Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag POLITIK / KOMMENTAR "Aufstehen gegen Rassismus" ... und seine Eigentumsordnung (SB) "Aufstehen gegen Rassismus", heißt es am Sonnabend in Berlin. Das im März gegründete Bündnis dieses Namens umfaßt eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen, antifaschistischer Initiativen und engagierter Einzelpersonen. In seinem Aufruf zur Demonstration am 3. September richtet es sich "gegen jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus ... (S. 6) POLITIK / KOMMENTAR Ist TTIP gescheitert? Bremsen, um zu überholen (SB) Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, von seinen Gegnern auch als "Wirtschafts-NATO" bezeichnet, repräsentiert als ökonomisches Pendant zur militärischen Expansion der westlichen Mächte deren strategischen Entwurf, ihre Kapitalfraktionen in der globalen Konkurrenz mit den ... (S. 8) UMWELT / MEINUNGEN Anthropozän - menschlicher Einfluß geologisch und global (SB) Mit großer Mehrheit hat eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe dem Vorschlag zugestimmt, das geologische Zeitalter des Holozäns formal ... (S. 10) Elektronische Zeitung Schattenblick Mittwoch, 31. August 2016 poonal Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Lateinamerika Frauen und Migration - Eine besondere Herausforderung für den Schutz der Menschenrechte von Markus Plate, San José San José/Berlin, 28. August 2016, npl) Die weltweite Migration hat in den letzten Jahren in absoluten Zahlen deutlich zugenommen. Mittlerweile lebt eine Viertelmilliarde Menschen außerhalb ihres Geburtslandes. Der Anteil an Frauen für die das zutrifft, steigt beständig. Seit der Jahrtausendwende migrieren mehr Frauen als Männer. Für sie ist Migration besonders schwierig: Frauen laufen stärker Gefahr als Männer, auf ihrer Reise oder im Zielland zu Opfern von Menschenrechtsverletzungen zu werden, sie sind oft mit Kindern unterwegs oder leiden darunter, Familienangehörige daheim zurückzulassen. Dabei sind die USA oder Kanada längst nicht für alle aus Lateinamerika die Zielländer. Auch die Migrationsbewegungen vom Land in die Städte oder zwischen Ländern Lateinamerikas sind seit vielen Jahren groß. nischen Bundesstaates Veracruz. Wenn die Menschen hier nicht bettelarm sind, leben sie in sehr bescheidenen Verhältnissen. Viele junge Männer hat es in den letzten zwanzig Jahren in Richtung USA gezogen. Aber das klassische Bild von Dörfern ohne junge Männer stimmt nicht mehr. Denn immer mehr junge Frauen verlassen die mexikanische Provinz. Wie Maricela Hernández zieht es viele aber in mexikanische Großstädte, etwa nach Guadalajara, Mexiko-Stadt oder wie im Fall von Maricela, nach Monterrey. "Ich wollte meinen Eltern etwas zurückgeben, für all das, was sie mir gegeben haben. Meine Mutter hat hart gearbeitet, Bananen und Apfelsinen verkauft, alles was wir auf unserem Grundstück hatten - damit sie mir den Bus zur Schule, das Essen und Schulmaterialien bezahlen konnte. Es gab hier nichts, wo ich hätte mit mei"Ich wollte meinen Eltern nem Schulabschluss arbeiten etwas zurückgeben" können. Und meine Freundinnen, die nach Monterrey gegangen Maricela Hernández stammt aus waren, hatten plötzlich Schuhe einer Indígena-Gemeinde in der und Klamotten. Und deswegen Bergwelt im Norden des mexika- bin ich auch nach Monterrey, Elektronische Zeitung Schattenblick nicht nur für Kleidung, sondern um meiner Mutter endlich etwas zurückgeben zu können", so Maricela. Erster Job: Hausangestellte Ortswechsel: Costa Rica ist für Maria Magdalena Romero Rueda zur Heimat geworden. Magda, wie sich die Vierzigjährige der Einfachheit halber nennt, stammt aus Nicaragua, aus einem Dorf in der Provinz León. Mittlerweile ist Magda schon seit zwei Jahrzehnten in San José und erzählt: "Ich bin zuerst alleine gekommen. Mein Mann kam eine Woche später, anfangs haben wir bei meiner Schwester gewohnt, bis wir eine Wohnung hatten. Meine Tochter ist zunächst in Nicaragua geblieben. Ich habe darunter sehr gelitten. Und nach einem Jahr bin ich dann hin und habe sie auch nach Costa Rica geholt." von Veracruz bei Familien in Monterrey erlebt haben: "Andere Frauen durften sich zum Essen nicht mal hinsetzen, durften das Essen der Familie nicht anrühren sondern bekamen nur Reis und Bohnen. Ich habe stundenlang für die Familie gekocht und nichts davon abbekommen. Der Kühlschrank war voller Früchte, aber die Señora sagte, die sind für meine Kinder, wage es nicht, da was wegzunehmen. Das ist nicht in Ordnung, dass die Reichen alles haben, dich schuften lassen und dich dann so behandeln." Dabei haben Frauen wie Maricela als sogenannte Binnenmigratinnen noch den Vorteil, dass sie ganz legal überall dort in Mexiko arbeiten können, wo sie einen Job finden. Die vielen Frauen, die in ein anderes Land gehen, haben es da schon weit schwerer und setzen sich dabei erheblichen Gefahren aus. So werden aufihrem Weg durch Mexiko laut Amnesty International sieben von zehn zentralamerikanischen Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt, Täter sind Bandenmitglieder, aber auch Polizisten und Migrationsbeamte. Und auch wenn es "nur" darum geht, Migrant*innen auszunehmen, haben das organisierte Verbrechen und korrupte Staatsdiener*innen Frauen längst als lukrative Opfergruppe ausgemacht. Jahren im Süden der USA. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen hat sie das Projekt Mujeres Monarcas mitgegründet, nach den Monarchfaltern benannt, jenen Schmetterlingen, die jedes Jahr zu Millionen zwischen den USA und Mexiko migrieren. Ziel der Monarchfrauen ist es, in den USA Unterstützungsnetzwerke aufzubauen und Weiterbildungskurse für Frauen anzubieten, so Yolanda: "Viele Frauen haben ohnehin schon Angst, im Falle von Gewalt Hilfe zu suchen. Aber wenn in einem Land eine andere Sprache gesprochen wird, dann ist das noch viel schlimmer. Dann das Geld. Wir Frauen kümmern uns erst um unsere Kinder und unsere Eltern, bevor wir an unsere eigene Gesundheit oder unsere Rechte denken. Wir werden schlechter bezahlt als Männer, arbeiten länger, haben oft keine Versicherung und ständig Angst vor Razzien. Oft sind die Kinder in den USA geboren und folglich US-Staatsbürger. Die Eltern sollen aber abgeschoben werden. Das Kind kann dann zur Adoption freigegeben werden, wenn ein Richter meint, die Eltern gehörten abgeschoben, aber das Kindeswohl sei in den USA besser gewährleistet. Das ist das Szenario, das Frauen und Müttern am meisten Angst macht." Was haben Maricela und Magda gemein? Ihr erster Job in der neuen Stadt oder dem neuen Land ist oder war eine Anstellung als Hausangestellte. Das gilt für die Mehrheit migrierender Frauen egal ob sie nun in ihrem Land aus der Provinz in die Städte, von Nicaragua nach Costa Rica oder in die USA migrieren. Die Migration ist der Grund, weshalb in weiten Teilen Lateinamerikas auch Mittelschichtfamilien jemanden haben, der für wenig Geld für sie Sprachbarriere bei Migration "Armut ist zunehmend weiblich" putzt, wäscht, kocht, aufräumt. in die USA Die Migrationsursachen sind In den USA, dem Hauptzielland vielfältig. In Mexiko, Guatemala, Lukrative Opfergruppe lateinamerikanischer Migration, Honduras und El Salvador fliehen kommt zu all diesen Problemen Menschen vor der ausufernden Gedankt wird es den Frauen oft und Diskriminierungserfahrun- Gewalt oder der Korruption. nicht. Im Gegenteil: Maricela gen noch die Sprachbarriere hin- Doch nach wie vor sind es Armut Hernández berichtet, was Freun- zu. Die gebürtige Mexikanerin und Perspektivlosigkeit, die Mendinnen ihres Dorfes in den Bergen Yolanda Sorayda lebt seit vielen schen zum Migrieren zwingen. Seite 2 www.schattenblick.de Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Amanda Villatoro vom gesamtamerikanischen Gewerkschaftsbund CSA setzt dies in Beziehung zur Migration von Frauen. Denn alte Rollenkonzepte gelten auch und gerade bei der Migration nicht mehr: Mittlerweile sind viele Frauen, ob alleinerziehend oder nicht, Familienvorstand und tragen die finanzielle Verantwortung für ihre Kinder. "Wenn wir von Armut als Migrationsursache reden, dann ist das sehr klinisch formuliert. Armut ist zunehmend weiblich. Deswegen migrieren mittlerweile mehr Frauen als Männer. Meist lassen sie das zurück, was sie am meisten lieben: Ihre Kinder, ihre Familie. