen. – Bürgerhaushalte: In einigen Bezirken gibt es Bürgerhaushalte, das heißt, Bürger haben die Möglichkeit, über einen Teil der Verwendung von Geldern mitzubestimmen. Nur: Solange es nicht mehr Geld für die Bezirke gibt, führt ein Bürgerhaushalt unter diesen Bedingungen dazu, dass die Bürger lediglich entscheiden, wo mehr und wo weniger gekürzt wird. – Einführung des Berlin-Passes: Dieser ermöglicht Beziehern von Transferleistungen, den vergünstigten Eintritt bei einigen Kultur-, Bildungsund Freizeitangeboten. In bezug auf Kulturangebote wird jedoch deutlich, dass es sich eher um bürgerliche Almosenpolitik handelt. So können Inhaber des Berlin-Passes, Restkarten für Theatervorstellungen für drei Euro erwerben. Der ver. di-Erwerbslosenrat forderte schon damals die Einführung eines Anrechts auf verbilligte Tickets anstatt das Zugeständnis von Resttickets. Daraus folgt, dass die meisten der genannten Erfolge sich bei näherer Betrachtung nicht als grundlegende Verbesserung entpuppen. An real positiven, spürbaren Verbesserungen bzw. der Verteidigung des Bestehenden bleiben (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): die Beitragsfreiheit der ersten drei Kitajahre (auf Druck des Kitavolksbegehrens und nachdem Rot-Rot die Kitagebühren zuerst angehoben hatte), die Verhinderung der Privatisierung der Berliner Sparkasse (auf Druck der Bundespartei Die Linke), die Öffnung des Flugfelds Tempelhof, Bargeld statt Chipkarten für Geflüchtete und vorübergehend eigene Wohnungen statt Massenunterkünfte und Erleichterungen zur Durchführung von Volksentscheiden. Als positiv verbucht Die Linke Berlin ebenfalls für sich, dass mit dem Vergabegesetz öffentliche Aufträge nur noch an Firmen vergeben werden, die einen Stundenlohn von 7,50 Euro (seit 2010 8,50 Euro, jW) brutto zahlen. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zur ersten Legislaturperiode, in der der Senat seine eigene Post per PIN-AG verschickte, die Dumpinglöhne von 5,86 Euro brutto zahlte. Noch schlimmer ohne Die Linke? sogar öffentlich erklärt, warum man mit Nein stimmen sollte. Der Wasservolksentscheid war trotzdem erfolgreich und brachte das Misstrauen gegenüber dem Senat zum Ausdruck. – Risikoübernahme für die Fondszeichner der Bankgesellschaft: Gerlinde Schermer von der SPD-Linken, schrieb im Neuen Deutschland im Februar 2005 zu Bankenskandal und Risikoabschirmung: »Der Beschluss des Abgeordnetenhauses zur Risikoübernahme war das Eingeständnis des demokratischen Rechtsstaates, der größenwahnsinnige und kriminelle Geschäfte gewissenloser Banker nachvollzieht, den Raum öffentlichen Vermögens zugunsten Reicher legalisiert.«9 Diese Liste lässt sich fortsetzen: Zustimmung im Bundesrat zum Bankenrettungspaket und zur neoliberalen EU-Verfassung, Polizeieinsätze gegen Antifaschisten, Übergabe von zwei Dritteln der Kitas in kommunalem Eigentum an freie Träger, Abschiebungen von Geflüchteten und die Fortführung des Abschiebeknasts Grünau, Räumung alternativer Wohnprojekte, Streichungen im Kulturbereich, Kürzungen der Hilfen zur Erziehung, Reduzierung des Blindengeldes um 20 Prozent, Kürzungen von 75 Millionen Euro im Universitätsbereich, Verbot des Volksbegehrens zum Bankenskandal, Umsetzung von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs, Abschaffung des BVG-Sozialtickets und nach erheblichem Protest seine Wiedereinführung zu einem doppelt so hohen Preis, Schließung von neun Schwimmbädern. Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) Berlin kommentierte damals zu Recht in ihrem Wahlprogramm 2006: »Eine Politik, die Umverteilung von unten nach oben brav akzeptiert und umsetzt, leistet keinen Beitrag zum Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht und zur Veränderung der Kräfteverhältnisse auf Bundesebene. (…) Das ist nicht links, das ist nicht sozial – sondern neoliberale Sachzwangpolitik.«10 Die Linke Berlin bzw. einige ihrer Protagonisten wie Harald Wolf bilanzieren heute die Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaft GSW, die Kürzung des Blindengeldes, den zwischenzeitlichen Versuch des damaligen PDS-Wissenschaftssenators Flierl, Studienkontenmodelle einzuführen (die durch Studierendenproteste verhindert wurden), und einige andere Maßnahmen als Fehler. Der Großteil der Maßnahmen wird jedoch mit dem Verweis auf die Haushaltsnotlage und die »notwendigen Eigenanstrengungen« im Zuge der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf Bundeshilfen gerechtfertigt. Mit dem Scheitern der Klage vor Gericht scheiterte die gesamte Argumentation. Vermeintliche Erfolge Den weitgehenden Verschlechterungen unter RotRot, die vor allem in der ersten Legislaturperiode durchgesetzt wurden, stehen Maßnahmen gegenüber, die von der Linken heute als Erfolg verteidigt werden. Dazu ist zweierlei festzuhalten: Erstens wäre selbst dies kein Argument für das Mittragen der Verschlechterungen. Zweitens lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die – oftmals vermeintlichen – Erfolge zu werfen: – Gemeinschaftsschule: In Wirklichkeit wurde in Berlin nicht eine Schule für alle geschaffen, sondern mit Sekundarschulen neben Gymnasien die Zweigliedrigkeit des Schulwesens eingeführt. Da die Schulreform unzureichend ausfinanziert wurde, führte sie an einigen Stellen zu einer Verschlechterung für Schüler und Lehrer und einer Zusammenlegung und Schließung von Schulen. Positiv war die Abschaffung des Sitzenbleibens. – Öffentlicher Beschäftigungssektor (ÖBS): Der Stellenabbau