Wildforschungsprojekt Luchs, 2001

THEMA
Wildforschungsprojekt Luchs
Luchse wurden in Österreich vor rund hundert Jahren ausgerottet. In
der Grenzregion zwischen Wald- und Mühlviertel wurde der Luchs
erstmals Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre wieder vereinzelt gespürt.
Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs intensivierte sich die Zuwanderung.
Martin Forstner, Christina Wolf-Petre
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Wozu ein Luchs-Projekt?
Um die Auswirkungen des Luchses auf
seinen Lebensraum in der wiederbesiedelten Grenzregion des Wald- und Mühl-
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viertels zu untersuchen, wurde von Dipl.Ing. Martin Forstner ein Luchs-Projekt
initiiert. Dieses wird vom NÖ Landesjagdverband, dem Bundesministerium für
Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und
Wasserwirtschaft sowie der Naturschutzabteilung des Amtes der NÖ Landesregierung gefördert. Neben der Durchführung von wildökologischen und jagdlichen Erhebungen werden vor allem die
Auswirkungen des Luchses auf Forstund Landwirtschaft untersucht. Basierend auf dieser Studie wird unter Einbindung der betroffenen Grundbesitzer
und/oder deren Vertretern sowie der
Jägerschaft ein Maßnahmenkatalog für
alle vom Luchs betroffenen Interessensgruppen entworfen. Das Hauptprojektgebiet erstreckt sich entlang der Grenze
Waldviertel/Mühlviertel von der Donau
bis zur tschechischen Grenze – auf Mühlviertler Seite etwa 20 Kilometer, auf
Waldviertler Seite bis zu 40 Kilometer
parallel zur oö./nö. Grenze.
Wissenschaftliche Erhebungen
Wildökologie: Die Raumnutzung des
Luchses im Untersuchungsgebiet wird
durch direkte (z. B. Sichtbeobachtung)
und indirekte (z. B. Risse) Beobachtungen sowie die Sammlung von Hinweisen
Foto Dieter Hopf
ie Aussetzung von einigen Exemplaren in Tschechien in den achtziger
und neunziger Jahren unterstützte
die Ausbreitung über die Grenze nach
Österreich. Die Wiederkehr einer ehemals ausgerotteten Art in ihren ursprünglichen Lebensraum bleibt nicht ohne
Auswirkungen. So zeigt sich im Fall des
Luchses zum Beispiel, daß das Schalenwild sich erst wieder auf die Anwesenheit
eines natürlichen Feindes einstellen muß.
Dies führt anfangs (Zeitraum von ca.
2 Jahren) in den vom Luchs wiederbesiedelten Lebensräumen zu einem überdurchschnittlich großen Beuteerfolg der
Katze. Diese Tatsache trifft bei manchen
Jägern auf wenig Verständnis, andere
wiederum begegnen dem Luchs mit Toleranz und sehen in ihm einen Teil unserer
ursprünglichen heimischen Fauna. Aber
auch unter Landwirten wird die Rückkehr des Luchses manchmal mit Skepsis
verfolgt. Andererseits erhoffen sich
Forstleute vom Luchs eine Minderung
der Wildschäden. Welche Auswirkungen
hat der Luchs aber tatsächlich auf seinen
Lebensraum? Was ist Gerücht, was ist
Faktum?
Seit etwa
30 Jahren
besiedelt der
Luchs wieder
seinen ursprünglichen
Lebensraum
in Österreich
WEIDWERK 6/2001
anderer Beobachter dokumentiert. Zusätzlich dazu werden einige Luchse besendert und telemetriert. Die sehr exakten
telemetrischen Daten sollen weiteren
Aufschluß über die Lebensraumnutzung,
die Lebensweise, das Beutespektrum und
die Reviergrößen der Luchse im Untersuchungsgebiet geben.
Jagd: Der Einfluß des Luchses auf die
Hauptwildart der Region (Rehwild) wird
untersucht. Dazu wird ein Vergleich der
Jagdstatistik innerhalb und außerhalb des
Luchslebensraumes durchgeführt. Auch
die Fuchsstrecke wird dahingehend untersucht.
Forstwirtschaft: Zur Untersuchung des
Einflusses von Luchsen auf die Wildschadenssituation wird die Schadenssituation
auf repräsentativen Kontrollflächen innerhalb und außerhalb des Luchslebensraumes verglichen.
Landwirtschaft: Neben der Untersuchung der Risse von Weidetieren werden
auch die Lage der Weiden sowie die Absicherung der Weidetiere durch unterschiedliche Zäunungen dokumentiert
und untersucht. Ein effizientes Entschädigungssystem für Luchsschäden
wird darauf basierend entwickelt werden.