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Arbeit schaffen und dass Arbeitsrechte erfüllt werden - gerade für Frauen. Und wir als amerikanischer Gewerkschaftsbund arbeiten hart daran, gerade auch die Rechte von migrantischen Arbeiter*innen zu stärken," so Amanda. Astradomes - Unterstützung und Empowerment für migrantische Hausangestellte in Costa Rica Costa Rica ist das Hauptzielland nicaraguanischer Migration. Drei Viertel aller Nicht-Costa-Ricaner*innen stammt aus Nicaragua. Schon laut offiziellen Zahlen ist fast ein Zehntel der Bevölkerung Costa Ricas im nördlichen Nachbarland geboren. Es dürften deutlich mehr sein. Die Mehrzahl von ihnen sind Frauen. Und für viele, wie für Maria Teresa Gutiérrez aus Granada, ist die Arbeit in Privathaushalten die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Maria Teresa hat ein Jahrzehnt in Mi, 31. August 2016 Angst und Schweigen gelebt, bis Der Text ist lizenziert unter Creative ihr klar wurde, dass auch irregu- Commons Namensnennung-Weiterläre Migrantinnen Rechte haben. gabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. Heute ist sie Vizepräsidentin der https://creativecommons.org/licenVereinigung der Hausangestell- ses/by-sa/4.0/ ten, Astradomes. Deren Arbeit für Migrant*innen gilt als vorbildlich. Sie umfasst Angebote zur Sensibilisierung, Weiterbildung und Stärkung des Selbstbewusstseins von Frauen, dazu politische Arbeit, Prozesshilfe und die Information der breiten Öffentlichkeit. Sie erzählt: "Anfangs hast du Angst auf die Straße zu gehen, vor der Polizei, vor den Migrationsbehörden. Du hörst von Kolleginnen, die mies behandelt wurden. Heute weiß ich, dass wir Rechte haben. Dass auch Irreguläre das Recht auf einen 8-Stunden Tag, auf einen freien Wochentag und aufUrlaub haben. Aber es gibt viele Frauen, die dieses Gesetz nicht kennen. Das nutzen viele Arbeitgeber aus. Wir von Astradomes kämpfen für die Rechte von migrantischen Hausangestellten und leisten viel Informationsarbeit. Mir macht heute niemand mehr weis, dass ich keine Rechte hätte. Ich bin Ausländerin, aber ich bin vor allem ein Mensch. Und Menschen haben Rechte, egal, aus welchen Gründen, unter welchen Bedingungen und wohin wir auch immer migrieren." Der Audiobeitrag zu diesem Artikel kann angehört werden unter: https://www.npla.de/podcast/immer-mehr-frauen-auf-der-flucht/ URL des Artikels: https://www.npla.de/poonal/frauen-und-migration-eine-besondere-herausforderung-fuer-denschutz-der-menschenrechte/ www.schattenblick.de Quelle: * poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin Telefon: 030/789 913 61 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.npla.de http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/soziales/ psfra638.html SCHACH - SPHINX Muntere Bauernburschen (SB) Ach, wie froh und königlich zufrieden wäre der französische Meister und Theoretiker Philidor gewesen, wenn er 1940 in New York in der Partie zwischen Marshall und Ragosin die Anwendung seines obersten Lehrsatzes mit eigenen Augen hätte sehen können. Leider war er zu dem Zeitpunkt lange schon tot und begraben. Doch daß der Bauer die Seele des Schachspiels sei, davon hätte er sich wahrlich überzeugen können, denn Marshall zog elfmal hintereinander seine Bauern vor und, man staune, gewann damit. Dabei kommen gar nicht einmal so selten in der Turnierwelt derartige Bauernvormärsche vor. Die Theorie rümpft über solche Maßlosigkeit natürlich die Nase und verweist mit Tarraschscher Dogmatik auf die Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick gesunde Entwicklung der Figuren. Und außerdem, wie sollten die Bücher füllenden Theoretiker auch sonst ihr Brot verdienen? Indes, das Schachspiel bietet mehr als nur spanische oder sizilianische Gefilde. Für Neulandsucher und Pioniere gibt es aufdem Mutterboden der Schachkunst noch vieles zu entdecken, was bisher noch niemandes Aufmerksamkeit fand. Warum also nicht den seligen Geist Philidors beglücken und mit Bauern siegen. Einen Offiziersaufstand braucht wohl nur derjenige zu fürchten, der ohne Seele ist. Wie mächtig solch ein Knirps von einem Bauern sein kann, beweist das heutige Rätsel der Sphinx. Meister Kopajew hatte seinen Philidor of- fensichtlich gründlich studiert. AlAuflösung des letzten so, Wanderer, alle Macht den BauSphinxRätsels: ernburschen, und wo es nicht ausreicht, opfert sich eben auch noch Der weiße König hätte sich mit eine blaublütige Dame. Wie ge- dem Rückzug 6.Kc2-c1! zufriewann Weiß? dengeben sollen, denn mehr als ein Dauerschach hätte Morphy nicht zur Hand gehabt, weil nämlich 6...Ld6xb4? 7.c3xb4 Tb8xb4 8.Dd2-g5 Da4-a3+ 9.Kc1- d2 Tb4-b2+ 10.Kd2-e1 Tb2xe2+ 11.Ke1xe2 Da3-f3+ 12.Ke2-e1 Df3xh1+ 13.Dg5-g1 an fehlenden Angriffsoptionen zugrundegegangen wäre. Kopajew - Alatorzew UdSSR 1957 http://www.schattenblick.de/ infopool/schach/schach/ sph05943.html POLITIK / WIRTSCHAFT / MEINUNG Internationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin Gabriels Nein zu TTIP ist billig von Justus von Daniels [1] für CORRECT!V [2], 30. August 2016 Berlin 30.08.2016. Sigmar Ga briel will die Stimmen der SPD Basis retten, nicht den deutschen Verbraucher. Sein Nein zu TTIP ist fadenscheinig und arrogant. Denn nicht Gabriel verhandelt über TTIP, sondern die EU Kommission. De facto ist noch gar nichts gescheitert. Der deutsche Wirtschaftsminister will mit einem Handstreich eine Verhandlung für beendet erklären, an der auch 27 andere EU-Länder beteiligt sind. Das ist zunächst ziemlich arrogant. Aber es zeigt vor allem seine große Not mit den Freihandelsabkommen. Sigmar Gabriel wollte die Botschaft unbedingt unters Volk bringen. Obwohl er in einem Interview mit dem ZDF am Sonntag [3] gar nicht nach TTIP gefragt worden war, sagte er: "TTIP ist de facto gescheitert." Im Interview sollte Gabriel eigentlich erklären, wie die SPD zu Ceta steht, dem Handelsabkommen mit Kanada. Das Abkommen ist fertig verhandelt, Deutschland hat in der EU seine Zustimmung versprochen. Jetzt Seite 4 www.schattenblick.de droht die SPD auf dem Parteikonvent im September [4] mit einem Beschluss gegen das Kanada-Abkommen. Für den deutschen Wirtschaftsminister wäre es höchst peinlich, wenn er sich aufgrund eines Parteibeschlusses am Ende gegen Ceta stellen müsste. Umgekehrt wäre seine Zeit als SPD-Vorsitzender gezählt, würde er Ceta gegen den Willen der Parteibasis durchboxen. Dafür opfert er jetzt scheinbar das TTIP-Abkommen. Er will damit die SPD-Basis für die Ceta-Entscheidung gnädig stimmen. Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Gabriel drückt sich Gabriels Begründung gegen TTIP ist fadenscheinig. Nach 14 Verhandlungsrunden bewege sich nichts, man wolle sich nicht den amerikanischen Bedingungen unterwerfen, sagt Gabriel. Dass die Verhandlungen zäh sind, weiß Gabriel seit Langem. Die Verhandler haben die EU-Staatschefs im Juli ermahnt, dass die großen Konflikte nur auf politischer Ebene ausgeräumt werden können. Gabriel lässt dies mit seiner Aussage aber erst gar nicht zu. Die EU-Handelsminister treffen sich Ende September. Dort sollten eigentlich die Weichen gestellt werden. Gabriel wollte nicht warten, wollte nicht die harte politische Arbeit machen. Er drückt sich. Das Nein zu TTIP geht allein an die SPD-Basis. Je größer Gabriel den Unterschied zwischen Ceta und TTIP macht, desto eher hofft er darauf, dass die Genossen ihm bei Ceta folgen werden. Ceta, so Gabriel, sei mit einer sozialliberalen kanadischen Regierung verhandelt worden. Kein Grund zur Sorge also. TTIP sei anders, da wollten die USA keine Kompromisse, sagt Gabriel. Das ist populistisch. Ein stillschweigender Plan? [4] https://www.spd.de/service/termine/ Wenn der Wirtschaftsminister [5] https://correctiv.org/ nun offiziell die Regierungslinie [6] https://correctiv.org/ttip verlässt, müsste ihn die Kanzlerin Text steht unter der Lizenz Creaeigentlich entlassen. Oder ist sein Der Commons 4.0 Spiel gar nicht so riskant? Gibt es tive http://creativecommons.org/licenvielleicht einen stillschweigenden ses/by/4.0/ Plan? Gabriel prescht in der EU mit seiner Ablehnung vor, hinter * der sich die Kanzlerin nun ge- Quelle: meinsam mit der ebenso skepti- Internationale Presseagentur Presschen französischen Regierung senza - Büro Berlin Johanna Heuveling verstecken kann. E-Mail: johanna.heuveling@presEin Sieg der Kritiker ist das vor- senza.com läufige TTIP-Nein Gabriels je- Internet: www.pressenza.com/de denfalls nicht. Die Kritiker wollen beide großen Verträge verhindern, TTIP und Ceta. Sie wollen die Struktur von internationalen Handelsverträgen verändern. Gabriel dagegen will vor allem seinen Kopf retten. Über den Autor Die Reporter Justus von Daniels und Marta Orosz recherchieren langfristig für CORRECT!V [5] zu den internationalen Freihandelsabkommen TTIP und Ceta. Seit Anfang 2015 haben die beiden bereits zahlreiche Berichte, Analysen und Enthüllungen verDe facto ist mit Gabriels Aussage öffentlicht [6]. noch nichts gescheitert. Denn nicht die SPD verhandelt über TTIP, sondern die EU-Kommissi- Anmerkungen: on im Namen der Bundesregie- [1] https://correctiv.org/correctiv/rerung und 27 weiterer EU-Staaten. daktion/team/justus-von-daniels/ Nur die EU-Kommission kann die [2] https://correctiv.org/recherVerhandlungen offiziell beenden. chen/ttip/blog/2016/08/29/gabrielsGabriel legt es mit diesem Satz nein-zu-ttip-ist-billig/ deshalb sogar auf ein Scheitern [3] http://www.zdf.de/ZDFmediader großen Koalition an. Denn er thek/beitrag/video/2822508/ZDFstellt sich mit seiner Aussage ge- Sommerinterview-mit-Sigmargen die Politik der Bundeskanzle- Gabriel#/beitrag/virin, die zu TTIP zwar kaum etwas deo/2822508/ZDF-Sommerintersagt, es aber immer unterstützt. view-mit-Sigmar-Gabriel Mi, 31. August 2016 www.schattenblick.de http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/wirtsch/ pwmg0058.html IMPRESSUM Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. 