im öffentlichen Dienst ging einher mit der Schaffung von ca. 7.000 Stellen im ÖBS. Im ÖBS werden zwei Drittel der Beschäftigten jedoch lediglich mit monatlich 1.300 Euro brutto entlohnt. Durch eine ÖBS-Tätigkeit wird kein Anspruch auf ALG I erworben, ÖBS-Beschäftigte müssen eine Wiedereingliederungsvereinbarung mit dem Jobcenter abschließen und können bei einer Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses mit Sanktionen bestraft werden. – Kennzeichnungspflicht für Polizisten: Nach zehn Jahren(!) hatte Rot-Rot endlich die Ein- Wäre es ohne Die Linke noch schlimmer gekommen? Das kann heute niemand sagen. Sicher hat Die Linke in der Regierung auch die ein oder andere Verschlechterung abgewendet. Aber das kann nicht die Tatsache aufwiegen, dass die Beteiligung der PDS/Die Linke dazu geführt hat, dass die einzige im Parlament vertretene linke Opposition massive Verschlechterungen mittrug, ihre Glaubwürdigkeit verlor und den außerparlamentarischen Widerstand schwächte. Sie bekam bei den Wahlen 2006 die Quittung und verlor absolut mit 180.000 Stimmen die Hälfte ihrer Stimmen und 9,2 Prozentpunkte. 2011 verlor sie erneut 1,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2006. Die Feststellung von Ellen Brombacher und Carsten Schulz von der Kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke von 2006 ist zutreffend: »Wir tragen und ›gestalten‹ an der Seite der Berliner SPD einen Kurs mit, der letztlich die Hasardeure des Kapitalismus auf Kosten jener schützt, die wenig besitzen oder zumindest nicht zu den wirklich Begüterten zu zählen sind. Dass wir diesen Kurs hier und da abmildern, ist in den Augen vieler, die Hoffnungen in uns setzen, viel unbedeutender, als es für sie bedeutend ist, dass wir ihn mit ermöglichen.«11 Gegen die Politik von Rot-Rot gab es vor allem in der ersten Legislaturperiode starken Widerstand von Studierenden, Lehrern, den Charité-Kollegen und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Vor diesem Hintergrund gründete sich die WASG Berlin in Opposition zum rot-roten Senat. Viele Entwicklungen wie z. B. die Privatisierung von über 100.000 Wohnungen führten genau zu dem, was die WASG Berlin damals befürchtete und vorhersah: »Hier werden die Mieten zukünftig steigen. Wohnungen in guten Wohnlagen werden privatisiert, die räumliche Spaltung der Stadt nimmt dramatisch zu. Einkommensschwache Mieter werden in die Randlagen verdrängt.«12 Der Sozialatlas Berlin 2016 hat genau diese Vorhersage erneut bestätigt. Die WASG Berlin warb damals »für einen gesellschaftlichen Aufbruch gegen Sozialabbau, Privatisierungen und Tarifflucht«, ohne die »eine andere Politik nicht möglich« ist. »Wir setzen auf Proteste, Demonstrationen und Streiks als Mittel von sozialen Bewegungen, allen voran der Gewerkschaften, um gegen die Interessen der Kapitalbesitzer, die Bedürfnisse von Beschäftigten, Erwerbslo- 13 sen, Jugendlichen und Rentnern zu verteidigen.«13 An verschiedenen Stellen hätte die PDS und später Die Linke die Möglichkeit gehabt, die Koalition zu verlassen, der SPD die Verantwortung für den Sozialabbau zu geben und gemeinsam mit außerparlamentarischen Akteuren an den Aufbau einer Gegenbewegung zu gehen. 2016: »Weiter so«? Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Heute gibt es eine gesellschaftliche Ablehnung von neoliberaler Politik und Privatisierung. Die Linke Berlin ist auch aus eigener Sicht an einigen Stellen zu weit gegangen. Dies hat sich in Teilen bereits in einem unterschiedlichen Herangehen in der ersten und zweiten Legislaturperiode gezeigt. Doch: Die grundlegende Politik von 2002 und 2011 wird noch heute gerechtfertigt, und eine erneute Regierungsbeteiligung in ähnlich staatstragender Manier wird angestrebt. Im Wahlprogramm 2016 kommt die Idee von gesellschaftlichen Protesten und Widerstand nahezu nicht vor. Dabei wurden 2015 und 2016 drei Erfolge gerade außerparlamentarisch erreicht: 1. Der bundesweit erste Tarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus wurde durch Streiks an der Charité durchgesetzt. 2. Verbesserungen im Bereich der sozialen Wohnraumversorgung wurden durch den Druck des Mietenvolksentscheids herbeigeführt. 3. Die Offenhaltung des Tempelhofer Feldes (Flugfeld des ehemaligen Westberliner Flughafens Tempelhofs) wurde in einer Kampagne der Initiative 100 % Tempelhofer Feld erstritten. Verbesserungen wurden in der Vergangenheit und werden in Zukunft nicht durch geschicktes Regierungshandeln, sondern durch Druck von unten durchgesetzt. Die Antikapitalistische Linke Berlin kommentierte am 11. März 2016: »Die These, dass Die Linke den Kapitalismus besser verwalten könne als andere neoliberale Parteien, ist falsch. (...) Die Linke würde, wenn sie nur mitspielt, statt die Bedingungen der Ausbeutung anzugreifen, überflüssig, und sie würde das Vertrauen derer verlieren, die heute noch Die Linke unterstützen. Wir müssen uns fortan von dem Gedanken lösen, dass der demokratische Sozialismus zu erreichen sei mit Anträgen und Beschlüssen im Parlament ohne gesellschaftliche Brüche und ohne eine wirkungsvolle Gegenmacht.«14 Anmerkungen: 1 Harald Wolf: »Der Staat ist kein Fahrrad. Problematiken linker Regierungsbeteiligung«, in: Luxemburg (2014), Nr. 1, S. 94–103 2 Harald Wolf: Rot-Rot in Berlin. 