Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf

Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Arbeitszeiten in
Deutschland“ von Jutta Krellmann u.a. (Drs. 18/9257)
Zusammenfassung:
Atypische Arbeitszeiten - immer mehr Beschäftigte in Deutschland arbeiten länger, öfter abends,
nachts und am Wochenende: die Zahl der Beschäftigten, die regelmäßig länger als 48 Stunden pro
Woche arbeiten, stieg in den letzten 20 Jahren deutlich an: von 1,3 Mio. (4,2%) im Jahr 1995 auf 1,7
Mio. (4,8%) im Jahr 2015. Knapp ein Viertel der Beschäftigten arbeitet regelmäßig nach 18 Uhr: 1995
waren es noch 5 Mio. Beschäftigte, im vergangenen Jahr 8,8 Mio. Immer mehr Beschäftigte
arbeiten nachts (zwischen 23 und 6 Uhr): Ihre Zahl stieg von 2,4 Mio. (1955) auf 3,3 Mio. (2015) an.
Über alle Branchen hinweg ist seit 1995 ein erheblicher Anstieg der regelmäßigen Wochenendarbeit
(samstags oder sonntags und an Feiertagen) festzustellen: 1995 waren 6 Mio. Beschäftigte (18,8%)
regelmäßig am Wochenende bei der Arbeit, 2015 waren es 8,8 Mio. (24,7%). Die regelmäßige Sonnund Feiertagsarbeit traf 1995 2,9 Mio. Beschäftigte (9,1%), 2015 waren es schon knapp 5 Mio. (13,8
% der Beschäftigten). Im Schichtdienst arbeitet heute jeder sechste Beschäftigte: 1995 waren es
noch 3,8 Mio. im letzten Jahr 5,6 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese atypischen
Arbeitszeiten bergen laut Bundesregierung mit Verweis auf verschiedene Studien, durch den damit
verknüpften erhöhten Stress bei den Beschäftigten gesundheitliche Gefahren. So birgt bspw.
Nachtarbeit ein erhöhtes Risiko für Erschöpfungszustände, Schichtarbeiter seien häufig von HerzKreislauf-Erkrankungen betroffen und Wochenendarbeit erhöhe das Risiko für Burnout.
Das Arbeitsvolumen aller abhängig Beschäftigten ist seit 1995 relativ stabil (400.000 Stunden mehr
als 1995 bei einem Gesamtvolumen von 56,3 Mio. Stunden im vergangenen Jahr). Gleichzeitig stieg
jedoch die Gesamtzahl der Kernerwerbstätigen, also der abhängig Beschäftigten von 30 Mio. auf 32
Mio. an. Wieder zeigt sich: die gleiche Menge Arbeit wird nur verteilt auf mehr Beschäftigte,
atypische Beschäftigung, wie Minijobs und Teilzeit bleiben auf dem Vormarsch.
Aufgrund stark abweichender Angaben der Überstunden (nominal sowie deren Entwicklung) zwischen
den Daten des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung und den Daten des Mikrozensus des
Statistischen Bundesamtes prüfen wir derzeit deren Ursache. Die für 2015 erhobenen Daten auf
Grundlage des Mikrozensus finden Sie unter den ausgewählten Ergebnissen.
O-Ton Jutta Krellmann:
„Immer mehr Menschen arbeiten schon jetzt abends, nachts oder am Wochenende. Aber anstatt der
Ausbreitung atypischer Arbeitszeiten und den damit verbunden gesundheitlichen Risiken einen
Riegel vorzuschieben, will Bundesarbeitsministerin Nahles das Arbeitszeitgesetz noch weiter
aufweichen. Das ist ein schlechter Witz. Ich fordere Frau Nahles auf, sich in der Debatte um flexible
Arbeitszeiten endlich an den Bedürfnissen der Beschäftigten zu orientieren statt nur an denen der
Unternehmen. Eine wirksame Anti-Stress-Verordnung und die Reduzierung der wöchentlichen
Höchstarbeitszeit wären wegweisende Signale.“
Ausgewählte Ergebnisse im Einzelnen
1. Atypische Arbeitszeiten
Regelmäßig überlange Arbeitszeiten (mehr als 48 Stunden pro Woche, Frage 9)

Deutlicher Anstieg seit 1995: Vor zwanzig Jahren 1,3 Millionen der 32 Millionen
Beschäftigten mit überlangen Arbeitszeiten (4,2%), 2015 waren es 1,7 Millionen von knapp
36 Millionen Beschäftigten (4,8%) – die höchste Zahl überlanger Arbeitszeiten gab es 2012
mit 1,96 Millionen Beschäftigten. Davon sind es erheblich häufiger Männer als Frauen: 2015
1