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Als Trägerin derartiger reaktionärer und feindseliger Einstellungen wird insbesondere die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) genannt, die am darauffolgenden Sonntag bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern anstrebt, stärkste Fraktion im Schweriner Landtag zu werden. (SB) 30. August 2016 Obwohl die mit rechtspopulistischen und deutschnationalen Forderungen aufwartende Partei erst seit drei Jahren existiert, stehen die Chancen, daß ihr dieser spektakuläre Erfolg gelingt, nicht schlecht. Das Konzept der sogenannten Volksparteien CDU/CSU und SPD, rechts von ihnen situierte Parteien durch das Besetzen der Felder, auf denen sie Mehrheiten gewinnen könnten, unter der Sperrklausel von fünf Prozent zu halten, ist offensichtlich gescheitert. Zwar konnten die maßgeblich von Unionsparteien und Sozialdemokraten gebildeten Bundesregierungen die EU erSeite 6 folgreich als Expansionsraum deutscher Hegemonialinteressen nutzen und die fundamentale Krise des kapitalistischen Weltsystems weitreichend zu Gunsten deutscher Unternehmen wenden, doch das muß keineswegs so bleiben. geblich auf Kosten der biodeutschen Bevölkerung leben, erfolgreich aufgegriffen. Dies kam insbesondere im rechten Dunstkreis jener Volksparteien gut an, aus denen sich auch maßgebliche Akteure der AfD-Führung rekrutieren. Als der SPD-Politiker Thilo Sarrazin vor sechs Jahren mit seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" den bis dahin partiell noch von gesellschaftskritischen Forderungen bestimmten Krisendiskurs eine bevölkerungspolitische und kulturalistische Stoßrichtung gab, vollzog er eine ideologische Wendung, die in der globalen Krisenkonkurrenz stets virulent ist. Die AfD, die dank dieser mit viel medialem Widerhall prächtig aufgegangenen Saat nun reiche Ernte halten kann, ist keineswegs aus dem Nichts oder als Trojanisches Pferd neonazistischer Gruppen entstanden. Sie ist genuines Produkt gutbürgerlicher Besitzstandsinteressen und hat eine mittelständische Klientel, die zwar Abstiegsängste kennt, häufig aber noch im Saft arrivierter Versorgungs- und Einkommensstrukturen steht. Daß CDU/CSU und SPD die neue Konkurrenz fürchten müssen, ist, wie nicht nur die sozialdemokratische Herkunft Sarrazins belegt, zu einem Gutteil der eigenen Politik geschuldet. Neoliberalismus und Sozialdarwinismus sind bis weit in rot-grüne Kreise hinein keine Fremdwörter, sondern legitime Strategien zum Erreichen konkreter Wachstumsziele und Wettbewerbsvorteile. Im Unterschied zur AfD bleibt das kulturalistische Ressentiment, das dort insbesondere im antimuslimischen Rassismus manifest wird, bei den etablierten Parteien jedoch meist unter der Decke des freiheitlich-demokratischen Wertekanons. Das sieht in der exekutiven Praxis der EU-europäischen Flüchtlingsabwehr und der deutschen Beteiligung an imperialistischen Kriegen durchaus anders aus, doch läßt die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland und seine höchst profitable Integration in den globalisierten Kapitalismus bislang keinen offenen Bruch mit humanitären Zielen und grundlegenden Menschenrechten zu. Was als EU-kritisches Projekt gegen die deutsche Steuerzahler angeblich schröpfende Alimentierung südeuropäischer Krisenstaaten begann und damit Gläubigerinteressen bediente, die eher nicht die der aufArbeitseinkommen angewiesenen Bevölkerung sind, Indem die AfD dies zwar nicht hat die von Sarrazin betriebene formal, aber inhaltlich tut, wähAbrechnung mit Gruppen, die an- rend sie keine Einwände gegen www.schattenblick.de Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick neoliberalen Leistungsrassismus und den marktwirtschaftlichen Workfare-Staat geltend macht, bindet sie diejenigen Teile der Bevölkerung in das Projekt des deutschen Imperialismus ein, die seinem EU-europäischen Format und seinen transnationalen Akteuren nicht zutrauen, dauerhaft die eigenen Besitzstandinteressen zu garantieren. Im Ergebnis stärkt die neue Rechtspartei das Handlungsvermögen deutscher Kapital- und Funktionseliten, den Anteil der Lohnabhängigenklasse am Nationalprodukt weiter zu verringern und die Kapitalproduktivität dementsprechend zu steigern. Das ist nicht nur aus Gründen der ohnehin erforderlichen Bestandssicherung und eines Krisenmanagements, das sich unverkennbar in Richtung permanenter Ausnahmezustand bewegt, erforderlich, sondern erhält vor dem Hintergrund der unter dem Titel Industrie 4.0 propagierten Rationalisierungsoffensive zukunftsweisende Bedeutung. Die anstehenden Sozial- und Verteilungskämpfe werden auch diejenigen Teile der deutschen Bevölkerung, die sich dünken, qua Geburtsrecht privilegierter als 90 Prozent der Weltbevölkerung zu sein, nicht verschonen. Indem die AfD den Klassencharakter der herrschenden Eigentumsordnung nicht einmal symbolisch attackiert und allen daraus erwachsenden Unmut gegen den fremden, nicht der nationalen Schicksalgemeinschaft zugehörigen Menschen wendet, bietet sie sich als Bündnispartner für einen noch entfesselteren, globale Ressourcenplünderung und deren militärische Flankierung mit großer Selbstgerechtigkeit vollziehenden Kapitalismus an. Den von der Mi, 31. August 2016 AfD, den der Partei zuarbeitenden Bewegungen Pegida und Hogesa und einer rechtspopulistischen Presse, die mit ihren Print- und Online-Ausgaben Hunderttausende Menschen erreicht, propagierte Islamfeindlichkeit als bloßen Auswuchs ethnizistisch-biologistischer NS-Ideologie zu verstehen hieße, den ihr eigenen Modernisierungs- und Innovationsschub zu verkennen. So beerbt der europaweit Furore machende antimuslimische Rassismus zwar die mörderischen Ideologien christlicher Suprematie und europäischer Kolonialherrschaft, propagiert mit dem Alleinvertretungsanspruch liberalkapitalistischer Vergesellschaftung allerdings auch die ideologische Voraussetzung für einen weltweit organisierten Geschäftsbetrieb, von dem derjenige am meisten hat, der aufgrund seiner globaladministrativen Dominanz in der Lage ist, seine politischen und rechtlichen Bedingungen zu diktieren. Wie die große soziale Bewegung gegen Freihandelsabkommen mit der Forderung nach einem gerechten Welthandel auf halbem Wege haltmacht [2] oder der breite Aktivismus gegen ökologische Zerstörung und Klimawandel die notwendige Konsequenz scheut, die soziale Frage in den Mittelpunkt zu stellen und kapitalistische Verwertung als solche zum Problem destruktiven Verbrauchs zu erheben, so könnte der antirassistische Kampf auf der Strecke einer gesellschaftlichen Teilhaberschaft bleiben, die seine uneingeschränkt zu unterschreibenden Forderungen korrumpieren. Was bedingt den massiven Zulauf, den rechtspopulistische bis rechtsradikale Bewegungen und Parteien in den letzten Jahren genießen, an www.schattenblick.de allererster Stelle? Es ist die imaginierte wie echte Angst, im Verteilungskampf zu kurz zu kommen und Privilegien einzubüßen, die bisher so selbstverständlich in Anspruch genommen wurden, daß gar nicht erst gefragt wurde, was die eigene Beteiligung an einer Welt ausmacht, in der Milliarden Menschen unter akutem Mangel an guten Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, angemessener Wohnung und Freiheit von Unterdrückung leben. Scheitert schon die klassisch linke Position, die Gleichheit sozialökonomischer Bedingungen weltweit durchzusetzen, daran, daß viele Menschen dem wenigen, was sie sicher zu haben meinen, dem revolutionären Anspruch auf grundlegende Gesellschaftsveränderung gegenüber den Vorzug geben, so verschärft sich das Verhältnis zwischen relativ gesichertem Überleben und akuter Not heute durch Krisen, die im Unterschied zu früheren Epochen in globaler Synchronizität verlaufen, so massiv, daß bislang vorhandene Fluchträume zusehends verschlossen werden. Die 60 Millionen Flüchtlinge dieser Tage machen auch hierzulande unmißverständlich klar, daß das Glück im globalen Winkel in sein unter diesen Verwertungs- und Produktionsbedingungen unumkehrbares Endstadium getreten ist. Gegen den Rassismus von AfD und Konsorten anzutreten greift desto tiefer, als die Bedingungen nationaler, ethnischer, religiöser, geschlechtlicher und kultureller Ausgrenzung und Benachteiligung ohne Rücksicht auf eigene Vorteile analysiert und kritisiert werden. Daß dies bei BündnisSeite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick partnern, die neoliberale und grünkapitalistische Politik betreiben, eher nicht der Fall ist, liegt auf der Hand. Die von linksradikalen Aktivistinnen und Aktivisten angestoßene Diskussion um die Wirksamkeit und Korrumpierbarkeit eines solchen Bündnisses ist daher von zentraler Bedeutung, auch wenn sie nur marginal erscheint. Sie antizipiert eine Positionsbestimmung, die unausweichlich ist, wenn soziale und gesellschaftliche Kämpfe auch in Zukunft emanzipatorische Ergebnisse zeitigen sollen. Am 3. September in Berlin zu demonstrieren ist allemal sinnvoll, und sei es nur, um im Rahmen des Bündnisses "Aufstehen gegen Rassismus" Positionen stark zu machen, für die es in der Bundesrepublik durchaus Potential gibt. Wenn die Gewißheit, daß der Schmerz erlittener Ohnmacht und Vernichtung alle Eigentumsansprüche aufhebt, die gegen andere Menschen und Lebewesen