2002 bis 2011. Eine (selbst)kritische Bilanz. Hamburg: VSA-Verlag 2016, S. 317 3 Ebd., S. 31 4 Zitiert nach: Landesarbeitsgemeinschaft Berlinpolitik der WASG: Bilanz einer Schieflage, Fehlentscheidungen des Berliner SPDLinkspartei.PDS-Senats, Berlin 2006, S. 2 5 Oskar Lafontaine: »Alle für eine«, Tagesspiegel vom 20.6.2001 6 Joachim Fahrun: »Harald Wolf schwört Berliner PDS-Fraktion auf neuen Kurs ein«, Berliner Morgenpost vom 26.9.2004 7 Die Linke Berlin: Unser Plan für ein soziales und ökologisches Berlin, Landeswahlprogramm, www.die-linke-berlin.de/die_linke/ parteitage/5_ landesparteitag/4_tagung/beschluss/02 8 Harald Wolf: Rede auf der 4. Tagung des 10. Landesparteitags der Linkspartei.PDS, 10.6.2006 9 Gerlinde Schermer: »Offenbar nichts gelernt«, Neues Deutschland vom 7.2.2005 10 Programm der WASG Berlin zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses am 17.9.2006, S. 54 11 Ellen Brombacher/Carsten Schulz: 2006 erneut Rot-Rot in Berlin?, in: Edeltraut Felfe/Erwin Kischel/Peter Kroh: Warum? Für wen? Wohin? Sieben Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung. Schkeuditz: GNN Verlag 2005, S. 274 12 Bilanz einer Schieflage, a. a. O., S. 7 13 Wahlprogramm WASG Berlin, a. a. O., S. 6 14 Wir widersprechen! Erklärung der AKL Berlin zum Landesparteitag von Die Linke Berlin, 11.–13.3.2016, www.antikapitalistische-linke. de/?p= 1219#more-1219 Lucy Redler schrieb an dieser Stelle zuletzt am 20.3.2007 über die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit Berliner Buchpremiere »Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden«, mit: Bernd Riexinger, Lucy Redler und Ekkehard Lieberam, Moderation: Arnold Schölzel (jW); Donnerstag, 8. September 2016, Beginn 19 Uhr; Eintritt frei! Um Anmeldung zur Veranstaltung unter 0 30/53 63 55-56 oder [email protected] wird gebeten Lesen Sie morgen auf den jW-Themaseiten: Furchtbare Mediziner: Ärzte in der Nazizeit Von Ulrike Henning 14 RAT & TAT Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Rotlicht W enigstens einmal habe er doch noch als Bundespräsident beim Bund der Vertriebenen (BdV) auftreten wollen, hat Joachim Gauck gesagt. Und so war er am vergangenen Samstag der Hauptredner beim Berliner Festakt zum jährlichen »Tag der Heimat«. Der BdV ist die zentrale Organisation im Geflecht der deutschen Vertriebenenverbände. Gegründet worden ist er im Jahr 1957 als Dachverband für eine eigenartige Doppelstruktur. Zum einen gehören ihm 20 Vereinigungen an, die – wie die Sudetendeutsche Landsmannschaft oder die Landsmannschaft Ostpreußen – Flüchtlinge und Umgesiedelte aus den früheren Ostgebieten des Deutschen Reichs strikt nach ihrer Herkunft organisieren. Das erleichtert es, gegenüber den jeweiligen Herkunftsgebieten geschlossen aufzutreten – um Entschädigungsforderungen zu stellen, wie es lange Zeit gang und gäbe gewesen ist, oder auch, um sich für die Bewahrung »deutschen« Kulturguts östlich der Bundesrepublik einzusetzen. Gleichzeitig unterhält der BdV eigene Landes- und Kreisverbände. Das stärkt seine Präsenz in der Bundesrepublik. Politische Grundlage des BdV ist bis heute die 1950 unterzeichnete »Charta der deutschen Heimatvertriebenen«, in der man sich nicht entblödet, die Umgesiedelten als die »vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen« zu bezeichnen und für sie ein »Recht auf die Heimat«, einen Anspruch auf ihre Herkunftsgebiete also, postuliert. Der BdV befindet sich seit geraumer Zeit im Umbruch. Ursache ist, dass seine Mitgliedschaft drastisch schrumpft. Von denjenigen, die selbst flohen oder umgesiedelt wurden, sind nicht mehr viele am Leben, und es können sich zwar auch Jüngere als »Bekenntnisvertriebene« im BdV sowie in den Landsmannschaften organisieren, doch ist ihre Zahl ziemlich begrenzt. Unter der Führung von Erika Steinbach (CDU, 1998 bis 2014) hat der BdV sich vor allem bemüht, Vorkehrungen zu treffen, dass »Flucht und Vertreibung« auch dann im deutschen Geschichtsbewusstsein verankert bleiben, wenn die Vertriebenenverbände nur noch als Kleinorganisationen existieren werden. Diesem Ziel dienten die von Steinbach energisch vorangetriebenen Planungen für den Aufbau eines »Zentrums gegen Vertreibungen«, das nun tatsächlich von der eigens gegründeten DOMINIK WERNER/AGENCJA GAZETA/REUTERS Bund der Vertriebenen Stand dem BdV von 1998 bis 2014 vor und sorgte dafür, dass der Umsiedlung von Deutschen nach der Nazibarbarei auch heute noch als »Unrecht« gedacht wird: Erika Steinbach, die hier begleitet von Protest von dannen zieht Bundesstiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« im Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg errichtet wird. Außerdem hat die Bundesregierung auf Betreiben von Steinbach den 20. Juni, der von den Vereinten Nationen zum Weltflüchtlingstag erklärt worden ist, zum bundesweiten Gedenktag für die »Opfer von Flucht und Vertreibung« bestimmt. Auch künftige Generationen werden also konsequent mit der Umsiedlung konfrontiert – und mit der staatlichen Behauptung, diese sei »Unrecht« gewesen, man habe also bei den »Vertrei- berstaaten« wie Polen oder Tschechien zumindest moralisch etwas gut. Mit dem 2014 erfolgten Wechsel an der BdV-Spitze von Steinbach zu Bernd Fabritius (CSU) hat der Verband einen gewissen Kurswechsel eingeleitet. Mit Blick auf die kleinen, aber nach wie vor existierenden deutschsprachigen Minderheiten in Polen, Tschechien, Ungarn und weiteren Staaten östlich und südöstlich der Bundesrepublik hat Fabritius erklärt, der BdV müsse sich »weiterentwickeln zur Vertretung der Deutschen aus Ost-, Südost- und Mitteleuropa«; Medien Veranstaltungen VORSCHLAG n Hartz-IV-Falle | Di., 7.47 Uhr, DLF