DIALOGUE WITH IMAGINARY VIEWERS Nin Brudermann – Stefan Brüggemann – Marcel Duchamp – Jérôme Hentsch – Cildo Meireles – Céline Peruzzo KMD — Kunsthalle Marcel Duchamp | The Forestay Museum of Art, Cully, Schweiz 29. August bis 21. September 2016 ∙ Offen 24/24 von Montag bis Sonntag ∙ [email protected] ∙ www.akmd.ch Simulation der Ausstellung im Untergeschoss Simulation der Ausstellung im Obergeschoss Die KMD organisiert vom 29. August bis 21. September 2016 mit Dialogue with Imaginary Viewers zum ersten Mal eine Spät-Sommerausstellung. Zu sehen sind ausgewählte Arbeiten, von welchen die meisten in den letzten Jahren als Geschenke von Künstlern den Weg in die Sammlung der KMD gefunden haben. Bei all diesen Werken geht es um das ironische Spiel mit Werten. Die Zero-Dollar-Noten (1978–1984) des 1948 in Rio de Janeiro geborenen Cildo Meireles haben im Alltag unserer kapitalistischen Welt keinen Wert, sie sind nichts, obwohl sie existieren. In einer Welt der Gedanken, Reflexionen und Fantasien aber sind sie ausgesprochen preziös, weil sie einen vielgestaltigen Diskurs über den grundsätzlichen Wert von Dingen und des Lebens provozieren. Ähnlich metaphernreich zeigt sich Marcel Duchamps transparente Apotheken-Ampulle aus der Boîte-en-valise (1934–1941), die ursprünglich 1919 in einer grösseren Version als Geschenk für Louise und Walter Arensberg entstanden ist und 50cc Air de Paris beinhaltet. Sie wird Meireles’ Zero-Dollarnoten im Untergeschoss der KMD gegenübergestellt. Der Inhalt des ‘Fläschchens’ ist unsichtbar. Wir müssen ihn uns vorstellen, einbilden, denken und sind verunsichert, ob sich tatsächlich Pariser Luft in diesem kleinen Objekt befindet. Denn sicher können wir uns nicht sein. Und sobald wir versuchten, den Inhalt zu überprüfen, müssten wir den Behälter (das Skulpturale, das Reale, das visuell Sichtbare, welches das Unsichtbare schützt) zerstören, und die Luft würde uns unweigerlich entweichen und wäre für immer verloren. Das vermeintlich Wertvolle bleibt uns also unzugänglich, und es entwickelt seine Bedeutung (Luft als Bedingung des Lebens und Luft aus Paris als Elixier der Liebe) nur dank unserer Vorstellungskraft. Auch das vergoldete 100-Dollar-Labyrinth der 1970 in Wien geborenen Nin Brudermann im oberen Ausstellungsraum ist eine spielerische Befragung von Wert. Die Künstlerin selbst schreibt in einer Email vom 11. Juli 2016: «Eine winzige Kugel rollt durch den Irrgarten (der) sagenumwobenen, perfekt gefälschten $100-Note, die, wie kürzlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, von der CIA selbst gedruckt wird: Währungsmanipulation, monetäre Kriegsführung, Geldwäscherei, darum geht es bei dieser Arbeit – oder einfacher – nur (um) ein goldenes Spiel in der Schweiz.» In diesem Sinne hält neben Brudermanns Labyrinth das «Gold-Händchen» der 1980 in Genf geborenen Céline Peruzzo einen Miniatur-Sonnenschirm zwischen Zeige-und Mittelfinger. Oder in umgekehrten Grössenverhältnissen formuliert: eine gigantische Gold-Hand ist der Sockel eines goldenen Sonnenbeschützers, der überall, wo er aufgespannt wird, unweigerlich Schatten produziert. Schliesslich hängt von der Decke der vergoldete Schlüsselanhänger des 1963 ebenfalls in Genf geborenen Jérôme Hentsch. Das Objekt ist eine glänzende Miniatur-Replik des spröden Grabsteins von Jean Calvin, der erst zweihundert Jahre nach seinem Tod in Genf aufgestellt wurde, weil es die Legende will, dass der Reformator keine sichtbaren Zeichen zu seinen Ehren haben wollte. Mit der Entscheidung, aus dem Grabstein des berühmten Revolutionärs ein touristisches Gadget zu machen, das den Eindruck erweckt, ausgesprochen wertvoll zu sein und zudem die Schlüssel der eigenen vier Wände, des eigenen Autos, des eigenen Tresors und/oder Arbeitsplatzes zusammenhält, initiiert Hentsch ein intellektuelles Spiel nicht nur mit dem Wert einer Ehrung, sondern auch generell mit der Bedeutung von Besitztum (Kunstwerken) und Religion (geistigen Werten). Der Titel Dialogue with Imaginary Viewers ist ein Werk des 1975 in Mexico-City geborenen Stefan Brüggemann. Er stammt aus der Liste seiner Ausstellungstitel, die auf seiner Webseite frei verfügbar sind. Mit der Entscheidung, dass der Titel einer Ausstellung bereits eine künstlerische Arbeit darstellt, befragt der Künstler den Wert und die Bedeutung von Worten, welche Kunst beschreiben, definieren und/oder metaphorisieren. Und mit Dialogue with Imaginary Viewers – Nummer 296 seiner Sammlung – nimmt er zudem direkt Bezug auf Marcel Duchamps legendären Vortrag Der kreative Akt aus dem Jahre 1957, in welchem der grosse Nominalist salopp und präzise zugleich darlegt, wie ein Werk erst im Dialog mit dem Betrachter – also mit Ihnen, geneigter Besucher – vollendet wird. Stefan Banz
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