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Merkel will EU neu organisieren
Drei
Wochen
vor
dem
nächsten
EU-Gipfel
in
Bratislava
hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel die Initiative an sich gerissen, die
Europäische Union nach dem Austrittsvotum der britischen Wähler neu zu
organisieren. Angesichts nahezu unüberbrückbarer ökonomischer und
politischer Differenzen zwischen den 27 Mitgliedstaaten rückt sie
dabei Fragen der inneren und äußeren Aufrüstung in den Mittelpunkt.
Eigentlich ist die slowakische Regierung, die im zweiten Halbjahr 2016
den EU-Ratsvorsitz innehat, für die Vorbereitung des Gipfels vom 16.
September zuständig, der sich mit den Folgen des Brexit befassen wird.
Großbritannien selbst ist zu diesem Gipfel nicht eingeladen worden,
obwohl es noch Mitglied der EU ist und bisher noch keinen offiziellen
Austrittsantrag gestellt hat.
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Merkel reißt das europäische Ruder an
sich
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Merkel hat nun die Vorbereitung des Gipfels völlig an sich gezogen.
Allein in dieser Woche trifft sie 15 der 27 EU-Regierungschefs, um den
zukünftigen Kurs der EU abzustecken und sicherzustellen, dass
Deutschland dabei den Ton angibt.
Den Auftakt machte am Montag ein Treffen mit dem französischen
Präsidenten François Hollande und dem italienischen Premier Matteo
Renzi auf einem Flugzeugträger vor der italienischen Insel Ventotene.
Am Mittwoch besuchte Merkel dann in Tallinn den estnischen Premier
Taavi Roivas, der unter den baltischen Regierungschefs als besonders
deutschlandfreundlich
gilt.
Am
Donnerstag
sprach
sie
in
der
tschechischen Hauptstadt Prag mit Ministerpräsident Bohuslav Sobotka
und Präsident Milos Zeman. Und am Freitag traf sie in Warschau mit der
polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydlo und den Regierungschefs
der anderen Visegrád-Staaten (Ungarn, Tschechien, Slowakei) zusammen.
Seit Freitagabend residiert Merkel auf Schloss Meseberg, dem Gästehaus
der Bundesregierung, wo sie die Regierungschefs der Niederlande,
Schwedens, Finnlands und Dänemarks empfing. Am heutigen Samstag machen
ihr die Vertreter Sloweniens, Bulgariens, Österreichs und Kroatiens
ihre Aufwartung. Für die kommenden Tage sind weitere Treffen geplant.
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Schloss Meseberg
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Der Erhalt der Europäischen Union, der nach dem Brexit-Votum akut
gefährdet ist, hat für die herrschende Klasse Deutschlands große
wirtschaftliche und strategische Bedeutung. Die deutsche Wirtschaft
setzt fast 60 Prozent ihrer Exporte innerhalb der EU ab. Die
gemeinsame Währung sorgt für einen relativ niedrigen Wechselkurs, der
deutschen
Waren
aufgrund
der
hohen
Arbeitsproduktivität
einen
Wettbewerbsvorteil in Europa verschafft und ihren Export auf den
Weltmarkt begünstigt.
Hinzu kommt, dass Deutschland versucht, mithilfe der EU sein
internationales politisches und militärisches Gewicht zu erhöhen. Das
Bemühen um eine von Deutschland dominierte gemeinsame europäische
Außen- und Sicherheitspolitik scheitert allerdings immer wieder an den
nationalen
Interessengegensätzen
innerhalb
der
EU.
Deutschlands
Streben nach europäischer Hegemonie löst heftige Gegenreaktionen aus.
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Nationalismus
Zufall?
selbst
erschaffen
oder
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Überall in Europa wachsen rechte, nationalistische Tendenzen. Weil
sozialdemokratische
und
pseudolinke
Parteien,
wie
Syriza
in
Griechenland, das Spardiktat der Europäischen Union unterstützen, sind
diese teilweise auch in der Lage, berechtigte soziale Opposition
auszuschlachten.
Das Brexit-Votum ist deshalb weniger die Ursache, als ein Symptom der
tiefen
Krise
der
Europäischen
Union.
Es
unterstreicht
die
Unmöglichkeit, Europa auf kapitalistischer Grundlage friedlich und im
Interesse der Mehrheit seiner Bevölkerung zu vereinen. Im Bemühen, die
EU zusammenzuhalten, steht Merkel nicht nur vor einem, sondern vor
einem ganzen Netz unlösbarer Gordischer Knoten. Und das Durchschlagen
eines jeden dieser Knoten ruft unweigerlich neue Konflikte hervor.