Auslandsjournal spezial Die Aufstockerin Zerrissenes Amerika – Reise durch ein gespaltenes Land Zu den Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit gehört es, Dinge richtig zu gewichten: Nie war die Schere zwischen Arm und Reich in den USA so groß – darüber müsste Tag und Nacht geredet werden. Matthias Fornoff, ehemaliger USKorrespondent des ZDF, ist im Wahlkampf in die USA gereist, um einen Eindruck zu vermitteln von der sozialen Spaltung des Landes. Er war in den Hamptons bei New York, wo ein Strandhaus 50 Millionen Dollar kostet – und in den Slums von Memphis, wo er auf die Frage nach dem größten Problem der Einwohner die Antwort »Hunger« bekam. Zwischen diesen Extremen liegt eine schrumpfende und verunsicherte Mittelschicht, die mit Studien- und Immobilienkrediten hochverschuldet ist und aus ihrem Einkommen oft nicht einmal mehr die Krankenversicherung finanzieren kann. In Mississippi traf Fornoff eine afroamerikanische Mutter, deren Sohn von Körpers. Warum tun sie das? Trainieren sie für ein neues Zeitalter der Menschheit? Aber Maschinen können das alles doch viel besser. Rätselhaft. HESSISCHES STADTARCHIV DARMSTADT/ARTE FRANCE NACHSCHLAG Angelika Matzen wohnt mit Ende 50 in einer Platte am Hamburger Stadtrand, bezieht seit sieben Jahren Hartz IV und steckt »gerade in einer Maßnahme drin: Ich muss lernen, mit einem PC umzugehen«. Die gelernte Bauzeichnerin kann nicht nur Excel. Ihr Verein »Computerspende Hamburg« hat 2.700 Hartz-IV-Beziehern zu einem PC verholfen. Im Jobcenter wurde sie dafür »nur ausgelacht« – die Flyer des Vereins darf sie dort nicht auslegen. Nach Hunderten erfolglosen Bewerbungen hat Matzen im Büro von Inge Hannemann, die für Die Linke in der Bürgerschaft sitzt, eine geringfügige Beschäftigung gefunden. Von 250 Euro darf sie 130 behalten. 30.000 solcher »Aufstocker« gibt es in Hamburg. Sie gelten genausowenig als arbeitslos wie Arbeitslose, die krank geschrieben oder über 58 sind, die Angehörige pflegen, in einer absurden Maßnahme stecken, oder »auf Null sanktioniert« sind. Die neuerliche Verschärfung der Sanktionen garantiert die nächsten Erfolgsmeldungen. (xre) er solle eine »Scharnierfunktion« zwischen der Bundesrepublik und den dortigen Staaten übernehmen. Was das bedeuten kann, zeigt das Beispiel des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis: Der zählt zur deutschsprachigen Minderheit in Rumänien, der auch Fabritius entstammt, und ist lange Zeit Spitzenfunktionär in deren Organisationen gewesen. Der BdV zielt nun also darauf ab, eine Art Deutschtumsnetz über Ost- und Südosteuropa zu legen. Gelingt das, erhält Berlin damit ein neues Einflussinstrument. Jörg Kronauer Das Erste, 22.45 Die Kinder entdecken Schulreformen 1918 bis 1939 Nach dem Ersten Weltkrieg gab es Versuche, andere Schulmethoden anzuwenden und den Unterricht mit Handwerk zu ergänzen: »Die Kinder entdecken« einem weißen Polizisten bei einer Kontrolle erschossen wurde. Klingt recht seriös. ZDF, 22.15 Leben am Limit: Extremsportler Sie fliegen schroffe Felsklippen entlang, tauchen ohne Sauerstoffgerät in die Tiefen des Meeres hinab und beweisen während unvorstellbar strapaziöser Radtouren eine ungeahnte Leistungsfähigkeit des menschlichen Donnerstag, 8.9.2016 , 19 Uhr Bei Schulreform denkt man an faule und besserwisserische Politiker und an Verbrecher wie Gerold Becker, den langjährigen Leiter der »reformorientierten« Odenwaldschule und Haupttäter beim dortigen Missbrauch von Schülern, und an Verbrecherversteher wie den Erziehungswissenschaftler Hartmut von Hentig. Und natürlich hat alles wie bei Jesus ganz menschenfreundlich angefangen, na ja, so halb jedenfalls. Nach dem Ersten Weltkrieg vertraten mehrere Pädagogen im traumatisierten Europa die Auffassung, dass eine friedliche Welt keine Utopie bleiben muss. In Frankreich, Deutschland, England, Polen, in der UdSSR und in Italien entwickelten Vordenker wie Maria Montessori, Célestin Freinet, Ovide Decroly oder Alexander S. Neill ein neues, gewaltfreies Schulkonzept, bei dem das Kind im Zentrum des Unterrichts steht. Arte, 23.00 ■ Berliner Buchpremiere »Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden« Mit Bernd Riexinger (Vorsitzender der Partei Die Linke), Lucy Redler (Antikapitalistische Linke), Ekkehard Lieberam (Marxistisches Forum Sachsen) Galerie • Buchhandlung • Treffpunkt Torstr. 6 • 10119 Berlin • Mo. bis Do. 11–18 Uhr, Fr. 10–14 Uhr www.jungewelt.de/ladengalerie »Wie hältst Du es mit dem Regieren?« – die Gretchenfrage der Partei Die Linke. Kein Thema wird so häufig in der Linken diskutiert, wie die Frage der Beteiligung an Regierungskoalitionen. Diskussion und Buchvorstellung. Eine Veranstaltung der Antikapitalistischen Linken und der jW-Ladengalerie. Moderation: Arnold Schölzel (jW). Eintritt frei Um Anmeldung unter 0 30/53 63 55-56 oder [email protected] wird gebeten »Wir HumaniTÄTER«. Kabarettabend mit Jane Zahn zum Thema Freihandel mit CETA und TTIP. Heute, 7.9., 19.30 Uhr, Villa Fuchs, Bahnhofstraße 25, Merzig (Saar). Eintritt 5/3 Euro. Veranstalter: ATTAC-Regionalgruppe Untere Saar »Einer von uns«. DEFA-Film über den Arbeitersportler Richard Bertram, dessen Figur biographische Züge Werner Seelenbinders trägt. Anlässlich des »Tages der Opfer des Faschismus«. Donnerstag, 8.9., 20 Uhr, Stadtteilladen Zielona Góra, Grünberger Straße 73, Berlin »Islamischer Staat – Was wollen die Gotteskrieger?