Erste Ergebnisse
Raumnutzung: Luchse sind ganzjährig
betrachtet vorwiegend in Waldgebieten
anzutreffen, halten sich jedoch zeitweise
auch auf offenen landwirtschaftlichen
Flächen und in nächster Nähe von Siedlungen und Gebäuden auf. Vor allem bei
hoher Schneelage nutzen sie gerne Forststraßen, Loipen sowie zugefrorene Teiche
und Flußläufe. Konzentrationen von
(Schalen-)Wild werden gezielt aufgesucht
und auch Hochsitze erklettert. Luchse
wurden sowohl in der Dämmerung und
während der Nacht als auch tagsüber beobachtet. Die Lebensraumnutzung ist im
Winter vor allem am Nahrungsangebot
orientiert, in der Ranzzeit zusätzlich an
den Aufenthaltsorten möglicher Partner,
und verlagert sich in der Vegetationszeit
zum Teil auch in den landwirtschaftlichen Raum.
Beutespektrum: Es wurden vermehrt
Rehwildrisse gefunden, aber auch Rotwild (vor allem Kälber) wird vereinzelt
vom Luchs erbeutet. Neben Hase zählen
WEIDWERK 6/2001
Foto Hans Kuczka
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Mit der Anwesenheit des Luchses im Revier ändert sich auch das Verhalten
des Schalenwildes – die Äsungsflächen werden häufiger gewechselt, das
Wild sichert in kürzeren Abständen und ist allgemein schwieriger zu bejagen
auch Fuchs und Marder zum Beutespektrum des Luchses. Es gibt bisher aber
keine Hinweise darauf, daß die Großkatze Fuchs und Marder als Nahrungsquelle nutzt. Als Nahrungsquelle genutzte Beute wird meist verblendet
und wiederholt genutzt, Fuchs und
Marder hingegen nicht. Die Beutetiere
werden durch Kehl- oder Nackenbiß
getötet. Beim Reh wird das Muskelfleisch
im Bereich des Schlegels bevorzugt genutzt.
Verhalten vom Luchs zum Menschen:
Der Luchs zieht sich bei Konfrontation
mit dem Menschen meist langsam und
ruhig zurück, wird er aber überrascht,
zeigt er Fluchtverhalten.
Verhalten des Schalenwildes: Das Verhalten des Schalenwildes ändert sich mit
der Anwesenheit des Luchses im Lebensraum. Wild-Konzentrationen werden gesprengt und die Äsungsflächen häufiger
gewechselt. Das Wild sichert in kürzeren
Abständen und ist allgemein schwieriger
zu bejagen. Fütterungen bleiben für
kurze Zeit unbesucht, nachdem ein Stück
durch den Luchs erbeutet wurde. Das
Schwarzwild verhält sich neutral gegenüber dem Luchs.
Nahrungskonkurrenz: Das Schwarzwild zählt zu den Nahrungskonkurrenten
des Luchses. Manchmal schon am gleichen Tag, meist aber erst nach 2 bis 3 Tagen wird vom Luchs gerissene Beute
als Nahrungsressource genutzt. Auch
Füchse, Krähen und Kolkraben wurden
an Luchsrissen wiederholt beobachtet
und gespürt.
Lebensraumsituation
Die lokal hohen Rehwilddichten bieten
dem Luchs ein reiches Nahrungsangebot.
Die Chancen für das Überleben des
Luchs-Nachwuchses sind daher gut.
Jungluchse müssen nach Auflösung der
Familie das Revier der Mutter verlassen.
Diese Zeit ist kritisch, da sich die Tiere
auf der Suche nach einem eigenen Revier
in unbekannte Gebiete vorwagen. Dabei
müssen sie Artgenossen aus dem Weg gehen und laufen immer wieder Gefahr, auf
der Straße überfahren zu werden. Hat der
Luchs aber ein unbesetztes Revier gefunden, sind seine Überlebenschancen gut.