So gibt es in der Frage der Finanzpolitik schwere Differenzen zwischen
Deutschland sowie einigen mittel- und nordeuropäischen Staaten auf der
einen und Italien, Frankreich und weiteren südeuropäischen Ländern auf
der anderen Seite. Dort hat der von Brüssel und Berlin erzwungene
Sparkurs die Konjunktur völlig abgewürgt. Während der deutsche Fiskus
aufgrund der niedrigen Zinsen Rekordüberschüsse erzielt, kommen diese
Länder trotz brutaler Einsparungen aus der Verschuldung nicht heraus.
Armut und Arbeitslosigkeit erreichen Rekordwerte. Für Jugendliche gibt
es weder Arbeit noch eine Zukunftsperspektive.
Vor allem der italienische Premier Matteo Renzi steht mit dem Rücken
zur Wand. Einigen der größten Banken des Landes droht der Bankrott.
Bricht seine Regierung zusammen, würden voraussichtlich die FünfSterne-Bewegung Beppe Grillos und andere EU-Gegner Neuwahlen gewinnen.
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Beppe Grillo
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Auch in Frankreich haben EU-Gegner Zulauf. Der Front National setzt
sich für den Austritt aus der EU ein. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy,
der sich erneut um die Präsidentschaft bewirbt, fordert die Kündigung
des Lissabon-Vertrags, den er einst selbst gegen starken Widerstand
durchs Parlament gebracht hatte. Auch Ex-Wirtschaftsminister Arnaud
Montebourg, der sich um die Kandidatur der Sozialistischen Partei
bemüht, und der Vorsitzende der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, sind
gegen die EU.
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Flüchtlingspolitik spaltet die EU
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In Osteuropa hat vor allem die deutsche Forderung nach Länderquoten
für Flüchtlinge heftige Konflikte ausgelöst. Auch 25 Jahre nach der
Restauration des Kapitalismus sind diese Länder durch niedrige Löhne,
prekäre Arbeitsverhältnisse und weitverbreitete Korruption geprägt.
Die herrschenden Cliquen nutzen die Flüchtlingsfrage, um von den
sozialen Spannungen abzulenken, und verbinden sie mit der Empörung
über das arrogante deutsche Auftreten.
Bei ihrem Besuch in Prag war Merkel mit einem Pfeifkonzert und „Merkel
muss weg“-Rufen von Flüchtlingsgegnern konfrontiert. Vor ihrer Ankunft
in Warschau warf ihr der polnische Außenminister Witold Waszczykowski
öffentlich eine egoistische Außenpolitik vor. „Oft sehen wir die
Absicht, ausschließlich das eigene Ziel zu verfolgen“, sagte er der
Nachrichtenagentur dpa.
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Vor allem Polen und die baltischen Staaten beharren zudem auf einem
strikten
Konfrontationskurs
gegen
Russland.
Sie
forcieren
den
Militäraufmarsch der Nato an der russischen Grenze und lehnen jede
Lockerung der Wirtschaftsanktionen ab. Italien und Frankreich sowie
ein Flügel der deutschen Wirtschaft, der von der SPD unterstützt wird,
wollen die Sanktionen dagegen abbauen.
Merkel bemühte sich zu Beginn der Woche, das Ausmaß der Spannungen in
der EU herunterzuspielen. „Es ist eine Phase des Zuhörens, des
Verstehens, des voneinander Lernens, um die neue Balance der EU-27
richtig verstehen und entwickeln zu können“, erklärte sie und mahnte
zu Ruhe und Besonnenheit. „Wenn man das am Anfang falsch macht und da
schon nicht hinhört, sondern sofort in Aktionismus verfällt, dann
glaube ich, kann man sehr viele Fehler machen.“
Doch hinter der Pose des geduldigen Zuhörens verbirgt sich ein
scharfer Ruck nach rechts. Weil das ökonomische Fundament der EU
zerbröckelt und die sozialen Spannungen wachsen, setzt Merkel auf
innere und äußere Aufrüstung als neue Achse des europäischen
Zusammenhalts. Sie rechnet damit, dass die Angst vor sozialen
Aufständen und Erschütterungen die Regierungen zusammenschweißen wird,
wenn die EU zu einem Polizeistaat und einer militärischen Großmacht
aufgebaut wird.
