Der VPOD sagt Nein zur Spitalstandortinitiative – die Argumente

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Abstimmung 27. November 2016
Der VPOD sagt Nein zur Spitalstandortinitiative – die Argumente
Das Komitee „Riggisberg ist überall“ hat als Reaktion auf die Schliessung der
Geburtenabteilung in Riggisberg eine Gesetzesinitiative lanciert, die alle heutigen
Spitalstandorte im Kanton Bern per Gesetz erhalten will. Überall muss eine umfassende
Grundversorgung angeboten werden. Dazu gehören gemäss Initiativtext „die Gewährleistung
einer akutsomatischen Notfallversorgung rund um die Uhr sowie insbesondere die Leistungen
der Fachbereiche Innere Medizin, Chirurgie und Gynäkologie/Geburtshilfe, soweit diese bisher
angeboten wurden“. Die Geburtsabteilungen in Riggisberg und Zweisimmen müssten wieder
eröffnet werden.
Der VPOD lehnt die Initiative aus folgenden Gründen ab:
Die Initiative ist das falsche Rezept, um auch in Zukunft im ganzen Kanton eine gute
Spitalversorgung sicherzustellen. Weder die finanziellen noch die personellen Bedingungen sind
gegeben. Wir wollen qualitativ gute Spitäler mit besten Arbeitsbedingungen für alle
Spitalangestellten. Das gewährleistet die Initiative nicht – im Gegenteil.
 Die Initiative trägt in keiner Weise dazu bei, dass die öffentliche Gesundheitsversorgung
gestärkt wird. Die Spitalstandortinitiative zwingt die öffentlichen Spitäler zum Strukturerhalt
und hindert sie an einer zukunftsträchtigen Entwicklung. Währenddessen können die
Privatspitäler weiterhin nach ihrem Gutdünken lohnende Angebote ausbauen und ihren Anteil
an der Spitalversorgung erhöhen.
 Der Kanton muss sicherstellen, dass die Bevölkerung im ganzen Kanton eine gute Notfallund Grundversorgung hat. Sie ist aber nicht notwendigerweise an heutige Spitalstandorte
gebunden. In den Regionen müssen integrierte Formen der Grundversorgung aufgebaut
werden, bestehend aus ambulanten Grundversorgungs- und Notfalldiensten mit
angeschlossener orthopädischer Chirurgie falls sich dies regional als sinnvoll erweist,
Spitexdiensten, Physiotherapie, Geburtshaus mit gynäkologischer Unterstützung etc. Für diese
innovative Weiterentwicklung einer guten regionalen Versorgung soll der Kanton Geld
ausgeben und nicht um teure Strukturen zu erhalten.
 Für das Personal bringt die Initiative keine Verbesserung, im Gegenteil: Der
Fachkräftemangel und der Druck auf die Arbeits-, Anstellungs- und Lohnbedingungen würde
sich noch verschärfen. Um heute ein Akutspital mit umfassender Grundversorgung anzubieten,
müssen Behandlungen, Therapien, Pflege und Betreuung qualitativ hochwertig erbracht
werden. Dazu braucht es das nötige Fachpersonal, das rund um die Uhr und 356 Tage im Jahr
zur Verfügung steht. Die Spitäler leiden aber bereits heute unter einem Fachkräftemangel. Es ist
insbesondere schwierig, genügend Ärztinnen und Ärzte und anderes medizinisches und
pflegerisches Fachpersonal zu finden und zu halten. Das gelingt nur, wenn die Spitäler
attraktive Arbeitsbedingungen anbieten. Die Löhne müssen stimmen und das Arbeitsgesetz
muss eingehalten werden. Für die Beschäftigten muss es möglich sein, Beruf und Familie zu
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Schweizerischer Verband des
Personals öffentlicher Dienste
ssp
Syndicat suisse des
services publics
ssp
Sindacato svizzero dei
servizi pubblici
ssp
Sindicat svizzer dals
servetschs publics
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verbinden. Tatsache ist aber: Seit 2012 stagnieren die Löhne vieler Spitalangestellten,
verlässliche Arbeitszeiten sind oft ein Wunschtraum, Formen von Arbeit auf Abruf nehmen zu.