Die Großkatze hat im Untersuchungsgebiet keine natürlichen Feinde, begrenzender Faktor für eine Luchspopulation ist
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Foto Claude Morerod
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Öffentlichkeitsarbeit
Die geschilderten Konfliktsituationen
sind klare Hinweise auf Informationsdefizite unter den Betroffenen. Das Bestreben des Projektteams ist in Zukunft daher
auch verstärkt auf sachliche Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet. Dabei soll keine
Schönfärberei betrieben werden, sondern
eine fundierte Sachinformation über die
Auswirkungen des wiederkehrenden
Luchses auf seinen wiederbesiedelten Lebensraum sowohl an den unmittelbar mit
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dem Luchs befaßten Personenkreis als
auch an die interessierte Öffentlichkeit
weitergegeben werden. Für die Jägerschaft finden im Sommer gemeinsame
Treffen zum Informationsaustausch statt,
die genauen Termine werden demnächst
im WEIDWERK bekanntgegeben.
Zukunft für den Luchs?
Der Lebensraum im Projektgebiet ist
auch heute für den Luchs sehr gut geeignet. Vielleicht kann künftig das Wissen
darüber, wie Schäden vermieden oder zumindest entschädigt werden können, aber
auch über mögliche, noch eingehend zu
untersuchende jagdliche oder forstliche
Vorteile im Luchsgebiet (Reduktion des
Fuchsbesatzes, günstigere Verbißverteilung und Wildschadensreduktion im
Wald) dazu beitragen, daß der Luchs in
der Grenzregion des Wald- und Mühlviertels sowie Südböhmens wieder dauerhaft Fuß fassen kann.
Lebensweise:
Territoriale Katze, die keine gleichgeschlechtlichen Artgenossen im Revier duldet
und Nahrungskonkurrenten (Fuchs, Marder)
tötet. Wechseltreuer Birschjäger, dessen
Jagderfolg von der Aufmerksamkeit und
Reaktionsfähigkeit der Beutetiere abhängt.
Foto Heinz Lehmann
Obwohl der Luchs nach OÖ und NÖ
Jagdgesetz als ganzjährig geschont gilt,
kam es im Herbst des letzten Jahres zum
illegalen Abschuß eines Jungluchses bei
einer Treibjagd im Mühlviertel. Auf weitere illegale Abschüsse im Wald- und
Mühlviertel sowie in Südböhmen gibt es
konkrete Hinweise. Weiters wurde ein
Jungluchs überfahren und ein geschwächter Jungluchs, der sich in einer Kastenfalle
in Hofnähe gefangen hatte, erschlagen.
Lebensraum:
Bevorzugt in deckungsreichen Lebensräumen (im Winter v. a. Wäldern, in der Vegetationsperiode auch landwirtschaftlicher
Raum) mit ausreichendem Nahrungsangebot.
Nahrung:
v. a. Rehwild, vereinzelt aber auch Rotwild
und kleinere Säuger. Beute für Nahrungszwecke wird verblendet, der Luchs kehrt
meist wiederholt zur Beute zurück.
Fortpflanzung & Jungenaufzucht:
Paarungszeit (Ranzzeit) im Februar/März
1–4 Junge werden nach 10 Wochen Tragzeit
(Mai/Juni) zur Welt gebracht
Foto Manfred Rogl
Konfliktsituationen
Kennzeichen:
Kopf-Rumpf-Länge 80–105 cm
Schulterhöhe 55–70 cm
Gewicht: 17–20 kg Luchsin, 17–25 kg Kuder
Trittsiegel ca. 7 cm
Schrittlänge 80–120 cm
Beschreibung:
Hochbeinige Katze mit individuell variabel
geflecktem Fell mit rotbräunlicher (Sommer)
bis graubräunlicher (Winter) Färbung. Charakteristisch sind der ca. 20 cm kurze Stummelschwanz mit schwarzer Spitze und die
ca. 4 cm langen Ohrbüschel (Pinsel). Das
runde Gesicht ist durch einen ausgeprägten
Backenbart gekennzeichnet.
Der Luchs
in Österreich
hat keine
natürlichen
Feinde, der
begrenzende
Faktor seiner
Population ist
das Angebot
an freien
Territorien
daher das Angebot an freien Territorien.
Wie aber läßt sich dann der in den letzten
zwei Jahren deutlich spürbare Rückgang
von Luchsbeobachtungen und -hinweisen erklären?
STECKBRIEF
Dipl.-Ing. Martin Forstner –
WWN Wildökologische, waldwirtschaftliche,
naturräumliche Planung und Beratung –
A 3925 Arbesbach, Neustiftstraße 62,
Tel. 0 28 13/72 09 – 0 664/382 04 00,
E-mail: [email protected]
http://www.wwn-forstner.at
Junge werden 4–5 Monate gesäugt und folgen der Mutter zum Riß
Trennung vom Muttertier erfolgt nach ca. 10
Monaten
WEIDWERK 6/2001