gerichtet werden können, um sich greift, dann bleibt die Zukunft offen und die Barbarei ist noch zu verhindern. Anmerkungen: [1] https://www.aufstehen-gegenrassismus.de/3-september/ [2] BERICHT/083: TTIP Nein danke - Innovativverwertung humaner Ressourcen ... (1) (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0083.html http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/kommen/ herr1729.html Seite 8 POLITIK / KOMMENTAR / RAUB Ist TTIP gescheitert? - Bremsen, um zu überholen (SB) 30. August 2016 Das Trans- atlantische Freihandelsabkommen TTIP, von seinen Gegnern auch als "Wirtschafts-NATO" bezeichnet, repräsentiert als ökonomisches Pendant zur militärischen Expansion der westlichen Mächte deren strategischen Entwurf, ihre Kapitalfraktionen in der globalen Konkurrenz mit den sogenannten BRICS-Staaten in die Offensive zu bringen. Im Versuch, die Ideologie des Freihandels in den Rang eines unabweislichen Leitmotivs zu erheben und entsprechende Abkommen durchzusetzen, drängen staatliche Sachwalter hegemonialer Zugriffsentwicklung darauf, dem Kapital neue Profitmöglichkeiten zu erschließen, indem Bereiche der Gesellschaft in privatwirtschaftliche Profitmaximierung überführt werden, die dieser zuvor nicht zugänglich waren. So fundamental diese Interessen angesichts der Verwertungskrise des Kapitals auch sein mögen, lassen die inneren Widersprüche des ökonomischen Brückenschlags über den Atlantik zwangsläufig Risse in der Konstruktion aufbrechen. Zum einen sind die Europäische Union, die USA und Kanada nicht nur Handelspartner, sondern zugleich Konkurrenten auf dem Weltmarkt. So ist beispielsweise aus US-amerikanischer Perspektive das bereits geschlossene pazifische Freihandelsabkommen TPP wesentlich wichtiger als die europäische Ergänzung TTIP, als deren eigentlicher Motor die EU anwww.schattenblick.de zusehen ist. Auch werden in den USA sehr viele Aufträge lokal vergeben, was gegen die WTORichtlinien verstößt und der Praxis innerhalb der EU zuwiderläuft. Zum anderen sind die nationalen Kapitalfraktionen kein monolithischer Block, sondern verfolgen nicht selten divergierende, mitunter sogar einander widersprechende Zielsetzungen, was ihre internationale Präsenz betrifft. Auch können kleine und mittelständische Unternehmen hinsichtlich der geplanten Freihandelsabkommen durchaus zu anderen Schlüssen als große Konzerne gelangen. Beispielsweise versucht die USamerikanische Agrarlobby im Rahmen der TTIP-Verhandlungen, die Gentechnikfrage in den Mittelpunkt zu stellen, da sie gentechnisch verändertes Saatgut und gentechnisch veränderte Lebensmittel großflächig in der EU verkaufen will. Für die europäische Saatgutindustrie ist Gentechnik jedoch längst nicht so wichtig, zumal eine starke Verbraucherschutzbewegung im Namen von Millionen Menschen Gentechnik in diesem Sektor fundamental ablehnt. Umgekehrt möchte das verarbeitende Gewerbe in Deutschland, das zu den weltweit exportoffensivsten gehört, die bereits in der EU durchgesetzten Standards auch auf die USA übertragen. Das fürchtet jedoch das dortige verarbeitende Gewerbe, weil das hochproduktive deutsche Kapital noch stärker auf den USamerikanischen Markt drängen Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick und die Konkurrenz verschärft nach, es gebe für diese Verhandwürde. lungen keine politische Unterstützung Frankreichs mehr. Grund sei Angesichts dieser Gemengelage, "die derzeitige Einstellung der für die sich zahlreiche weitere USA". Europa schlage viel vor Beispiele einander widerspre- und bekomme im Gegenzug chender Partialinteressen anfüh- "kaum etwas". Daher wolle ren ließen, kommt den Gewerk- Frankreich im kommenden Moschaften, Umwelt- und Sozialver- nat die EU-Kommission aufforbänden, vor allem aber der Bewe- dern, die Verhandlungen zu stopgung gegen die Freihandelsab- pen und einen "Neustart" einzukommen, die in Deutschland stär- leiten. [2] ker als als irgendwo sonst in der EU Flagge zeigt, eine entschei- Wie die französische Regierung dende Bedeutung zu. Sollte es ih- lehnt auch Gabriel Freihandelsabnen gelingen, diese Risse zu ver- kommen als solche keineswegs tiefen und die Deutungsmacht der ab, die er sogar ausdrücklich beTTIP-Befürworter in der öffentli- fürwortet: Deutschland setze sich chen Diskussion zu brechen, setzt als exportorientierte Nation für dies die politischen Entschei- Freihandel ein. Als positives Beidungsträger unter Druck, Aus- spiel nennt er das Freihandelsabweichmanöver oder einen takti- kommen CETA mit Kanada, das schen Rückzug einzuleiten, um fertig ausgehandelt ist und ganz die Freihandelsabkommen nicht ähnliche Bestimmungen wie komplett gegen die Wand zu fah- TTIP enthält. Bei seiner Spiegelren. fechterei geht es dem Wirtschaftsminister offensichtlich darum, das So hat Bundeswirtschaftsminister Abkommen mit Kanada zu retten, Sigmar Gabriel im Sommerinter- um den USA und letztlich auch view des ZDF das geplante Frei- TTIP eine Hintertür zu öffnen. handelsabkommen TTIP in Frage Träte CETA in Kraft, könnten USgestellt: "Die Verhandlungen mit Konzerne über kanadische Tochden USA sind de facto geschei- terunternehmen beispielsweise tert, weil wir uns den amerikani- EU-Mitgliedsstaaten auf Schaschen Forderungen natürlich als denersatz verklagen, sollten ihren Europäer nicht unterwerfen dür- Geschäftserwartungen durch Gefen. Da bewegt sich nix." [1] setzesänderungen ein Strich Auch in Frankreich wachsen seit durch die Rechnung gemacht Monaten die Zweifel am Erfolg werden. Zudem wäre CETA ein der Verhandlungen. Präsident Eisbrecher für TTIP, das zu einem François Hollande hatte im Mai späteren Zeitpunkt mit einigen damit gedroht, das Abkommen kosmetischen Änderungen leichabzulehnen. Sein Land werde ter als bislang nachgeschoben "niemals akzeptieren, dass die werden könnte. [3] Grundprinzipien für unsere Landwirtschaft, unsere Kultur, für die Was die TTIP-Verhandlungen mit Gegenseitigkeit beim Zugang zu den USA betrifft, gibt Gabriel den öffentlichen Ausschreibungen in aktuellen Stand durchaus angeFrage gestellt werden". Nun leg- messen wieder. Laut der kürzlich te Außenhandelsstaatssekretär veröffentlichten Zwischenbilanz Matthias Fekl mit den Worten des Wirtschaftsministeriums gibt Mi, 31. August 2016 www.schattenblick.de es bislang "in keinem der 27 bis 30 Kapitel, die das TTIP-Abkommen am Ende umfassen könnte, eine Verständigung in der Sache". So weigern sich die USA im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe, europäische Firmen mit amerikanischen gleichzustellen, und wollen an dem Prinzip "buy American" festhalten. Umgekehrt will die EU teilweise an Zöllen für bestimmte Agrarprodukte wie Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch sowie Milchprodukte festhalten. Die USA sind hier nur zu Zugeständnissen bereit, sollten sie ihre Autoindustrie durch Importzölle gegen die europäische Konkurrenz schützen können. Das Ministerium schätzt die Möglichkeit einer Einigung bis Ende des Jahres als gering ein und geht davon aus, daß sich die Konflikte eher noch verschärfen werden. Im US-Präsidentschaftswahlkampf hätten sich beide Kandidaten kritisch zu Freihandelsabkommen geäußert. Gabriels Positionierung, die nicht zuletzt auch der Befindlichkeit in der der eigenen Partei und in den Gewerkschaften geschuldet ist, rief seitens des Koalitionspartners heftigen Widerspruch auf den Plan. So erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, die gesamte Bundesregierung halte einen zügigen Abschluß des TTIP-Abkommens für ein zentrales Vorhaben. TTIP sei zwar eine Sisyphosarbeit, aber noch lange nicht gescheitert, erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer. "Ich erwarte von dem Wirtschaftsminister, dass er sich im Interesse der exportorientierten deutschen Wirtschaft an die Spitze der Bewegung stellt und nicht die Flinte ins Korn wirft." Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick die deutsche Wirtschaft solle sich stärker aufAsien orientieren und von den USA keine Bedingungen diktieren lassen. Europa müsse sich unter deutscher Führung als eigene Weltmacht etablieren. Sowenig sich die Bewegung gegen die Freihandelsabkommen diesen Streit unter imperialistischen Blöcken strategisch zu eigen machen sollte, liefert er doch in taktischer Hinsicht durchaus Munition, die wachsenden Risse zum Der Wirtschaftsminister handelte Bruch von TTIP und CETA zu sich auch scharfe Kritik von Wirt- vertiefen. schaftsverbänden ein. Die Verhandlungen seien "noch nicht ge- Nach der großen bundesweiten scheitert", betonte der Hauptge- Demonstration am 10. Oktober schäftsführer des Deutschen In- 2015 mit 250.000 Menschen in dustrie- und Handelskammertags, Berlin und der Demonstration mit Martin Wansleben. Gabriel sei gut 90.000 Menschen in Hannover anberaten, sich für die Interessen läßlich des Treffens zwischen der Wirtschaft einzusetzen. Die Obama und Merkel am 23. April EU-Kommission hält die Ver- 2016 ruft ein Bündnis von über 30 handlungen weiterhin für offen: Organisationen für den 17. Sep"Wenn die Bedingungen stim- tember zu zeitgleichen Protesten men, ist die Kommission bereit, in sieben deutschen Großstädten dieses Abkommen bis Ende des auf. Am 19. September sollen ein Jahres unter Dach und Fach zu SPD-Konvent und vier Tage späbringen", sagte der Kommissions- ter die EU-Handelsminister auf eisprecher Margaritis Schinas in nem Treffen in Bratislava das ferBrüssel. Irritiert reagierte die US- tig ausgehandelte FreihandelsabRegierung: So erklärte der Spre- kommen mit Kanada billigen. cher des US-Handelsbeauftragten Dort soll der Weg für die UnterMichael Froman, die Verhandlun- zeichnung und eine vorläufige Angen machten "in Wahrheit ständig wendung freigemacht werden. Da Fortschritte". Es liege in der Na- letztere aktuell die größte Gefahr tur von Handelsgesprächen, daß darstellt, käme eine Ablehnung nichts vereinbart sei, bis alles ver- von CETA seitens der SPD-Delegierten einem Meilenstein gleich: einbart sei. Dann nämlich könnte Gabriel in Solche Verbalakrobatik kann in- Bratislava nicht zustimmen. dessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die transatlantischen Konflikte verschärfen. Die Anmerkungen: USA haben mit TPP ihr vordringliches handelspolitisches Ziel er- [1] https://www.wsws.org/de/arreicht, und mit Großbritannien ticles/2016/08/30/ttip-a30.html verläßt ein wichtiger Handelspartner demnächst die EU. Hier- [2] http://www.deutschlandzulande mehren sich Stimmen, funk.de/freihandelsabkommenUnd der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs verwahrte sich dagegen, daß TTIP "mit unwahren Behauptungen kaputt geredet werden" solle. "Die Gewichte in der Welt verschieben sich immer mehr Richtung Asien. Wir haben jetzt die Wahl: Wollen wir Handelsregeln weiter mitbestimmen oder machen wir uns zu Zaungästen?" Seite 10 www.schattenblick.de ttip-in-bedraengnis.1818.de.html?d [3] Siehe dazu: RAUB/1088: Gabriels Schmierenkommödie in Sachen Freihandel (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1088.html http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/kommen/ raub1089.html UMWELT / MEINUNGEN Anthropozän menschlicher Einfluß geologisch und global Geologen leiten Schritt zur formalen Anerkennung einer neuen erdgeschichtlichen Epoche ein (SB) Mit großer Mehrheit hat ei- ne wissenschaftliche Arbeitsgruppe dem Vorschlag zugestimmt, das geologische Zeitalter des Holozäns formal durch ein neues Zeitalter abzulösen, da die menschlichen Einflüsse weltweit geologisch festzustellen sind. Für die neue Epoche kursiert seit längerem auch schon ein Name, das Anthropozän. Ob dieser Begriff angenommen wird, wann der Beginn des neuen Zeitalters anzusetzen wäre und ob das Anthropozän nur eine Stufe innerhalb der Epoche des Holozäns darstellt, sind offene Fragen und Gegenstand der Debatte in Fachkreisen. Entscheidend für die Bestimmung eines neuen geologischen Zeitalters - bleiben wir der Einfachheit halber beim AnthropoMi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick zän - ist nicht, daß der Mensch die Umwelt verändert, sondern daß er die Geologie beeinflußt. So wie aus den Sedimentschichten die klimatischen Verhältnisse vergangener Erdzeitalter herausgelesen werden können, so ist auch in den heutigen Ablagerungen, die irgendwann durch den auflastenden Druck neuer Sedimentschichten entwässert werden, sich verfestigen und schließlich versteinern, der menschliche Einfluß nachweisbar. stoff- und Phosphorkreislauf auftreten. Zu den weiteren Indizien wird der Beginn des Klimawandels und Meeresspiegelanstiegs und die unkontrollierte Invasion fremder Arten gerechnet. Viele Veränderungen seien geologisch langlebig und manche sogar irreversibel. In den geologischen Schichten fände sich ein Bündel an Signalen, beispielsweise durch Partikel von Plastik, Aluminium, Beton, künstliche Radionuklide, Flugasche und biologische Überbleibsel sowie durch Veränderungen in der IsoDiese Woche Montag hat die vor topenzusammensetzung von sieben Jahren einberufene, inter- Kohlenstoff und Stickstoff. nationale Anthropozän-Arbeitsgruppe (Anthropocene Working Bevor die Wissenschaft ein neuGroup, AWG) ihre Empfehlungen es geologisches Zeitalter ausruft, auf dem 35. Internationalen Geo- muß die AWG noch einen forlogischen Kongreß, der vom 27. malen Vorschlag bei der SubAugust bis 4. September in Kap- kommission zur Quartärstratistadt stattfindet, vorgestellt. [1] graphie (Subcommission on Quaternary Stratigraphy, SQS), Der AWG zufolge ist das Kon- von der sie einberufen worden zept des Anthropozäns, wie es war, einreichen. Nimmt die SQS von dem Chemie-Nobelpreisträ- den Vorschlag an, reicht sie ihn ger Paul Crutzen und dem US- offiziell an die nächsthöhere Biologieprofessor Eugene Stoer- wissenschaftliche Verbandsebemer im Jahr 2000 genannt wird, ne, die Internationale Stratigra"geologisch real" und von einem phiekommission (International Ausmaß, daß es in die geologi- Commission on Stratigraphy, sche Zeitskala aufgenommen ICS) weiter. Als letztes muß werden sollte. Der menschliche dann noch der Exekutivrat der Einfluß habe zwar seit Tausen- Internationalen Geologischen den von Jahren erkennbare geo- Union (International Union of logische Spuren hinterlassen, Geological Sciences, IUGS) den aber erst gegen Mitte des 20. Vorschlag ratifizieren. Der geJahrhunderts träten diese we- samte Vorgang dürfte mehrere sentlich und nahezu zeitgleich in Jahre in Anspruch nehmen. den Erdsystemen weltweit auf. Mit der Bezeichnung AnthropoDie AWG macht die Verände- zän wird zwar eine Vielzahl von rungen daran fest, daß die Ge- Debatten, die in der Umweltschwindigkeit von Erosion und und Klimaschutzbewegung geSedimentation deutlich zuge- führt werden, aufgegriffen, aber nommen hat und umfangreiche keinesfalls kann man davon auschemische Störungen unter an- gehen, daß die an der Erarbeiderem im Kohlenstoff-, Stick- tung der neuen geologischen Mi, 31. August 2016 www.schattenblick.de Epoche beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Arbeit verrichten, um der Bewegung Rückhalt zu geben. Die Wissenschaft beschreibt die Entwicklung nur und konstatiert die Zunahme des menschlichen Einflusses auf die Natursysteme, aber sie nimmt dazu keinen Gegenstandpunkt ein. Welche Folgen so eine Einstellung haben kann, wird am Beispiel von Paul Crutzen deutlich, der den Begriff "Anthropozän" nicht erfunden, aber ihn bekanntgemacht hat. Crutzen befürwortet Geoengineering und hat entsprechende Berechnungen publiziert. Er schlägt vor, Schwefelpartikel in die obere Atmosphäre zu injizieren. Dadurch würde ein genügend großer Teil der Sonneneinstrahlung ins Weltall reflektiert, um auf diese Weise die globale Erwärmung zu unterbinden. Der Wissenschaftler ignoriert nicht die Nebenwirkungen, die ein solches Vorhaben auslösen würde, aber er wägt sie gegenüber den Folgen, die der Klimawandel zeitigen wird, ab. Wenn Crutzen und andere Wissenschaftler vom Anthropozän sprechen, ist das zunächst einmal rein deskriptiv gemeint. Das ist einer der Gründe, warum Kritik an der Bemühung um die Ausrufung eines menschengemachten Zeitalters vorgebracht wurde. Denn die vermeintliche wissenschaftliche Neutralität ist ihrerseits eine klare Stellungnahme, beispielsweise hinsichtlich der angeblichen Machbarkeit des Geoengineerings, des dabei vermeintlich unverzichtbaren Einsatzes marktwirtschaftlicher Kräfte, etc. Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick Der Politikwissenschaftler und Marxist Elmar Altvater regt an, das neue Zeitalter "Kapitalozän" zu nennen, weil sich die destruktiven Produktivkräfte der kapitalistischen, dem Wachstumszwang unterliegenden Wirtschaft geologisch niederschlagen. [2] Altvater bezieht sich unter anderem auf den historischen Geographen Jason Moore, der das Buch "Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism" (London 2016) herausgegeben hat und ebenfalls Vertreter einer Kritik am Anthropozänbegriff von links ist. Dahinter steckt zugleich eine grundsätzliche Kritik an Wissenschaft und den ihr zugrundeliegenden Produktionsbedingungen. Mason und Altvater werden sicherlich nicht damit rechnen, daß ihre Anregungen von der Geologenzunft aufgegriffen und angenommen werden. Der Nutzen ihrer Ausführungen liegt jedoch darin, einen vermeintlich wertneutralen Begriff wie Anthropozän zu demaskieren und zu verdeutlichen, daß bereits bei der Namenssuche gesellschaftliche Widersprüche unter den Tisch fallen. formen stattfinden. Schon vor mehreren tausend Jahren hat der Mensch Spuren hinterlassen. Einige Wissenschaftler vertreten deshalb die Ansicht, daß der Beginn des Anthropozäns bereits vor 7.000 Jahren mit der Abholzung von Wäldern angesetzt werden sollte. Zeitgleich mit dem Kapitalismus und besonders dem Aufkommen seiner neoliberalen Phase ist allerdings auch die Weltbevölkerung explodiert. Damit einhergehend hat die Verwertung der Um- und Mitwelt des Menschen stark zugenommen. Sicherlich muß die Antwort auf die Frage, ob es nicht unter allen gesellschaftlichen Zusammenschlüssen zur massiven Umgestaltung der Landschaft durch den Menschen gekommen wäre, also auch jenseits von Kapitalismus und Staatskapitalismus, spekulativ bleiben. Doch solange der Mensch Stoffwechsel betreiben muß, wird er Nahrung benötigen, und damit fangen die Probleme an. Selbst wenn es gelänge, beispielsweise