hatten 7,2% der beschäftigten Männer und 2,1 % der beschäftigten Frauen regelmäßige
Arbeitszeiten von mehr als 48 Stunden.
Bezogen auf die Branchen ist eine Abgrenzung schwierig, weil die Definition der
verschiedenen Branchen in den vergangenen Jahren mehrfach geändert wurde, ein Vergleich
über die zwanzig Jahre ist also nur bedingt möglich. Mit dieser Einschränkung: in den
Bereichen Land- und Forstwirtschaft/Fischerei, im produzierenden Gewerbe und im Bereich
Dienstleistungen / öffentliche Verwaltung ist der Anteil der Beschäftigten mit überlangen
Arbeitszeiten seit 1995 deutlich gestiegen: Land-/Forstwirtschaft, Fischerei von 7,4% auf
8,5% bei gleichzeitigem Rückgang der absoluten Zahlen (1995: 536 000 Beschäftigte, 2015:
283 000) // Produktion von 3,3 % auf 4,6 %, ebenfalls bei Rückgang der Gesamtbeschäftigung: 12,5 Millionen auf 10,3 Millionen Beschäftigte // Dienstleistung und öffentliche
Verwaltung von 3,8 % auf 4,4 % bei Anstieg der Gesamtbeschäftigung in dieser Branche (12,5
auf 16,1 Millionen)
Abend- und Nachtarbeit (Frage 14)


Knapp ein Viertel der Beschäftigten arbeitet regelmäßig nach 18 Uhr: 1995 waren es noch 5
Millionen Beschäftigte, im vergangenen Jahr 8,8 Millionen – allerdings hat sich der Anstieg
bei etwa einem Viertel der Beschäftigten stabilisiert.
Nachtarbeit zwischen 23 und 6 Uhr gehört 2015 für 3,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer zum täglichen Geschäft vor zwanzig Jahren waren es noch 2,4 Millionen
Personen. Ähnlich wie bei der Abendarbeit ist der Anteil seit etwa fünf Jahren relativ stabil,
er schwankt um 9%, 2015 waren es 9,1% der Beschäftigten (1995: 7,6%)
Wochenendarbeit (Frage 12, 13):


Ein Viertel der abhängig Beschäftigten arbeitet regelmäßig am Wochenende: Über alle
Branchen ist seit 1995 ein erheblicher Anstieg der regelmäßigen Wochenendarbeit (samstags
oder sonntags und an Feiertagen) festzustellen: 1995 waren 6 Millionen Beschäftigte (18,8%)
regelmäßig am Wochenende bei der Arbeit, 2015 waren es 8,8 Millionen (24,7%). Dabei
arbeiteten mit 4,7 Millionen Frauen deutlich mehr Frauen als Männer (4,2 Millionen) am
Wochenende
Die regelmäßige Arbeit an Sonn- und Feiertagen traf vor zwanzig Jahren 2,9 Millionen
Beschäftigte (9,1%), 2015 waren es schon knapp 5 Millionen (13,8 % der Beschäftigten). Auch
bei der reinen Sonn- und Feiertagsarbeit waren mehr Frauen als Männer betroffen: 2,5
Millionen Frauen (14,6 % der beschäftigten Frauen) und 2,4 Millionen Männer (13,1 % der
beschäftigten Männer) mussten regelmäßig sonntags an die Arbeit.
Schichtarbeit (Frage 15):

Anstieg bei der Schichtarbeit: fast jeder sechste arbeitet im Schichtbetrieb. Im vergangenen
Jahr waren 5,6 Millionen in der Schichtarbeit tätig, davon 2,5 Millionen Frauen. 1995 waren
es noch 3,8 Millionen (12%), davon wiederum 1,3 Millionen Frauen.
Auswirkungen atypischer Beschäftigung auf die Gesundheit (Frage 16)