 Die Spitäler wehren sich heute gegen den Personalmangel, indem sie neuen Angestellten
Löhne und Arbeitsbedingungen anbieten, von denen die angestammte, treue Belegschaft nur
träumen kann. Die Umverteilung von Mitteln von den langjährigen Mitarbeitenden hin zu
Kadern, Finanz- und ICT-Abteilungen und zu neuangestellten, hochqualifizierten Fachkräften
vor allem rund um Chirurgie, Anästhesie und Notfall ist bereits in vollem Gang. Betroffen sind
nicht nur Beschäftigte, die auf den Bettenstationen arbeiten, sondern auch Reinigung und
Gastronomie. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen ebenfalls zum Erfolg eines Spitals
bei und müssen entsprechend geschützt werden.
 Besonders verhängnisvoll kann die Initiative für die Qualität der Leistungen sein. Eine hohe
Behandlungsqualität kann seit der neuen Spitalfinanzierung nur mit ausreichenden Fallzahlen
sichergestellt werden. Der medizinische Fortschritt bringt es aber mit sich, dass immer mehr
Leistungen ambulant erbracht werden können. Deshalb sinkt die Aufenthaltsdauer im Spital,
und es braucht mehr Patientinnen und Patienten, um ein Spitalbett das ganze Jahr zu belegen.
Dazu muss das Einzugsgebiet und die Zuweisung zu einer Klinik ausgeweitet werden. Dies ist
in einer abgelegenen Region meist kaum möglich.
 Durch die Notwendigkeit höherer Fallzahlen wird ein Anreiz geschaffen, nicht zwingend
notwendige Leistungen zu erbringen. Wenn alle Spitäler weiter betrieben werden, wird die
Mengenausweitung im ganzen Kanton gefördert und die Kosten im Gesundheitswesen steigen
weiter – für unsinnige Leistungen.
 Auch wenn kleine Landspitäler zum Teil gut und effizient arbeiten, sind Vollbetrieb rund um
die Uhr, Unterhalt und Investitionen zur Anpassung an die medizinische Entwicklung sehr
teuer. Bevor Abteilungen mit Subventionen aufrechterhalten werden, muss geprüft werden, was
die Bevölkerung braucht und ob die Angebote in der Region auch tatsächlich genutzt werden.
Eine Zementierung der Strukturen über acht Jahre wie das die Initiative verlangt ist
kontraproduktiv.
 Die seit 2012 geltende neue Spitalfinanzierung setzt auf Wettbewerb und bringt einen
enormen Kostendruck für die Kliniken mit sich. Die Einnahmen aus den Fallpauschalen und
ambulanten Tarifen reichen in der Regel nicht aus, um die Kosten von kleinen Spitalstandorten
zu decken, namentlich wenn die Auslastung nicht genügt. Der Kanton müsste deshalb
namhafte Beträge für die Vorhalteleistungen bezahlen. In Anbetracht der zahlreichen
Sparübungen des Kantons ist eine ausreichende Finanzierung all der heutigen Standorte –
gesprochen durch den bürgerlichen Grossen Rat - unrealistisch.
 Es sind bürgerliche Kreise, die den künstlich geschaffenen Wettbewerb unter den Spitälern
antreiben und sich gleichzeitig für unsinnige Sparprogramme der öffentlichen Hand stark
machen und dauernd neue Steuersenkungen verlangen. Ausgerechnet die vehementeste
Befürworterin einer solchen Politik, die SVP unterstützt nun aber als einzige Partei mit der
Initiative einen Strukturerhalt, der massiv höhere Kosten auslösen wird und damit allen Berner
Spitälern schaden würde.
Für Auskünfte: Bettina Dauwalder, Gewerkschaftssekretärin Gesundheitsbereich VPOD
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