die von der kapitalistischen Produktionsweise begünstigte Massentierhaltung und den Monokulturanbau abzuschaffen, ohne daß deshalb Menschen zusätzlichen Mangel erlitten, würden diese weiterhin essen, trinken, atmen, ausscheiden und dadurch zu einem erkennbaren geologischen Faktor werden. (Im übrigen vermögen Massentierhaltung und Monokulturanbau nicht zu verhindern, daß gegenwärtig rund 800 Millionen Menschen weltweit chronisch hungern und zwei Milliarden mangelernährt sind.) Hier könnte man noch einen Schritt weitergehen als die Kritiker, ohne deshalb die Relevanz ihrer Einwände und Forderungen schmälern zu wollen. Die Verwertung der Um- und Mitwelt hat zwar im Kapitalismus exzessive Ausmaße angenommen, fand aber auch bei der Systemkonkurrenz im staatlichen gelenkten Sozialismus östlicher Couleur statt und würde im Prinzip auch bei der Verbreitung ur- Wenn sieben Milliarden Mensprünglicher, indigener Lebens- schen in Stammeskulturen lebSeite 12 www.schattenblick.de ten, wären also auch die Folgen dieser Lebensform geologisch erkennbar. Wobei der Wissenschaft sicherlich keine so überwältigende Auswahl an Kriterien vorläge, an denen sie die Ablösung des Holozäns durch das Anthropozän festmachen könnte. "Kapitalozän" bildete demgegenüber jedoch eine Einschränkung und würde seinerseits dazu beitragen, daß die grundsätzliche Frage des Stoffwechsels und der damit einhergehenden Folgen ausgespart wird. Gegen eine Gestaltung der Umwelt durch den Menschen spräche per se nichts, sofern es gelänge, daß sich dies nicht zu Lasten der Mit- und Umwelt richtet - ein völlig illusorischer Anspruch, der jedoch auf das Problem der Voraussetzungen der eigenen Existenz aufmerksam macht. Darum ist Anthropozän der geeignetere Begriff. Den Kritikern bleibt es unbenommen, diesen auf eine Weise zu verwenden, daß die gesellschaftlichen Widersprüche, die sie mit ihrer Forderung nach Ausrufung eines "Kapitalozän" benennen, vielleicht sogar noch treffender zur Sprache kommen. Anmerkungen: [1] http://www2.le.ac.uk/offices/press/press-releases/2016/august/media-note-anthropoceneworking-group-awg [2] Näheres dazu unter: http://schattenblick.de/infopool/umwelt/meinung/umme252.html http://www.schattenblick.de/ infopool/umwelt/meinung/ umme254.html Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick BUCH / SACHBUCH / REZENSION No Such Thing As A Free Lunch The Gates Foundation and the Price of Philanthropy von Linsey McGoey Die Frage, wem gemeinnützige Stiftungen eigentlich am meisten dienen, der Allgemeinheit, wie ihr Name suggeriert, oder doch den Gründern und Betreibern, was viele vermuten, steht zwar schon länger im Raum, gewinnt dieser Tage jedoch durch die Kontroverse um die Clinton Foundation an Aktualität. Hillary Clinton, die sich anschickt, im kommenden November zur ersten Präsidentin der USA gewählt zu werden, wird von Vorwürfen verfolgt, sie und ihr Gatte Bill Clinton hätten die nach dessen Ausscheiden aus dem Präsidentenamt 2001 gegründete Stiftung genutzt, um sich und ihre Amigos zu bereichern und politisch-gesellschaftlichen Einfluß zu gewinnen. Hillary Clinton steht im Verdacht, sie habe als Außenministerin Barack Obamas lukrative Geschäfte genehmigt bzw. eingefädelt, deren Nutznießer im Gegenzug der Clinton-Stiftung Spendenbeiträge in Millionenhöhe zukommen ließen. Zur "Pay-to-play"-Kontroverse um die Clinton Foundation gehören unter anderem die Vergabe von Mobiltelefonlizenzen an den irischen Medienmogul Dennis O'Brien in der Karibik im allgemeinen und Haiti im besonderen sowie der Export gigantischer Mengen amerikanischer Waffen und Munition an das königliche "Regime" Saudi-Arabiens. Es sieht alles danach aus, als habe Mi, 31. August 2016 Clinton in den vier Jahren als USChefdiplomatin entgegen allen Vorschriften aus dem Grund ihren gesamten beruflichen und privaten Email-Verkehr über einen Server im Keller des eigenen Privathauses in New York abgewickelt, das zwielichtige Treiben zu vertuschen. In der komplizierten und politisch brisanten Angelegenheit laufen derzeit beim FBI und Justizministerium mehrere Korruptionsermittlungen unter Beteiligung des für den Southern District of New York und damit für das Bankenviertel um die Börse an der Wall Street zuständigen Chefanklägers Preet Bharara. In ihrem Buch "No Such Thing As A Free Lunch - The Gates Foundation and the Price of Philanthropy" setzt sich die Kanadierin Linsey McGoey, die heute Soziologie an der University of Essex in England lehrt, mit der Bill and Melinda Gates Foundation, die von dem Microsoft-Mitbegründer 1999 ins Leben gerufen wurde und mit Einlagen in Höhe von 43 Milliarden Dollar die mit Abstand größte Privatstiftung der Welt ist, kritisch auseinander. Die selbstgestellte Frage, "Macht Philanthrophie die Reichen reicher und die Armen ärmer?", beantwortet McGoey, die als Beraterin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Auswirkung von Projekten der Gates-Stiftung in Afrika, Asien und Lateinameriwww.schattenblick.de Linsey McGoey No Such Thing As A Free Lunch The Gates Foundation and the Price of Philanthropy Verso, London/New York, 2015 296 Seiten ISBN: 9781784780838 ka hautnah verfolgen konnte, mit einem eindeutigen Ja. McGoey zeigt die geschichtliche Kontinuität zwischen den karitativen Anstrengungen des Ölmagnaten John D. Rockefeller und des Stahlindustriellen Andrew Carnegie Ende des 19. Jahrhunderts in den USA und denjenigen Bill Gates', des Finanzspekulanten Warren Buffett und des Google-Chefs Eric Schmidt heutzutage auf. In der Industrialisierungsphase zwischen dem Amerikanischem Bürgerkrieg und dem Ersten Weltkrieg hatten die beiden genannten "Räuberbarone" ähnlich dem Bankenkrösus Henry Morgan und dem Eisenbahnbetreiber und Reeder Cornelius Vanderbildt mit brutalsten Methoden riesige Firmenimperien aufgebaut. Am Ende ihres Lebens, als zur Jahrhundertwende in den USA der Widerstand der arbeitenden Bevölkerung gegen die enorme Wohlstandsschere wuchs, entdeckten Carnegie und Rockefeller bei sich eine soziale Ader. Ersterer baute ein länderübergreifendes Netzwerk von Bibliotheken auf, um dem Volk Muse und Bildung zu ermöglichen, letzterer gründete die Rockefeller-Stiftung, die lange Zeit die führende Wohltätigkeitsvereinigung war und für das Stiftungswesen amerikanischer Art bis heute Vorbildcharakter hat. Schon damals gab es Kommentatoren, die meinten, Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick die Stiftungsgründer setzten sich selbst Denkmäler und versähen ihr teuflisches Lebenswerk mit einer christlichen Patina. Die Rockefeller Foundation trug später zur Entstehung der WHO bei, während das von Morgan und Gleichgesinnten gegründete Council on Foreign Relations (CFR), das bis heute mit seiner alle zwei Monate erscheinenden Fachzeitschrift Foreign Affairs die einflußreichste Denkfabrik der Welt geblieben ist, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs USPräsident Franklin D. Roosevelt die Blaupause für die Vereinten Nationen vorlegte. Für New York als Standort des UN-Hauptquartiers entschied man sich, als John D. Rockefeller jun. das passende Grundstück an der Pelican Bay im Wert von 8,5 Millionen Dollar spendete. Rockefeller profitierte von der großzügigen Geste, gehörten ihm doch an der Upper East Side von Manhattan zahlreiche Immobilien, die durch die ausgelöste Nachfrage nach passenden Botschaftsgebäuden und Wohnungen für Diplomaten und ihre Familien aus aller Welt einen beträchtlichen Wertanstieg erfuhren. Ähnlich den Zuständen während der Gilded Age in den USA sacken die Schwerreichen im industrialisierten Westen durch Privatisierung und Steuervergünstigungen seit Jahrzehnten einen immer größeren Anteil am Volksvermögen ein. Aus ihrer Perspektive stellt die Investition in Stiftungen, mittels derer man direkt politischen Einfluß auf gesellschaftliche Bereiche wie Gesundheit und Bildung ausüben kann, eine mehr als sinnvolle Geschäftsentscheidung dar. McCoey stellt ihrerseits Seite 14 die von Gates, Buffett et al. propagierte These, wonach die Konzernlenker mit Weitblick global mit ihren Stiftungsgeldern mehr Gutes tun als die gewählten Politiker, wären jene Summen einfach als Steuern in die Staatskasse geflossen, erheblich in Zweifel. Sie begründet ihre Skepsis beispielsweise mit einer ausführlichen Erläuterung des Einsatzes der Gates-Stiftung für das Privatschulwesen, das in den letzten eineinhalb Jahrzehnten das Bildungssystem in den USA revolutioniert hat - leider nicht zum Besseren. Mittels sehr häufigen Testens niedrig-standardisierter Inhalte Stichwort "Common Core" - hat man den Lebensalltag für Millionen Schüler und Lehrer zur sinnentleerten Tortur gemacht. Die Gates-Stiftung hat auch größere Summen in das sogenannte E-Lernen gesteckt, das sich zu einem hochlukrativen Geschäftsfeld für Medienkonzerne wie Pearson und Rupert Murdochs News Corporation zu entwickeln verspricht. Die Gates Foundation steuert inzwischen mit rund zehn Prozent mehr Geld als jede andere Einzelinstanz zum Jahresbudget der WHO bei. McCoey würdigt die produktive Arbeit, welche die Stiftung in diesem Zusammenhang wie zum Beispiel mit ihrer Impfkampagne gegen