Die Kleine Anfrage verweist auf verschiedene Studien, denen zufolge atypische Arbeitszeiten
wie überlange Arbeitszeiten, Schicht-, Wochenend- und Nachtarbeit ebenso wie
unregelmäßige Arbeitszeiten zu erhöhtem Stress bei den Beschäftigten führen, Nachtarbeit
2
etwa ein erhöhtes Risiko für Erschöpfungszustände birgt, Schichtarbeiter häufig von HerzKreislauf-Erkrankungen betroffen seien. Wochenendarbeit – allerdings gebe es dazu noch
nicht viele Untersuchungen – erhöhe das Risiko für Burnout.
2. Arbeitsvolumen (Frage 10, 11)
 Rückgang der Vollzeitbeschäftigung: Das Arbeitsvolumen aller abhängig Beschäftigten ist seit
1995 relativ stabil (400.000 Stunden mehr als 1995 bei einem Gesamtvolumen von 56,3
Millionen Stunden im vergangenen Jahr), ähnlich ist die Entwicklung des Arbeitsvolumens
der Kernerwerbstätigen: ein leichter Rückgang von 52,3 Millionen Stunden im Jahr 1995 auf
51,8 Millionen Stunden im Jahr 2015 um knapp 1 %. Gleichzeitig stieg jedoch die Gesamtzahl
der Kernerwerbstätigen, also der abhängig Beschäftigten zwischen 15 und 64 Jahren ohne
Zivil-, Freiwilligen- und Wehrdienst sowie Bildung und Ausbildung von 30 Millionen auf 32
Millionen an. Wieder zeigt sich: die gleiche Menge Arbeit wird nur verteilt auf mehr
Menschen, Minijobs und Teilzeitbeschäftigung bleiben auf dem Vormarsch.
3. Flexible Arbeitszeiten
Arbeitszeitkonten (Fragen 3, 4, keine Differenzierung nach Geschlecht möglich)
-
Knapp ein Drittel der Unternehmen (32%) hatte 2014 Regelungen zu Arbeitszeitkonten, ein
kontinuierlicher Anstieg seit 2002
Lebensarbeitszeitkonten (Frage 19)
-
Die so genannten Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten werden so gut wie gar nicht
genutzt: Zum Stichtag einer Untersuchung von 2010 (neuere Zahlen liegen nach Angaben der
Bundesregierung nicht vor) machten nur 2 % der Unternehmen in Deutschland ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Angebot, Überstunden langfristig zu parken, um
später beispielsweise ein paar Monate frei zu nehmen oder den Ruhestand früher
anzutreten. Am stärksten engagiert sind hier große Unternehmen mit mehr als 500
beschäftigten (13%)
Vertrauensarbeitszeitregelungen (Frage 20)
-
33 % aller Unternehmen überlässt es den Arbeitnehmern, ihre Arbeitszeit selbst zu
überprüfen – seit 2010 nimmt die Zahl kontinuierlich zu, am stärksten verbreitet ist das
Prinzip der Vertrauensarbeitszeit bei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.
4. Kontrolle des Arbeitszeitgesetzes (Frage 17, 18)
-
Außer Niedersachsen und Hessen haben alle Bundesländer die Personalkapazitäten für die
Kontrolle der Arbeitsschutzgesetze (darunter auch Arbeitszeit) in den vergangenen 20 Jahren
massiv abgebaut, in der Summe ein Rückgang von mehr als 1100 Kontrolleuren (1995: 4452,
2015 3319 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter). Entsprechend sank die Zahl der Kontrollen und
der Beanstandungen. Wurden 2005 bei knapp 36.000 Kontrollen 12.677 Verstöße mit
verschiedenen Rechtsmitteln geahndet, so waren es 2015 bei 22.045 Untersuchungen noch
10.142 Beanstandungen.
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5. Überstunden (Fragen 1, 2, 6, 7, 8):
 Laut Mikrozensus lagen die bezahlten Überstunden 2015 bei 339,7 Millionen, ein
kontinuierlicher Rückgang seit 2011 von 456,5 Millionen: ähnlich der Rückgang bei den
unbezahlten Überstunden: 2011: 634,8 Millionen, 2015 493,8 Millionen (bezahlte und
unbezahlte Überstunden 2015 zusammen 833,5 Millionen Stunden). Nach dieser Statistik hat
im vergangenen Jahr jeder abhängig Beschäftigte jede Woche durchschnittlich 0,3
unbezahlte und 0,2 bezahlte Überstunden. Wären die Überstunden nicht angefallen, sondern
durch Neuanstellungen aufgefangen worden, hätten 2015 397 000 Menschen mehr eine
Vollzeitstelle haben können.
 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit kommt zu
völlig anderen Zahlen: unbezahlte Überstunden 2015: 997,1 Millionen Stunden, bezahlte
Überstunden 816,2 Millionen, zusammen also 1,8 Milliarden Überstunden, weit mehr als das
Doppelte dessen, was der Mikrozensus ermittelt. Darüber hinaus stellt das IAB seit 2013
einen leichten Anstieg der Überstunden fest, nachdem sie in den Vorjahren deutlich
zurückgegangen sind. Der Mikrozensus dagegen zeigt einen Rückgang der Überstunden seit
2010/2011. Gemessen an den Überstundenzahlen des IAB (Arbeitszeitrechnung) hätten rund
860 000 Menschen mehr im vergangenen Jahr eine Vollzeitstelle haben können, wären nicht
entsprechende Überstunden geleistet, sondern in dem Umfang neue Stellen geschaffen
worden.
 Der Anteil der bezahlten und unbezahlten Überstunden am gesamtwirtschaftlichen
Arbeitsvolumen (Frage 6) ist seit 2011 (Daten für 2010 wegen Umstellung des
Erhebungsverfahrens nur bedingt vergleichbar) sukzessive gesunken. Wurden 2011 noch 457
000 bezahlte (0,8% der gesamten Arbeitsstunden 2011) und 635 000 unbezahlte
Überstunden (1,2%) geleistet, waren es im vergangenen Jahr noch 340 000 bezahlte (0,6%)
und 440 000 unbezahlte (0,9%).
 Die Aufteilung der Überstunden zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten (Frage 8) sinkt
gleichmäßig, das Verhältnis zwischen Voll- und Teilzeit-Überstunden bleibt im Wesentlichen
stabil. (2010, Vollzeit: 2 % des Jahresarbeitsvolumens in Überstunden, 2015 1,3%, wobei der
Anteil der unbezahlten Überstunden langsamer sinkt (0,8% gegenüber 0,5 % bezahlte
Überstunden); Teilzeit 2010: 1,8%, 2015: 1,1%)
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