« Diskussionsveranstaltung mit Prof. em. Werner Ruf. Er war Politologe an der Universität Kassel und hat sich als Friedensforscher zuletzt schwerpunktmäßig mit dem Nahen und Mittleren Osten befasst. Donnerstag, 8.9., 19.30 Uhr, Veranstaltungssaal beim CVJM, Marktstraße 150, Oberhausen. Veranstalter: Regionalgruppe der DFGVK, Friedensinitiative Oberhausen, Eine-Welt-Netz und Friedensdorf Bildungswerk »Menschenrechte in unserer Zeit«. Vortrag und Diskussion mit Prof. Buchholz am Donnerstag, 8.9., 17 Uhr, Bürogebäude am Franz-Mehring-Platz 1, Seminarraum 7, Berlin. Veranstalter: Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg »Gegen AfD und rechte Alltagskultur in Weißensee«. Kundgebung mit Infos zu den Positionen der AfD. Infostände, Reden, Musik und ein Anti-AfD-Quiz. Freitag, 9.9., 16 bis 20 Uhr, Antonplatz, Bizetstraße 25, Berlin. Infos: www.antifa-nordost.org [email protected] ANTIFA Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 15 Montag: Politisches Buch | Dienstag: Betrieb & Gewerkschaft | Mittwoch: Antifa | Donnerstag: Medien | Freitag: Feminismus | Samstag: Geschichte »Nationale Wiedergeburt« Antifaschisten mit Messer bedroht Dortmund. Die »Autonome Antifa 170« aus Dortmund wirft der Polizei vor, trotz Anwesenheit nicht eingeschritten zu sein, als der stadtbekannte Neonazi Benjamin G. politische Gegner mit einem Butterfly-Messer bedroht habe. Die Betroffenen sollen sich zuvor an einer Kundgebung beteiligt haben. Die Antifagruppe erklärte am Wochenende auf ihrer Homepage, ihr liege ein Video vor, auf dem sowohl die Klinge als auch die für das Öffnen typische Handbewegung deutlich zu erkennen seien. Auf dazu veröffentlichten Fotos ist G. von der Seite und von hinten zu sehen, auf einem ist erkennbar, wie er den »Kühnengruß« zeigt – eine an den Hitlergruß angelehnte und verbotene Erkennungsgeste der verbotenen Neonazigruppierung ANS/ NA. Die Polizei habe weder die Messerbedrohung noch den Neonazigruß geahndet, obwohl Beamte der 3. Bereitschaftspolizeihundertschaft aus Dortmund »durchweg anwesend« waren, heißt es in der Veröffentlichung. Statt Maßnahmen gegen den bewaffneten Neonazi einzuleiten, habe die Polizei G., der »eher dem Alkohol- und Drogenmilieu in der Dortmunder Szene« zuzuordnen sei, »nach einem kurzen Wortgefecht« gehen lassen. (fo) Lieber Deutsche als Muslime: Polens Rechte verbrüdern sich mit Gesinnungsgenossen aus der BRD, die das Naziregime nicht zu offen verherrlichen. Von Reinhard Lauterbach EPA/JAKUB KAMINSKI E Weniger Angst vor deutschem Großmachtstreben: Rechter Aufmarsch gegen die »Islamisierung Europas« am 6. Februar in Warschau Galionsfigur der asylrechtsfeindlichen Pegida-Bewegung, in Warschau auf einer Kundgebung »Gegen die Islamisierung Europas« zu Gast. Wenig später trat im Gegenzug der Chef der Allpolnischen Jugend, der Parlamentsabgeordnete Robert Winnicki, auf einer Pegida-Veranstaltung in Dresden auf und schloss seine Ansprache mit dem Aufruf »Habt Mut, Deutsche! Deutschland, erwache«. Dass er damit eine Naziparole im Original wiederholte, war ihm angeblich »nicht bewusst« gewesen. Dies jedenfalls erklärte er, als ihn die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita deshalb zur Rede stellte. Seine Gruppe sei zur Zusammenarbeit mit »nichtchauvinistischen« deutschen Nationalisten bereit. Als Kriterien hierfür nannte er die Anerkennung der polnischen Westgrenze, Gegnerschaft zu Liberalen und Linken und ein Eintreten für ein »deutsches« Deutschland anstelle eines multikulturellen. »Trotz der Geschichte habe ich hinter der Oder lieber Deutschland als Nachbarn als ein Kalifat.« Diese schöpferische Anwendung der Lehre Mao Tse Tungs vom Hauptund Nebenwiderspruch entspricht, grob gesagt, der allgemeinen Entwicklung des polnischen Nationalismus. Unter den unmittelbaren Nachbarvölkern Polens sind heute Litauer und Ukrainer die im rechten Milieu unbeliebtesten, gar nicht unbedingt Russen. Denn Wladimir Putin gilt in großen Teilen der polnischen Rechten als ein »nationaler Führer«, wie sie in Polen auch gern einen hätten. Deutsche hingegen müssen schon mit offener Verherrlichung des Naziregimes daherkommen, um sich in Polen unbeliebt zu machen. Wer das vermeidet, kann bei Polens Rechten mit offenen Ohren rechnen. So erwies schon 1999 da- malige NPD-Vorstandsmitglied Alexander von Webenau den polnischen Nationalisten der Vorkriegszeit seine Reverenz. »Erstmals seit 1936 sitzen deutsche und polnische Nationalisten wieder an einem Tisch«, erklärte er anlässlich eines Sommerlagers der »Nationalen Wiedergeburt Polens«. Vieles im Zweiten Weltkrieg Geschehene sei »ein schwerer Fehler« gewesen. Adam Gmurczyk vom Vorstand der »Wiedergeburt« schrieb der Zusammenarbeit mit von Webenau die Funktion zu, den deutschen Nationalismus zu »zivilisieren«. Polnische Antifaschisten, die sich zum Beispiel im Magazin Nigdy wiecej (Nie wieder) des gleichnamigen antifaschistischen Vereins äußern, rechnen damit, dass im Zeichen des gemeinsamen Feindbilds »Migranten und Muslime« die Zusammenarbeit der Rechten über die Oder hinweg mittelfristig enger werden wird. Und wieder waren es Freiwillige Berlin: Internationales Workcamp zum 80. Jahrestag der Gründung der Internationalen Brigaden in Spanien beendet. Teilnehmer unter anderem aus Spanien, der Ukraine, Russland und Pakistan S ind es hundert, zweihundert oder mehr? Wie viele ehemalige Spanienkämpfer auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, ist bisher nirgendwo exakt registriert worden. Natürlich weiß man beim Verein der »Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936–1939« (KFSR) um die Anzahl der früheren Interbrigadisten, die in der Ringmauer am Rondell beigesetzt sind – nämlich neun –, sowie um die mehr als 60 Gräber am Pergolenweg. Doch wie viele auf dem Gräberfeld der von der VVN-BdA betreuten Anlage für die Verfolgten des Naziregimes im einzelnen bestattet wurden, entzieht sich noch einer genaueren Kenntnis. Detaillierteren Aufschluss darüber erwartet der Spanienkämpferverein von dem gerade zu Ende gegangenen Internationalen Workcamp der Vereini- gung Junger Freiwilliger (VJF). Die vor zweieinhalb Jahrzehnten ebenfalls in Berlin gegründete Organisation hatte in diesem Jahr eine ihrer internationalen und interkulturellen Begegnungen in Kooperation mit KFSR extra zu diesem Thema ausgeschrieben. Anlass dazu war der im Herbst bevorstehende 80. Jahrestag der Gründung der Internationalen Brigaden, in denen zwischen 1936 und 1939 einige zehntausend Antifaschisten aus mehr als 50 Ländern dem Aufruf zur Verteidigung der von der Reaktion bedrohten Spanischen Republik gefolgt waren. Und wie einst die »Voluntarios de la Libertad«, die »Freiwilligen der Freiheit«, fanden sich auch heute Freiwillige aus etlichen Ländern zu dieser gemeinsamen Arbeit zusammen. So nutzten vom 22. August bis zum 2. September junge Menschen aus neun Ländern – aus Spanien, Russland, der Ukraine, der Tschechischen Republik, Slowenien, Italien, Frankreich, Polen und Pakistan – einen Teil ihrer Schuloder Semesterferien, um in Friedrichsfelde Gräber zu dokumentieren und sie gleichzeitig zu reinigen. Das mit den Ferien gilt allerdings nicht für Suleiman aus Pakistan. Obwohl eigentlich aus dem entferntesten Land stammend, hatte er doch den kürzesten Weg in das in Berlin-Schmöckwitz gelegene VJFCamp: Der 25jährige lebt seit mehr als einem halben Jahr in einer Flüchtlingsunterkunft in Deutschland und nutzt Möglichkeiten wie diese, um seine Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Apropos Sprache: Für Jewgeni, einen 20jährigen BWL-Studenten aus Moskau, ist es mehr als das; immerhin kam ihm die Aufgabe des Übersetzers für das Deutsche zu, denn die »Verkehrssprache« im Camp war an und für sich Englisch. Zur Geschichte des spanischen Krieges hatte er allerdings wie Suleiman und die meisten anderen Teilnehmer keinen familiären Bezug. Allein Tanit, die wie Paula und Alfonso aus Spanien gekommen war, hatte über ihre Großeltern eine Verbindung zur Spanischen Republik. Eva aus Slowenien machte sich erst vor der Abfahrt nach Berlin kundig und mit dem Thema vertraut – und war dabei in ihrer Heimatstadt auf Straßennamen gestoßen, die nach ehemaligen jugoslawischen Interbrigadisten benannt sind. Auch Kateryna aus dem ukrainischen Donezk führte nicht nur die Idee, Grabsteine zu pflegen, nach Berlin. Vielmehr nutzte sie hier die Gelegenheit, gemeinsam mit jungen Gleichgesinnten aus aller Welt Geschichte lebendig werden zu lassen und zugleich jener Menschen zu gedenken, die einst freiwillig ihr Leben für die Freiheit riskiert hatten. Peter Rau https://aa170.noblogs.org Gegenwind für spanische Neonazis EPA/TONI ALBIR/DPA-BILDFUNK nde August erschien auf dem polnischen Webportal nacjonalista.pl ein Video mit dem Titel »Manifest der deutschen Patrioten«. Der Spot warnte davor, dass infolge der Immigrationspolitik der Bundesregierung und der EU »unser Europa« sterbe. Als Hersteller war die »Identitäre Bewegung« angegeben. In Österreich ermittelt gegen sie die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf »nationalsozialistische Betätigung«. Die polnische »Bewegung für Nationale Wiedergeburt« verbreitet nicht nur Statements der »Identitären« weiter. Sie veröffentlichte unlängst auch ein Interview mit dem NPD-Vorsitzenden Frank Franz. Darin rief dieser die »polnischen Nationalisten« dazu auf, mit der NPD »gemeinsam gegen gemeinsame Feinde« zu kämpfen. Dass die NPD in Vorpommern Plakate gegen den Zuzug polnischer Einwohner aus dem benachbarten Szczecin aufhängt, ficht die polnischen Rechten offenbar nicht an. Die »Nationale Wiedergeburt« ist nicht die einzige derartige Gruppe, die Kontakte zu deutschen Rechten pflegt. Deutsche Rechtsrockbands gastieren regelmäßig in rechten Musikclubs in Polen. Anfang August wurde in der rechten Szene halbherzig konspirativ ein Konzert unter dem Motto »Polnisch-deutscher Widerstand« mit Bands aus beiden Ländern beworben – der genaue Ort sollte kurzfristig bekannt gegeben werden. Die angegebene Kontakttelefonnummer für die Veranstaltung war in Polen beheimatet. Neben den Bands »Sturmbrüder« aus dem Raum Stuttgart, »Verboten« und »Sista Bataljen« waren die polnischen Combos »LTW«, »Odwet« und »Nordica« aufgelistet. In Wroclaw verstärkten vor einiger Zeit sächsische Neonazis eine Kundgebung polnischer Fußballfans gegen die Unterbringung von Sinti und Roma aus Rumänien in städtischen Wohnungen, und die »Allpolnische Jugend« zum Beispiel hatte im Februar Tatjana Festerling, damals noch eine Barcelona. 