Malaria leistet, hat jedoch mit mehreren anderen Aspekten erhebliche Probleme. Sie kritisiert die fast ausschließliche Ausrichtung auf die Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten, obwohl es die chronischen wie Krebs und Herzleiden sind, welche inzwischen auch in der unterentwickelten Welt jährlich die meisten Todesfälle verursachen. McCoeys Erörterunwww.schattenblick.de gen lassen die Schlußfolgerung zu, daß es der Gates Foundation hier vor allem um die Verbreitung des seit Jahrzehnten für die Kranken überteuerten und ineffektiven, für die Pharmaindustrie hochprofitablen amerikanischen Gesundheitssystems inklusive der Patentrechte für Medikamente geht. Bauchschmerzen bereitet McCoey auch die enge Kooperation der Gates-Stiftung mit Konzernen wie Monsanto und Coca Cola im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Hinter der Initiative, mittels genveränderten Saatguts eine "grüne Revolution" im afrikanischen Agrarwesen herbeizuführen, sieht sie vor allem die Eroberung ausländischer Märkte durch multinationale Konzerne wie Nestlé. Die Verfügungsgewalt, die Monsanto beispielsweise im landwirtschaftlichen Sektor Indiens ausübt, hat dort zu einer grausamen Selbstmordwelle unter den Kleinbauern geführt. Unfähig, ihre Schulden und die nächste Tranche für das teuere Saatgut Monsantos zu bezahlen, haben sich auf dem indischen Subkontinent seit 1995 mehr als 300.000 Bauern umgebracht - in den meisten Fällen durch das Trinken giftigen Pflanzenschutzmittels. McCoey stört die Leistungsideologie, die Leute wie Bill Gates propagieren. Sie erkennt im modernen Stiftungswesen den Ansatz, das herrschende Gesellschaftsmodell zu zementieren und seine Infragestellung unmöglich zu machen. Durch die gezielte Vergabe von Forschungsgeldern sind die modernen Philanthropen dabei, eine unkritische, lediglich am Wohle ihrer Geldgeber und Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick der dahinterstehenden Großkonzerne ausgerichtete Wissenschaft heranzuzüchten. Gegen diese Gefahr und für eine offenere Debatte über die Definition des Gemeinwohls, über Wege zur Reduzierung sozialer Ungleichheit sowie zur Erreichung einer gerechteren Globalgesellschaft in Zeiten von Klimawandel, Artenschwund und Ressourcenmangel ist Linsey McCoeys "No Such Thing As A Free Gift" ein flammendes und spannendes Plädoyer. Die Gates Foundation und ähnliche Einrichtungen sind Teil des Problems, nicht der Lösung, nur wollen ihre Betreiber dies natürlich nicht wahrhaben. http://www.schattenblick.de/ infopool/buch/sachbuch/ busar660.html SPORT / BOXEN Ausbruch aus dem goldenen Käfig Luis Ortiz und sein Promoter gehen fortan getrennter Wege (SB) 30. August 2016 Der Schwergewichtler Luis Ortiz und die Golden Boy Promotions gehen fortan getrennter Wege. Dem Vernehmen nach hat sich der in Miami lebende Kubaner mit einer siebenstelligen Summe aus seinem laufenden Vertrag freigekauft und kann sich nun entweder nach einem anderen Promoter umsehen oder die Vermarktung in die eigenen Hände nehmen. Wie der Sprecher von Golden Boy, Stefan Friedman, in einer Stellungnahme dazu erklärte, trenne man sich einvernehmlich. Man Mi, 31. August 2016 sei stolz auf die in gemeinsamer Arbeit erreichten Ziele wie insbesondere den Interimstitel der WBA und die erfolgreichen Titelverteidigungen. Man wünsche Luis und seinem Team alles Gute auf dem weiteren Weg. Von Einvernehmen kann indessen kaum die Rede sein, zeugt doch die Trennung von einer Kontroverse, die nicht beigelegt werden konnte. Ortiz und sein Promoter hatten sich auf eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Alexander Ustinow am 17. September geeinigt, die vor großer Kulisse im Vorprogramm des Kampfs zwischen Saul "Canelo" Alvarez und Liam Smith in Arlington ausgetragen werden sollte. Da der Sender HBO die Höhepunkte der Veranstaltung im Pay-TV überträgt, wäre dies der Popularität des Kubaners sicher zugute gekommen. Wie es hieß, habe Ortiz aber auf Nachverhandlungen gedrängt und mehr Geld gefordert. Daß ein Zerwürfnis vorlag, hatte sich bereits einige Tage zuvor abgezeichnet, als die Veranstaltungsrechte am Kampf gegen Ustinow in die Versteigerung gingen, aber Golden Boy kein Gebot abgab. So saß Wlad Hrunow im Auftrag des russischen Promoters Andrej Riabinskij als einziger Bieter im Raum und gab das Mindestgebot 600.000 Dollar ab. Da Ortiz als Titelverteidiger 60 Prozent dieser Summe zustehen, bekommt er 360.000 Dollar, während für den weißrussischen Herausforderer 240.000 Dollar abfallen. Der Kampf könnte am 19. November in Las Vegas, Moskau oder Minsk ausgetragen werden, wobei Golden Boy dazu anmerkte, daß der Kubaner höchstwahrscheinlich weniger als bei dem ursprünglich geplanten Auftritt bekommen würde. Zum einen schlügen bei einem Kampf im Ausland höhere Steuern zu Buche, zum anderen entfielen Nebeneinkünfte, die er bei Sein Promoter lehnte jedoch eine einer Veranstaltung seines eigeNachbesserung der vereinbarten nen Promoters bekäme. Summe ab und stellte ihn vor die Wahl, entweder zu diesen Bedin- Ob es tatsächlich zum Kampf gungen in den Ring zu steigen zwischen dem 37jährigen Ortiz, oder sich aus dem Vertrag her- der in 25 Kämpfen ungeschlaauszukaufen. Das Team des Ku- gen ist, und dem zwei Jahre älbaners entschied sich für die teren Ustinow kommt, für den zweite Möglichkeit und beglich 33 Siege und eine Niederlage die von Golden Boy geforderte verbucht sind, steht derzeit noch Summe in mehreren Raten. Der nicht fest. Was den Streit mit Gründer, Mehrheitsaktionär und seinem ehemaligen Promoter geschäftsführende Präsident des betrifft, dürften die beiderseitiUnternehmens, Oscar de la Hoya, gen Versionen erheblich vonfand nach Angaben aus seinem einander abweichen. Soweit Umfeld diese Entwicklung absto- man es anhand der bekannten ßend, sei aber zu dem Schluß ge- Faktenlage einschätzen kann, kommen, daß das Leben zu kurz haben die Golden Boy Promotiist, um mit Leuten zusammenzu- ons bei der Vermarktung des arbeiten, die getroffene Vereinba- Kubaners ihre Sache nicht rungen nicht einhielten. schlecht gemacht. www.schattenblick.de Seite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick Nachdem Ortiz im Jahr 2014 durch einen Sieg in der ersten Runde über Lateef Kayode den vakanten Interimstitel gewonnen hatte, wurde er positiv auf eine verbotene Substanz getestet. Daraufhin wurde ihm der Titel aberkannt, eine Geldstrafe und eine Sperre verhängt und die Wertung des Kampfs annulliert. Golden Boy stand jedoch weiter zu ihm, verschaffte ihm nach Ablauf der Suspendierung einen Aufbaukampf und im Anschluß daran die Chance, sich den Interimstitel erneut zu sichern. Im Vorprogramm des Kampfs zwischen Gennadi Golowkin und David Lemieux, der von HBO im Pay-TV übertragen wurde, besiegte Ortiz den überforderten Matias Ariel Vidondo in der dritten Runde und verteidigte in der Folge den wiedergewonnen Titel zweimal erfolgreich. In beiden Fällen plazierte der Promoter des Kubaners dessen Auftritte als Hauptkampf bei HBO, und so konnte Ortiz sein überragendes Können auf großer Bühne präsentieren. Im Dezember dominierte er Bryant Jennings auf eindrucksvolle Weise und schickte ihn in der siebten Runde geschlagen auf die Bretter. Anfang März mußte Tony Thompson im sechsten Durchgang die Segel streichen, worauf viele Experten der Auffassung waren, der Kubaner sei derzeit der führende Akteur im Schwergewicht. [1] Unter diesen Voraussetzungen müßten sich andere Promoter im Grunde um Luis Ortiz reißen, dessen Zukunftspläne vorerst noch im Dunkeln liegen. Sollte der Kubaner beispielsweise bei Lou DiBella unterschreiben, Seite 16 wäre er zweifellos eine Bereicherung im Team des Beraters Al Haymon, der dank seines beträchtlichen Einflusses für einen Anschub sorgen könnte. Sollte Ortiz vor allem deswegen unzufrieden mit seiner Situation bei Golden Boy gewesen sein, weil ihm angesichts seines Alters nicht mehr allzu viel Zeit bleiben dürfte, um doch noch Weltmeister im Schwergewicht zu werden, wäre ihm die Ungeduld nicht zu verdenken. Angesichts seiner ausgereiften technischen Fertigkeiten und gewaltigen Schlagwirkung wäre ihm durchaus zuzutrauen, einen der amtierenden Titelträger vom Thron zu stoßen. Mit dem Briten Tyson Fury hätte er leichtes Spiel, ein Duell mit dem WBCChampion Deontay Wilder wäre sicher höchst attraktiv, und auch der britische IBF-Weltmeister Anthony Joshua hätte allen Grund, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Indessen ist Joshua erst 26 Jahre alt und könnte solange abwarten, bis Ortiz körperlich nachgelassen hat. [2] Joshuas Promoter Eddie Hearn hat jedenfalls keinerlei Interesse erkennen lassen, seinen Champion mit Ortiz zusammenzuführen. Gleiches gilt für Fury und Wilder, die den Namen des Kubaners niemals nennen, wenn sie ihre Zukunftspläne darlegen. Luis Ortiz ist vorerst schlicht zu gefährlich, als daß ihm irgendein Schwergewichtler ein Angebot machen würde, der einen Gürtel zu verlieren hat. Für Alexander Ustinow sieht die Sache anders aus, da ihm im Alter von 39 Jahren ebenfalls die Felle wegzuschwimmen drohen, sollte er nicht in absehbarer Zeit einen www.schattenblick.de Titelkampf bekommen. Zudem ist er von nicht minder imposanter Statur wie der Kubaner und so robust, daß er sich zumindest gewisse Chancen ausrechnen kann, diesen schweren Gang erfolgreich zu überstehen. Sollte sich Luis Ortiz mit dem Gedanken tragen, seine Karriere in Eigenregie voranzutreiben, wäre nicht abzusehen, wie das seinen Aufstieg beschleunigen sollte. Zieht man beispielsweise in Betracht, wie lange Tyson Fury schon die Revanche mit Wladimir Klitschko verzögert hat, stünde dem Kubaner eine womöglich jahrelange Wartezeit mit ungewissem Ausgang ins Haus. Deontay Wilder kuriert derzeit seine Verletzungen aus und wird wohl erst 2017 in den Ring zurückkehren. Anthony Joshua ist mindestens bis in den Sommer nächsten Jahres verplant und wird sich auch danach hüten, die Wege des Kubaners zu kreuzen. Luis Ortiz braucht wohl oder übel einen einflußreichen Promoter, der ihm die entscheidenden Türen öffnet. Anmerkungen: [1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17379144/luis-ortiz-splits-golden-boy-becomesfree-agent [2] http://www.boxingnews24.com/2016/08/luis-ortizgolden-boy-promotions-partways/#more-215542 http://www.schattenblick.de/ infopool/sport/boxen/ sbxm2041.html Mi, 31. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick SPORT / MEINUNGEN / KOMMENTAR Nichts tun verboten ... Selftracking als Schüler und Studentenpflicht? SelfTracking-Armbänder und HealthApps haben ohne Zweifel Hochkonjunktur. Fitnessbranche, Gesundheits- und Lifestyleindustrie, aber auch IT-Unternehmen und Sportartikelkonzerne bringen ständig neue "Wearables" auf den Markt. Das Versprechen auf gesteigerte "Gesundheit", "Leistungsfähigkeit" oder "Effizienz" ködert in zunehmenden Maße auch Schüler und Studenten, die ebenfalls einem harten Wettbewerb um Noten, Lernleistungen und Karrierechancen ausgesetzt sind. Seit einigen Jahren macht sich den USA eine Entwicklung breit, Schüler und Studierende zum "freiwilligen" Tragen von SelfTracking-Armbändern zu verpflichten. In vielen Fällen sollen diese digitalen, am Körper getragenen Meßgeräte, die zahlreiche Vitalwerte und Bewegungsdaten erheben können, nur im Sportunterricht angelegt werden. Einige Bildungseinrichtungen verlangen aber auch eine Überwachung rund um die Uhr und fangen an, Trackingsdaten und schulische Leistungen bzw. Benotungen miteinander zu verschmelzen. (SB) 30. August 2016 gleich besser überwachen können. IHT wirbt auf seiner Website damit, die individuelle Fitness der Schüler mit den schulischen Leistungen korrelieren, die Unterrichtsführung optimieren, alle Beteiligten verbinden und die Schüler befähigen zu können, Gesundheit und Wohlbefinden selbständig zu managen - "für das Leben"! [1] Damit die Heranwachsenden frühzeitig lernen, woraufes im Leben ankommt, wird ihnen schon im zarten Kindesalter ein Überwachungsreif um das Handgelenk gelegt, der sie "vom Kindergarten bis zum Schulabschluß", so die Zielvorgabe des "IHT Spirit Systems", an die Fitness-Leine legt. Aufdiese Weise können auch Eltern und Lehrer (und später die Gesundheitsbehörden oder Versicherer) ständig überprüfen, ob die Schüler noch Bewegungs- oder Gesundheitsdefizite abzuarbeiten haben. Freies Spielen ohne Algorithmen und Datenabgleiche findet indessen immer weniger statt. Die kindliche Aufmerksamkeit wird schon früh auf Scores, Level oder Rankings gelenkt. "Fat Shaming" droht insbesondere übergewichtigen oder fettleibigen Kindern, die mit In Partnerschaft mit dem US-Kon- den "positiven" Zahlenwerten oder zern Interaktive Health Technolo- Verlaufskurven ihrer Klassenkagies (IHT) hat das deutsche DAX- meraden nicht mithalten können. Unternehmen Adidas kürzlich einen Fitnesstracker speziell für "Das Leben leben ohne Grenzen" amerikanische Grundschulkinder lautet das Freiheitsversprechen der präsentiert, mit dem SportlehrerIn- IHT-Werbetexter, was die Träger nen die Kinder angeblich zu mehr offenbar vergessen machen soll, Aktivitäten anspornen und zu- daß ihre Bringschuld in der EndMi, 31. August 2016 www.schattenblick.de losschleife der Selbstvermessung in der Tat grenzenlos ist. IHT bringe alle Daten auf seiner Plattform zusammen und ermögliche es den "Entscheidungsträgern", so heißt es auf der Website, Leistungspotentiale auszuschöpfen: "Die Erfassung und Korrelation von Herzfrequenz, Fitness-Tests und aller Beurteilungen zu schulischen Leistungen - Tag für Tag, Jahr für Jahr, bei jedem Schüler." [1] Im vergangenen Jahr sollen in den USA rund 600.000 Schüler das IHT-Netzwerk genutzt haben. Mit Hilfe von Adidas soll 2016 die MillionenMarke überboten werden. Lebensprotokollierung wird zunehmend zur Schüler- und Studentenpflicht. Anfang des Jahres sorgte die Oral Roberts University in Tulsa (Oklahoma) für Schlagzeilen, weil sie ihren ErstsemesterStudenten auferlegt hat, Fitnesstracker zu tragen, um ihre sportlichen Aktivitäten überprüfen zu können. Die private Uni rechtfertigt ihr Vorgehen mit einem ganzheitlichen Konzept, das sowohl die Gesundheit von Körper und Geist der Studenten als auch ihre akademischen Leistungen heben soll. Dabei gehen die sportlichen Aktivitäten der Studenten (auch der unsportlichen) zu 20 Prozent in deren Noten ein. Die Studierenden sollen dazu gebracht werden, jeden Tag mindestens 10.000 Schritte zu gehen bzw. 150 Minuten in der Woche aktiv zu sein sowie am Ende des Semesters einen 1,5-MeilenLauf zu absolvieren. Die Meßwerte, darunter auch Daten über Gewicht, Schlafdauer und Aufenthaltsort, sendet das Gerät der Marke "Fitbit" automatisch an ein Management-System auf dem Server Seite 17 Elektronische Zeitung Schattenblick der Schule. Wer sich den Auflagen der christlich-konservativen Uni nicht unterwerfen möchte, muß sich woanders einen Studienplatz suchen. Da die Oral Roberts University (ORU) die erste Bildungseinrichtung ihrer Art in den USA ist, die elektronische Bewegungsdaten über ihre Studenten sammelt und diese in direkten Zusammenhang mit Lernleistungen bringt, befindet sich alles noch im Experimentierstadium. Schon melden sich in den USA besorgte Stimmen zu Wort, die davor warnen, daß Fitnesstracker bei Menschen, die z.B. unter Eßstörungen leiden oder anfällig dafür sind, dazu führen könnten, daß sie noch mehr unter sozialen oder physischen Streß geraten, dem Druck zum Kalorienzählen oder -abarbeiten Folge zu leisten. Eßstörungen könnten nicht nur verstärkt, sondern vor dem Hintergrund von Schlankheitswahn und höchst zweifelhafter Schönheitsideale in der Gesellschaft bei vielen überhaupt erst ausgelöst werden. In Reaktion auf die Anforderungen für Erstsemester an der ORU hat Kaitlin Irwin von "Proud2BMe", ein Abzweiger der National Eating Disorders Association (NEDA) für Jugendliche, eine Petition gestartet und die Uni aufgefordert, das Fitbit-Tracking- und Bewertungsprogramm zu beenden. Das Erfassen und Benoten der Aktivitäten von Studenten fördere eine ungesunde Umgebung, was zu unfairen Vergleichen zwischen Studenten führen kann, kritisiert Kaitlin Irwin. Es schaffe für alle gesundheitliche Einheitsstandards, sporne zu Leistungsüberziehungen an und übe noch mehr Streß aufdas Leben von College-Studenten und ihre BetäSeite 18 tigungen aus - als Last und nicht seine Gesundheit und schöpft seials Spaß an täglicher Aktivität. [2] ne Lernfähigkeit nicht zu hundert Prozent aus. Mit einer solch "negaWas für manche Studierende in den tiven" Einstellung zum Leben sollUSA bereits zur Pflichtübung ge- te er am besten auch gar nicht stuworden ist, könnte sich auch in dieren dürfen. Oder, wie drückte es Deutschland, wo Testläufe noch im Kathaleen Reid-Martinez, Leiterin Modus der Freiwilligkeit stecken, der Oral Roberts University in zum Ein- und Ausschlußkriterium Oklahoma, in einem Spiegel-Interentwickeln. Unter dem Motto "Mit view aus: "Wer den FitnessBeurer fit fürs Studium und fit im Tracker nicht tragen will, muss ja Leben" stattet seit neustem ein Ul- nicht bei uns studieren." [4] mer Gesundheitsunternehmen alle Erstsemester der privaten praxis- Anmerkungen: Hochschule in Köln und Rheine mit [1] https://ihtusa.com/ dem Aktivitätssensor "AS 81" aus, [2] https://www.change.org/p/ der mit verschiedenen Health-Apps oral-roberts-university-oral-rokompatibel ist. Mit dem Aktivitäts- berts-university-stop-grading-stuund Schlaftracker würden die Stu- dents-on-their-fitbit-activity dierenden Schritt für Schritt durchs [3] http://www.praxishochschuStudium begleitet, heißt es in einer le.de/media/com_acymaiPressemitteilung. Das helfe dabei, ling/upload/187_160810_pm_bedie Gesundheit zu stärken und die urer.pdf. 10.08.2016. Lernfähigkeit zu steigern. [3] [4] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/us-universitaet-stuWer nicht der "Jeder-Schritt- denten-muessen-fitness-armbandzählt"-Kirche beitritt, so läßt sich tragen-a-1075206.html. schließen, schwächt "absichtlich" 02.02.2016. DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 31. August 2016 +++ Vorhersage für den 31.08.2016 bis zum 01.09.2016 +++ Nicht zu warm und leichter Wind treffen Jean an einem Ort, wo die Frösche fröhlich sind, denn sie feiern immer dort. www.schattenblick.de Mi, 31. August 2016
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