Schon das Treffen mit Hollande und Renzi am Montag gab in dieser
Hinsicht den Ton an. Die Insel Ventotene war aus symbolischen Gründen
dafür ausgewählt worden, weil der Politiker Altiero Spinelli dort 1943
im faschistischen Gefängnis ein pro-europäisches Manifest verfasst
hatte. Noch symbolischer war aber der Ort, an dem das Treffen dann
fortgesetzt
wurde:
Der
Flugzeugträger
Garibaldi
zählt
zu
den
Prunkstücken der italienischen Marine und wird derzeit zur Abwehr von
Flüchtlingen im Mittelmeer eingesetzt.
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Grenzen dicht und Russland als Feind
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Merkel betonte auf der anschließenden Pressekonferenz: „Wir spüren
angesichts des islamistischen Terrors, angesichts des Bürgerkriegs in
Syrien, dass wir mehr für unsere innere und äußere Sicherheit tun
müssen.“ Daher müsse der Austausch zwischen den Geheimdiensten
verbessert, die Zusammenarbeit bei Verteidigungsfragen ausgebaut und
die Grenzschutzagentur Frontex erweitert werden.
Hollande
nannte
neben
der
Zusammenarbeit
für
einen
Wirtschaftsaufschwung den Kampf gegen den Terrorismus sowie gemeinsame
Lösung der Flüchtlingskrise als zentrale Aufgabe der EU. „Europa
sollte stärker als heute seine eigene Verteidigung in die Hand
nehmen“, sagte er.
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https://www.youtube.com/watch?v=mbrBJ4eLwC4
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Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass Politik und Medien in
Deutschland in jüngster Zeit wieder einen bedeutend schärferen Ton
gegen Russland angeschlagen haben. Die Bundeswehr führt eines der vier
Bataillone, die die Nato im Baltikum und in Polen gegen Russland
stationiert. Selbst Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der in
enger
Abstimmung
mit
der
deutschen
Exportwirtschaft
für
eine
Verbindung von militärischer Abschreckung und Dialog eintritt, wird
heftig angegriffen.
Die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP) warnte im
Juli unter der Überschrift „Bündnissolidarität ist Teil der deutschen
Staatsräson“, die „Verteidigungsbereitschaft“ dem Dialog mit Russland
zu opfern.
„Es wäre ein außenpolitisches Desaster, wenn in Deutschland die
Unterstützung für die Bündnissolidarität abnähme oder sie sogar
Wahlkampfthema würde, weil der Dialog mit Russland keine Ergebnisse
erzielt“, heißt es in dem Beitrag. „Viele Deutsche würden dann
Nachgiebigkeit gegenüber Russland fordern, während Amerikaner, Esten
oder Polen den gegenteiligen Schluss ziehen dürften. Hier ist
politische Führung gefragt.“
Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat unter der Überschrift
„Denkbare Überraschungen“ ein 87-seitiges Dossier zusammengestellt, in
dem Russland die Verantwortung für ziemlich alles unterstellt wird,
was der EU und der Nato in nächster Zeit zustoßen könnte – von einem
„Rechtsruck
in
Diskreditierung
Paris“
über
„eine
Deutschlands“,
die
facettenreiche
Erpressung
Kampagne
Serbiens
und
zur
die
Ablösung der USA als „Sicherheitspartner des Irak“ bis zum „Rückzug
aus der nuklearen Rüstungskontrolle“.
Diese Kreise sind offenbar bereit, einen militärischen Konflikt mit
der Nuklearmacht Russland zu riskieren, um den Zusammenhalt der EU und
deren Großmachtanspruch zu verteidigen. Auch die Eskalation des Kriegs
in Syrien, wo ebenfalls eine Konfrontation zwischen der Nato und
Russland droht, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.
Die Europäische Union wird immer wieder mit der „Einheit Europas“
gleichgesetzt. Merkels Offensive für innere und äußere Aufrüstung
zeigt, dass sie in Wirklichkeit eine Brutstätte des Militarismus, der
Staatsaufrüstung,
der
nationalen
Rivalitäten
und
der
Fremdenfeindlichkeit ist. Europa kann nur von unten, durch eine
sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse vereint werden – als
Vereinigte Sozialistischen Staaten von Europa.
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https://www.youtube.com/watch?v=ZMH5wdwbLQY
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