400 Antifaschisten haben am Samstag in Barcelona gegen eine Versammlung spanischer Neonazis protestiert. Rund 40 Anhänger der rechten Splitterpartei »Democracia Nacional« (DN) hatten sich um 12 Uhr mittags im Stadtteil Gràcia, in der Nähe der von Neofaschisten betriebenen »Librería Europa« (»Europa-Bibliothek«), versammelt. Hauptredner der rechten Kundgebung war Manuel Canduela aus Madrid, Vorsitzender der DN. Antifagruppen, Anwohner aus Gràcia sowie Angehörige der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung hatten zum Protest aufgerufen. Dutzende Polizisten, darunter auch Beamte der Bereitschaftspolizei Brigada Mòbil, hielten die Antifaschisten auf Abstand. (fo) n LPG junge Welt eG Jetzt Mitherausgeber/in werden! n www.jungewelt.de/genossenschaft n [email protected] SPORT Paralympics Deutsches Aufgebot Rio de Janeiro. Mit 155 Athleten tritt der Deutsche Behindertensportverband (DBS) zu den XV. Paralympischen Sommerspielen in Rio (7. bis 18. September) an. Nominiert sind 89 Männer und 66 Frauen für die Wettkämpfe in 17 Sportarten. Älteste deutsche Teilnehmerin ist die 63jährige Leichtathletin Marianne Buggenhagen, die schon neunmal paralympisches Gold gewann. Die jüngste ist die 17jährige Schwimmerin Janina Breuer. Bis auf drei Ausnahmen sind alle deutschen Goldmedaillengewinner der Spiele in London im Aufgebot. (sid/jW) Fußball Deutsches Angebot Nürnberg. Der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB) Reinhard Grindel hat die Verteilung der Fußball-EM 2020 auf ganz Europa kritisiert und mit dem Wunsch nach einer EM 2024 in Deutschland verbunden. »Das wird ein wahrer Wanderzirkus. Es kann ja keine Stimmung in einem Land entstehen, wenn die EM zwischen England und Russland stattfindet«, sagte er am Montag abend dem Sender Eurosport. Bei der Europäischen Fußballunion (UEFA) bestehe auch deshalb der große Wunsch, »es in einem Land zu machen, das es kann, das weltoffen ist«. Dafür stehe Deutschland bereit. (sid/jW) Fußball Anpfiff in Griechenland Athen. Die griechische Fußballmeisterschaft startet am kommenden Wochenende verspätet in die neue Spielzeit. Der Streit zwischen dem nationalen Verband EPO und der Super League über Schiedsrichteransetzungen wurde beigelegt. Hintergrund der Einigung dürften die Drohungen des Weltverbandes FIFA und der Europäischen Fußballunion UEFA gewesen sein, Griechenland zu suspendieren. Die Regierung hatte den Spielbetrieb wegen Krawallen zwischen Fußballfans zunächst ausgesetzt. (sid/jW) Fußball Anranzer aus Hamburg Hamburg. Trainer Ewald Lienen vom FC St. Pauli hat die Haftbedingungen seines Spielers Joel Keller kritisiert. Entgegen einer Absprache mit der zuständigen Richterin habe der Schweizer während seines zweiwöchigen Arrestes einen speziellen Trainingsplan nicht umsetzen können. »Unter verhaltenskorrigierenden Maßnahmen stelle ich mir etwas komplett anderes vor«, sagte er. Keller war vom Amtsgericht Nürnberg wegen einer Schlägerei zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt worden. (sid/jW) Mittwoch, 7. September 2016, Nr. 209 Beinahe Kerbereske Züge Tennis ist kein Schönheitswettbewerb: Die US Open vor den Viertelfinals. Von Peer Schmitt N achdem Rafael Nadal im bisher besten Spiel der US Open gegen den 22jährigen Lucas Pouille sensationell 1:6, 6:2, 4:6, 6:3, 6:7 ausgeschieden ist, findet sich Novak Dokovic in seinem Viertel des Teilnehmerfeldes plötzlich allein unter Franzosen wieder. Neben Pouille nämlich noch Gaël Monfils und Jo-Wilfried Tsonga. Der an 24 gesetzte Pouille kann in diesen von Veteranen beherrschten Tenniszeiten als Nachwuchshoffnung bezeichnet werden. Ihm gelang bei diesen US Open das Kunststück, drei Fünfsatzmatches in Folge für sich zu entscheiden. Wieviel Kondition ihm für das Viertelfinale gegen Monfils geblieben ist, bleibt abzuwarten. Tsonga wiederum trifft auf Djokovic, dessen Viertelfinaleinzug ein schlechter Witz war. In seiner ersten Runde gab er gegen Jerzy Janowicz zwar überraschend einen Satz ab. Danach aber durfte er sein angeblich verletztes Handgelenk schonen. In der zweiten Runde sagte Jiri Vesely ab (einer der wenigen Spieler, die ihn in diesem Jahr besiegen konnten), in der dritten gab Michail Juschny bei 2:4 auf, im Achtelfinale fertigte Djokovic schließlich den ungesetzten jungen Briten Kyle Edmund 6:2, 6:1, 6:4 ab. Sein Dusel trägt beinah Kerbereske Züge. In der unteren Hälfte des Draw geht die Renaissance des großen Juan Martín del Potro weiter. Er spielt heute gegen den an drei gesetzten Stan Wawrinka. Das andere Viertelfinale bestreiten streng nach Setzliste Andy Murray (2) und Kei Nishikori (6). Bei den Damen konnte die totale Apokalypse gerade noch mal abgewendet werden. Neben Angelique Kerber, Simona Halep und Caroline Wozniacki schien auch die vierte Vorreiterin des Defensiva-Antitennis, Agnieszka Radwanska, ins Viertelfinale vorzustoßen. Die ungesetzte 18jährige Kroatin Ana Konjuh hatte etwas dagegen. Sie gewann mit atemberaubendem Offensivtennis Salud! EPA/JASON SZENES 16 glatt 6:4, 6:4. Eine gelungene Revanche für die zweite Runde in Wimbledon, als Konjuh nach vergebenen Matchbällen auf einem am Boden liegenden Ball ausrutschte, sich verletzte und 7:9 im dritten Satz verlor. Radwanska ist bei den US Open noch nie über das Achtelfinale hinausgekommen. Mehr noch, bei bisher vier Versuchen hat sie keinen einzigen Satz gewinnen können. Die Geschichte von Kerbers 6:3, 7:5-Achtelfinalsieg gegen Petra Kvitova ist in Zahlen schnell erzählt. Das Verhältnis von Gewinnschlägen zu unerzwungenen Fehlern: Kvitova 32:43, Kerber 8:8. Gelaufene Meter: Kvitova 1.146, Kerber 1.396. Das Duell war im Vorfeld als das ewige zwischen Talent und Fleiß beschrieben worden – Angriff gegen Defensive, klassischer Stil gegen »improvisiertes« Gehacke und Geschaufel. Kvitova ist natürliche Linkshänderin, Kerber antrainierte usw. In der entscheidenden Phase hatte Kvitova zudem Pech mit einer schlechten Linienrichterentscheidung. Sie beendete das Match mit einem von Zuschauerzwischenrufen provozierten Doppelfehler. Kerber hingegen war zumindest taktisch hoch überlegen. Dass ihr technisches Potential nicht an das von Kvitova hereinreicht, dürfte kein Geheimnis sein. Aber Tennis ist kein Schönheitswettbewerb, und »Winning ugly« bleibt Kerbers größtes Talent. Dass Kvitova mitten in der bisher schlechtesten Saison ihrer Karriere Scherze über ihre Nonkonformismus und ihre erklärte Trainingsfaulheit macht (»Ich bin keine Rebellin, aber die Leute sollten schon auf mich hören«) ist zwar unbezweifelbar sympathisch, hat aber auch längst etwas von Hybris. Die tschechische Nummer eins ist mittlerweile Karolina Pliskova, die sich im Achtelfinale mit Venus Williams das bisher mit Abstand beste Match der Damenkonkurrenz lieferte. Sie wehrte im dritten Satz bei 4:5 einen Matchball ab, vergab bei 6:5 dann selbst drei Matchbälle in Folge, beherrschte schließlich den von Williams’ Fehlern geprägten Tie Break. Pliskova spielt heute gegen Konjuh. Für beide ist es das Debüt im Viertelfinale eines Majors. Es gibt bei diesen US Open also in jedem Fall eine Halbfinaledebütantin. Diese wird auf die Siegerin der Partie zwischen Serena Williams und Simona Halep treffen. Verteidiger Alejandro Villoldo schoss so hart er konnte, der Ball wurde von Porras abgefälscht und krachte so in die Reusen. Was bei mir seltsame Gefühle auslöste, denn meine Exfrau heißt mit Nachnamen Porras. Aber wenn gefeiert wird, wird gefeiert. So etwas macht man, schon aus Tradition, immer auf dieselbe Weise. Erst kracht der Korken, es leidet die Decke, und neben dem Einschlag wird das Datum notiert. Die Kunst dabei ist, nicht von der Leiter zu fallen. Muss man also machen, bevor man ex-und-hopp-und-weg-jodelt und den Plastikbecher hinter sich an die Wand schmettert. Nach einer Stunde nikkerte ich mal einen Augenblick weg. Schon klingelte es. Seba Fernández staubte zum 2:1 ab und Ligüera erhöhte gleich darauf nach einem genialen Zuspiel von Tabaré Viudez zum 3:1. Nackig und ohne Puschen salutierte ich also Nacional, so wach war ich plötzlich. In solchen Momenten hat man das Gefühl, dass einem irgendein koreanischer Supermarktbesitzer ein Zwanzig-Kilo-Sachet Ketchup über die Füße kippt, aber man guckt nicht nach unten, alles auf einmal geht auch nicht. Jetzt drehten die aus Colonia noch mal auf. Der gerade eingewechselte Hober Gabriel Leyes Viera nutzte eine Viertelstunde vor Schluss im Sanktionsraum der Gastgeber den Querschläger eines Sportsfreunds namens Porras und lochte zum Anschlusstreffer ein. Das war’s. Danke für Ihre Bereitschaft zum Sinnieren, und wir treffen uns dann ja in einer Woche im selben Buchstabenschmied-Kino wieder – so Gott (Manu Ginóbili!) will. Horrido! Latin Lovers. Von André Dahlmeyer E inen wunderschönen guten Morgen! Nach dem zweiten Spieltag der uruguayischen Meisterschaft »Uruguayo Especial« im Balltreten für Jungs führen die Rampla Juniors und Juventud den Wettbewerb mit Idealpunktzahl an. Unter anderem gab es Siege von Nacional, Penarol, Sud América, Liverpool und den Wanderers; nicht zu vergessen den Betriebsausflug von Boston River zu River Plate (1:5). Nacional schlug daheim im Gran Parque Central das Team von Plaza Colonia mit 3:2. Obwohl Nacional, der Intellektuellenklub Uruguays, 75 Minuten lang klar überlegen, war wurde am Ende noch mal ordentlich gelitten – was ja das Schöne am Fußball ist, der fast alle menschlichen Erfahrungen in sich vereint. In verschiedenen Momenten des Matches sah es ZENTRALE: AKTION: ANZEIGEN: ABOSERVICE: LADENGALERIE: Herausgeberin: Linke Presse Verlags- Förderungs- und Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e. G. (Infos unter www.jungewelt.de/lpg). Die überregionale Tageszeitung junge Welt erscheint in der Verlag 8. Mai GmbH. Adresse von Genossenschaft, Verlag und Redaktion: Torstraße 6, 10119 Berlin. Geschäftsführung: Dietmar Koschmieder. Chefredaktion: Stefan Huth (V. i. S. d. P.), Arnold Schölzel (stellv.). Verlagsleiter: Andreas Hüllinghorst. »Winning ugly« bleibt Kerbers größtes Talent: Kvitova (r.) gratuliert zum Viertelfinaleinzug so aus, als würde Nacional die Gäste abschießen, was jedoch nicht geschah. Immerhin hatte sich Nacional vom peinlichen Auftreten des ersten Spieltags gegen Danubio erholt und kombinierte in der Attacke Schnelligkeit und Präzision. Verlor man den Ball, setzten die eigenen Angreifer aggressiv nach und eroberten das Runde meist ad hoc zurück. Rasch wurde Kevin Dawson, der Tormann von Colonia del Sacramento, zum Kameraliebling. Er watschte die Kugeln nur so aus seinem Privatfjord. Sebastián Rodríguez, Mittelfeldspieler von Nacional, bestimmte zu diesem Zeitpunkt alles auf dem Platz. Sein Teamkollege Sebastián Fernández verwandelte in der 19. Minute einen Strafstoß zur Führung, doch Plaza Colonia gelang nach einem Freistoß vor der Pause der Ausgleich. facebook.com/jungewelt Redaktion (Ressortleitung, Durchwahl): Wirtschaft & Soziales: Klaus Fischer (-20); Außenpolitik: André Scheer (-70); Innenpolitik: Sebastian Carlens (-26); Interview: Claudia Wrobel (-24); Feuilleton und Sport: Christof Meueler (-12); Thema: Daniel Bratanovic (-65); Leserpost: Lena Grünberg (-41/[email protected]); Bildredaktion: Sabine Koschmieder-Peters (-40); Herstellungsleitung/Layout: Michael Sommer (-45); Internet/Reportagen: Peter Steiniger (-32); twitter.com/jungewelt Druck: Union Druckerei Berlin Verwaltung GmbH. 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